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18

Das Fest der Geburt des Herrn war gekommen. Es wurde in Danzig vornehmlich mit der Bescherung der Kinder gefeiert. Nach altem Brauch wurde den Kindern bedeutet, sich zu Weihnachten recht fromm zu bezeigen und am Abend vor dem Christtag das Fasten nicht zu vergessen, damit der Herr Christus des Nachts auch wirklich erscheinen und seine Gaben bringen könne. Wenn dann alle Kinder zu Bett waren, band man einem Mädchen oder einem Diener Glöckchen an die Füße, womit die so Versehenen klingelnd sich in die Schlafzimmer der Kinder zu schleichen und die Geschenke hinzulegen hatten. Glücklich, daß der Herr Christus gekommen, schliefen die Kinder ein und fielen am nächsten Morgen über die Spielsachen her, um schon bis zum Abend der ganzen Herrlichkeit den Garaus zu machen.

Daß daneben die festliche Gebefreudigkeit in der wohllebigen Stadt sich auch auf nahestehende Erwachsene ausdehnte, war nur natürlich und kam nicht selten vor. Man beschenkte sich, außer an Geburtstagen, auch zu Weihnachten und den anderen hohen Feiertagen. So hatte auch Opitz bei einem der sehr gesuchten Meister der Goldschmiedegasse ein schön ziseliertes Kettchen mit einem Amethysten in Tropfenform als Anhänger in Arbeit gegeben, um es Marie Dorothee zum Fest als Zeichen seines Dankes für die Besorgung seines kleinen Junggesellenhaushalts zu verehren.

Der Himmel hing tief herab. Die Sonne des Christabends schien nicht aufgehen zu wollen. Ein scharfes Lüftchen, einen Hauch von Frost mit sich führend, blies durch die menschenleeren Gassen. Es kam von der See, über der in den letzten Tagen schwere Stürme getobt hatten. Man erzählte sich in Fahrwasser und an der Langen Brücke, daß ihnen zahlreiche Schiffe zum Opfer gefallen seien. Am Nachmittag dieses Tages wurde es milder. Langsam begannen Flocken zu fallen, erst einzeln und wie verloren, dann in immer dichterem Gestöber.

Wieder kamen Opitz, als dieses Leichentuch von Schnee sich über Straßen und Plätze, über Giebel und Beischläge breitete, jene Gedanken von Tod und Vergänglichkeit, die ihn in letzter Zeit so oft befallen hatten und denen sein angeborner Leichtsinn oder (dieses Wort war ihm lieber) sein leichter Sinn nicht hatte standhalten können. Er versuchte sich mit Gründen der gesunden Vernunft zuzureden. War denn nicht heute der kürzeste Tag im Jahr? Der Tag, an dem der Sonnenwagen auf seiner Bahn gen Mitternacht, wie von einer übermächtigen, seinen Rossen in die Zügel fallenden Hand gebremst, innehielt und gen Mittag umzukehren begann? Aber nein! Da war ja die neue Lehre, die dieser Domherr in Frauenburg – Kopernikus hatte er sich genannt – vor hundert Jahren aufgestellt und der Nachwelt als sein Vermächtnis übergeben hatte und die immer mehr Gläubige zu finden schien. Nicht der Sonnenball kreist um die Erde. Vielmehr umgekehrt ist es der Erdball, der einen Kreis um die Sonnenleuchte beschreibt, indem er dabei zugleich sich um sich selbst, um seine eigene Achse dreht, was sich binnen einer Tag- und Nachtlänge vollzieht. Und wenn somit die Himmelsbahn der Sonnenleuchte nun wieder anstieg, die Tage wieder länger wurden, das alte Grauen der Nacht sich vor dem Tag in sich selbst verkroch, war dann nicht Hoffnung, daß mit den wachsenden Tagen auch das eigene Herz, die eigene Zuversicht sich ihrer alten Kraft, ihres einstigen Schwunges wieder erinnern und zu ihrem wahren Selbst zurückfinden würden, und daß ihm noch einmal das Glück der Jugend wiedergeschenkt werden könne?

War es zu verwundern, daß mitten unter diesen Grübeleien dem Dichter auch sein junger Freund, der himmels- und sternenkundige Bierbrauerssohn Johannes Hewelke, der ja auch zu den Gläubigen jenes Frauenburger Himmelsreformators gehörte, nach längerer Zeit wieder in den Sinn kam? Opitz hatte den jungen Mann, dem der Schalk im Nacken saß, noch ein paarmal in der Einhorn-Tafelrunde jener verschwiegenen Altstadtherberge wiedergesehen und Gefallen an seiner munteren Rede und seinem schlagfertigen Witz gefunden. Wie kam es eigentlich, daß er der Einladung des jungen Sternenguckers, ihn doch einmal in seinem selbsterbauten Observatorium, in seiner himmelskundlichen Werkstatt die Ehre seines Besuches zu schenken, noch nicht Folge geleistet hatte?

Einmal in der Stadt unterwegs, beschloß Opitz, den lange geplanten Besuch bei Hewelke endlich abzustatten. Der Weg dorthin führte durch den der Rechtstadt benachbarten Teil der Altstadt. Es waren enge, zwischen finsteren Häusern sich dahinwindende Gassen. Eine von diesen Gassen war die Pfeffergasse, in der Hewelkes Observatorium lag. Es war schon von weitem durch seinen turmartigen, von einer Kuppel gekrönten Aufbau sichtbar. Drei Häuser, die dem jungen Sternforscher als Erbteil von seinem reichen Vater, dem Bierbrauer, zugefallen waren, hatte der junge Mann in ihren obersten Stockwerken mittels einer Plattform zu einem einzigen vereinigt, drei große pavillonartige Räume daraufgesetzt und sie mit einem kuppelartigen Glasdach überdeckt. Die halbe Stadt hatte seinerzeit teils staunend, teils mißbilligend, teils Witze reißend sich unten in der engen Gasse versammelt, um zuzusehen, wie ein offenbar übergeschnappter Bierbrauerssohn aus drei Häusern eins gemacht hatte, als eine Art von Himmelsleiter zum Mond hinauf, um ihm durch allerlei kuriose Ferngläser das Geheimnis des in hellen Nächten dort sichtbaren Mannes im Mond zu entlocken. So etwas konnte auch nur in einer Zeit wie der jetzigen sich zutragen, wo ringsum die Menschheit ganz aus dem Häuschen zu sein schien und es Leute sonst ganz vernünftigen Wesens gab, die in allem Ernst behaupteten, daß die Erde kugelförmig sei und also die auf der anderen Seite der Kugel befindlichen Wilden, man nannte sie ja wohl Antipoden, auf ihren Köpfen Spazierengehen müßten.

Opitz stieg die steile, hühnerstiegenartige Treppe bis unter das Dachgeschoß hinauf, nicht ohne auf dem mühsamen, fast halsbrecherischen Anstieg über ausgetretene Stufen ein paarmal Rast machen und Atem holen zu müssen.

Der junge Bierbrauerssohn, der seine Himmelserforschung klug und geschickt mit dem väterlichen Gewerbe zu vereinigen wußte, saß an seinem grobgezimmerten Arbeitstisch inmitten des von Fernrohren, Himmelskarten und Meßgeräten erfüllten saalartigen Laboratoriums und schien ganz in seine Arbeit versunken, als Opitz bei ihm eintrat. Er sah erst zerstreut auf und um sich, sprang dann, den fremden Besucher erkennend, schnell auf und ging ihm mit langen Schritten bis an die Tür entgegen.

»Welch eine Überraschung, verehrungswürdiger Meister!« rief er aus. »Und welch eine Freude zugleich für mich, Euch einmal durch den Augenschein kundtun zu können, daß ich nicht nur mein Brauereihandwerk meistere, Ihr habt ja mit dem Prediger Nigrinus mein Bier als Haustrunk, sondern daß ich auch sozusagen in rebus celestibus meinen Mann zu stehen vermag.«

Er geleitete den lächelnden Dichter behutsam durch die herumstehenden Geräte und Instrumente zum Tisch und nötigte ihn in einen dort wartenden, schön geschnitzten Lehnstuhl.

Opitz machte eine abwehrende Bewegung.

»Ihr tut mir bei weitem zu viel Ehre an, junger Freund. Denn einmal bin ich noch nicht im Besitz so ehrwürdigen Alters und des ihm gemäßen Chiragras oder Podagras, daß ich mich auf jemandes Arm stützen müßte, und zum zweiten ist das ein Ehrensitz für einen Eurer würdigen Herren vom Rat mit den wallenden Perücken, wohl gar für den hochmögenden Herrn Bürgermeister Zierenberg selbst.«

Hewelke klatschte lachend in die Hand.

»Mit untrüglichem Scharfsinn getroffen, Herr Herzogl. Rat! Der letzte, der vor Euch auf dem Stuhl gesessen hat, es ist erst einige Tage her, war der alte Eisbär, der Zierenberg, in eigner Person. Er wollte sich von mir die Erdkugel, die da vor Euch auf dem Tisch steht, den allerneuesten Globus vorführen und erklären lassen.«

Opitz hatte sich gesetzt und ließ seine Blicke forschend durch den Raum wandern.

»Fast wie eine Alchimistenküche,« nickte er und fuhr dann abschweifend fort: »Wißt Ihr auch, mein junger Himmelserstürmer, daß ich einem der Größten von Eurer Zunft, vielleicht sogar dem Allergrößten dieses Zeitalters, einmal Auge in Auge, so wie jetzt Euch, gegenübergesessen und mich in die Runen auf seiner düstern Stirn vertieft habe?«

»Doch nicht ...? Es war doch nicht gar ...?« rief Johannes Hewelke und griff nach der herabhängenden Hand des Dichters. »Sagt! Sagt!«

»Ganz recht, mein Freund! Es war Johannes Kepler, der Großmeister Eurer astronomischen und astrologischen Gilde.«

»Wann, wann traft Ihr ihn, den teuren Mann mit dem heiligen Namen?« rief Hewelke erregt und suchte dem anderen die Antwort von den Lippen abzulesen. »Und wo geschah es, daß Ihr ihm begegnetet? Er ging ja schon Anno dreißig von hinnen und ließ eine um soviel ärmere Welt zurück. Also erzählt mir von dem Wann und Wo.«

Opitz stützte, in Erinnerung versunken, sein Kinn auf die Hand.

»Vor Jahren war's. In Schlesien einst. Zu Sagan war's. Beim Herzog von Friedland, dem Wallensteiner, da traf ich, vom Dohna in Geschäften hingesandt, den heiligen Mann, wie Ihr ihn mit gutem Grund nanntet. Ja, es war wie ein geheimer Strahlenkranz um sein würdig Gelehrtenhaupt, wenn er die Augen zum Himmelsgewölbe erhob und von den Gesetzen sprach, nach denen die Planeten ihre Bahnen um den Sonnenball, um das Zentralgestirn beschreiben.«

»Ja,« bekräftigte Hewelke, »von den Gesetzen, die er, er selbst, der erhabene Mann, aus dem hoch über uns allen aufgeschlagenen Hauptbuch der göttlichen Allmacht, aus dem nächtlichen Sternenhimmel, entrissen und entschleiert und den Geschlechtern der Sterblichen in seinem großen Opus Astronomia Nova kundgetan hat, so daß sie nie mehr verlorengehen können.«

»Auf dem Tisch, an dem wir beieinander saßen und von den wilden Zeitläuften und unsern eignen irren Lebenspfaden sprachen,« sagte Opitz, »stand auch eine ähnliche solche Erdkugel oder Globus wie der Eurige hier. In der Tat, bei näherem Zusehen scheint es sogar der gleiche zu sein. Es waren auf den südlichen Ländern auch die wilden Tiere darauf. So zum Beispiel hier auf dem Erdteil Afrika ein Löwe. Oder soll es ein Elefant sein?«

»Man sollte es für einen Löwen halten,« meinte Hewelke scherzend. »Er gehört nun einmal zu Afrika wie die Laus zum Flißacken.«

Er lachte auf seine schalkhafte Art und erklärte dem Dichter, der ihn fragend ansah, mit den Flißacken seien die polnischen Flößer gemeint, die im Sommer mit den großen Holztraften von Galizien und Podolien auf der Weichsel nach Danzig herunterkämen und zumeist nur einen Schafspelz auf den nackten Leib trügen, wo es denn auch nicht an den obligaten Mitbewohnern fehle. Auch Opitz lächelte.

»Mir fiel damals in Sagan bei Eurem Meister Kepler auf,« sagte er dann, »daß jener Globus schief oder schräge in seinem Gestell zu hängen schien. Ich hielt es für Zufall. Jetzt sehe ich den Eurigen und erblicke das gleiche. Es muß also wohl einen Grund haben?«

»Wollt Ihr Zufall nennen,« fiel Hewelke lebhaft ein, »was man füglich als eine Anordnung der göttlichen Allmacht, somit als ein Gesetz des Weltraums zu deklarieren nicht umhin kann?«

»Wie das?«

»Die Schrägstellung oder Neigung der Erdkugel, die Ihr damals an dem Keplerschen Globus entdecktet und die Ihr auch hier bei dem meinigen wiederfindet, entspricht haarscharf der Neigung zum Himmelsäquator oder dem Winkel, den die im Weltraum frei schwebende Erdkugel auf ihrer Bahn um das Zentralgestirn beschreibt. Es ist also ein Hilfsmittel, um uns den astronomischen Vorgang für unsere irdischen Sinne näherzubringen und verständlicher zu machen.«

Opitz sann einen Augenblick nach.

»Ihr schient vorhin an dem Wort ›Zufall‹ Anstoß zu nehmen?« fragte er. »Was habt Ihr an dem Wort auszusetzen? Glaubt Ihr nicht an Zufall? Aber was ist es dann?«

»Ein Casus, ein Vorfall,« erwiderte Hewelke, »der sich außerhalb unserer gegenwärtigen Erkenntnismöglichkeit des Zusammenhanges von Ursache und Wirkung vollzieht, der also sozusagen außer der Reihe des von unserer gegenwärtigen Einsicht zu überblickenden Ablaufs der Dinge steht.«

Der Dichter strich sich das Kinn und lächelte.

»Eine Definition, die Eurem Scharfsinn, Herr Hewelke, alle Ehre macht, uns aber einer zufriedenstellenden Erklärung auch nicht viel näherbringt. Tun wir nicht genug, wenn wir uns vor der Unbegreiflichkeit des Zufalls in Demut beugen, eben weil er unmittelbar wie der Blitz aus dem Willen der göttlichen Allmacht entspringt.«

Der junge Mann machte eine lebhaft abwehrende Bewegung.

»Auch die göttliche Allmacht waltet nach dem von ihr selbst geschaffenen Gesetz von Ursache und Wirkung. Wie wäre es sonst möglich, die Bahnen der Planeten und der anderen Himmelskörper durch den Menschengeist zu errechnen? Item, auch der Zufall unterliegt einer höheren Gesetzmäßigkeit, ob sie sich gleich für uns bislang nicht ergründen läßt.«

»Euren Scharfsinn, wie gesagt, in allen Ehren, junger Freund! Aber laßt Eure kühnen Hypothesen beileibe nicht einem hohen Konsistorio zu Ohren kommen! Es möchte leicht ein hochnotpeinliches Verfahren gegen Euch daraus erwachsen.«

»Ah! Ihr denkt an Galilei? An Giordano Bruno und andere Märtyrer? Aber wir sind hier nicht in papistischen Landen.«

Opitz erhob seine Hand.

»Ich habe Scheiterhaufen genug in allen Landen Europas, auch außerhalb der papistischen Inquisition, brennen gesehen, und nicht die wenigsten in nordischen Landen, wo keine Papisten sie schüren konnten. Also mit Verlaub, Herr Hewelke, laßt Euch mein Wort zur Warnung dienen.«

Der junge Astronom ergriff bewegt die Hand des Dichters und schüttelte sie kräftig.

»Ich werde es mir zu Herzen nehmen und danke Euch Eure Freundschaft und Fürsorge vielmals. Ich vertrage sowieso Hitze nicht sonderlich, und Scheiterhaufen pflegen ja gut geheizt zu sein.«

»Diejenigen, deren Flammen ich zusammen mit den letzten fürchterlichen Schreien ihrer Opfer gen Himmel habe steigen sehen, waren es auf alle Fälle und ließen einem trotzdem vor Grauen das Blut in den Adern gefrieren. Also nehmt es nicht zu spaßhaft!«

Hewelke langte ein Blatt vom Tisch und reichte es seinem Besucher hin. Es schien mit seinen Kreisen, Ringen und mathematischen Figuren eine Zeichnung zu sein.

»Haltet Ihr das für ungefährlich genug, um vor einem hohen Konsistorio Gnade zu finden?« fragte er und setzte auf des Gastes verwunderten Blick hin erklärend hinzu: »Eine Mondkarte, Herr Herzogl. Rat! Ihr habt sicher noch keine in der Hand gehabt.«

»Nein! Nein!« rief Opitz erregt. »Eine Mondkarte?! Großer Gott! Eine Mondkarte ...! Ein Zauberer seid Ihr ja! Wie habt Ihr die vom Himmel aufs Papier gebracht?«

Hewelke lachte befriedigt.

»Auf Grund meiner nächtlichen Beobachtungen mittels meines selbstkonstruierten Fernrohrs, das Ihr dort stehen seht, getreu nach der Natur hier auf dem Blatt abgezeichnet!«

»Und alle die Kreise und Zacken, alle die dunkelschattierten Ringe ...?«

»Sind Gebirge und Abgründe oder ringförmige Krater, womit die Mondoberfläche geradezu übersät scheint. Auch der sogenannte Mann im Mond gehört dazu.«

»Somit ein Augentrug?«

»Nichts weiter! Wie so vieles andere auf der Welt.«

Der Dichter hob das Blatt in die Höhe und schwenkte es ein paarmal herum.

»Also was ich hier emporhalte, das ist die erste Mondkarte hienieden auf Erden, und Ihr, Johannes Hewelke, habt sie mit Eurer eigenen Hand auf das Blatt hingezaubert und leibhaftig vom Himmel abkonterfeit?«

»So ist es, Herr Herzogl. Rat!« erwiderte der junge Bierbrauer und Astronom.

»Wißt Ihr auch, junger Mann,« erklärte Opitz mit einer feierlichen Miene und weit ausladender Handbewegung, »wißt Ihr auch, daß Ihr da etwas Unsterbliches gemacht habt, wovon die Menschen noch nach Jahrhunderten reden und Euren Namen dabei nennen werden?«

Hewelke schüttelte ablehnend den Kopf.

»Die Hauptsache ist doch wohl, daß es gemacht ist und jeder, auch der Zweifler und Leugner, sich schwarz auf weiß davon überzeugen kann. Alles andere ist nichts weiter als Beiwerk.«

»Doch auch das Beiwerk ist in dieser Welt der Sinne und der Eitelkeiten nicht zu verachten,« entschied der Poet. »Es bedeutet Ruhm und Ehre, Lorbeer und einen gutgefüllten Geldbeutel und nicht zuletzt auch die Gunst der Frauen.«

»Aber wenn man schon eine am Halse hat, die Seine?« meinte Hewelke und schnitt eine Grimasse dazu.

»Habt Ihr's in Eurem Alter schon zu einer Eheliebsten gebracht?« fragte Opitz verwundert. »Die jungen Leute heutzutage ...!«

»Zugegeben, es gehört ein bißchen Courage dazu. Aber wann soll man sie denn erweisen als wenn man jung ist?«

Opitz mußte fast wider Willen lachen.

»Ihr seid nicht nur ein Astronom und Mondbezwinger, junger Freund. Ihr seid auch ein Philosoph.«

Hewelke zuckte die Achseln.

»Was bleibt einem andres übrig, wenn man sich mit seinem Ehejoch abfinden will, ohne allzusehr Haare zu lassen!«

»Wie lange tragt Ihr es denn schon?« fragte der Dichter.

»Auf Lichtmeß wird es drei Jahre. Aber Ihr seht, ich bin immer noch leidlich auf dem Posten.«

Er schnitt wieder eine seiner drolligen Grimassen dazu. Beide Männer brachen in Lachen aus, wenn auch aus recht verschiedenen Gründen. Opitz wollte es scheinen, daß der andere sich nicht nur über sich, sondern auch über ihn selbst lustig mache und sich ihm, dem alter Junggesellen, himmelweit überlegen fühle, da er doch immerhin das Wagnis auf sich genommen habe, während er, Opitz, im Grunde gar nicht mitreden dürfe.

Nun sei es langsam Zeit, den Heimweg ins Auge zu fassen, bemerkte Opitz nach einer Pause des Schweigens und erhob sich. Der Schnee scheine noch immer ganz dicht zu fallen, die Gassen würden wohl bald völlig unwegsam werden. Hewelke erbot sich, den Dichter nach Hause zu geleiten, was dieser jedoch lächelnd ablehnte. Er fühle sich dem Abenteuer eines gelinden Schneemarsches noch einigermaßen gewachsen. Mit kräftigem Händedruck und guten Wünschen für das bevorstehende Christfest trennten sich die beiden Männer, deren gegenseitige Sympathie das vom Flügelschlag des Geistes getragene Beisammensein nur hatte bestärken kennen.

Als Opitz nach manchem Stolpern über zusammengewehte Schneewälle und auf glitschigen Gehsteigen wieder seine Studierstube in der Brotbänkengasse betrat, war das erste, worauf sein Auge fiel, eine ansehnliche Holzkiste, die auf einem Stuhl neben seinem Arbeitstisch stand, Ein Brief, in großen steilen Buchstaben an ihn adressiert, lag auf dem Tisch davor und schien zu der geheimnisvollen Kiste zu gehören.

Der Poet entschied sich dahin, trotz der die Neugier lockenden Kiste zuerst den Brief zu öffnen. Er kam aus Sobbowitz vom Feldhauptmann Gerhard von Proen, dessen eckige, markige Unterschrift den ganzen mächtigen, breitschultrigen, soldatischen Mann widerzuspiegeln schien. Proen entschuldigte sich mit höflichen Worten, daß er zu seinem Leidwesen den Herrn Herzogl. Rat nicht, wie es in Aussicht genommen worden sei, zum Schlachtfest voriger Woche im Sobbowitzer Gutshaus habe können abholen lassen, weil seine junge Frau kurz vor dem Tage von einem an sich unschuldigen, dennoch sehr lästigen und quälenden Kopfschmerz befallen worden sei und das Bett habe hüten müssen, wie es nun einmal Frauenart. Ihm selbst würde es wohl niemals beikommen, sich wegen einer solchen Lappalie ins Bett zu legen. Aber dafür sei es nun einmal das schwache Geschlecht, das sich allerdings nur auf diesem Gebiet als solches erweise. Die beifolgende Kiste mit einschlägigem Inhalt möge den Herrn Herzogl. Rat ein wenig für die leider ausgebliebene Einladung zum Sobbowitzer Schlachtfest entschädigen.

Es schienen also Viktualien, wohl gar Würste zu sein. Opitz holte ein kleines Stemmeisen und eine Kneifzange aus der Truhe, in der er sein als kostbares Gut gehütetes Handwerkszeug bewahrte, und ging an die Öffnung der Kiste. Während er noch daran hantierte, klopfte es und, nicht wenig überraschend, trat Marie Dorothee ein, die, wie wenn sie ihn meiden wollte, sich in letzter Zeit nur wenig bei ihm hatte sehen lassen.

»Ah, Ihr seid es, Jungfer Marie Dorothee?« bemerkte Opitz kühl. »Welch eine seltene Ehre!«

Das Mädchen war an der Tür stehengeblieben und senkte verlegen den Kopf. Sie sei gekommen, um dem Herrn Herzogl. Rat die Kiste, die vor einer Stunde der Jäger des Herrn von Proen aus Sobbowitz für ihn überbracht habe, aufmachen zu helfen. Aber da dies ja schon im besten Gange sei, so werde sie wohl nicht mehr gebraucht und wolle nicht weiter stören. Opitz, Zange und Stemmeisen noch in der Hand haltend, war mit ein paar Schritten bei dem zögernden Mädchen.

Was ihr denn einfalle, so kurzerhand wieder wegzulaufen? Er plage sich seit einer halben Stunde mit der verwünschten Kiste und werde froh sein, wenn ein hilfreicher Geist ihm zur Hand gehe. Sie komme gerade wie gerufen.

Das Mädchen lachte kurz auf. Da stelle es sich wieder einmal heraus, wozu das Frauenzimmer nutze sei. Wenn die Herren der Schöpfung nicht mehr ein und aus wüßten, dann jammerten sie, das Frauenzimmer solle helfen. Damit nahm sie dem verdutzten Poeten Stemmeisen und Kneifzange aus der Hand und machte sich über das als so widerspenstig gescholtene Stück her. Im Handumdrehen hatte sie fünf oder sechs mehrzöllige Nägel aus dem fichtenen Deckel gezogen und auf Opitzens Arbeitstisch hübsch nebeneinandergereiht. Ein geschickter Griff und der Deckel sprang mit einem kleinen Knacks auf. Sorglich in Stroh gewickelt lagen da friedlich nebeneinander kurze stämmige Leberwürste und plumpe sackförmige Blutwürste, mit bunten Bändchen verziert. Aus der mit Tannengrün gefüllten Tiefe der Kiste grüßte leicht wackelnd in seinem Fettrand ein vertrauenerweckender Schweinesülz. Obenauf aber auf der ganzen schweinerlichen Herrlichkeit lag ein Zettel, der in zierlicher Frauenschrift die Worte trug:

»Mein Mann, der Feldhauptmann, und ich, seine bessere Ehehälfte, wünschen dem Herrn poeta laureatus ein gesundes Christfest und einen recht gesegneten Appetit.

A. v. P.«

Opitz mußte lächeln, als er den Zettel las, und fühlte, sehr wider Willen und zu seinem Ärger, ein aufsteigendes leichtes Erröten unter den beobachtenden Blicken des Mädchens.

»Nun, Marie Dorothee?« fragte er, ein bißchen verdrießlich, da er auch auf dem Gesicht des Mädchens ein kleines spöttisches Lächeln wahrzunehmen glaubte.

»A. v. P.?« sagte sie. »Das ist doch die widerspenstige Braut, die von ihrem Mann, dem Feldhauptmann, mitten von der Hochzeitstafel weg in seinen Wagen geschleppt wurde, vor acht Wochen? Hat sich die aber schnell bekehrt! Mein Himmel!«

»Ja, es geht manchmal schnell mit euch ...« erwiderte der Dichter gedankenlos und durch ihr maliziöses Lächeln etwas gereizt.

Marie Dorothee sah ihn wortlos von der Seite an und sagte dann wie ablenkend:

»Aber es fehlt ja eine Schüssel für die Würste. Haben der Herr Rat dergleichen unter Eurem Küchengerät?«

»Eine Schüssel für die vielen Würste? Nein!«

»Es sind wohlgezählt zwölf Stück. Ein Dutzend.«

»Wie soll ich die unterbringen?«

»Aufessen! Die schöne Frau A. v. P., vormals in Danzig die schöne Anna geheißen, wünscht Euch ja gesegneten Appetit dazu. Ich gehe und hole eine Schüssel.«

Opitz faßte die schon Enteilende bei der Hand.

»Ja, tu das, Mädchen! Bring' eine Schüssel, die eine Hälfte von dem Wurstsegen gehört dir und deinem Ohm, dem hochwürdigen Herrn Nigrinus. Die andere Hälfte werde ich mir selbst zu Gemüte führen. Und vielleicht leistest du mir an einem der Feiertage Gesellschaft dabei?«

»Aber was fällt Euch denn ein!« lispelte sie und schüttelte schwach den Kopf.

»Wollen wir eine Wette eingehen, daß du kommen wirst?«

»Nein! Nein! Nein!« rief sie und war zur Tür hinaus.

Ob und wann sie wohl wiederkommen wird? dachte Opitz bei sich, während er an der Tür auf ihren wiederkehrenden Schritt lauschte. Er sollte mit seinem Zweifel nur zu sehr recht behalten. Als nach einer Weile sich nichts auf der Treppe rührte, zündete er die Öllampe an, griff zu Papier und Gänsekiel und beschloß, seinem Ärger über den frauenzimmerlichen Wankelmut in einem neuen Gedicht an seine nun schon öfter besungene Cynthia Wort und metrische Form zu verleihen.

Er saß noch über das Blatt geneigt, als bereits durch die im übrigen totenstille Gasse der mahnende Stundenruf zum Horn des Nachtwächters erklang. Er blickte vom Papier auf und lauschte. Waren das nicht draußen auf der Treppe verstohlene Schritte? Und jetzt ein ganz leises, kaum hörbares Pochen an seiner Tür? Er sprang auf und war mit ein paar Schritten dort, von wo er es klopfen zu hören meinte. Die Tür öffnete sich leise von außen, und vom Halbdunkel des nächtigen Hausflurs umschattet stand im leichten hellen Nachtgewand die Gestalt des Mädchens Marie Dorothee auf der Schwelle.

»Du bist's, Liebste?« rief der Dichter mit verhaltener Stimme, überwältigt von einer Welle des Glücksgefühls, wie sie noch selten über ihn gekommen war.

Sie legte warnend den Finger auf den Mund, glitt lautlos wie eine Erscheinung über die Schwelle ins Zimmer und sank mit einem Seufzer in seine ausgebreiteten Arme.

»Ja, ich bin's, Geliebter, deine Cynthia! Hast du mich denn nicht erwartet? Mußte ich denn nicht kommen? Denk' daran, daß wir eine Wette eingegangen sind. Du hast sie gewonnen! Hier hast du den Einsatz! Nimm mich hin!«

Sie schlang die Arme um seinen Hals und ließ sich unter seinen Küssen weiter ins Zimmer ziehen.

»Und dein Ohm?« fragte er, noch halb atemlos. »Ahnt er was?«

Sie schüttelte den Kopf und legte von neuem den Finger auf den Mund.

»Still! Still! ...« Und dann mit einem kurzen bitteren Auflachen: »Mein Ohm?! Ja! Gewesen! Bald genug mein Mann! ... Aber einmal noch glücklich sein! Eine Stunde noch dein! Dein! Und dann ... dann ...!«

Sie sank von neuem an seine Brust und nahm, sie erwidernd, seine Küsse hin.

»Der Ohm sitzt in seinem Studierzimmer« flüsterte sie. »Hat sich eingeschlossen. Sinniert über seiner Predigt für morgen, Erstfeiertag. Heut' ist doch der Christabend. Sind wir nicht sehr schlecht, daß wir ihn so verleben, wir beide, Geliebter meines Herzens?«

»Nicht schlecht! Nicht schlecht!« flüsterte er wie sie. »Der Ewige da droben kennt unsere Herzen und wird uns verzeihen.«

Draußen auf der Gasse, grade unter Opitzens Fenster, erklang in diesem Augenblick von neuem der Nachtwächterruf:

»Löschet das Feuer und das Licht,
daß niemand ein Schade geschicht!«

Opitz wandte sich mit einer schnellen Bewegung zu seinem Studiertisch, ergriff das beschriebene Blatt und zerriß es in kleine Stücke.

»Was tust du da?« flüsterte sie erschrocken. »Ein Poem von dir? Und du zerreißt es? An wen war es?«

»An Cynthia, Geliebte, war es!« erwiderte er lächelnd und verschloß ihr den Mund mit einem langen Kuß.

»An Cynthia? Also an mich?!« stammelte sie nach einem Weilchen. »Und warum ...?«

»Ich war böse auf Cynthia,« gestand er mit einer komisch schuldbewußten Miene und küßte sie von neuem. »Es war dumm von mir! Ein irres Geschreibsel! Kein Wort mehr davon!«

Noch einmal erklang, schon aus der Ferne, der Hornruf: »Löschet das Feuer und das Licht ...«

Marie Dorothee griff nach der Lampe auf dem Tisch und löschte sie mit einer raschen Wendung.

»So ist es gut, mein Herzensschatz! Die Christnacht soll nichts davon wissen.«


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