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»Die Jungen« hatten sich als Lyriker eingeführt und zwitscherten fröhlich weiter ihre Liedchen. Von den drei Herausgebern der Anthologie ging jeder seines Weges weiter. Wilhelm Arent machte sich den billigen Scherz, unter dem angenommenen Namen Ludwig »Lyrisches aus dem Nachlasse von Reinhold Lenz« herauszugeben, und glaubte den gelehrten Herren ein gewaltiges Schnippchen geschlagen zu haben, daß sie die Mystifikation nicht sogleich durchschauten. Diese aber begnügten sich damit, festzustellen, daß die neu aufgefundenen Gedichte kein Ruhmesblatt in dem Kranz des toten Poeten bilden.
Karl Henckell gab Jahr für Jahr einen Band seiner Lyrik heraus, leicht nach Form und Inhalt, mit gefälligen Titeln, wie »Strophen« (1887), »Amselrufe« (1888, 2. Aufl. 1889), »Diorama« (1889). Nicht unrichtig sagte sein Genosse Conradi von ihm: »Bei ihm ist alles, was er singt und sagt, wahr und ohne Geste und Pose, und doch fehlt ihm der eigentliche schöpferische Zug«(Deutsche akadem. Ztg. 1886 Seite 122).. Conradi selbst aber stellte sich mit seinen »Liedern eines Sünders« ein (1887). Hier gärte es wieder:
Wohl kann ich wochen-, mondelang
mich mit dem Engsten, Nächsten still begnügen; –
da aber faßt mich jäher, wilder Drang, –
und in gewaltigen Gedankenflügen
steig' ich empor zum Sternenocean –
in Nichts zerfließt der taube, ird'sche Wahn –
und unersättlich saug' ich Ewigkeiten,
die mit Sekundenspur durch meine Seele gleiten. 81
Wohl kann ich wochen-, mondelang
all' Liebeswonne, Gruß und Kuß still missen;
da aber packt mich jäher, heißer Drang –
und mich umstarrt's von tausend Finsternissen.
Ich ringe krampfhaft mich zum Licht empor –
nach süßen Sünden dürsten meine Sinne –
vor meinen Augen reißt der Nebelflor –
und unersättlich feir' ich dich, Frau Minne!
Und in solcher unersättlichen Feier sollte er bald zu Grunde gehen an Seele und Leib.
Sturmgeschwind ließ auch Mackay Dichtung auf Dichtung folgen. »Im Thüringer Wald« (1886) nannte er ein kleines Heftchen, in dem er eine Thüringer Wanderung in meist recht flüchtigen Versskizzen schilderte, hier und da freilich ein hübsches Naturbild entwarf. Mit tönenden Worten rief er zu sozialem Kampfe auf (1886) in dem Gedichte: »Arma parata fero« (»Ich halte die Waffen bereit«), das auf Grund des damals noch bestehenden Sozialistengesetzes verboten wurde. Gesammelte »Dichtungen« gab er dabei auch noch heraus (1886, Fortgang 1888), worin sich neben den schönen Ostseeliedern und anderen hübschen Stücken auch sehr gequälte Verse finden. Und mit gleich flüchtiger Ausnutzung jeder Stimmung folgten die Dichtungen »Sturm« (1888, 2. Aufl. 1889), »Helene« (1888), »D. Alte und D. Junge« (1888). Und daneben leicht hingeworfene Prosaskizzen, mehr Stoffe zu Novellen als Ausführungen solcher, wie »Moderne Stoffe« (1888), »Novellistische Studien« (1887).
Auch eine Kollegin führte sich damals mit stimmungsvollen »Gedichten« (1889) ein: Isolde Kurz (geb. in Stuttgart am 21. Dezember 1853). Eine Probe ihrer ergreifenden Lyrik mag hier folgen:
Jetzt kommt die Nacht, die erste Nacht im Grab.
O wo ist aller Glanz, der dich umgab?
In kalter Erde ist dein Bett gemacht.
Wie wirst du schlummern diese Nacht?
Vom letzten Regen ist dein Kissen feucht,
Nachtvögel schrein, vom Wind emporgescheucht,
kein Lämpchen brennt dir mehr, nur kalt und fahl
spielt auf der Schlummerstatt der Mondenstrahl.
Die Stunden schleichen – schläfst du bis zum Tag?
Horchst du wie ich auf jeden Glockenschlag?
Wie kann ich ruhn und schlummern kurze Frist,
wenn du, mein Lieb, so schlecht gebettet bist?
Neben ihr ist auch der versfreudige Paul Barsch zu nennen, der vom Handwerker zum Dichter geworden war (»Auf Straßen und Stegen«, »Fliegende Blätter«) und nebst seiner Frau, der talentvollen Hedwig Wigger, in der sogenannten »Breslauer Dichterschule« bei sangesfreudigen Genossen anregend wirkte.
82 Fleißig an der lyrisch-epischen Arbeit war auch Heinrich Hart. Ein Riesenwerk hatte er sich in seinem Lied der Menschheit vorgenommen. Nichts Geringeres als die ganze Menschheitsgeschichte wollte er zur Darstellung bringen in vierundzwanzig Einzelbildern. Jedes dieser Bilder aber wuchs sich zu einem selbständigen Werke aus. Aus vierundzwanzig Gesängen besteht die Homerische Ilias. Aber den Umfang der ganzen Ilias hat fast immer so einer von den Gesängen des Menschheitliedes. Ein Gedicht, fast vierundzwanzig mal so groß als das Werk Homers! Und nun ist der Stoff des Hart'schen Gedichtes schlecht gerechnet ein paar Millionen mal so groß als der Stoff der Ilias. Ein paar Tage des Kampfes um Troja – nur solange der Zorn Achills um die schöne Briseïs währt – das ist das Nichts an Stoff, aus dem das gewaltigste Epos der Menschheit – nächst dem Nibelungenliede – hervorgewachsen ist. Harts Epos aber umfaßt im Plan eine Unzahl von Jahrtausenden. Das wäre im alten Sinne an sich schon nicht episch gedacht – denn seit alten Zeiten konzentriert das Epos seine Handlung. Nur ein paar Tage von der Irrfahrt des Odysseus sehen wir bei Homer – das andere erfahren wir nur aus der Erzählung des Helden. Aber Harts Lied der Menschheit soll ja auch kein geschlossenes Epos werden, sondern ein Zyklus von epischen Gedichten. Die Einleitung behandelt das Chaos und die »Entstehung« der Welt. Der erste Gesang redet von den ersten Menschen; aber wie die Einleitung nicht von einer Schöpfung durch einen schaffenden Gott, sondern nach naturwissenschaftlichen Anschauungen von einer selbsteigenen Entstehung der Welt singt – so heißen im ersten Gesang die ersten Menschen auch nicht Adam und Eva, sondern Tul und Nahila, 83 und sie sind auch nicht der Zeit nach die ersten Menschen, sondern nur im höheren Sinne. Aus der Horde menschlicher Raubtiere, die gierig das Blut ihrer Feinde schlürfen und die Weiber als Gemeingut betrachten – sondern sie sich ab, als das erste wirkliche Paar, das in Liebe zusammenhält. Und wie sie durch Zufall den Reiz des gebratenen Fleisches entdecken, so werden sie durch Zufall die Entdecker der Anfänge menschlicher Kultur. Auf der sogenannten naturwissenschaftlichen Weltanschauung beruht also das ganze Gedicht – ein Anhang meldet sogar die lateinischen Namen der vorkommenden Pflanzen und Tiere! Freilich, die Errungenschaften der modernen Naturwissenschaft und der Völkerkunde in einem poetischen Kompendium niederzulegen, erscheint bei dem ewigen Fluß aller Wissenschaften als ein fruchtloses Bemühen. Was ein Lehrbuch heute an Wahrheit bietet, ist morgen schon oft nicht mehr Wahrheit. Während die Druckbogen einer wissenschaftlichen Abhandlung noch korrigiert werden, ist sie manchmal schon von anderer Seite überholt und entwertet worden. Und was sollte man nun wohl zu der Sisyphusarbeit sagen, die sich ein hochbegabter Poet auferlegt, wenn er den Fleiß eines Menschenlebens daransetzt, ein gleichsam wissenschaftliches Epos zu dichten, dessen erster Gesang nach menschlicher Berechnung schon veraltet ist, ehe der vierundzwanzigste erreicht sein kann. Aber es hat ja allerdings noch eine andere Betrachtungsweise Platz zu greifen. Humboldts »Kosmos«, so wenig sich ein moderner Mensch noch aus ihm zu unterrichten vermag, so sehr behält der riesige Torso durch seine Form seine Bedeutung in der deutschen Litteratur. Und in viel höherem Maße muß man ja ein Kunstwerk um seiner Form willen schätzen. Und nicht nur die äußere, sondern auch die innere Form ist in Harts Werke allerdings mit Meisterschaft gehandhabt. Die Art, wie die wissenschaftlichen Gedanken in plastisches Leben umgearbeitet sind, die Anschaulichkeit, mit welcher die Gestalten erschaut, die Bildnerkraft, mit der sie geformt sind, müssen geradezu Bewunderung erwecken. Ob freilich die Urmenschen wirklich so gedacht und gesprochen haben, wie Tul und Nahila, ja ob es einem modernen Geiste überhaupt möglich ist, das Denken und Fühlen geschichtlich früherer Menschen realistisch zu erfassen und wiederzugeben, das muß wohl zum mindesten eine offene Frage bleiben. Nun greift ja Hart auch nur einzelne Episoden aus der Kulturgeschichte heraus und lehnt sich nur im allgemeinen an historische Ereignisse an. So scheint für den Gang der Handlung der zweiten am Euphrat spielenden Nomadennovelle »Nimrod« in großen Umrissen das Leben Attilas zum Vorwurf gedient zu haben, wenigstens spricht dafür die Geschichte von dem vom Himmel herabgefallenen Schwert, das den Brudermord und die Welteroberungspläne des Helden veranlaßt. Nun ist es zwar an sich mißlich, eine Geschichte aus der Zeit der Völkerwanderung in das Nomadenleben am Euphrat zu versetzen, aber die Dichtkraft läßt uns gar keine Zeit zu solchen Bedenken, sondern reißt uns dahin, wo sie uns haben will. In wunderbar glühender Farbenpracht steigen die Gefilde Mesopotamiens vor unseren geistigen Augen auf. Ja, Heinrich Harts Sprache schwelgt geradezu in Anschauungen, und mit Spannung wird jeder Kunstfreund den Dichter begleiten auf seinem Wege durch die Menschheit, von Entwickelungsstufe zu Entwickelungsstufe 84 bis zu den »Hungernden« und dem Ausblick in die »schönere Zukunft«. – Ob freilich der Dichter sein Riesenwerk wird vollenden können, erscheint mehr als fraglich, denn in den Jahren von 1887 bis 1896 sind nur drei Gesänge entstanden von den geplanten vierundzwanzig! Als kleine Probe folgen hier einige Verse des »Vorgesanges«.
»Einst war die Welt ein endlos tiefes Meer
von Finsternissen – tot und stumm und leer.
Kein Hauch, kein Atem, weder Flut noch Schaum,
Zeit ohne Werden, Schlafen ohne Traum,
leidlose Ruhe, Kraft, die nichts erfüllt,
ein Grab, das Schatten wesenlos umhüllt.
Einst aber wie ein Blitz durchfuhr's das All,
das Meer barst auf mit dumpfem Donnerhall,
und tausend Wirbel kreuzten durch die Wogen,
und tausend Feuer zuckten rings und flogen,
und auseinander klüfteten die Gluten
und schossen sprühend hin gleich Flammenruten
und ballten kreisend sich zu Sonnenwelten,
verschlangen sich und barsten und zerschellten –
von Nebeln wirr umflattert, dampfumbraust,
aufbrandend in Gewittern, sturmdurchsaust.
Die Nacht versank, es wich des Todes Bann,
und heiliger Schauer durch die Schöpfung rann,
da lag die Welt, ein Wasser, breit und klar,
Lichtinseln zogen funkelnd, Schar an Schar,
in wiegenden Reigen schwebend wie zum Spiel,
rastlos der Weg, geheimnisvoll das Ziel.
Vom Kranz der Schwestern eine wählt mein Lied,
und für die Lieblichste mein Herz entschied.
Noch war ich Knabe, in der Haide Kraut
lag ich zu lauschen auf des Windes Laut,
von weißen Schleiern glänzte rings die Luft,
und auf den Gräsern träumte herber Duft,
und zwischen Erd' und Himmel fühlt' ich's weben,
des Geistes Wirken und der Schöpfung Streben.
Da strömte leuchtend mir ins Herz die Lust,
der ew'gen Schönheit ward ich mir bewußt,
und brünstig drang die Sehnsucht auf mich ein,
Urmutter Erde, dir ein Lied zu weihn,
ein Lied, das wogend wie der Ozean
all deine Pracht umspannt, all deinen Wahn. . . .
Mein Blick ward starr, die Wesen und die Zeiten
sah ich noch einmal mir vorübergleiten.
Vor meinen Augen brauste Glut in Glut,
von tausend Farben zitterte die Flut,
in langen Garben sprühte Strahl um Strahl,
berghohe Feuer wuchsen auf im Thal.
Und in den Weltraum stürzte wie ein Blatt,
das von dem Baume flattert, sturmesmatt, 85
der Mond, aufzischend, wirbelnd, nebelrauchend,
dem Urgewässer blassen Haupts enttauchend.
Schon aber senkte Nachtgewölk von Dunst
sich auf der Flammen niegestillte Brunst,
und prasselnd, schäumend, immer neu geboren,
warf sich der Regen in des Glutmeers Poren,
aufwallten blutige Nebel aus der Wunde,
gleich Speer- und Schwertglanz leuchtete die Runde,
und stöhnend mischten sich im Kampf die Kräfte,
und siedend gärten zukunftsschwangere Säfte,
bis aus des Wassers morgenkühlem Schoß
der Keim des Lebens stieg – gestaltengroß. –
Statt solche Kunstbauten in emsiger Arbeit auszuführen, gab Detlev von Liliencron eine neue Sammlung »Gedichte« heraus (1889). Er hatte sich inzwischen auf dramatischem und novellistischem Gebiet geübt und mit seinem Roman »Breide Hummelsbüttel«, sowie mit seinen Novellen »Eine Sommerschlacht« viel Schilderungsgabe verraten. Aber der ganze Liliencron ist er doch nur als Lyriker. Dieser so schlicht überschriebene Band »Gedichte« zeigt den jetzt Fünfundvierzigjährigen auf der Höhe seines Könnens. Zwei kleine Kabinettstücke möchte ich anführen. Das erste ist so ein winziges, hingeworfenes Straßenbild; aber wieviel Leben, wieviel Anschauung ist in diesem Stückchen Wirklichkeit als lachende, farbenbunte Poesie verewigt!
Klingling, bumbum und tschingdada!
Zieht im Triumph der Perserschah?
Und um die Ecke bricht's
wie Tubaton des Weltgerichts,
voran der Schellenträger.
Brumbrum, das große Bombardon,
der Beckenschlag, das Helikon,
der Piccolo, der Zinkenist,
die Türkentrommel, der Flötist
und dann der Herre Hauptmann.
Der Hauptmann naht mit stolzem Sinn,
die Schuppenketten unterm Kinn,
die Schärpe schnürt den schlanken Leib,
beim Zeus! das ist kein Zeitvertreib,
und dann die Herren Leutnants.
Zwei Leutnants, rosenrot und braun,
die Fahne schützen sie als Zaun,
die Fahne kommt, den Hut nimm ab,
der sind wir treu bis an das Grab!
Und dann die Grenadiere.
Die Grenadier' im strammen Schritt,
in Schritt und Tritt und Schritt und Tritt,
das stampft und dröhnt und klappt und flirrt,
Laternenglas und Fenster klirrt,
und dann die kleinen Mädchen.
Die Mädchen alle, Kopf an Kopf,
das Auge blau und blond der Zopf,
aus Thür und Thor, aus Hof und Haus
schaut Mine, Trine, Stine aus,
Vorbei ist die Musike.
Klingkling, tschingtsching und Paukenkrach,
noch aus der Ferne tönt es schwach,
ganz leise bumbumbumbum tsching,
zog da ein bunter Schmetterling,
tschingtsching, bum, um die Ecke? –
Aber die kraftvollste Wiederspiegelung von Liliencrons Persönlichkeit ist doch diesmal der »Cincinnatus«. 86
Frei will ich sein.
Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug,
und ein fröhlich Herz, und das ist genug.
Und schleichen die Wünsche wie schmeichelnde Panther,
tobt einer im Blut mir, ein höllengesandter,
daß ich Ruhe nicht finde bei Tag und Nacht,
daß ich ganz wirr bin und überwacht,
daß mir die Wangen einfallen und bleichen,
und kann doch und kann doch den Wunsch nicht erreichen.
Ich schluck' ihn zu den begrabenen andern,
fein still, und es säumt schon das rastlose Wandern.
Das Wort klingt herb und hat traurigen Mund
und tröstet mich doch und macht mich gesund.
Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug,
und ein fröhlich Herz, und das ist genug.
Frei will ich sein.
Bietet der Staat mir Würden und Amt,
und trüg' er mir's an auf purpurnem Samt,
ich winke den Bringern, ich lache dem Tand
und wehre sie ab mit verneinender Hand.
Mich schaudert vor Joch und Fessel und Druck,
Vor des Dienstes grauem Bedientenschmuck,
vor des Dienstes Sklavenarbeiten,
vor seinen Rücksichtslosigkeiten.
Ich beuge den Menschen nicht meinen Nacken
und lasse sie nicht an den Kragen mir packen.
Der Geier des Ehrgeizes richtet den Schnabel
ewig nur gegen den eigenen Nabel,
und frißt sich selbst in den Eingeweiden,
und schafft sich selbst nur die bittersten Leiden.
Weg da, ihr Narren, und laßt mich in Ruh',
und dröhnend werf' ich mein Hofthor zu.
Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug,
und ein fröhlich Herz, und das ist genug.
Frei will ich sein.
Doch ruft mich der Kaiser in Not und Gefahr,
ich entstürze dem Haus mit gesträubtem Haar,
bin um ihn, wenn er von Feinden umdrängt,
bis wieder die Streitaxt am Nagel hängt.
Und will es mein Schicksal, fällt für ihn mein Haupt,
ich küsse den Block, an den ich geschraubt,
ich küsse den Block, von dem mein Rumpf
ohne Kopf in den Sand rollt, ein zuckender Stumpf.
Muß das Vaterland drangvoll die Sturmflaggen hissen,
ho heida! die Klinge der Scheide entrissen.
Und droht es von Osten und dräut es von West,
wir schlachten den Bären, den Hahn uns zum Fest.
Fällt neidisch uns an auch die ganze Welt,
sie lernt uns schon kennen, der Angriff zerspellt.
Und der Frieden strahlt auf, von Sonnen gezogen,
der Teifun erstarb in sanft plätschernden Wogen, 87
der Ackersmann sät, und der alte Verkehr
findet verkettete Straßen nicht mehr.
Dann stemm' ich die Spitze von meinem Schwert
fest auf den häuslichen Feuerherd,
umfasse den Griff mit der einen Hand
und trockne das Blut von Rill' und Rand
und schleif' es gewärtig zu neuem Tanz,
doch heute bedeckt es ein Eichenkranz.
Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug,
und ein fröhlich Herz, und das ist genug.
Frei will ich sein! –
Unerwähnt bleibe hier nicht der einzige lyrische Versuch von Franz Oppenheimer, der unter dem Pseudonym Franz Hauser (geb. in Berlin am 30. März 1864) in seinem »Weg zur Liebe« (Berlin 1887) die seelischen Kämpfe eines jungen Arztes schildert. Wie dieser durch schmerzlichen seelischen Verzicht und heißes Ringen mit dem Materialismus sich zu innerer Ruhe und Abklärung hindurcharbeitet, ist fein und poetisch dargestellt.
Auch Oskar Linke versenkte sich nach wie vor gern in vergangene Zeiten. Seine auf griechischer Weltanschauung fußende Dichtung liebte Frohsinn und Schönheitskultus nach wie vor, wie seine Sammlungen »Aus dem Paradiese« (1885) und »Ergo bibamus« (»Laßt uns trinken«) bezeugen. Sein eigentliches Streben aber ging dahin, hohe Idealgestalten der Vorzeit in modernem Licht zu sehen. Zum zweiten Male nahm er die Gestalt Jesu zum Gegenstand einer Dichtung. Diesmal war's ein Roman, der manche Stelle voll Schwung und Farbe aufweist, oft genug aber schwache Bleistiftskizzen das Oelgemälde unterbrechen läßt; und in seinem Epos »Antinous« geht die rührende Geschichte vom schönen Liebling des Kaisers Hadrian allzuoft in theoretischen Betrachtungen unter, und dieses geheimnisvollste aller Seelenrätsel der Geschichte wird nicht zu vollem Leben erweckt.
In jener Zeit hochgehender wogender Lyrik sammelte auch ich meine Erstlinge unter dem Titel »Menschenlieder« (1887). Kurz vor meinem Eintritt in den Verein »Durch« hatte ich zusammengestellt, was in den wechselnden Phasen meines noch jungen Lebens mein Gemüt erregt hatte. Das Ringen nach einer einheitlichen Weltanschauung, das einst den frommen Knaben beim Studium der Naturwissenschaften ergriffen hatte; die großen Gestalten, die aus der Geschichte und Philosophie mich hinübergeleitet hatten in die moderne Welt; und endlich die moderne Großstadt selber, die plötzlich vor mir aufgegangen war, mit Glanz und Kraft, Elend und Verzweiflung spiegelten sich mir in Balladen und Liedern, und den sonderbaren Titel erklärte ich eingangs mit den Worten: »Menschenlieder sind Lieder, welche den Menschen zum Gegenstande ihrer Poesie machen. Das Ringen der Erdenbürger nach Licht und Wahrheit gehört daher ebensowohl in ihr Gebiet, als der Kampf um Brot und Dasein.« Und nach diesem Programm gaben sich denn Prometheus, Christus, Buddha und Mohammed in diesem Büchlein ein Stelldichein mit Gestalten und Bildern von Böcklin und Spangenberg und mit 88 modernsten Menschen in ihrem ringenden Leid. Anstatt aber nun meine eigenen Gedichte zu beurteilen, will ich hier nur die Entstehungsgeschichte eines derselben erzählen und nur aus dem Grunde, weil sie für das Empfinden der damaligen Jugend im allgemeinen typisch ist.
Mit einem Freunde, einem sehr leicht erregbaren Deutschpolen, hatte ich einen Sonntags-Ausflug nach dem jedem Berliner bekannten Grunewald gemacht, und wir schauten in einer der volkstümlichen Waldschenken am blauen See dem Tanz der Menge zu. Plötzlich stieß mein Freund mich an und bat mich dringend, den Klavierspieler näher anzusehen. Sicher sei das ein einstiger Bühnenkünstler, der ohne Glück und Stern herabgesunken sei zum Sonntagsmusikanten; auf seinem Gesichte aber könne man deutlich in den gespannten Zügen die furchtbare Leidensgeschichte des gescheiterten Idealisten lesen. Diese stürmisch vorgebrachten Worte zündeten bei mir sogleich. Sofort eilte ich mit übervollem Herzen in eine entfernte Ecke des Wirtschaftsgartens, und während mir die Walzerklänge von drüben her in Ohr und Seele tönten, schrieb ich das Gedicht nieder:
Rumdaradei! Rumdaradei! –
Tanzt! Ich schlage auf die Tasten!
Klappern soll der alte Kasten!
Walzer – Polka – Hopser – Springer!
Dreht euch, dreht euch, bunte Dinger!
Während meine Finger scherzen,
brennt die Hölle mir im Herzen!
Rumdaradei! Rumdaradei!
Tod und Leben einerlei!
Einst in meines Vaters Hause
bei dem frohen Tanzgebrause
schwang ich mich beim Kerzenscheine,
und ein Mädchen war die Meine.
Zwanzig Musikanten bliesen
einen Tanz wie diesen, diesen –
Rumdaradei! Rumdaradei!
Tanz und Teufel einerlei!
Und mich riß die Kunst von hinnen,
nach der Sonne stand mein Sinnen.
Ew'ges Wort aus Dichters Munde,
Bühnenglanz und sel'ge Stunde,
göttlich Sehnen, heilig Ringen –
nie Erfolg und nie Gelingen! –
Rumdaradei! Rumdaradei!
Und die Sonne zog vorbei!
Und ich hab' von fernen Höhen
meines Vaters Schloß gesehen,
bin ins grüne Gras gesunken,
hab' die traute Luft getrunken.
Fort mein Glück und tot mein Sehnen –
all mein Gut im Aug' die Thränen!
Rumdaradei! Rumdaradei!
Dreht euch! Dreht euch! Eins, zwei drei!
Dreht euch, daß die Funken stieben! –
Und wo ist mein Lieb' geblieben?
Wo ich lag, vom Gram zerschlagen,
Fuhr vorbei ein Fürstenwagen,
hielten zwei sich drin umwunden,
bis mir Sinn und Geist entschwunden;
Rumdaradei! Rumdaradei!
Weib und Weib ist einerlei!
Als ich in die Stadt gekommen,
hat der Wirt mich aufgenommen,
spiele nun bei jedem Feste
für die Kinder, für die Gäste,
bis erlahmt die alten Tatzen,
bis die Saiten schrill zerplatzen –
Rumdaradei! Rumdaradei!
Tod und Leben einerlei!
Als das neue Gedicht in meiner Tasche geborgen war, ging ich dann mit meinem Freunde auf den verzweifelnden Idealisten zu, der grade seinen Walzer geendet hatte. Und unter dem üblichen Vorwande »von der auffallenden Aehnlichkeit« forschten wir ihn aus über sein früheres Bühnenleben. Aber wie erstaunten 89 wir beide, als wir hörten, daß der brave Mann nie beim Theater gewesen war, nie höhere Ziele gehabt hatte und sich in seinem volkstümlichen Klavierspielerberufe sehr glücklich fühlte, besonders aber im Sommer, wo er vom frühen Morgen an die schöne Waldluft genießen könne. Wir stürzten aus allen Himmeln. Aber meine kleine Romanze war nun einmal da; sie ist später aus meinen »Menschenliedern« in mehrere Anthologien übergegangen und erst unlängst von zwei namhaften Komponisten in Musik gesetzt worden. So mag denn ihre Entstehungsgeschichte auch einmal bekannt werden. Jedenfalls ist sie bezeichnend für die Empfindungen, die uns »Jüngstdeutsche« damals bewegten. Denn zu diesen wurde ich ja nun infolge meiner ersten Liedersammlung auch gerechnet.
Im nächsten Jahre ließ ich eine zweite Dichtung folgen »Von Kains Geschlecht« (1888). In nähere Beziehung traten hier Bibel und Wirklichkeit zu einander. Im einleitenden Gesange wurde der biblische Kain als feurig-genialer Kraftmensch dem sanftmütig-artigen Abel gegenübergestellt, und seine furchtbare That wurde erklärt aus dem Seelenleid dieses Gewaltigen, der dem philisterhaften Vater Adam und der demütig-frommen Mutter Eva als ein unbändiger Wildling erscheint, und der in seinem heißen Liebesdrang von dem Muttersöhnchen Abel kühl zurückgewiesen wird, bis der innerlich tausendfach verwundete Titan von Neid und Leidenschaft sich hinreißen läßt, den allgeliebten Bruder zu erschlagen. Den furchtbar Bereuenden trifft Gottes Strafgericht, daß er das Paradies in nächster Nähe erschauen muß und doch nicht eintreten darf; daß er ewig leben und wandern muß und ewig ringen nach unerreichbaren Idealen; und daß gerade dieses Streben nach dem Höchsten und Reinsten ihn immer von neuem zum Brudermörder machen muß. Und dieser selbe Fluch trifft seine gesamte Nachkommenschaft: also die ganze Menschheit. – Nach dieser Einleitung zeigen fünf Bilder in fünf verschiedenen Ständen der modernen Gesellschaft, wie heute noch dieser Fluch waltet: alles Ringen nach idealen Höhen mit der Notwendigkeit des Brudermords verkettend. Im ersten Bilde wird ein schlichter Arbeiter gezeichnet, der aus der dumpfen Umgebung der Kindheit voll Bildungstriebes herausgestrebt hat, 90 in Amerika die Freiheit kennen lernte und mit christlich-sozialen Anfichten heimkehrt, um dort seine verlassene Braut in den Armen des plumpen Bruders zu finden und mit einer jähzornigen Kainsthat die Reinheit seiner Seele auf ewig zu entweihen. Das zweite Bild zeigt einen Dichter, der seinen heißen Künstlerdrang untergehen fühlte und darum ohne Liebe ein reiches Mädchen heiratete, das glühend an ihm hing. Zu spät sieht er ein, daß er gerade durch diese frostige Ehe die Poesie in sich getötet hat, während ein abgewiesener Bewerber seiner Gattin gerade durch den Schmerz der unglücklichen Liebe zum großen Dichter geworden ist. Sein furchtbares Bekenntnis, mit dem er sein liebendes Weib seelisch vernichtet, zeigt ihn in geistigem Sinne als Kain. – Im Vordergrunde des dritten Bildes steht ein großer Unternehmer, der mitten im Herzen der Weltstadt eifrig hilft am Forträumen der alten Baracken und einen prächtigen Bierpalast errichtet, bei dessen Einweihung er aus der Erzählung einer alten Frau aus der Nachbarschaft plötzlich mit tiefer Rührung erfährt, wieviel schlichte, brave Existenzen »aus der guten alten Zeit« er selbst und der große Strom der fortschreitenden Kultur überhaupt absichtslos an den Bettelstab gebracht und zur Vernichtung getrieben hat durch die siegreiche Konkurrenz des Neuen mit dem naturgemäß unterliegenden Alten. – Das vierte Bild erzählt von einem begeisterten Prediger, der mit seiner ergreifenden Auslegung der neutestamentlichen Erzählung vom reichen Jüngling überall die Herzen zur Nachfolge Christi aufrufen will und damit, ohne es zu wissen, verhängnisvoll eingreift in das glückliche Leben eines Gutsbesitzers, der in schwärmerischer Frömmigkeit den Ausspruch Jesu wörtlich befolgt und sein Hab und Gut an die Armen verschenkt. Darüber gerät er in Zwist mit seinen Verwandten, verliert seine Braut, kommt vorübergehend ins Irrenhaus, durchbummelt die Welt als allverspotteter Kneipenprediger und klagt schließlich als ergrauter Mann den Prediger an um sein zwecklos verlorenes Leben. – Und in dem fünften Bilde wird an der Geschichte eines gelehrten Professors und seines unverstanden an seiner Seite leidenden Sohnes dargethan, wie auch die Wissenschaft ihre Seelenopfer fordert. – Der Schlußgesang endlich giebt einen Ueberblick über die Geschichte der Menschheit, die in ihrem blutigen Werdegang mit ihrem Errichten und Zertrümmern von Weltreichen, mit ihren aufwärts ringenden und doch mörderischen Revolutionen, ja selbst mit ihrer Ausbeutung von Entdeckungen, von rein auftauchenden, aber schnell entstellten Religionen, von tötend sieghaften Wahrheiten, von ringend sterbenden Helden des Geistes und der Kunst einem unendlich schäumenden Blutwehr gleicht. Aber:
Nicht um des Blutes willen gedeiht ja der Kampf!
Glück soll sprießen dereinst aus wachsendem Leid,
so wie dem Irrtum allein die Wahrheit entsprießt! –
und das Ende des Krieges ist heiliger Friede.
Ringet nur fort, ihr Streiter, um Glück und Größe!
Euren Gräbern entsteigt ein siegend Geschlecht,
wieder zu fallen im Kampf für größere Sieger,
und aus Leichen zu türmen den prahlenden Bau.
Die Unsterblichkeit auch ist preisenswert,
namenlos ruhn, ein Stein im Turm der Geschichte! 91
Und so rolle du fort, allmächtiges Weltall,
großes, gewaltiges Einzelwesen,
nie gesättigt an Blut und Wahrheit und Tugend.
Stürme nur fort im Drang zu seligen Höhen,
bilde dich selbst und lebe vom Tod deiner Glieder!
Brause nur fort – schon siehst du den Gipfel sich heben,
sonnenbeglänzt überm Eis mit rosendurchdufteten Wiesen,
stürme hinan – du ringst ja nach Gutem und Reinem –
Aber wenn du die herrlichen Fluren erreicht,
laß ihn sich schlummern legen, den alten Kain,
müde vom Wandern und Tod und ewigem Leben!
Lege bei Seite das Kreuz von Erz und die eiserne Waffe,
Und laß flattern über dem neuen Geschlecht
rein im goldigen Duft die Fahne der Liebe. –
Mit solchen Dichtungen konnte ich damals noch zum jüngsten Deutschland gerechnet werden. Trotzdem schied es mich und manchen andern schon damals von den eigentlichen Anhängern der neuen Schule, daß uns bei allem Streben nach Wirklichkeitsdarstellung doch die Idee das Wesentlichste im Kunstwerk zu sein schien. Nun aber machte sich eine neue extreme Richtung geltend, die bald auch den Vers als unnatürlich verwarf. Ja, mit Liedern hatte die Schar der Neuen begonnen, und jetzt scholl ihnen plötzlich der Ruf nach Prosa entgegen.