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Der junge Christian Hofmann von Hofmannswaldau, Schüler am Gymnasio Academico und Freund des Andreas Gryphius, war seit jener Begegnung auf dem Bischofsberg schon zu öfteren Malen in Opitzens Studierstube zu Besuch gewesen und hatte andächtig erschlossenen Geistes den Erörterungen und Eröffnungen des großen Lehrmeisters der deutschen Poeterey über eben diesen Gegenstand gelauscht. Nach der Abreise seines Landsmannes Gryphius hatte sich der junge Schlesier ohnehin in der für seinen Geschmack etwas allzu nordischen Hanse- und Kaufmannsstadt recht vereinsamt gefühlt und um so empfänglicher sich unter die Fittiche des reifen und weltberühmten Lehrmeisters begeben.
Was den jungen Adepten am stärksten an den Aufschlüssen und Lehren des Meisters fesselte, war dessen Dogma von der unbedingten Vorherrschaft der dichterischen Regeln vor dem stofflichen Inhalt in der ars poetica. Grade weil des jungen Mannes Phantasie und Seele überquollen von blutigen Tragödienstoffen und sinnlich qualmenden Visionen, zog es ihn zu der klaren handwerklichen Vers- und Formbeherrschung des Älteren hin, die er teils als eine Ergänzung von ihm selbst mangelnden Eigenschaften und Kräften, teils auch wieder als ein unentbehrliches Bindemittel für den inneren Zusammenhalt seiner bis zum Zerspringen geladenen Seele gleich dem Reifen um das Faß gärenden Mostes empfand.
Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es wieder heraus, kündet ein altes Wort. Verstand es sich da nicht, daß die Anhänglichkeit des Jüngers bald bei dem Meister eine Erwiderung von zunehmender Wärme fand? Eine Freundschaft erwuchs, wie sie im allgemeinen zwischen dem heranreifenden Jüngling und dem vollerwachsenen Mann, zwischen achtzehn und achtunddreißig selten zu sein pflegt. Aus schweigend hingenommener Belehrung wurde öfter und öfter Rede und Gegenrede von Lehrer und Schüler. Regung eines Widerspruchs zwang zu begründender Widerlegung. Disputationen kamen auf, wo es anfänglich nur unanfechtbare Thesen des Lehrers gegeben hatte. Der junge Hofmannswaldau war, ganz im Gegensatz zu seinem etwas schwerfälligen und schwerblütigen Freunde Gryphius, ein sehr gewandter Fechter des Wortes, niemals um einen Einwand verlegen und oft nur aus Lust zum Widerspruch hierauf bedacht. Jedoch ließ sich der junge Adept bei aller Heißblütigkeit niemals bis zu irgendeiner Respektlosigkeit oder einem Mangel an Ehrerbietung gegenüber dem an Jahren und äußerer Position so sehr Überlegenen gehen, der dies mit seinem hochentwickelten Selbstgefühl auch keineswegs ruhig hingenommen hätte. So konnte es denn, da keine Grenzen überschritten wurden, auch zu keiner sonst vielleicht unvermeidlichen Gereiztheit zwischen dem Gebenden und dem Empfangenden kommen, deren Rollen nicht selten zwischen den beiden wechselten. Der Schüler lernte vom Lehrer und dieser nahm nicht weniges auch von jenem in sich auf. Bis ans Ende seiner eigenen Tage bewahrte der einstige Schüler seinem vormaligen Lehrer trotz so verschiedenartiger Kunst- und Lebenswege eine ungetrübte Dankbarkeit und Verehrung.
»Habt Ihr, mein hitziger junger Freund, von allen Euren großen Tragödienstoffen, über die Ihr mir zu berichten wußtet, denn schon einen ernstlich in Arbeit und Instruktion genommen?« fragte Opitz am Nachmittag des ersten Weihnachtsfeiertages den wieder einmal zu Besuch bei ihm weilenden jungen Adepten. Es sei nicht ratsam für einen angehenden Poeten, mit ein paar Dutzend Stoffen gleichzeitig quasi Buhlschaft zu treiben und seine Kräfte zu vergeuden, statt sich mit ungeteilter Lust und Liebe einem einzigen Thema zuzuwenden, wie man ja auch in Venere mit der Hingabe an eine einzige Angebetete zuverlässig viel besser fahre als mit dem Herumflattern von Blume zu Blume.
Es konnte nicht ausbleiben, daß der junge Mann bei dieser Belehrung, die zugleich eine beherzigenswerte Warnung in einem viel weitergehenden Sinne war, eine schnelle Röte über sein Gesicht dahingleiten fühlte, da er an seine so ganz anders geartete Geistes- und Sinnenverfassung denken mußte und sich im Innersten wie von einem Stachel getroffen fühlte. Er fuhr sich mit einer ungestümen Handbewegung über das Gesicht, als gelte es, seinen widerspenstigen weißblonden Haarschopf zu bändigen, und suchte seine aufsteigende Verwirrung hinter einem Räuspern zu verbergen. Er könne nicht umhin, äußerte er dann, die Richtigkeit der von dem Herrn Herzogl. Rat erteilten Admonition in rein theoretischer Hinsicht anzuerkennen. In praxi lasse sich die Frage jedoch anders an, da ja die Naturen und Anlagen und auch die einzelnen Geister von Grund auf verschiedener Art seien. Jugend habe nun einmal keine Tugend, wie schon das Sprichwort besage, und niemand könne ihr verdenken, wenn sie sich zu ihrer Zeit auszutoben suche, nicht nur in Venere, sondern, um es bildlicherweise auszudrücken, auch auf dem Felde der ars poetica, wo man dann gleich zwölf Tragödienthemata auf einmal im Überschwang der Lust umarme.
Und welches seien denn die Früchte dieser poetischen Exzesse der jungen Herren Libertiners? fragte der Lorbeergekrönte. Im günstigsten Falle poetische Wechselbälge, die aus der Druckerpresse hervorgingen, wofern sie es überhaupt bis dahin brächten.
Der junge Weißblonde lachte kurz auf und zuckte die Achseln. Viele seien berufen und wenige auserwählt. Aber jeder halte sich dafür. Es gebe kein Mittel, dem abzuhelfen, nicht einmal den berühmten Nürnberger Trichter, den irgendein Vernünftling neuerdings erfunden habe. Ob es denn zu Opitzens Jugendzeit anders gewesen sei? Ob denn nicht auch er, der heutige Meister, sich, da er jünger gewesen, mehrerer poetischen Themata auch selbfünft auf einmal angenommen und gleichsam, um des Meisters Wort zu wiederholen, Buhlschaft mit ihnen getrieben habe, von den ehemaligen gleichzeitigen Amouren gar nicht zu reden, da dies schon der Respekt verbiete?
Auch Opitz mußte auf das hin unwillkürlich lachen und entschied dergestalt, daß die Menschen sich nun mal zu allen Zeiten gleich blieben und dem einen eben glücke, woran sich die anderen vergebens die Zähne ausbissen.
Nun wohl! So halte denn auch er, Hofmannswaldau, sich für solch einen einzelnen Glücklichen, dem es beschieden sei, die Braut heimzuführen, erklärte der zuversichtliche Jüngling. Und um den Meister zu beruhigen, könne er ihm bekennen, daß auch er in letzter Zeit einen Tragödienstoff gefunden, dem seine etwaige Liebe ganz zu weihen sich immerhin verlohnen werde. Es sei »der sterbende Sokrates«.
Gewißlich, meinte abschließend der Magister, indem er seinen Kopf wiegte und ein kaum merkliches Lächeln der Ironie um seine Mundwinkel spielte, es sei nicht zu bestreiten, daß der junge Mann sich da an ein Thema wage, dessen volle Bewältigung der Kunst und der Kraft eines Seneka bedürfe. Freilich könne man es nur billigen, wenn die Jugend sich das Ziel für den von ihr zu pflückenden Lorbeer gar nicht hoch genug und gar nicht weit genug stecken könne, selbst auf die Gefahr hin, daß das wirklich Erreichte ein gutes Stück dahinter zurückbleibe.
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In diesen letzten Tagen des alten Jahres drangen nach Danzig schlimme Gerüchte von der in den südlichen Landstrichen des Reiches, zumal im kurfürstlichen Bayern, sich immer weiter ausbreitenden bösen Pestseuche, die schon seit geraumer Zeit dort umging und viele Opfer forderte. Einreisende Kaufleute wußten zu berichten, daß hinterwärts Nürnberg und gen Süden über den Donaufluß hinweg die Menschen von einer Stunde auf die andere umfielen, wie die Fliegen im Herbst, und jämmerlich ihr Leben beendeten. In Danzig, wo die Erinnerung an die letzte Pestseuche vor rund einem Menschenalter besonders bei dem älteren Geschlecht noch recht wach war, wurde die üble Nachricht vorübergehend viel besprochen und die Frage lebhaft erörtert, ob man sich auf einen neuerlichen Besuch des unheilbringenden Gastes, den das Volk auch den »schwarzen Tod« nannte, gefaßt machen müsse. Als man dann keine weitere Hiobsnachricht hierüber mehr vernahm, beruhigten sich die Gemüter bald wieder, und in den kleinen Sorgen des Alltags verfiel das ferne Memento dem Schicksal alles Menschlichen, dem Vergessen.
Nicht wenig mochte es hierzu beitragen, daß der seit längerem angekündigte Staatsbesuch Wladislaws IV., der polnischen Majestät, bei einem hochwohllöblichen Rat der Stadt nun Tatsache werden zu sollen schien. Es war nicht nur eine von alters her übernommene Gepflogenheit der Stadt, sondern gehörte zu ihrer wohlerwogenen Politik, den jeweiligen Träger der polnischen Krone, mit der man sich ja, was nicht zu leugnen war, in Personalunion befand, bei solch einem immerhin selten vorkommenden Staatsbesuch mit größtem Gepränge und Darbietung allerhöchster Ehren zu empfangen, was alles zusammen nicht darüber hinwegtäuschen konnte, daß das hierbei entfaltete militärische Aufgebot dem hohen Gast gegenüber als eine Art von Warnung, wenn nicht gar von Drohung vor etwaigen feindlichen Plänen und Anschlägen gemeint war. Da der angekündigte Königsbesuch grade in die Fastnachtszeit fallen sollte, die aller Reformation zum Trotz in Danzig noch immer mit großer Ausgelassenheit begangen wurde, so bot sich willkommener Anlaß, die Vorbereitungen nur um so reicher und üppiger auszugestalten.
*
Nicht lange nach dem Antritt des neuen Jahres, mitten in harter, frostklirrender Winterszeit, geschah das Langerwartete. Der Prediger Nigrinus führte seine Nichte Marie Dorothee als sein Ehegespons heim. Die Hochzeit fand im engsten Verwandtenkreise in des Nigrinus Behausung statt. Der Prediger hatte sich im Hinblick auf das nahe verwandtschaftliche Verhältnis zu Marie Dorothee möglichste Zurückhaltung und Unauffälligkeit des feierlichen Aktes auferlegt, wie es übrigens auch dem innersten, freilich nicht laut geäußerten Wunsche der jungen Frau entsprach. Martin Opitz mußte sich infolge einer plötzlich über ihn gekommenen fiebrigen Influenza der Trauung des jungen Paares, die ein Amtsgenosse des Bräutigams bei Sankt Petri vollzog, fernhalten und konnte nicht einmal bei dem im Hause Brotbänkengasse stattfindenden Hochzeitsmahl erscheinen. Der Dichter fühlte sich krank und elend wie nie. Alle seine Bitten und Vorstellungen, mit denen er seit jener Christnacht das Mädchen beschworen hatte, von ihrem Verlöbnis mit Nigrinus abzustehen, waren fruchtlos geblieben, und auch das letzte verzweifelte Mittel, ihr seine eigene Hand anzutragen, hatte versagt. Nur mit halbem Ohr schien sie seine heißen Worte, seine Beteuerungen und Beschwörungen aufzunehmen, und als sich schließlich jenes äußerste Anerbieten seiner Brust entrang, huschte nur ein schwaches Lächeln über ihre gequälten Züge.
»Du willst mich heiraten, Geliebter!« sagte sie. »Und ich glaube dir, daß es dir ernst damit ist. Aber wirst du es auch halten können, wenn du Auge in Auge dem Ohm gegenüberstehst? Ich kenne ihn. Er ist ein harter Mann, der eisern auf seinem Kopf besteht und kein Haarbreit abläßt von dem, was er sich einmal vorgesetzt hat. Und ich weiß, er will mich! Ich weiß es nur zu gut, von einer Nacht her, wo er mich bedrängt hat! Daß ich ihm damals widerstanden hab', das hat mir Macht über ihn gegeben. Weil er gefürchtet hat, es könnte jemand erfahren, daß er, er, der Prediger Nigrinus, der Untadlige, seiner Schwester Kind sich in Unehren hat nähern wollen, noch dazu, ehe das Trauerjahr verstrichen! Nur deshalb hab' ich gegen seiner Werbung so lange mich halten können. Aber auch ich bin nur ein schwaches Menschenkind. Wir beide sind es, mein Herzensfreund. Es geht nicht so weiter. Es muß ein Ende haben mit dieser ewigen Angst und Schrecknis vor dem, was kommen könnte und kommen muß! Was unvermeidlich ist! Also tu ich's lieber in Ehren vor aller Welt und mit dem Kranz im Haar als ohne!«
»Du nimmst ihn, weil du ihn nehmen mußt!« erwiderte er mit schon halb gebrochenem Willen.
»Ja, weil ich ihn nehmen muß! Weil mir nichts anderes zu tun übrig bleibt!« beharrte sie.
»Auch nicht ich? Auch nicht meine Hand, die ich dir biete?«
Sie schüttelte schwach den Kopf.
»Ach, geliebter Freund! Was würde aus dir, aus uns beiden, hier in dieser Stadt Danzig, wenn ich dein würde, mit Nigrinus als unserm Todfeind! Es ist nicht auszudenken! Könnten wir auch nur eine Stunde länger hier im Hause bleiben? Stelle dir vor, was aus uns werden sollte!«
Opitz nickte resigniert.
»Ein Unbehauster wie ich! Ein Landflüchtiger zeit meines Lebens! Verfolgt von der Kriegsfurie, solang' ich denken kann!«
»Es ist nun einmal so dein Los, Martin,« erwiderte sie. »Es ist ja auch das Los von so vielen, so vielen draußen im Reich und überall anderswo. Müssen wir es nicht als eine Schickung von Gott dem Herrn zu unserm Besten auf uns nehmen?«
Sie saß mit gefalteten Händen und gesenktem Kopf da.
»Du fromme Seele!« rief der Dichter, mehr von ihrer ergebenen Haltung und dem Ton ihrer Worte als von diesen selbst gerührt, und ergriff ihre Hände, wie um von dem Strom dieser gläubigen Zuversicht einen Teil in seine doch manchmal von Zweifeln zerrissene Seele hinüberzuleiten.
»Ja, du hast recht, Mädchen,« fuhr er fort. »Wenn ich an meine schlesische Heimat denke, es geht gewiß in diesen blutigen Tagen tausenden und tausenden andern viel, viel übler als mir, der ich hier, beinah' schon am Rande der Welt, auf einer Insel des Friedens den sichern Hafen und ein Obdach dazu gefunden habe. Aber ist es nicht menschlich und kann man es mir verdenken, nachdem ich soviel herumgekommen, daß ich mir nun endlich eine bleibende Statt und die Krone vom Ganzen, ein geliebtes Weib an meiner Seite, zu erträumen gewagt habe? Und das alles sollte nun dahin sein? Unwiederbringlich dahin?«
Sie nickte nur wortlos. Eine letzte Umarmung und eine segnende Handbewegung von ihr zu ihm. Dann war es zu Ende. Wenige Tage darauf war die Trauung des Predigers mit seiner Schwester Kind vor sich gegangen. Opitz vergrub sich, fiebrig und zerbrochen wie er war, in seinen Büchern und Studien und verließ wochenlang seine Stube nicht. Er hatte immer leicht gearbeitet und kam auch jetzt mit seinen Übersetzungen des Seneka und des Sophokles sowie des biblischen »Hohen Liedes« rasch voran, aller körperlichen und geistigen Zerschlagenheit zum Trotz. Zumal des Salomonis Hochgesang der Liebe hatte es ihm erinnerungweckend angetan, so daß die Verdeutschung in wenigen Tagen zu Papier gebracht war.
Andreas Hünefeld, als getreuer Schildknappe des Dichters, übernahm, wie schon frühere Arbeiten von ihm, so auch diese neuesten Produktionen in seinen Verlag und brachte sie in seiner Danziger Offizin zum Druck. Er war es auch wieder, der Opitzens Krankenstube mit etwas Leben und Zerstreuung erfüllte, indem er ihn über die täglichen Vorkommnisse in der Stadt auf dem laufenden hielt und dabei mit satirischen Glossen und Anspielungen insbesondere auf Rat und Geschlechter nicht sparte.
Marie Dorothee, die junge Predigersfrau, hatte der Dichter seit ihrer Hochzeit nur noch selten zu Gesicht bekommen. Die tägliche Fürsorge für ihn hatte sie, seit sie als Herrin im Predigerhause waltete, an eine mit ihr weitläufig verwandte ältliche Person abgegeben, die ihren Dienst wortlos und scheinbar immer verdrießlich, wenn auch nicht ohne ein gewisses rauhes Wohlwollen für ihn versah. Der Poet mußte so manchesmal mit stummer Wehmut an jene nun vergangenen ersten Monate hier im Hause zurückdenken, da er die nahe warme Gegenwart Marie Dorothees täglich um sich gespürt hatte, und das Wort unwiederbringlich kam ihm öfters über die Lippen, wenn er an seinem Studiertisch saß und plötzlich, von Erinnerung ergriffen, den Federkiel ruhen ließ.