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22

Nicht lange nach dem Abzug König Wladislaws rüstete sich auch die gallische Ambassade zur Abreise. Es waren dringende Briefe Richelieus eingetroffen, die die Heimkehr anbefahlen. Offenbar wünschte der Kardinal außer dem sofort an ihn ergangenen schriftlichen Bericht über den Stuhmsdorfer Pakt noch eine baldige mündliche Einvernahme mit dem Grafen d'Avaux hinsichtlich seiner persönlichen Eindrücke und Erfahrungen an der Küste des baltischen Meeres, besonders soweit es die Stellung des mit ihm alliierten Schwedens anbetraf.

So manchem Mitglied der Ambassade, wie etwa dem noch immer eifrig tagebuchschreibenden Herrn Charles Ogier oder dem der Dame Constanzia Gesangstunde erteilenden jungen Varenne, fiel der Gedanke an den bevorstehenden Abschied schwer genug. Man hatte unvergeßliche Monate hindurch in den ersten Häusern der gastfreundlichen Stadt die entgegenkommendste Aufnahme gefunden, war mit allen nur möglichen Ehren und Aufmerksamkeiten überhäuft worden und hatte ein Leben geführt, welches gewiß nicht hinter demjenigen zurückblieb, das dem Volksmund zufolge der Herrgott in Frankreich selbst zu führen pflegt. Daß man dabei, so man irgendwo Besuch machte, gleich die übliche große Flasche Aquavit auffahren sah und, um der Höflichkeit und der Sitte zu genügen, mehr Gläser davon hinter die Binde gießen mußte, als einem lieb und bekömmlich war, mußte als eine der Schattenseiten einer so außerordentlichen Gastfreundschaft hingenommen werden. Es waren in dieser Hinsicht auch nicht alle Franzmänner so empfindlich wie der hypochondrisch veranlagte Herr Ogier, der nach einem solchen Besuch bei dem Kaufmann und Wechsler Uphagen indigniert in seinem Büchlein vermerkte, dieser Mann habe ihm und seinem Begleiter binnen einer halben Stunde vier- bis fünfmal Aquavit zugetrunken, als ob sie an Entkräftung litten. Aber sie hätten des Wechselgeldes bedurft und hätten darum einen solchen Zins dafür leisten müssen.

Umsonst hatte Monsieur Charles Ogier, er, der Gelehrte, der Bücher- und Aktenmensch, der unverbesserliche Hagestolz, lange gegen die übermächtige Gewalt gerungen, die ihn seit seiner ersten Begegnung mit der schönen Lisbeth Hafferat in Bann geschlagen hatte; er wußte selbst nicht, wie es eigentlich gekommen war. Es war wohl im Schwarzwaldschen Hause gewesen, bei jener Gesellschaft, die man dort nach der glorreichen Rückkehr aus Stuhmsdorf dem Grafen d'Avaux und den Mitgliedern seiner Ambassade, darunter auch ihm selbst als deren verdienstvollem Sekretär und Unterhändler, zu Ehren gegeben hatte. Jenen ganzen Abend hindurch hatte er das schöne Mädchen an seiner Seite gehabt, sehr zum Verdruß dieses zähledernen, immer wie spöttisch dreinblickenden Syndikus Freder, mit dem ihn amtliche Aufträge seitdem oft genug zusammengeführt hatten.

Oh, warum hatte diese Versuchung über ihn kommen müssen! Es stünde jetzt besser um seinen Seelenfrieden und um die stille Sammlung selbstgenügsamer Arbeitsstunden. Und doch! Würde er jenes flaue schale Glück von einst, jene fade Bettelsuppe, die sein Leben bis dahin gewesen war, wieder eintauschen wollen gegen den Feuertrunk, den er seit jenem Abend mit Lisbeth Hafferat in seinen Adern glühen fühlte? Undenkbar! Es gab kein Zurück zu jenem Einst, zu jenem Zustand gleichmütigen Dahinlebens und Vertuns der Tage, wovon er nicht mehr begriff, wie es je hatte sein können. Und wenn jetzt der ach unvermeidliche Abschied auf immerdar kam, so wußte er, daß das Bild der Geliebten, deren Hand er niemals wieder ergreifen, in deren Auge er niemals wieder blicken würde, ihn bis zum letzten Atemzug durch ein ödes und freudloses Alter begleiten werde. Doch wie auch immer! Gott der Herr hatte es ihm so auferlegt. Sein Geschöpf mußte sich beugen. Nur im Glauben war Rettung, war Erlösung zu finden. An dem Tage, an dem dieser Lichtblick den düsteren Wolkenhimmel zerrissen hatte, kniete Ogier lange vor dem Altar der Gottesmutter in der Kirche der Dominikaner und verharrte in inbrünstigem Gebet.

Nicht viel anders als dem Untergebenen mit Lisbeth Hafferat erging es seinem hohen Chef, dem Grafen d'Avaux, in seinen Gefühlen für Constanzia Kerschenstein. Niemals hatte der Graf die von Sitte und Gesetz befohlene Grenze im Verkehr mit der schönen Ratsherrnfrau durch Blick oder Wort verletzt oder zu verstehen gegeben, wie es um seinen Seelenfrieden bestellt war. In leichtem, scheinbar unbeschwertem Geplauder über tausend Dinge eines von dem franzmännischen Gast als fremdartig empfundenen Alltags, aber nicht selten auch über die Fragen von Gott, Glauben, Unsterblichkeit waren dem Grafen jedesmal die Stunden des leider nur seltenen Beisammenseins mit seiner Herzdame verstrichen, und in keiner dieser unvergeßlichen Stunden hatte er sich zu verraten gemeint.

Vergebliches Bemühen! Constanzia hätte keine Frau und gewiß nicht die, die sie war, sein müssen, wenn sie die Gefühle dieses platonischen Verehrers nicht längst hellsichtig durchschaut hätte. Jede Miene von ihm, jeder seiner Blicke, das leise Vibrieren seiner Stimme, wenn er über oft gleichgültige Dinge mit ihr sprach, alles und jedes tat ihr kund, wie es in seinem Innern aussah. Von kühlem Temperament und überlegten Geistes, wie sie war (manche nannten sie kalt und berechnend), fürchtete sie nicht, daß der in ihrem Gast glimmende Funke auch auf sie selbst überspringen und ihr eigenes Herz in Flammen setzen könne. Vor dieser Gefahr glaubte sie sich schon durch das Pflichtgefühl gegenüber ihrem Mann, dem Ratsherrn, behütet. Solcherart sicher vor sich selbst und den Stürmen des eigenen Bluts, konnte sie sich in aller Seelenruhe den ihr von so vielen und gerade auch den bedeutenden Männern ihrer Zeit und Umgebung dargebrachten Huldigungen überlassen und sich in den Strahlen ihres zur Mittagshöhe gestiegenen Ruhms als die geistreichste und gelehrteste Frau Danzigs sonnen. Wenn manchmal auch ihr die Leere eines unerfüllten Herzens zu schaffen machte, so mußten gestillter Ehrgeiz und befriedigte Eitelkeit ihr eine Art von Ersatz dafür bieten. War es nicht schon genug, daß sie durch die Gaben ihres Geistes und die Stärke ihres Charakters über alle ihre Mitschwestern weit und breit triumphierte und daß der Klang ihres Namens, der schon lange bis nach Welschland gedrungen war, dank den franzmännischen Gästen jetzt auch bald in dem Paris Richelieus würde vernommen werden?

An einem düsterkalten Apriltage dieses nicht nur von den französischen Gästen sehnsüchtig erwarteten, aber noch immer auf sich warten lassenden Frühlings waren im Kerschensteinschen Hause außer dem Hausherrn selbst der Syndikus Freder und der Ratsherr Schroer, ein wohlbeleibter älterer Witwer, mit Herrn Charles Ogier zu einer der schon gewohnten geschäftlichen Konferenzen versammelt.

»Wir ersuchen den sehr ehrenwerten Herrn Charles Ogier,« sagte Ratsherr Kerschenstein, »den Bescheid entgegenzunehmen, den Bürgermeister und Rat von Danzig auf die gestrigen Beschwerden Seiner Erlaucht des Herrn französischen Gesandten zu erteilen sich beehren. Zuvor möchte ich jedoch Herrn Ogier bitten, Platz zu nehmen, damit auch wir, insbesondere ich selbst, den wieder das böse Podagra plagt, uns setzen können.«

Ogier verbeugte sich auf das verbindlichste.

»Oh, certainement! Nehmen wir doch Platz!«

»Sehr werter Herr Ogier!« begann Syndikus Freder seine Ansprache. »Der Rat der Stadt Danzig hat in die Zeitungsberichte, die der Buchhändler Hünefeld dahier vor dem Artushof öffentlich feilgeboten hat, Einsicht genommen. Es werden gewisse darin enthaltene Meldungen über einen Aufruhr in Paris gegen den Kardinal Richelieu hiermit auf Antrag des Herrn französischen Gesandten als vollständig unwahr und lügenhaft gekennzeichnet. Sämtliche Exemplare dieses Zeitungsdrucks werden konfisziert. Der Buchdrucker wird verwarnt. So gegeben am heutigen Tage Anno Domini 16.. Womit wir hoffen, der Beschwerde des Herrn französischen Gesandten Genüge getan zu haben.«

Ogier verbeugte sich abermals mit höchstem Zeremoniell.

»Ich bezweifle nicht, daß das Ärgernis damit aus der Welt geschafft ist und keine Wiederholung findet.«

»Wir werden Sorge dafür zu tragen wissen,« erklärte Kerschenstein in seiner trockenen, geschäftlichen Tonart, fuhr dann jedoch, sich dieser entäußernd, mit ausgesuchter Höflichkeit fort, nachdem so der amtliche Teil seines Besuches abgeschlossen sei, dürfe er Herrn Ogier als gern gesehenen Gast in seinem Hause begrüßen.

Ogier verneigte sich von neuem dankend. Er bewundere, sagte er, schon seit seinem Eintritt jenes Gemälde dort vis-à-vis an der Wand; von welchem Meister es wohl stammen möge?

»Von Albrecht Dürer, unserm großen Nürnberger Meister,« erwiderte Kerschenstein.

»Ah! Magnifique!« rief Ogier bewundernd aus.

Mit dem Blatt in der Hand des Porträtierten stelle das Bild offenbar einen Ratsschreiber von Nürnberg dar, demnach einen einstigen Amtskollegen, erklärte Ratsherr Schroer.

»Nur daß uns leider der Meister fehlt, Ratsherr Schroer, der unsere Züge in gleicher Weise den Enkeln zu überliefern vermöchte,« äußerte in seiner immer etwas gnietschigen Weise Syndikus Freder.

Kerschenstein richtete sich ein wenig aus seiner gebückten Stellung auf.

»Es gibt auch in Danzig Leute von der Zunft, die etwas können, Kollega Freder.«

Freder zuckte die Achseln.

»Aber ein Dürer ist nicht darunter.«

Wie um die etwas gereizte Stimmung abzulenken, äußerte Ogier:

»Wohin mein Blick fällt, Monsieur Kerschenstein, ringsum an den Wänden entdecke ich Gemälde von Meisterhand.«

Ogier hatte sich erhoben und ging ein paar Schritte nach dem Hintergrund zu.

»Par exemple, diese nackte Venus hier mit dem weinenden Amor, der Art nach, wie der Seidenflor gemalt ist, müßte von Ihrem deutschen Meister Lukas Cranach sein.«

»Auch Ihr, Herr Sekretarius, scheint ein Kenner zu sein,« erklärte Ratsherr Schroer mit Anerkennung.

Ogier hatte sich wieder gesetzt.

»Welch ein Stolz mag es für eine Frau sein, einem so kunstfreudigen Hause vorzustehen,« sagte er, sich gegen Kerschenstein verneigend.

Der Angesprochene hatte ein nachdenkliches Lächeln um die Mundwinkel und nickte mehrmals zum Dank. Ein kurzes Schweigen entstand.

»Sie sind unvermählt, Herr Legationssekretär?« fragte Syndikus Freder, das Schweigen unterbrechend, indem er sich an Ogier wandte.

»Amors Pfeil hat mich bisher verschont, Monsieur. So ist es.«

Die bittersüße Miene des Legationssekretärs schien auf eine tragikomische Weise dem zuversichtlichen Klang, womit er seine Worte gesprochen hatte, zu widerstreben.

Freder nickte.

»Also sind wir Genossen im Glück oder im Leide, wie man's nimmt. Es ergeht mir wie Ihnen.«

»Nur daß Euch, Freund Syndikus,« fiel Kerschenstein mit trockenem Lachen ein, »Amors Pfeil schon wenigstens ein halbes Dutzendmal getroffen hat. Auch jetzt sollt Ihr ja wieder in Liebe sein?«

»Ich erhebe Protest,« erklärte Freder.

Kerschenstein strich sich sein faltiges Kinn.

Nein, er solle sich auch keine Hoffnungen machen. Diejenige, auf die er es abgesehen habe, sei schon vergeben. Man habe Lisbeth Hafferat schon Freund Schroer zugedacht.

»Es wird über meinen Kopf weg verfügt!« rief Schroer lebhaft.

»Und was noch schlimmer, auch über den Kopf von Jungfer Lisbeth hinweg,« fügte Freder hinzu. Sein Gesicht hatte sich wieder zu dem schiefen Lächeln verzogen.

Schroer lehnte sich in seinem Stuhl zurück und faltete selbstzufrieden die Hände über dem Bauch.

»Wißt Ihr denn, Kerschenstein, ob ich überhaupt will?«

»Ihr wollt!« fiel Kerschenstein ein. »Das schönste Mädchen von Danzig! Ihr wollt! ... Es wird Zeit für Euch, Kollega Schroer, nach einer Nachfolgerin für Eure selige Barbara Umschau zu halten.«

»Zeigt mir nur die richtige, Kollega Kerschenstein. Mit vierzig Jahren wird man wählerisch.«

Syndikus Freder war von seinem Stuhl aufgestanden. Er schien es plötzlich eilig zu haben.

»Erlaubt, daß ich mich empfehle, Ihr Herren.«

»Müßt Ihr so plötzlich fort?«

»Geschäfte!« sagte Freder schon in der Tür. »Der Hauptmann der englischen Komödianten ist zum Bericht auf das Rathaus bestellt. Sie bitten um die Erlaubnis, eine Historie von einem Mohren von Venedig zu spielen. Gott befohlen, Ihr Herren!« Damit war er hinaus.

Auch der Franzose hatte sich erhoben. Es sei wohl auch für ihn Zeit, zu gehen.

Ob er nicht warten wolle, bis die Damen da seien, die jeden Augenblick kommen könnten, seine Eheliebste und Lisbeth Hafferat.

Ogier machte eine Bewegung des Zögerns, die ihm nicht recht gelingen wollte, und setzte sich dann wieder, indem er ein paar Worte der Verlegenheit murmelte.

Ratsherr Schroer lachte plötzlich in die entstandene Stille hinein. Er hatte eine ungewöhnlich hohe Stimme. Es klang wie das nicht ganz geglückte Wiehern eines Fohlens.

»Freder scheint Eure Anspielung gut verstanden zu haben, Kollega Kerschenstein. Er hatte urplötzlich Geschäfte.«

»Es mußte ihm einmal beigebracht werden,« erklärte Kerschenstein und nickte bekräftigend mit dem Kopf. »Vater Hafferat will nichts von dem Luftikus für seine Tochter wissen. Man kennt seine Liaisons in der Stadt. Die Familie würde Euch bei weitem als Schwiegersohn vorziehen, Kollega Schroer.«

»Und Jungfer Lisbeth selbst?« fragte Schroer und wiegte seinen Kopf, der ihm ohne Hals auf den Schultern zu sitzen schien.

Ratsherr Kerschenstein schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß die Aquavitgläser klirrten.

»Seit wann ist es in unserm alten Danzig Brauch, daß die Väter ihre Töchter fragen, wen sie zum Eheherrn haben wollen und wen nicht?«

Ogier rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

»Die Damen scheinen noch auf sich warten zu lassen?« meinte er.

»Damen lassen immer auf sich warten,« entschied Kerschenstein, offenbar aus sehr eigener Erfahrung, und fügte hinzu:

»Wenn es den Herren recht ist, vertreiben wir uns bis dahin die Zeit, indem wir einer alten Spieluhr zuhören, die noch von meinem Großvater stammt.«

»Und dazu noch einen Aquavit genehmigen,« schloß Schroer ab und goß sich sein Glas voll. »Es wird uns allen gut tun.«

»Wer möchte daran zweifeln!« stammelte der Franzose und hielt dem tatbereiten Schroer gottergeben sein Glas vor die zum Einschenken erhobene Flasche.

Kerschenstein hatte sich an der im Hintergrunde auf einem Tischchen stehenden Spieluhr zu schaffen gemacht und kam an den Tisch zurück. Die Töne des alten Uhrwerks erklangen aus der Tiefe des dämmrigen Gemaches, als kämen sie aus weiter Ferne.

»Charmant!« sagte Ogier nach einer Pause, als die Töne schwiegen. »Töne wie von Silberglöckchen! Sie erinnern mich an Ihr brabantisches Glockenspiel auf dem Rathaus, nur en miniature.«

»Ja, es sind Klänge, wie man sie vor einem säculo kannte,« bestätigte Kerschenstein.

Schroer lachte wieder auf seine quiekende Weise.

»Also Töne, gewissermaßen einbalsamiert!«

»Mais non, Messieurs,« protestierte Ogier. »Welch ein Vergleich! Wäre es nicht treffender, man sagte, es sei die unsterbliche Seele dieses kleinen Instruments, die uns mit ihrer Silberstimme umgaukelt und uns zuflüstert: Es war einmal?«

Auf der Treppe des Hauses erklangen lebhafte Stimmen und helles Gelächter.

»Die Weiblichkeit erscheint,« sagte Kerschenstein. »Der Himmel hängt ihr noch voller Geigen.«

Es sei die Stimme von Mademoiselle Lisbeth, meinte Ogier. Er erkenne sie genau.

»Wann habt Ihr sie zuletzt zu hören bekommen, Herr Sekretarius?« erkundigte sich Schroer mit anzüglichem Lächeln.

»Nun, beim Festmahl damals, das die polnische Majestät gab,« sagte Ogier nicht ohne Verlegenheit.

»Vor sechs bis acht Wochen also?« lächelte Schroer. »Ei der Tausend! Dann habt Ihr sie gut behalten!« Er lachte von neuem auf seine besondere Weise.

Ogier rückte wieder auf seinem Stuhl hin und her.

»Aber, Messieurs ...! Wäre es ein Wunder?«

Kerschenstein drohte mit gemachtem Ernst den beiden Männern mit dem Finger.

»Schroer, Schroer! Ihr habt einen Rivalen bekommen!«

»Sie setzen mich in Verlegenheit, Messieurs« wehrte Ogier ab.

Währenddessen waren Frau Constanzia und Lisbeth Hafferat in das Zimmer getreten.

»Guten Tag,« rief Constanzia. »Da sind wir, mein Herr Gemahl!«

Lisbeth Hafferat, die im Gegensatz zu ihren meist blonden Danziger Mitschwestern von einer mehr dunklen bräunlichen Schönheit war, machte einer Knicks gegen Kerschenstein und Ogier, die allein zu sein schienen, da Ratsherr Schroer sich vor dem Eintreten der Damen in den Hintergrund zurückgezogen hatte.

»Ebenfalls guten Tag!« sagte Lisbeth. »Ja, da sind wir! Wir kommen offenbar recht ungelegen. Man macht Leichenbittergesichter.«

»So? Seid Ihr's?« bemerkte Kerschenstein in seiner trockenen Art. »Es bedurfte keiner Anmeldung. Man hörte Euch schon unten im Flur.«

Lisbeth knickste nicht ohne Anzüglichkeit von neuem.

»Große Ereignisse werfen eben ihren Schatten voraus. Aber wen sehe ich da? Monsieur Ogier? Sind Sie es wirklich?«

Ogier verbeugte sich mit der Hand auf der Brust.

»Ich kann es nicht leugnen, Mademoiselle Hafferat.«

»Gott, wie förmlich!« rief Lisbeth. »Ich heiße Lisbeth. Oder etwa nicht? Wir waren doch schon gute Freunde, als wir uns das letztemal sahen.«

»Ich bin glücklich, daß Sie sich meiner noch erinnern.«

»Sehen Sie, das klingt schon anders.« Sie klatschte übermütig in die Hände.

»Und ich wäre glücklich, wenn Sie sich auch meiner noch erinnern würden, mein Herr Ogier,« fiel hier Constanzia mit Ironie ein. »Oder hat Sie der Anblick von Lisbeth so geblendet?«

»Oh! Tausendmal Pardon! Ich küsse die Hand!« stammelte der Franzose.

»Wer spukt denn da eigentlich hinten herum?« erkundigte sich Lisbeth und wandte sich dem von dort herkommenden Geräusch zu.

»Ich bin es, nur ich, Ratsherr Barnabas Schroer!« quiekte eine helle Stimme aus dem Hintergrunde.

Lisbeth lachte laut auf.

»Aha! Bei den Schnapsflaschen und zu Häupten die Venus von Lukas Cranach gemalt! Himmlische und irdische Liebe!«

Constanzia schüttelte ärgerlich den Kopf.

»Seht nur das vorlaute Ding! Du solltest überhaupt noch nichts von Dingen der Liebe wissen. Aber weshalb verkriecht Ihr Euch eigentlich so hartnäckig, Vetter Schroer?«

»Wie es einem bescheidenen Danziger zukommt, Base Constanzia, wenn ein Wiedersehen mit Fremden von Distinktion vor sich geht.«

»Oh! ... Mein Herr!« wehrte Ogier ab.

Lisbeth trat wie schützend vor ihn.

»Ach, hören Sie doch nicht auf ihn! Er ist eifersüchtig und weiter nichts.«

»Bilde dir nur keine Schwachheiten ein, du kleiner Racker!« rief Schroer aus der Tiefe des Gemachs. »Im übrigen habe ich hier das Kästchen, das ich Euch beiden Weibsen zu zeigen versprach.«

»Ach ja!« rief Lisbeth mit einem kleinen Freudensprung. »Zeigt! Zeigt, Ohm Schroer! Zeigt uns das Kästchen des Kaisers Ferdinand! Ist es wirklich so kostbar?«

Kerschenstein sah verwundert um sich.

»Was höre ich, Kollega Schroer? Ihr habt das Kästchen des Kaisers, das er verpfändet haben soll?«

Schroer näherte sich dem Tisch, an dem die Damen standen, bis etwa zur Mitte des Zimmers und blieb hier stehen. Vor sich her trug er auf beiden flachen Händen wie auf einem Präsentierbrett ein nicht allzu großes, mit Edelsteinen ausgelegtes Ebenholzkästchen.

»Nur für ein paar Tage leihweis' überlassen vom Wechsler Uphagen, der es in Kommission hat. Es kann hier in Augenschein genommen werden. Wird aber nicht aus der Hand gegeben.«

Constanzia und Lisbeth waren bereits bei Schroer und umringten ihn.

»Oh! Wie schön! Wie herrlich! Rubine! Smaragde! Diamanten!«

Auch Kerschenstein hatte sich genähert und besichtigte das Kästchen.

»Tatsächlich ein seltenes Stück,« sagte er. »Warum schwiegt Ihr davon?«

»Eine kleine Überraschung, Kollega,« erwiderte Schroer. »Auch ein simpler Danziger Ratsmann hat manchmal dergleichen.«

»Sollte es wirklich aus dem Besitz des Kaisers stammen?« zweifelte Ogier.

Schroer zuckte die Achseln.

»Warum nicht? Die kaiserliche Majestät braucht Geld zum Kriegführen. Euer Kardinal Richelieu zwingt ihn ja dazu.«

Der Legationssekretär richtete sich aus seiner betrachtenden Haltung auf.

»Seine Eminenz der Herr Kardinal wird gewiß seine Gründe dafür haben, Herr Ratsherr,« erwiderte er nicht ohne Bestimmtheit.

»Zehntausend Reichstaler soll es kosten, sagtet Ihr neulich, Ohm Schroer,« warf Lisbeth ein, die sich von dem Anblick der Edelsteine nicht trennen zu wollen schien. »Eine Kleinigkeit! Ihr kauft es doch?«

Schroer zog ein komisch feierliches Gesicht.

»Nur wenn ich die Dame finde, der ich es als Angebinde zugleich mit dem Verlobungsring überreichen kann.«

Lisbeth Hafferat lächelte anzüglich.

»Wie wäre es, wenn Ihr Euch an Base Schwarzwald wenden würdet, an die schöne Cordula? Sie ist meine Freundin und ich gönne Euch ihr.«

Frau Constanzia erhob wie mit einer bannenden Gebärde die Hand.

»Genug mit dem Geplapper! Herr Ogier, Sie müssen es ihrer Jugend zugute halten.«

Ogier machte eine tiefe, gleichsam beschönigende Verbeugung. Es sah aus, als knicke er ganz in sich zusammen.

»Oh, was mich betrifft ...!«

Constanzia schien die Zügel, die sie einen Augenblick sich hatte entgleiten sehen, wieder fest an sich nehmen zu wollen.

»Jetzt zu dir, mein lieber Mann,« sagte sie mit Entschiedenheit. »Mache dich fertig! Wir müssen zum Vater auf unser Landhaus nach Altschottland. Unsere Kalesche wartet unten vor der Tür.«

»Und warum das?« fragte Kerschenstein.

Lisbeth, die sich endlich von dem Kästchen getrennt hatte, war nähergetreten und fiel jetzt lebhaft ein:

»Haltet Euch am Stuhl fest, Vater Kerschenstein. Euer Schwager Gottfried, Constanzias Lieblingsbruder, ist von seiner großen Reise nach Frankreich und Italien unversehens nach Hause gekommen. Ganze zwei Jahre war er fort. Jetzt haben wir ihn wieder!«

Kerschenstein, der Lisbeths Freude nicht recht zu teilen schien, bemerkte trocken:

»Ist er vielleicht durch die Luft geflogen?«

»Auf einem Zaubermantel! Jawohl!« rief Lisbeth. »Von Venedig über Wien geradeswegs hierher. Er hat sich kaum eine Stunde in Danzig aufgehalten. Ist dann nach Altschottland geritten.«

Sie habe versprochen, ihm auf dem Fuße nachzufolgen, erläuterte Constanzia. Der Vater werde es sicher gern sehen, wenn auch er, Kerschenstein, sich anschließen werde, und Lisbeth werde sie beide begleiten.

Kerschenstein lächelte ironisch.

»Zur Feier des Tages! Darum wohl auch das Festkleid, Lisbeth?«

»Wie denn anders? Soll man sich etwa nicht putzen, wenn der Jugendgespiele aus fernen Landen zurückkommt? Mit dem man sich gekatzbalgt und wieder vertragen hat?« erwiderte Lisbeth und hatte dabei eine sehr gleichgültige Miene, die mit dem Ton ihrer Worte nicht ganz übereinzustimmen schien. »Aber jetzt fackelt nicht lange, Vater Kerschenstein! Und auch Ihr, Ohm Schroer! Nicht zu vergessen auch Sie, Herr Ogier! Schade, daß es jetzt nicht Traubenzeit im Zierenbergschen Garten ist! Es wachsen so schöne Trauben am Hausspalier dort, sind nur leider etwas sauer. Habt Ihr's gehört, Ohm Schroer? Auf! Auf! Die Zeit vergeht! Und das Licht verbrennt!«

Mit einer tiefen, vielleicht allzu tiefen Verbeugung vor den Anwesenden war sie zur Tür hinaus. Gleich darauf hörte man ihre eiligen Tritte die Treppe hinunter. Frau Constanzia sah ihr achselzuckend und kopfschüttelnd nach.

»Fort ist sie wie ein Wirbelwind! Ach ja! Noch einmal zwanzig! ... Komm, lieber Mann, gib mir den Arm, mit deinem bösen Podagra!«

Kerschenstein hängte sich ein wenig ächzend in ihren Arm ein.

»Noch einmal zwanzig, sagst du, Constanzia? Ich wäre auch mit dreißig zufrieden. Also Vorsicht, die Treppe hinunter!«

Das Ehepaar hatte sich ohne besondere Förmlichkeit verabschiedet und die Tür hinter sich geschlossen. Schroer und Ogier, die beiden Zurückbleibenden, sahen sich mit ungewissem Lächeln an. Der erste, der das Wort ergriff, war Schroer.

»Die sauren Trauben, Herr Sekretarius! Habt Ihr es vernommen?«

»Oh, deutlich genug, mein Herr! Jedoch durch strahlende Augen und einen lachenden Mund versüßt.«

Ogier hatte seine Worte mit einer gutgespielten Jammermiene gesprochen. Er hätte vielleicht auch einen guten Komödianten abgegeben, dachte Schroer, und mußte lachen.

»Einerlei!« sagte er. »Saure Trauben! Ich glaube, ich bleibe zu Hause.«

»Warum?« rief Ogier. »Nehmen wir, was sich uns bietet. Mademoiselle Lisbeth wartet. Folgen wir dem Ruf der Jugend. Vita brevis est.«

Er stand schon an der geöffneten Tür, um den Ratsherrn vorauszulassen.

»Meinetwegen!« rief dieser. »Ich komme mit! Nach Euch, Herr Sekretarius, nach Euch!«

Beide gingen gemessenen Schrittes die steile Treppe hinunter.


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