Adalbert von Hanstein
Das jüngste Deutschland
Adalbert von Hanstein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Die Gründung der Freien Bühne.

»Es war im März dieses Jahres, als ich auf einen Sonntag Vormittag in eine hiesige Weinstube geladen wurde, nur über die Stiftung einer »Freien Bühne« zu beraten. Ich bekenne, daß ich der Aufforderung mehr aus Wißbegierde, als aus Begeisterung folgte, denn ich war mir der ungeheuren Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens bewußt. Es fanden sich acht oder 142 neun Herren zusammen. Außer unserm bewährten Schatzmeister und einem mir bis dahin unbekannt gebliebenen Theatergehilfen traf ich lauter Berufsgenossen: Journalisten, welche für Tagesblätter oder Wochenschriften über Litteratur und dramatische Kunst kritisch schreiben. Als ich an den Einladenden die Frage richtete, worum es sich handle und ob man uns bestimmt formulierte Vorschläge unterbreiten könne, erhielt ich keine entscheidenden Antworten; die Diskussion drohte sich zu verzetteln. Anderseits scheute man sich, die litterarischen Prinzipienfragen in den Mittelpunkt zu rücken, weil diese jedes praktische und faktische Ergebnis verzögert oder verhindert hätten.

Da man doch einmal in allen Theaterangelegenheiten immer gleich nach Paris schielt, so verwies man zumeist auf das Muster des dortigen Théâtre libre, wo Tolstoi's »Macht der Finsternis« und ähnliche litterarische Ungewöhnlichkeiten zur Aufführung versucht worden waren. Auf einen grundlegenden Unterschied jedoch wurde schon damals nachdrücklich hingewiesen. Das Théâtre libre ist das Geschäftsunternehmen eines spekulativen Kopfes; die »Freie Bühne« sollte rein künstlerischen Zwecken dienen. Was sie erwirbt, sollte für diese Zwecke ausgegeben werden. Hierin, glaube ich, waren alle damals einig, und dabei ist es auch geblieben.

An jenem Weintisch ergab sich bald die Notwendigkeit, die zwanglose Unterredung an eine Art parlamentarischer Form zu binden, und auf Vorschlag eines der Eingeladenen wurde die Leitung der Debatte dem anwesenden Dr. Otto Brahm vertraut. Man kam jetzt bald zu dem Entschluß, in einer Aufforderung dem kunstsinnigen Publikum Berlins Zweck und Plan der »Freien Bühne« mitzuteilen.

Was waren Zweck und Plan? Der Entwurf zur Aufforderung, den wir noch am selben Tage abfaßten, der dann in vielen Exemplaren verbreitet wurde, deutet es an; »Uns vereinigt der Zweck, unabhängig von dem Betriebe der bestehenden Theater und ohne mit diesen in einen Wettkampf einzutreten, eine Bühne zu begründen, welche frei ist von den Rücksichten auf Theaterzensur und Gelderwerb. Es sollen während des Theaterjahres in einem der ersten Berliner Schauspielhäuser etwa zehn Aufführungen moderner Dramen von hervorragendem Interesse stattfinden, welche den ständigen Bühnen ihrem Wesen nach schwerer zugänglich sind. Sowohl in der Auswahl der dramatischen Werke, als auch in ihrer schauspielerischen Darstellung sollen die Ziele einer der Schablone und dem Virtuosentum abgewandten lebendigen Kunst angestrebt werden.«

Dies war der Zweck; es fragte sich, durch welches Mittel er zu erreichen sei. Das Bedürfnis der Zensurfreiheit wies den Weg. Es durfte 143 auf die geplanten Vorstellungen kein öffentliches Abonnement ausgeboten werden, sondern es mußte sich ein Verein zusammenschließen, innerhalb dessen die Aufführungen vor sich gehen konnten. Dieser Verein brauchte, wie jeder andere, einen Vorstand, und über die Zusammensetzung dieses Vorstandes, besonders über die Zahl seiner Angehörigen kam es in einer zweiten Besprechung zu lebhafter Meinungsverschiedenheit. Einig aber war man darin, daß an der Spitze des Vorstandes eine litterarische Persönlichkeit zu stehen hatte. Sodann sah man die Notwendigkeit eines Rechtsbeistandes ein. Endlich wurde ein Geschäftsmann als Schatzmeister für unentbehrlich erachtet.

Mit diesen drei Männern gab sich die Mehrheit der Anwesenden zufrieden. Gewählt wurde zum Vorsitzenden Herr Dr. Brahm, zum Rechtsbeistand Herr Rechtsanwalt Jonas und zum Schatzmeister der Kgl. Schwedische Hofbuchhändler Herr S. Fischer

So berichtete Paul Schlenther in seiner Broschüre: »Wozu der Lärm, Genesis der freien Bühne« (Berlin 1889) über eine Versammlung, zu der ihn die beiden jungen Berliner Schriftsteller Theodor Wolff und Maximilian Harden eingeladen hatten. Brahms Herrschaft begann damit, daß der ganzen großen Masse der Vereinsmitglieder als »außerordentlichen« jedes andere Recht genommen wurde als das: Beiträge zu zahlen. Innerhalb der Neune aber, die er als ordentliche Mitglieder neben sich dulden mußte, wurde jeder Widerspruch beseitigt, und daher mußten selbst die beiden Urheber der Idee endlich weichen. Schlenther aber hatte später das Amt, in jener so eben von mir zitierten Flugschrift alles das zu erklären und gut zu heißen. Und wie wegwerfend spricht er von den Hinausgedrängten, nicht einmal ihre Namen giebt er an. Harden nennt er in seiner hochfahrenden Weise einen »journalistischen früheren Schauspieler«. Zwei Jahre später kannte ganz Deutschland 144 Maximilian Harden als einen der glänzendsten Stilisten im gesamten Journalismus, und Herr Schlenther war noch immer nichts weiter als der witzelnde Nacheiferer Otto Brahms.

Nachdem dieser sich so die Bahn frei gemacht hatte, trat er mit seinem Programm hervor und dies lautete, wenn man es in ein einziges Wort zusammenfassen soll: Ausland! – Acht Vorstellungsabende standen dem Verein im Winter zur Verfügung. Eine recht kleine Zahl im Verhältnis zu der großen Masse von Dramen, die ihrer Aufführung harrten. Nur in großen Strichen habe ich vorhin eine Anzahl derer zu schildern versucht, die bereits im Druck vorlagen, und habe die Klagerufe einiger Autoren erwähnt. Hatten denn Männer wie Bulthaupt und Bleibtreu nicht wenigstens ein Anrecht darauf erworben, daß eine Versuchsbühne einmal nur eben einen Versuch mit ihnen mache!? Schon damit sie daraus ihre Fehler ersehen und sich künstlerisch weiter entwickeln konnten? Aber was ging das Herrn Brahm an? – Und so verteilte er – so unglaublich das klingen mag – von den acht Abenden fünf auf Ausländer und zwar auf lauter bekannte Größen. Am ersten Abend sollten Ibsens »Gespenster« wiederholt werden. Warum denn nicht ein anderes Werk von Ibsen? Auf meine Frage, warum nicht Ibsens »Brand« gewählt sei, diese wunderbar ergreifende Charaktertragödie – antwortete er mir mit dem billigen Wortwitz: Wenn wir gleich anfangs Brand im Theater haben, kaufen die Leute nur noch Eckplätze! – Nun, wenn man auch die Gespensteraufführung als vorausgeschicktes Programm zugestehen mag, warum mußte dann der längst berühmte zweite Norweger Björnson folgen? Warum der Däne Strindberg? 145 Warum die längst veralteten französischen Brüder Goncourt? Warum der Russe Tolstoj? – Warum? Weil es Brahm nicht darauf ankam, verkannten deutschen Poeten aufzuhelfen, sondern darauf: der deutschen Litteratur seinen eigenen Geschmack aufzuzwängen, und dieser Geschmack hieß: Naturalismus! Darum sollte aus aller Herren Länder der Naturalismus zu Hauf geschleppt werden. Dichter, die nie Naturalisten gewesen sind, wie der Ideengrübler Ibsen und der Religionsneuerer Tolstoj, mußten durch geschickte Auswahl ihrer Werke mit dieser neuesten Modemarke abgestempelt werden, und nun sollte vor dieser ganzen Galerie ausländischer sogenannter Naturalisten Jungdeutschland beschämt stehen und sich vornehmen, jetzt endlich auch naturalistisch zu werden. Dabei saßen sonderbarerweise unter den »Neunen« auch die sonst so idealistischen Brüder Hart und der Humorist Stettenheim, der statt Harden und Wolff eintrat mit Mauthner. Dieser ward beauftragt, die Henriette Maréchall der Brüder Goncourt zu übersetzen, die im Jahre 1865 in Paris mit Pauken und Trompeten durchgefallen war, und die in ihrem aus lauter unmöglichen Zufälligkeiten zusammengesetzten Handlungsbau alles andere eher ist als naturwahr! Aber sie behandelt ein sexuelles Problem, und auch das ist ein Kennzeichen des Brahmschen Programms und aller dieser von ihm ausgewählten fünf Auslandsstücke. – Und endlich war ein gemeinsamer Zug der fünf Dramen der, daß sie alle nur moderne Stoffe behandelten. Daß Ibsen seine größten Dramen in historischem Gewande schrieb, daß Björnson seinen nationalen Ruhm seiner Siegurd-Tragödie verdankt, daß er eine Maria Stuart und ähnliches geschaffen, das verschwieg man. Von all den harrenden jungen deutschen Dramatikern aber ward – keiner zur Aufführung zugelassen. Nicht ein einziger! Vielmehr wurden nur für zwei Abende deutsche 146 Dramen bestimmt und zwar von längst bekannten älteren. Von dem trefflichen österreichischen Volksdramatiker Anzengruber das »Vierte Gebot« und von Fitger, dem genialen Dichter der »Hexe«, das ungeniale Revolutionsschauspiel »Von Gottes Gnaden«. – Beides recht interessant, aber sowohl Anzengruber wie Fitger hatte man vor der »freien Bühne« gekannt. Sollte nun die neue Probebühne nicht einen neuen Namen in die Welt einführen? Doch! In letzter Stunde meldete sich ein junger Dramatiker, der in seinem Erstlingsschauspiel ein neues Kunstprinzip vertrat, das freilich nicht von ihm selbst herrührte. Und nachdem die »Freie Bühne« an einem Sonntag Vormittag in den gemieteten Räumen des Lessingtheaters programmmäßig mit der Aufführung von Ibsens »Gespenstern« begonnen hatte, da gehörte ihr zweiter Abend bereits jenem neuen Manne und dem von ihm vertretenen Kunstprinzip. Ehe wir aber diese Aufführung kennen lernen, müssen wir erst jenes neue Kunstprinzip und seinen Erfinder betrachten und dann den Entwickelungsgang des jungen Dichters, der sein Stück danach verfaßte.

 


 


 << zurück weiter >>