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Magister Martin Opitz von Boberfeld, Herzogl. Rat, hatte sich als vielgereister Mann in seinem neuen Wohnsitz Danzig bald zurechtzufinden gewußt. Auch die Einrichtung seiner beiden ihm von Nigrinus vermieteten Zimmer im Erdgeschoß und ersten Stockwerk des Hauses in der Brotbänkengasse war rasch vonstatten gegangen. Der Planwagen, der seine nicht allzu vielen Habseligkeiten, vor allem seine Bibliothek, von Thorn mitbrachte, hatte bei trockenem Herbstwetter eine gute und ungehinderte Fahrt gehabt und war nicht lange nach Opitzens Eintreffen in Danzig ebenfalls dort angelangt. Keine kleine Hilfe war es für Opitz, daß Jungfer Marie Dorothee, des Nigrinus blondes Schwesterkind, ihm bei der Einrichtung mit ihrem klugen und anstelligen Wesen zur Hand ging. Mochte es sich nun um die Verteilung der geschnitzten eichenen Sitzbänke an den Wänden oder um die Einordnung der vielen Folianten, Schriften und Pergamente in die bereitstehenden Regale und Truhen handeln: für alles wußte Marie Dorothee Rat und Ausweg, so daß Opitz, der sich im Leben nicht so leicht mehr durch irgend etwas verblüffen ließ, manchmal überrascht vor soviel Umsicht und Geschicklichkeit dastand.

Aber auch sonst, wenn er etwa einmal, von diesen hausfraulichen Tugenden absehend, an ihrer eigentlichen Geistespforte anklopfte, ward ihm stets mit einem besonnenen Wort aufgetan, und eine vielfältige Belesenheit offenbarte sich, die den Fragenden in Verwunderung versetzte. Dann schüttelte sie nur den Kopf und meinte, was denn so besonderes dabei sei? Die Danziger Frauenzimmer hätten ihre Schulen ja nicht umsonst besucht und dem Herrgott nicht den Tag weggestohlen. Da sei eine hier wie die andere, und sie selbst auch nur eine von vielen. Davon werde sich der Herr Herzogl. Rat schon recht bald in persona überzeugen, wenn er erst ein bißchen warm hier geworden und in den reichen Danziger Patrizierhäusern aufgenommen sei. Ob er denn auf seinen großen Reisen noch nie von einer Constanzia Zierenberg, des alten Bürgermeisters Tochter, vernommen habe, deren Ruhm bis weit nach dem Land Italia gedrungen sei und die man dort die »Baltische Sirene« getauft habe. Solch eine Meisterin des Gesanges sei sie, und der edlen Frau Musika mit Stimme und Hand ergeben. Wer sie einmal am Klavichord singen gehört habe, in italienischer Manier, sei ihr für immer verfallen, wie man dies von den französischen Herren überall in der Stadt erzähle, die im Frühjahr aus Paris hier gelandet seien. Im jetzigen Zeitpunkt seien sie allerdings irgendwo draußen an der Weichsel, unterwegs bei den Polen und den Schwedischen, um Stadt und Land den Frieden zu bringen. Aber da sie ja, wie es heiße, in Kürze wieder zurück seien, so würden wohl die Galanterie und die Anbetung im Hause der Constanzia und der andern Schönheiten – denn es seien ihrer noch mehr – bald wieder im Schwange sein.

Opitz mußte ein stilles Lächeln unterdrücken, als er das hübsche blonde Mädchen mit solchem Eifer, dem Eifersucht nicht ganz fern zu sein schien, von dem Leben und Treiben ihrer höhergestellten Danziger Mitschwestern berichten hörte. Ihre Wangen glühten und ihre Augen blitzten. In diesem einfachen Bürgermädchen schlummerte ein Vesuv, dessen Ausbruch Gefahr bringen konnte, so wollte es dem frauenkundigen Blicke des Dichters erscheinen. Durfte er der Jungfer verraten, daß er eine jener Schönheiten im Kreise um Constanzia und diese selbst bereits von Angesicht kennengelernt hatte und nahe daran gewesen war, gleich für alle beide Feuer zu fangen, wiewohl doch die eine die Braut eines andern, noch dazu eines sehr resoluten Kriegsmannes und einflußreichen Patriziers war? Hätte er dann sein Spiel bei Marie Dorothee nicht ein für allemal verloren? Und lohnte sich ein solches Spiel etwa nicht, auch wenn einstens wirklicher Ernst daraus werden sollte? War sie nicht, wie sie hier vor ihm stand, ein Preis, des Begehrens wert, jung, klug, über die Maßen hübsch, mit den flammenden blauen Augen, der kecken Stumpfnase, mit den frischen Farben blühender Jugend und – das Betörendste von allem – den Formen und der Gestalt einer Venussin?

War es gerade dieser letztere Vorzug, der ihm plötzlich das Bild der schönen Wandala aus jenen siebenbürgischen Jahren dunkeln Angedenkens vor die Seele rief? Aber jene, wenn auch von ebenso untadeligem Wuchs wie jetzt Marie Dorothee, war doch im übrigen eine brünette Schönheit gewesen, zigeunerhaft mit ihren schwarzen züngelnden Haaren, den dunkeln nächtigen Augen und der bräunlichen Elfenbeinhaut, gar sehr verschieden von diesem blonden nordischen Schlag des gegenwärtigen Danziger Mädchens.

Doch es gehörte wohl, dachte er sich, zu den abenteuerlichen Zickzacklinien seines Schicksalsbuches, daß es so und nicht anders sein mußte, daß er stets von einem Phantasma in ein entgegengesetztes, aus einem Trug seiner Sinne in den entlegensten anderen Trug verfallen mußte. Wenn er sich überlegte, daß es nun bald kein Land in Europens Umkreis mehr gab, wo er nicht auf gleiche oder ähnliche Weise vor die Frage an das allmächtige Fatum, an Fortuna, die wetterwendische Schicksalslenkerin, gestellt worden war, so wurde ihm gewiß, daß dem unter solchen Sternen geborenen Sterblichen nichts übrig blieb, als sich mit geschlossenen Augen dem Strudel der Ereignisse zu überliefern und sich entweder an einen für immer rettenden Strand tragen oder in den Abgrund hinunterschlingen zu lassen. Marie Dorothee, die sich in der Unbekümmertheit ihrer neunzehn Jahre von solchen Skrupeln und Zweifeln ihres berühmten Gastes nichts träumen ließ, sah in diesen Augenblicken nur die Gloriole des vielgereisten und viel umhergeworfenen Dulders und illustren Poeten um seine Stirn leuchten. Es kam wohl auch vor, daß sie ihn einmal des Nachts im Traum vor sich erblickte und sogar den Rhythmus seiner Stimme zu hören meinte, wie er im Kreise jener einheimischen Patrizierinnen ein eigens auf sie – Marie Dorothee – gedichtetes Carmen deklamierte. Und bald wurde es ihr zur ungern gemißten Gewohnheit, ihn am Fuß der zu den oberen Stockwerken hinaufführenden Treppe zu empfangen, wenn er von seinen Gängen und Besuchen in der Stadt oder von den Spazierwegen draußen vor dem Tor in seine schnell heimisch gewordene, mit Büchern und Schriften vollgepfropfte Klause zurückkehrte.

Opitz liebte diese immer neuen Erkundungsgänge in den engen Gassen der altertümlichen Stadt, von denen viele nach dem jeweils hier vorherrschenden Handwerksbetrieb benannt waren und etliche, wie zum Exempel eine Ankerschmiedegasse, deutlich den seefahrenden Charakter der Stadt bekundeten, andere wieder durch ihre Bezeichnung – es gab eine Katergasse, eine Hundegasse und derlei Tiernamen mehr – auf die ländliche Herkunft und Naturverbundenheit der einstigen Stadtgründer und Vorväter und nicht zum wenigsten auch auf einen hierzulande sein Wesen treibenden krausen Humor schließen liefen. Gleich an einer nächsten Ecke, unweit des Nigrinusschen Hauses, gab es eine alte Gasse mit dem schönen Namen »Altes Roß«, die zur Frauen- und Heiliggeistgasse führte. Opitz versäumte nicht, seinen Weg durch dieses »Alte Roß« zu nehmen und seine Blicke an den hochgiebligen finsteren Häusern emporzuschicken, hinter deren blinden Fenstern ihn seine Phantasie allerlei düstere Menschengeschicke ahnen ließ, zumal wenn noch das Glockenspiel vom nahen Rathausturm seinen silbernen Stundenruf über die Dächer sandte und mit seinen eigentümlich melancholischen Kadenzen an die Vergänglichkeit alles Menschenwerks hienieden gemahnte. Eine fremde Traurigkeit befiel den gemessen Dahinschreitenden dann oft, wie wenn auch ihm selbst das Ziel seiner Tage bereits vorgezeichnet sei, und er mußte sich in einer der menschenleeren Gassen an eine Hauswand oder ein altes Gemäuer lehnen, um aus der Tiefe solcher Schwermut wieder zu sich selbst und zum hellen Lichte seines gegenwärtigen Lebenstages zurückzufinden.

Immer wieder meldete sich dann sein rühriger Geist, um ihn ob solcher Anwandlungen einer unerklärlichen Traurigkeit mit Vorwürfen zu bedenken und ihn an seine eigentliche Aufgabe zu erinnern, die darin bestand, sich inmitten des säkularen Erdbebens, das Europens Lande erschütterte, eine feste Position unter den nüchternen und klarblickenden Rechnern dieser mit irdischem Mammon reichgesegneten Handelsstadt zu schaffen. Dazu gehörten vor allem vermögende Gönner und einflußreiche Freunde, die man unter den großen Handelsherren und bei den maßgebenden Geschlechtern der Stadt zu finden hoffen konnte. Daneben war es geraten, auch die eigenen Standes- und Berufsgenossen, die dichtenden und schreibenden Männer der zahlreichen Danziger Humanistengilde, wozu auch die Lehrer und Professoren des berühmten akademischen Gymnasii zählten, nicht beiseite zu lassen und sich ihrer gefürchteten bösen Zungen a limine zu versichern, indem er einen möglichst großen Kreis von Anhängern, Freunden, vielleicht auch Schülern unter ihnen als eine Art von geistiger Leibwache um sich scharte und so gegen alle zu erwartenden Anfeindungen von dieser Seite her sich den Rücken deckte. Er wußte aus eigenen bitteren Erfahrungen als leidender Teil, aber auch aus mancher von ihm selbst angezettelten Kabale jüngerer Jahre, wie sehr Weg und Fortkommen des auf seinen Federkiel angewiesenen Poeten und Humanisten durch solches Intrigenspiel der Zunft gehemmt oder günstigenfalls auch gefördert werden konnten.

Es stand wohl auch zu erwarten, daß die Kunde von seinem Erscheinen sich sehr bald in dem Zirkel der einheimischen Gelehrten und Poeten verbreiten und ihm sogar den einen oder anderen strebsamen Jünger zuführen werde. Jedenfalls konnte es nichts schaden, wenn er sein Geschick selbst in die Hände nahm, wie er es von Jugend an gewohnt war, und dem Zufall ein wenig nachzuhelfen suchte. Jungfer Marie Dorothee hatte ihm berichtet, daß es auch hier in Danzig, gerade so gut wie etwa in Hamburg oder Frankfurt oder selbst, der Fama zufolge, in Stettin, Leute gebe, die aus dem Handel mit Schriften, Flugblättern und sogar mit gelehrten Büchern ein Geschäft machten und guten Absatz fänden. Was Wunder auch! Seien doch die Einwohner dieser weitberühmten Stadt nicht nur vortreffliche Seefahrer und aufs rühmlichste dem Handel zugetan, sondern auch seit altersher von einem unbändigen Wissensdrang erfüllt, weshalb denn auch so viele junge Männer aus den reichen Geschlechtern der Stadt oft jahrelang auf den hohen Schulen in Welschland, in Padua oder Bologna, ihren Studien oblägen. Jene Leute, die aus dem Handel mit Büchern und Schriften ein Gewerbe machten, hätten, wie die Jungfer ferner berichtete, ihre Stände vor dem Artushof am Langenmarkt, wo ja auch sonst allerlei Handel sich vollzöge.

Schon am gleichen Nachmittag stattete der Poet, für den Bücher der Inbegriff des Lebens waren, diesen Verkaufsständen seinen Besuch ab und fand in einem der Händler einen wissensreichen Mann, mit dem sich eine Unterhaltung über weltliche und geistliche Dinge verlohnte. Er war von kleiner, rundlicher Gestalt, obenauf mit einem Vollmondgesicht, aus dem ein paar kluge Augen durch mächtige Brillengläser in die Welt blickten. Es war, so wollte es dem Besucher vorkommen, ein leibhaftiger Eulenkopf, der sich da über seinen Kauftisch beugte und zugleich die Vorübergehenden oder Herantretenden über die Brillengläser hinweg scharf ins Auge faßte. Nicht umsonst, dachte Opitz, hatten ja die Alten jenen klugen Vogel der Schützerin aller freien und gelehrten Künste, der Göttin Minerva oder Pallas Athene, als Symbol und Begleiter beigegeben. Hätte man den Kopf dieses Bücherverschleißers nicht jedem gelehrten Opus als treffliche Titelvignette voranschicken können?

Andreas Hünefeld, so hieß der Händler, hatte, als der Fremde herantrat und seinen Namen nannte, mit einem bedeutsamen Augenzwinkern und mit der von der Sitte der Zeit gebotenen pomphaften Reverenz seinen besonderen Respekt vor der persönlichen Bedeutung des fremden Gastes dargetan und bekannte sich dann, bald vertraulich geworden, als den Drucker und Herausgeber der ersten hier am Orte gedruckten »Relation« oder, wie man auch mit einem aus dem Reiche gekommenen neumodischen Worte sage, der ersten allhiero gedruckten »Zeitung« mit dem Zusatz aus »mehrerlei Örtern«. Denn wie er dem Herrn Herzogl. Rat ganz im Vertrauen kundtun wolle, sei dieses wöchentlichen Avisos Erscheinen dahier in Danzig von einem Ehrbaren Rat schon vor einigen Jahren verboten worden. Wie also habe man sich dawider helfen können? Nun einfach, indem man die Herkunft der Zeitung verschiedenen Örtern zugeschrieben und über den eigentlichen Druckort, als welcher nach wie vor nur die hiesige Stadt in Betracht komme, einen wohltätigen Schleier gebreitet habe. Auf solche Weise sei es ihm gelungen, diese von ihm selbst gedruckte und edierte Zeitung allen Schwierigkeiten zum Trotz am Leben zu erhalten und seine Mitbürger mit allerlei wissenswertem Stoff und sonstigen Kuriosis aus dem In- und Ausland zu versorgen, wonach sie in den gegenwärtigen wilden Zeitläuften ein nur zu begreifliches Verlangen trügen.

»Wie lange treibt Ihr dieses sonderliche Versteckenspiel, Meister Hünefeld?« fragte der verwunderte Gast.

Der Buchdrucker legte den Finger an die Stirn und schien nachzurechnen.

»Es geht in das achte Jahr, Herr Herzogl. Rat.«

»Und glaubt Ihr, daß Euer Treiben wirklich bis dato dem Rat der hiesigen Stadt sollte verborgen geblieben sein?«

»Mitnichten, Herr von Boberfeld,« erwiderte Hünefeld mit einer Art von kauzigem Lachen. »Ich glaube das keineswegs. Es müßten denn Hornochsen sein, die unser liebes Danzig regieren. Für gar so vernagelt darf Euer Hochwohlgeboren das Regiment unserer Stadt denn doch nicht halten.«

Opitz wehrte ab und wollte den andern unterbrechen. Der aber ließ ihn gar nicht zu Worte kommen, fuhr vielmehr mit seinem immer gleichsam unterirdischen Lachen fort:

»Ganz im Gegenteil! Oben im Rathaus wissen sie sehr genau Bescheid, wie der Hase läuft und woher die Ballen mit den manchmal noch nassen Blättern kommen, die mir meine Kunden direktament aus der Hand reißen. Doch natürlich aus meiner Offizin in der Heiliggeistgasse und nicht erst auf dem tagelangen Umweg über Stettin oder Breslau, wie es nach außen den Anschein hat.«

»Und zu welchem Behufe dient die ganze Fiktion?« fragte Opitz.

»Doch zu keinem andern,« gurgelte der Zeitungsmann, »als dazu, einem hochwohlweisen Rat die Verantwortung abzunehmen für das, was in meiner Zeitung zu lesen steht, und ihn als das neugeborene Kindlein hinzustellen, das von Gott und der Welt keine Ahnung hat, wenn die Herren in Warschau oder gar am Kaiserhof zu Wien Sperenzien machen wollen.«

»Ihr seid ein Spaßvogel, Meister Hünefeld!« erwiderte der Poet. »Fürchtet Ihr denn gar nicht, ich könnte Mißbrauch treiben mit dem, was Ihr mir da anvertraut?«

Der Buchhändler schüttelte den Kopf.

»Ein solches Mißtrauen würde mir als eine nicht zu verzeihende Injurie gegen den Verfasser der Schrift ›Von der deutschen Poeterey‹ erscheinen.«

Opitz lächelte, fast ein wenig beschämt.

»Ihr gebietet über eine gewandte Zunge, und wenn das, was Ihr druckt, ebenso rund und wohlgeformt sich liest, wie sich Eure Rede anhört, so werdet Ihr an mir einen eifrigen Kunden Eurer Relation ›von mehreren Örtern‹ haben.«

»Euer Hochwohlgeboren gedenkt also, in unserer Stadt Quartier für länger zu nehmen?«

»So verhält es sich in der Tat,« erwiderte Opitz. »Mein Entschluß in diesem Punkt steht fest. Euer altberühmtes Gedanum hat es mir angetan. Mein ganzes Leben bis dato war auf Flugsand gebaut. Ich brauche festen Boden unter den Füßen.«

»Und den werdet Ihr bei uns finden!« rief der Buchhändler.

»Gebe es Gott!« nickte Opitz. »Aber wißt Ihr auch, daß Ihr mir dabei zur Hand gehen könntet?«

»Das wäre?« fragte der andere.

Der Poet legte ihm mit einer vertraulichen Gebärde die Hand auf die Schulter. Es sei doch wohl mit Grund zu vermuten, daß er vermöge seines Bücher- und Zeitungshandels gerade auch mit denjenigen Personen, die solche Dinge nicht nur zu kaufen, sondern auch selbst ans Licht zu bringen pflegten, also mit Bücherschreibern, wie er selbst einer, im näheren Verkehr stehe, vielleicht sogar gut Freund mit ihnen sei. Ließe sich da nicht durch ihn als Mittelsmann eine fruchtbringende Verbindung mit solchen Personen anknüpfen?

Hünefeld, dem die Annäherung des berühmten Fremden zu schmeicheln schien, nickte bei dessen Worten verständnisvoll und erzählte, daß es hier am Orte, in einer der Gassen der Altstadt, eine Schenke »Zum blauen Pomuchel« gebe, wo allerlei Bücherschreiber und ähnliche Skribenten sich in einer Donnerstag-Sozietät zusammenfänden. Er werde es sich zur Ehre anrechnen, den Herrn Herzogl. Rat zu jener nicht leicht zu findenden Schenke zu geleiten und ihn mit den Brüdern von der »Einhorngesellschaft« bekanntzumachen.

Opitz dankte dem Buchhändler für seine Bereitwilligkeit und empfahl sich mit einer höflichen Gebärde, um nach seiner nahegelegenen Wohnung zurückzukehren. Als er um die nächste Straßenecke bog, fühlte er sich plötzlich durch den überwältigenden Anblick des über den jenseitigen Dachfirsten himmelan steigenden rötlichen Backsteinkolosses der Marienkirche festgebannt, der wie ein ungeheures vieltürmiges Festungsbollwerk breitwuchtig hingelagert inmitten der schmalbrüstigen Bürgerhäuser aufragte.

Welch ein Zyklopengeschlecht der Urwelt, das diesen Koloß einst auferbaut und zu allem Überfluß auch noch der Gottesmutter geweiht hat! dachte der Poet, der mit diesen aufeinandergetürmten Steinmassen nicht viel anzufangen wußte und sich wie von etwas Übermächtigem beinahe davon erdrückt fühlte.

Aber es lag nicht in seiner Natur, sich äußeren oder inneren Eindrücken, noch dazu, wenn sie wie dieser belastender Art waren, allzulange zu überlassen. Die ars poetica, der er sich mit Leib und Leben verschrieben hatte, war schon an und für sich, wie nach dem Wort der Alten jede Kunst überhaupt, ein langer und schwerer Weg, gemessen an der Kürze des Lebens. Wie hätte es da Sinn und Zweck gehabt, noch überflüssigen Ballast auf den Weg mitzunehmen? Er schüttelte den lästigen Gedanken ab und ging weiter, seiner Behausung entgegen. Als er die Steinstufen des Beischlags hinauf schritt, kam ihm aus der sich öffnenden Haustür ein etwa zwanzigjähriger junger Mann von brünettem Aussehen, mit Büchern unter dem Arm, entgegen, der bei seinem Anblick zuerst stutzte, wie wenn er ihn anreden wolle, dann mit einer tiefen Reverenz sich verneigte, endlich noch einmal sich nach ihm umwendend den Beischlag hinabstieg und seiner Wege ging. Er mochte seiner Scholarentracht nach einer der oberen Schüler des Akademischen Gymnasiums sein.

Opitzens Interesse für den klug aussehenden, überaus höflichen jungen Menschen war geweckt, und als er Marie Dorothee gleich hinter der Haustür, nicht wie sonst erst auf dem Treppenabsatz, begegnete, erkundigte er sich, wer es gewesen sei, und erfuhr, daß es sich in der Tat um einen Angehörigen des Akademischen Gymnasiums handle, der öfter ins Haus komme, um von ihrem Oheim Bücher für seine Studia und, es müsse gesagt werden, auch für seine carmina zu entleihen.

»Also ein angehender Jünger Apolls? Wohl gar ein junger Nebenbuhler um die Gunst der Musen?« fragte Opitz gutgelaunt und setzte mit einem ironischen Seitenblick auf das jäh errötende Mädchen kühler hinzu: »Oder sollen wir sagen: um die Gunst der Muse? Denn es handelt sich hier wohl um eine Einzahl.«

»Was der Herr von Boberfeld sich alles denkt!« rief die Jungfer, indem sie mit einem unmutigen Kopfschütteln ihr verlegenes Erröten und ihre unsichere Haltung abzutun suchte. »Übrigens ist es ein Landsmann des Herrn Herzogl. Rats,« fuhr sie, sich etwas überstürzend, fort. »Ein gebürtiger Schlesier!«

»Und woher, so man fragen darf?« forschte Opitz, noch um einige Grade kühler.

»Aus Glogau! Aber zu Hause in Fraustadt, allwo sein Stiefvater als Prediger amtiert!«

»So! So! Die Jungfer weiß ja gut Bescheid mit dem curriculum vitae des jungen Herrn! Wie nennt er sich denn, der neue Adept am Castalischen Quell?«

Marie Dorothee hatte ihre Sicherheit wieder. Ein gewisser Trotz sprach aus der Haltung ihres zurückgeworfenen Kopfes und aus dem Ton ihrer Antwort.

»Der Herr Herzogl. Rat wird ihn ja doch nicht kennen. Er ist ja noch niemand! Andreas Gryphius heißt er!«

»Nun ja! Anfangen muß jeder einmal,« entgegnete Opitz freundlicher. Er ärgerte sich im stillen, so etwas wie Empfindlichkeit gezeigt zu haben. Es konnte von dem hübschen blonden Frauenzimmerchen, das offenbar in den dichtenden Scholaren verliebt war, nur zu leicht mißgedeutet werden.

»Andreas Gryphius ...? Hm!« fuhr er zerstreut fort. »Ein Name, wohl ausgesonnen! Ein Name, der seinen Träger obligieret!«

»Aber er ist ja gar nicht ausgesonnen!« rief das Mädchen geärgert. »Er ist ebenso angeboren wie der Eure, Herr von Opitz!«

Opitz schüttelte überlegen lächelnd den Kopf. »Keinesfalls, schöne Demoiselle! Sein Vater oder vielleicht auch schon sein Ältervater hat aus einem Greifen einen Gryphius gemacht und ihn sich rite zugelegt. Seid mir nicht böse darum! Ob übrigens Gryphius oder Greif,« setzte er nach einem Augenblick hinzu, »die Küsse Cynthias werden darum nicht weniger feurig sein.«

»Cynthia?« rief Marie Dorothee mit einer lebhaften Kopfwendung. »Wer ist Cynthia? Was wollt Ihr damit sagen?«

Opitz zuckte die Achseln.

»Ein Name wie ein anderer. Er fiel mir nur eben so ein. Vielleicht werde ich ein Madrigal auf Cynthia dichten. Der Name gefällt mir. Er klingt rund und voll, trifft also akkurat auf diejenige zu, die gemeint ist, und fügt sich auch gut ins Versmaß.«

»So dichtet doch Euer Madrigal auf Cynthia, Herr Herzogl. Rat!« entgegnete das Mädchen, sich abwendend, um die Treppe hinaufzusteigen. »Und ja!« fuhr sie in leicht schnippischem Ton fort, »vergeßt nicht, es bei den Zierenbergs oder bei den Schwarzwalds oder wo sonst bei der Hautevolee zum besten zu geben! Es wird sicher sehr beklatscht werden.«

Sie machte Opitz einen impertinenten Knicks und verschwand oben auf der Treppe.

»Ei! Ei! Man ist pikiert! Ist es schon so weit?« murmelte der Poet und hatte ein wissendes Lächeln um die Mundwinkel. Er betrat sein im ersten Stockwerk neben der Treppe gelegenes Wohnzimmer, das ihm auch als Schlafzimmer diente – eine fichtene Bettstatt nahm die ziemlich schmale, im Halbdunkel liegende Rückwand gegenüber der Straßenfront der tiefen Stube ein –, und setzte sich an den mit Büchern und Schriften beladenen Fichtentisch zwischen den Fenstern. Unter den Büchern halb vergraben lugten aus einem Wasserglas ein paar noch unerschlossene wilde Rosenknöspchen hervor. Opitz faßte sich an die Stirn. Hatten sie schon vor einer Stunde, ehe er den Weg zum Artushof antrat, hier gestanden? Das konnte wohl nicht sein. Der Blumengruß hätte ihm trotz aller Zerstreutheit, mit der er von Jugend an behaftet war, nicht entgehen können. Also war er ihm während der kurzen Spanne seiner Abwesenheit ins Zimmer gestellt worden. Und von wem anders konnte er kommen, als von dem blonden Mädchen, mit dem er eben das kleine Wortgefecht wegen des jungen Versedrechslers gehabt hatte? Wie war das nur? Hatte er Marie Dorothee mit seiner Anspielung, die beinahe nach Eifersucht aussah, vielleicht doch unrecht getan? Oder trieb diese Cynthia – diesen Namen sollte sie hinfüro bei ihm behalten – am Ende ihr Spiel mit ihnen beiden, hier mit dem in ganz Deutschland gefeierten Poeten, dem am Kaiserhof zum Dichter Gekrönten, und dort mit dem unbekannten kleinen, grünen Anfänger, der auf jede Weise hinter ihm zurückstand und nur den Vorzug seiner zwanzig Jahre vor ihm voraus hatte?

Opitz strich sich gedankenversunken mit der Hand über Stirn und Haare. Oh, hätte man doch mit einer solchen Handbewegung nur diesen Unterschied von zwanzig Jahren hinwegwischen können! Aber sie standen deutlich genug auf Stirn und Antlitz eingeschrieben, und sie waren unaustilgbar, diese Schriftzüge! Ein unergründlich tiefes und unfaßbar mächtiges Gefühl von Vergänglichkeit erschütterte den Dichter, als er zu Papier und Federkiel griff und sich anschickte, Empfindung und Gedanken der Stunde die leibliche Form zu geben.


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