Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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41. An meine Mutter

Triest, Sonntag, April 14, 1844

Was sagst Du zu dieser Pause, liebe Mutter! Ja, so ist's! In viereinhalb Wochen hab' ich nicht eine Zeile geschrieben. Warum nicht? – Ich konnte nicht. So etwas ist mir nie geschehen! Eine solche Traurigkeit und innere Leere, solch ein deprimierendes Unbehagen wie in Athen habe ich in meinem ganzen Leben nicht empfunden. Sechzehn Tage habe ich stockstill da gesessen, bei dem ungünstigsten Wetter von der Welt, welches meine projektierten Exkursionen unmöglich machte, und es ist mir nicht eingefallen die Feder zur Hand zu nehmen. Ich fühlte mich wie gelähmt... am Herzen. Europa trat mir so widerlich entgegen, wie ein fader, abgebrauchter Mummenschanz, den man bis zum hellen Morgen ausgedehnt hat. Ach, liebe Mutter! Du kannst Dir nicht vorstellen wie still man zurückkehrt von den stillen Ufern des Nils, den stillen Königsgräbern, den stillen Pyramiden und Sphinxen. Man hat in der Vergangenheit, im Schattenreich gelebt; aber diese Schatten sind so majestätisch und ehrfurchtgebietend, daß sie einen weit größeren Eindruck auf die innerlichste Seelenstimmung machen, als die Gebilde der Gegenwart in ihren bunten, zerfetzten, anspruchsvollen Gewändern und Attitüden. Sie sind so kraus und konfus, daß sie dunkel – aber jene Schatten so einfach und wahr, daß sie licht aussehen. Aus dem Licht der ungesitteten Welt trat ich in das Zwielicht europäischer Kultur- und Zivilisationsbestrebungen zurück, mit denen man von Anfang an das unglückselige Griechenland ruiniert hat. Ob es ein andres Schicksal verdient hätte? – Weiß ich nicht. Tüchtige Menschen und tüchtige Völker machen sich ihr Schicksal so zurecht wie sie es brauchen, und dann ist von verdienen nicht mehr die Rede. Aber Griechenland hat wohl nie das gehabt, was es gebraucht hätte. Europa gefiel sich in einem ganz kindisch unüberlegten Enthusiasmus für die Befreiung desjenigen kleinen Landstrichs, den man jetzt Königreich Griechenland nennt, während Millionen von Griechen türkische Untertanen geblieben sind; und diesen kleinen Landstrich betrachtete Europa darauf wie eine wilde Schöne, die man in einer Pension zur Bildung zustutzen müsse, wofür sie sich bei ihren hohen Gönnern höchst dankbar zu bezeigen, und willfährig den Gemahl anzunehmen habe, den sie ihr wählten. Dieser Gemahl ist der König Otto. Gott segne ihn! Seine wohlwollenden traurigen Augen erzählen sein Schicksal: er ist nicht glücklich und macht nicht glücklich. Kein europäischer Fürst könnte das! Ein Palikarenkönig, griechischer Religion, eroberungslustig, mit eisner Faust unumschränkt regierend – das wäre ein König für Griechenland – aber freilich keiner für Europa. So ein gewiß unbändiges Wesen in seiner Nachbarschaft zu haben, ist dem wohlerzogenen Europa mit seiner Schulmeisterdespotie ein Greuel, denn es könnte seine Berechnungen über den Haufen werfen, und die Vorteile worauf es sich spitzt könnten ihm entgehen. Jetzt hat es die Formen seiner dem Verfall zueilenden Kultur auf Menschen, Sitten, Zustände, Ansichten geimpft, welche noch eine steigende Kultur gekannt haben; auf ein Volk das roh ist wie die Deutschen vor vierhundert Jahren, geldgierig und eigensüchtig wie man es wird durch lange Sklaverei, intelligent und intrigant wie das nun einmal im griechischen Blut oder in der griechischen Luft zu liegen scheint. Was daraus werden soll? Berechnet jeder von denen, die dabei Hand im Spiel und Interesse dafür haben, anders. Was daraus werden wird? Ergründet keiner mit seinem Kalkül.

Doch haben mir die Griechen keineswegs mißfallen, im Gegenteil! Sie bestechen, weil sie schön aussehen, gut sprechen, die angebornen guten Manieren der Völker des Südens und überdies etwas Ritterliches im Benehmen gegen Frauen haben, das aus unsrer Männerwelt als schmachvolles Überbleibsel der rohen Vergangenheit, als unwürdig eines Beamten, eines Gelehrten, eines Industrie-Beflissenen, gar eines Liberalen, sorgsam vertilgt wird. Ein gewisses Etwas ist allen griechischen Physiognomien eigen, nämlich zweifelnde Augen. Ich hatte gehört sie sehen listig und lauernd aus – das fand ich selten, aber diesen zweifelnden Blick immer. Immer schien er zu fragen: was denkst du? Was meinst du? Meinst du auch wirklich das was du sagst? Kann man dir glauben? Ich, mit meiner wie Du sie nennst »erschreckenden Aufrichtigkeit«, fand mich zuweilen beeinträchtigt durch diesen Zweifel. Die ehrliche deutsche Seele litt auf dem fremden Gebiet, und fühlte sich doch sehr angenehm berührt durch die Anmut der griechischen – aber auch zugleich, daß sie auf diesem Boden schwerlich festen Fuß fassen könne. Ich glaube man braucht ein halbes Leben ehe man dem Griechen Vertrauen einflößt – eine natürliche Folge der byzantinischen Verderbtheit und der sklavischen Heuchelei, die sie während drei und eines halben Jahrhunderts treiben mußten. Intrige und Heuchelei entadeln stets die Charaktere.

Herzensmama, ich bin ganz und gar aus der Schreibe- und Reisestimmung heraus. Nur grade diese Spezialitäten wollte ich Dir erzählen. Für Ausführlichkeiten ist es zu spät, da ich es an Ort und Stelle versäumt habe. Daß der Eindruck, den Athen mir gemacht ein zerrissener und unbefriedigender war, spricht sich am deutlichsten in meinem Schreibunvermögen aus. Europas Schattenseiten, allgemeines schwüles Unbehagen und eitle Prätention traten nur bei diesem mehr wie halb orientalischen Volk abstoßend entgegen, und die Fraktion der europäischen Gesellschaft, die sehr liebenswürdige Mitglieder hat, beklemmte mich im Ganzen, wenn auch die einzelnen mir gefielen, denn ich war mit ihr gleichsam aus dem Takt gekommen. An Exkursionen war des Wetters wegen nicht zu denken. Unter Regenströmen machten wir eine Fahrt nach Eleusis, im tiefen Nebel eine andre zu den Vorbergen des Pentelikon. Schnee deckte alle Höhen nah und fern, eisiger Sturm fegte von ihren Gipfeln herab über die kahle weite Ebene, Wolken über Wolken verhüllten den »griechischen Himmel«. Zwei schöne sonnige Morgen verbrachte ich zwischen den Tempeln der Akropolis, in denen eine Götterwelt nicht untergegangen, sondern verklärt ist. Adel und Weisheit bezeichnen den Charakter der griechischen Architektur. Sie hat nicht die unerhörte Majestät der ägyptischen, nicht den sehnsüchtigen Schwung der christlichgotischen, nicht die verzaubernde Phantasie der arabischen; sie hat von dem allen das Nötige, aber zur höchsten Harmonie durch Weisheit abgeklärt, und ist daher der Vollendung am nächsten. Wenn ich Weisheit sage, so meine ich nicht die eines bezopften Magisters des vorigen – oder eines Pedanten unseres Jahrhunderts; ich meine weise wie Plato war. So bauten edle Menschen für edle Götter; und das ist auch ganz naturgemäß: edle Menschen haben immer edle Götter.

Sonnabend abend am sechsten verließen wir Athen, schliefen im Piräus auf dem Dampfboot, das uns nach Kalimaki brachte, fuhren in Wagen der Dampfschiffskompagnie über den Isthmus von Korinth, dann durch den Golf von Lepanto, der reizend wie der Comer See, nur nicht so bebaut ist, darauf an den unbeschreiblich malerischen Bergformen der ionischen Inseln und der Küste Dalmatiens vorüber, das blumenähnliche liebliche Korfu auf einige Stunden betretend, dann nach Ancona, wo wir in Kontumaz an Bord bleiben mußten, und erreichten endlich gestern früh wohlbehalten die große Handelsstadt Triest. Weißt Du was mein erstes Wort war, als ich mich in der Stadt ein wenig umsah? Ach, wie bedürfnislos ist der Orientale! Am eigenen Überfluß muß Europa untergehen. Was sein Stolz und Triumph ist, wird sein Verderben werden. So richtet das Schicksal es immer ein.


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