Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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20. An meine Schwester

Kloster auf dem Karmel,
Oktober 25, 1843

Ach nein, mein Clärchen, das war ganz und gar unmöglich! Hat man eine Tagesreise zu Pferd und in der brennenden Sonnenhitze gemacht so ist man ganz froh sich gegen Abend auf die Matratze zu strecken, ohne sich mit Schreibereien zu befassen. Zeit hätte ich übrigens vollauf gehabt; die Tagesreisen waren kurz; aber ich war nicht dazu aufgelegt. Wie es zugeht weiß ich nicht, allein diese Reise hat mich mehr ermüdet als die größere nach Damaskus. Vielleicht geht dieses Pferd etwas unbequemer, vielleicht ist es die große Hitze, die sogar in der Nacht nicht nachläßt. Ich bin beständig in Transpiration, und da dies etwas ist, was mir unter dem harten Himmel unsrer Heimat nie geschieht, so ermattet es mich. Hier ist es nun schön! Auf einem Vorgebirge am Meer liegt das Kloster 600 Fuß über demselben. Da ist eine ganz andere Luft als unten in dem brennenden Sande der Küste oder in dem ausgetrockneten Heidelande. Ohne hart zu werden, wie bei uns, erfrischt sie nur das Blut und stählt die Nerven. Heute früh um halb elf Uhr kamen wir hier an, und obgleich es eigentlich nichts zu sehen gibt – so wenig daß der Dragoman uns vorschlug oben zu frühstücken und weiter zu gehen – so werden wir doch noch morgen hier bleiben. Ein Stätte wie diese, wo ich mich so recht wohl in tiefster Seele gefühlt – wo ich gesagt hätte: »Ach, ich will einen Tag bleiben!« habe ich auf der ganzen Reise noch nicht gefunden. Ist es die wundervolle majestätische Schönheit der Natur, ist es der stille segenbringende Friede des Klosters, ist es der Boden des heiligen Landes, der Gedanke auf dessen Schwelle zu stehen, ist es Freude die Pilgerfahrt so weit glücklich gemacht zu haben: genug, auf dem Karmel ist es schöner als am Bosporus, auf dem Libanon und in Balbek; – nicht zum Ansehen schöner, aber um da zu sein. Hier würde ich Hütten bauen, wenn die Welt mir leer wäre. Hier begreife ich das Gefühl, welches die Lady Esther Stanhope – wunderlichen Andenkens! – der Heimat entfremdete und für immer entzog. Meine alte Liebe zum Kloster wacht wieder auf, und ich denke: Selig wer hier wenigstens vorüberziehen darf! Seliger wer bleiben kann!

Jetzt sitze ich in meinem Zimmer, dessen hohes, weites, starkvergittertes Fenster mir die unbeschränkte Aussicht auf das wundervolle Meer öffnet, an dessen Ufer ich die ganze Reise von Beirut hieher gemacht habe. Ich hörte sie sei langweilig; das habe ich durchaus nicht gefunden, obgleich man keine überraschenden Schönheiten sieht. Von Beirut bis Akka sind drei kleine Tagesreisen, während welcher man sich beständig in einer Ebene zwischen dem Meer zur Rechten, und den Vorbergen des Libanon zur Linken befindet. Diese Berge ziehen sich bald in der Ferne dahin, so daß die Ebene einen breiten Landstrich bildet, und bald nähern sie sich dem Ufer und, das Meer gleichsam mit einem Finger berührend, bilden sie Vorgebirge über die der Weg klettert. Im Ganzen flacht sich der Libanon allmählich so ab, daß er bei Akka zu Hügeln eingesunken ist; so endet er. Die breite Ebene von Akka durch die einige Flüsse ins Meer gehen, scheidet ihn vom Karmel, und war die Grenze des alten gelobten Landes – von Jehovah den Nachkommen Abrahams gelobt und gegeben. Zwischen dem Libanon im Norden, dem Meer im Westen, der arabischen Wüste im Süden, und dem Jordan und Toten Meer im Osten lag es, und was den Israeliten das gelobte Land und den Christen wegen Leben und Sterben des Heilands das heilige Land hieß, hat diese Benennungen wie auch den Namen Palästina, fast ganz verloren, und wird gewöhnlich mit seinen Nachbarländern im Norden und Osten zusammen genommen Syrien genannt. All meine Gedanken sind schon in Palästina! Ich muß mir wirklich Mühe geben um bis Beirut zurückzugehen, das wir am Sonntag, den zweiundzwanzigsten Oktober, um acht Uhr früh verließen, erst durch Maulbeerpflanzungen und ein Pinienwäldchen, dann durch eine tiefe Sandstrecke ritten, die das Meer feindlich an der Küste abgelagert hat. Nach ein paar Stunden hören Sand und Pflanzungen auf, aber immer bleibt man auf einem pflanzenreichen Boden, dem nichts gebricht als Kultur um der einträglichste und gesegnetste zu sein, denn die steinigen Vorgebirge und einige Sandstriche abgerechnet, fehlt es nirgends an Wasser. Häufig mußten wir Bäche durchreiten, die jetzt nicht bedeutend, zur Regenzeit aber hemmende Ströme sind. Zwischen hohen Oleandersträuchen schlängelten sie sich, die mit glühend roten Blüten dick überschüttet waren, was prächtig aussah unter dem Tiefblau des Himmels. Über die Vorgebirge war der Weg holprig und steil, sonst recht bequem. Hie und da zog ein Schiff durch die stille blaue Flut zu unsrer Rechten, und zur Linken, höher hinauf im Libanon, auf vorspringenden Bergkuppen, lagen zuweilen große Gebäude, Klöster der Christen oder Schlösser der Drusen, und Dörfer beider.

In dieser Gegend hatte der letzte Drusenfürst, Emir Beschir, mit seinen zwölf Söhnen seine Residenz, Deir-el-Kamar. Er war ein herrschsüchtiger schlauer Mann, der auf die alte Eroberung des Libanon durch die Drusen fußend, sich selbst als dessen Herrn und dessen übrige Bewohner als seine Untertanen betrachtete. Wofür der Mensch sich hält, sobald er es durch passende Mittel zu unterstützen weiß, dafür wird er gehalten; und Emir Beschirs Mittel waren die, daß er sich mit den drei, unter sich höchst feindlichen Religionen gut zu stellen wußte, welche in dieser Gegend zwischen und neben einander wohnen: mit Maroniten, Mohammedanern und Drusen. Um erstere zu gewinnen, soll er sogar Christ geworden sein. Eine Kirche baute er um mit ihnen ihren Gottesdienst zu begehen, desgleichen eine Moschee, wo er mit den Bekennern des Islams deren Religionsgebräuche vollzog; und seine Drusen endlich muß er auch zufrieden gestellt haben, da er ihr »großer Emir«, ihr Fürst des ganzen Libanon war. Als Ibrahim Pascha im Jahr 1832 Syrien eroberte und als Statthalter seines Vaters Mehemed Ali beherrschte, unterwarf Emir Beschir sich ihm, und stürzte im Jahr 1840 mit der ägyptischen Regierung in Syrien, als die europäischen Mächte es an der Zeit fanden, den mächtigen Vasallen der unmächtigen Pforte aus Syrien zu vertreiben. Als er eben im Begriff gewesen sein soll von Ibrahim Pascha ab- und dem Großherrn zuzufallen, wurde Emir Beschir nach Malta gesendet und lebt jetzt als achtzigjähriger Greis in Konstantinopel. Seine zwölf Söhne sind umher verstreut, und sein Schloß verfällt zur Ruine, wie das der Lady Esther Stanhope, das auch oberhalb Saïda im Gebirge liegt. Sie selbst hat kein gutes Andenken hinterlassen. Ein exaltierter Charakter wie der ihre muß gewesen sein, hat selten feste klare Richtung, welche ihn vor Abschweifung in Bizarrerie bewahrt. In der Welt, im abschleifenden Verkehr mit den Menschen, finden sich von selbst Messer gegen dergleichen Auswüchse; die gänzliche Abgeschiedenheit in die sie sich warf, als ihr nach Pitts Tode, dessen Nichte sie war, England und das Leben mit Engländern unerträglich wurde – ist der Boden, auf dem sie recht gedeihen. Ihre Bizarrerie scheint förmlich in Monomanie ausgeartet zu sein; sie erwartete einen mohammedanischen Messias. Von ihren Wunderlichkeiten weiß man viel zu erzählen: wie sie einem Kurier, der ihr Briefe gebracht, die Bastonnade hat geben lassen, denn sie wolle keine Briefe; wie sie einem Geschäftsführer, mit dem sie unzufrieden war, den halben Bart abschneiden ließ und ihn so nach Damaskus zurückschickte, und mehr dergleichen Züge, die eine gewisse innere Wildheit verraten.

Um halb sechs Uhr kamen wir nach Saïda, dem biblischen Sidon, das jetzt nicht mehr wie zur Zeit der Phönizier durch seinen Purpur – wohl aber durch die Bananen berühmt ist, die in seinen Garten vortrefflich gedeihen sollen. Die Araber lieben diese Frucht so sehr, daß sie meinen es sei die gewesen, welche Eva im Paradiese verlockt habe, und in der Form der Blüte soll sich der Schlangenkopf deutlich erkennen lassen. Vor dem Tor der Stadt auf dem festen reinlichen Ufersand, zwischen dem Meer und großen Gärten voll Ölbäumen, die mit Tamarisken eingefaßt waren, schlugen wir die Zelte auf, und es war prächtig zu schlafen bei dem feierlichen Wiegenliede, womit das Meer während des Schlummers der Erde Wache hält. Als wir bei Sonnenaufgang uns rüsteten, war schon alles um uns her in großer Tätigkeit. Links wurden Hammel geschlachtet, rechts wurden zierliche Schnüre aus gelber Seide und Baumwolle gedreht; die Weiber kamen mit ihren Krügen auf der Schulter aus der Stadt um aus einem besonders guten Brunnen in unsrer Nachbarschaft Wasser zu schöpfen, Kinder liefen nebenher und betrachteten neugierig die Fremden. So ganz alltäglich, Gewerbe und Handel treibend, präsentiert sich jetzt die stolze Sidon, die eine Königin unter den Städten war. Ihre Lage ist hübsch. Auf einem kleinen Vorsprung der Küste, wie auch Beirut, Tyrus und Akka, tritt sie ins Meer hinein, und eine Brücke führt zu ihrem alten Kastell, das auf einer Klippe erbaut ist. Wir ritten zwischen der Stadt und ihren Gärten fort, und kamen als wir letztere hinter uns hatten, in ein ganz ausgebranntes Heideland, das aber zur rechten Zeit, wenn es nach den herbstlichen Regen bestellt ist, höchst fruchtbar sein muß. Auf diesem Lande und zu meiner Betrübnis in einiger Entfernung vom Meer, hielten wir uns den ganzen Tag. Zum ersten Mal sah ich eine Gazelle in der Freiheit. Wie der Wind huschte sie von dannen, duckte sich, und sprang nach einiger Zeit wieder auf und weiter, bald in kurzen Sätzen, bald langgestreckt wie ein Pfeil vorwärts schießend, allerliebst von Gestalt und Bewegungen, dem Reh ähnelnd, aber wie mir schien von weicheren Formen. Die orientalischen Dichter entlehnen von der Gazelle tausend Grazien um die Geliebte damit zu schmücken: die großen sanften Augen, der leichte Gang, der zarte Fuß, die anmutigen Bewegungen: bei der Gazelle hab ich das alles auch ganz richtig gefunden, jedoch noch nicht bei den arabischen Frauenzimmern. Wir ritten anderthalb Stunden über Tyrus hinaus, und blieben bei einem Dorf, dessen Hauptgebäude aus einem großen Khan und einer Wassermühle bestanden. Der Bach der die Mühle trieb hatte prächtiges klares Wasser, das man hier nicht immer findet. Vielleicht war er es aus dessen Bett man den Sand zur Verfertigung des Glases nahm, welches die Phönizier so berühmt gemacht hat. Die fremden Völker meinten grade dieser Sand aus einem Flüßchen bei Tyrus müsse dazu benutzt werden, bis man dahinter kam, daß jeder brauchbar sei.

Wo wir die Nächte zubrachten und wo unsre Leute sich in Gespräche mit den Bewohnern einließen, erschollen Nachrichten über die Unsicherheit des Weges, über Diebe und Räuber. Nach Nazareth zu gehen hielt man für bedenklich, nach Jerusalem unmöglich; Beduinen sollten bis Akka umherstreifen. Ein armer Araber, der nichts auf der Welt besaß, als seine Tabakspfeife und seinen weißwollenen Mantel mit dem er sich höchst malerisch drapierte, wollte über Nazareth hinaus, war seelenfroh bis dahin bei unserem Zuge zu bleiben, und zitterte wie es ferner ihm gehen würde. Also auch arme Teufel waren nicht sicher vor Ausplünderung. Die ergötzliche Geschichte eines Engländers, die ich schon in Beirut gehört aber für eine Fabel gehalten hatte, nahm an Wahrscheinlichkeit zu. Dieser Unglückliche hatte sich einer Karawane von Jerusalem aus angeschlossen, allein die Unvorsichtigkeit begangen einsam hinter ihr zurück zu bleiben. Er fiel in räuberische Hände und wurde dermaßen ausgeplündert, daß er wegen seiner Heimkehr nach Jerusalem in einige Verlegenheit geriet, denn sein einziges Kleidungsstück war sein Hut geblieben, den die Beduinen nicht brauchen konnten. So im Naturzustand, aber mit dem Hut auf dem Kopf, wie ein König der Wilden, mußte er seinen Rückzug antreten. Ich, immer eingedenk Italiens, Spaniens, Palermos, wo es überall von Räubern wimmeln soll und wo ich keine Stecknadel verloren habe, hatte und habe noch jetzt, wo die Nachrichten immer bedenklicher lauten, den besten Mut. Wer jedoch schon damals in halber Verzweiflung war, das war unser Seïs, der »reiche Mann«, wie ich ihn nenne. Ihm gehören die vier Maultiere, die den Dragoman und unser Gepäck tragen, er selbst reitet auf dem fünften mit einer ellenlangen Pfeife in der Hand und einem Turban auf dem Kopf wie eine Bombe so groß, sein Knecht reitet auf einem Esel, – und all diese Reichtümer sind nun der größten Gefahr ausgesetzt! Er hat sonst immer die selbstbewußte gemessene Haltung des reichen Mannes, besonders wenn er abends dem Knecht die Rationen für die Maultiere austeilt; werden aber Diebesgeschichten erzählt – die gegenwärtig das Lieblingsgespräch des Volkes zu sein scheinen – so verliert er völlig seine Haltung und bespricht mit dem Dragoman Sicherheitsmaßregeln. Du mußt bedenken, daß wir alle zusammen, Herrn, Diener, Mukéri, Pferde und Esel, in der engsten Nachbarschaft leben, die sich nur träumen läßt, tags neben und hinter einander reitend, nachts eng beisammen im kleinen Lager – so daß ich vollauf Zeit und Gelegenheit habe die faits et gestes unseres reichen Mannes zu studieren, der mich königlich durch seine Zaghaftigkeit amüsiert. Bis jetzt verspüre ich nicht die geringste. Kommt sie, so werd' ich es ehrlich beichten.

Es war hübsch an unserer Wassermühle. Reisende mit stattlichen Pferden, bunt besattelt, waren nach uns gekommen und lagerten sich auf Teppichen neben dem Khan. Die Negersklaven führten noch lange die Pferde umher, bevor sie sie tränkten. Arme reisende Fußgänger hatten sich auch eingefunden, hockten genügsam auf ihren Fersen, und erwarteten plaudernd den Sonnenuntergang um sich an einer Pfeife und einem Bissen Brot zu laben. Unsre Zelte bildeten die dritte Gruppe, und Gespräche flogen von einer zur andern, denn der Araber ist gesellig und gesprächig. Auf dem Wege rufen sie sich aus weiter Ferne an, und reden zusammen so lange die Stimmen sich erreichen, um wie viel mehr in der Herberge. Das ist doch noch eine lustige Herberge, liebes Clärchen, wo man allerlei Leute beisammen sehen kann und zwar mit ihren Gewohnheiten. Dahin bringt man es bei uns nicht, und wenn man sein Leben im Gasthof verlebte! Die Reisenden fehlen nicht – im Gegenteil! Aber man sieht sie nur, wenn sie gravitätisch in Reihe und Glied beisammen sitzen und essen. Legt man die Serviette fort, so zieht man sich einsiedlerisch in sein Gemach zurück. Vor lauter Erziehung und Gewohnheit der guten Gesellschaft, kommt einem die Gewohnheit mit Menschen umzugehen ganz abhanden. Und trotz der Bemühung sich abzusondern, um nicht in unerfreulichen Kontakt mit aller Welt zu geraten, erreicht man nicht dasjenige, welches man dadurch bezwecken möchte: eine gewisse vornehme Haltung zwischen dem plebejen Treiben. Hier findet sie sich von selbst, denn hier sind Reisen nach einem grandioseren und freieren Zuschnitt eingerichtet, als mit dem Dampfwagen, wie auf dem Schub, von einem Ort zum andern transportiert zu werden. Neulich habe ich den Eisenbahnen ein Loblied gesungen, und heute wieder nicht! Das kommt immer so, je nachdem man die Vorteile oder die Schattenseiten einer Einrichtung hervorhebt. Da die Eisenbahnen ganz im Sinn des Jahrhunderts zum Vorteil der Industrie und auf Nützlichkeit berechnet sind, so ist mit ihnen die Seele der Geschäfte: Pünktlichkeit und Zeitersparnis, verbunden, und es gibt Augenblicke wo man diese über alles schätzt. Kommen aber Momente in denen man so recht das Vergnügen fühlt in stolzer Unabhängigkeit und mit tiefer freier Teilnahme selbständig durch die Welt zu ziehen, wie sie in mir bei weitem vorherrschend sind: so werden mir die Eisenbahnen ein Greuel, und das Vergnügen des Reisens ist für mich aus Europa verschwunden. Stelle Dir den Unterschied nur recht lebhaft vor: unter betäubendem Geräusch, ab- und eingesperrt im schweren Wagen, ohne zu hören, zu sehen, zu denken, rutschest Du in einem Tage 30 bis 40 Meilen ab, und findest Dich am Abend im Gasthof abgeliefert; oder Du reitest in frischer Luft, unter freiem Himmel, auf Deinem guten Pferdchen, vielleicht nur vier oder fünf Meilen täglich; aber Du darfst sagen: an diesem Bach wollen wir frühstücken, – Du darfst den Zug aufhalten um Oleander zu pflücken und auf Deinen Hut zu stecken; – Du darfst vom Pferde steigen um die wunderlichen Bewegungen einer Seespinne in der Nähe zu betrachten, die wie eine Maschine vor-, rück- und seitwärts läuft; – Du darfst sagen, daß Du ausruhen, essen, trinken, oder vorwärts willst, – kurz, in jedem Augenblick darfst Du genau das tun, was Du eben möchtest: Du bist frei. Darin liegt der Zauber.

Auf welche Weise ich gestern früh geweckt wurde, stellst Du Dir schwerlich vor. Durch das Geschrei ziehender Kraniche! Wie oft im Spätherbst wenn ich diesen Ton hörte und ihre Phalanx durch die Wolken ziehen sah, wünschte ich mit ihnen nach den südlichen Ländern zu gehen. Jetzt war ich da wo sie überwintern, und jetzt gingen meine Gedanken nach dem nördlichen Lande, das sie vor kurzem verlassen haben. Ach, das ist schön daß die Gedanken noch schneller als die Kraniche von einem Weltende zum andern fliegen können. Während die Hirten ihre Viehherden aus dem Dorf in die freie Wildnis trieben, und als die Sonne über die letzten Höhenzüge des Libanon stieg, gegen sieben Uhr brachen wir auf. Wir mußten das Cap blanc, das höchste Vorgebirge an dieser Küste passieren. Der Weg hinüber ist einigermaßen gemacht, d. h. die Felsblöcke sind vom Pfade geräumt, der im steilen Zickzack herauf und hinab läuft; aber das ist kaum eine Verbesserung, denn die Pferde haben keinen sichere Tritt auf den kahlen Kalksteinplatten, und gleiten leicht aus, vorzüglich wenn es bergab geht. Hernach war der Weg wieder ganz gut, weil man immerfort ungestört durch die Ebene zieht, und dabei einzelne malerische Bilder hat: ein Dorf unter Palmen auf einem Hügel am Meer; ein Paar mächtige einsame Säulen auf einem andern an den Libanon sich lehnenden, später große Orangenpflanzungen, die herrenlos und verwildert aussahen, und zwischen denen die schönsten Gesträuche blühten, Rosen und Oleander in Fülle, und ein baumartiger Busch der köstliche Blumen trug halb weiß halb rosenfarben, groß wie Kamelien, aber die Blätter lockerer. Es war eine Pracht all dies jugendliche Rot zwischen dem kräftigen Orangenlaube zu sehen. Ab und zu tauchte das Meer auf, und mit ihm Akka und im Hintergrunde der Karmel; dann wurden sie wieder von Dünen versteckt. Darauf kam ein alter Aquädukt wohl eine Meile lang zu sehen. Wie ein heiterer Greis nahm er sich aus, denn üppige Schlingpflanzen hatten ihn ganz und gar mit dichtem Grün umsponnen. Ein Teil der Bogen war neu gebaut; da gediehen sie nicht in gleichem Maß.

In der Nähe der Stadt wurde es belebt, es war der erste Tag des kleinen Beiram, der die langen Fasten endet. Durch tiefen Sand, die Mauern umgehend, kamen wir an das Tor, das nach dem Karmel führt, und fanden dort die ganze Bevölkerung fröhlich versammelt, Männer, Weiber, Kinder, Soldaten, Beduinen – alle durcheinander, und sehr friedlich. Das Hauptvergnügen bestand in Schaukeln. Zwei gewöhnliche und drei russische waren aufgeschlagen und drehten sich knarrend. In großen Kreisen saßen die Raucher beglückt bei ihrem Nargileh. Ein kleines Boot nahm Wanderlustige auf und führte sie ins Meer – zehn Minuten weit; dann wieder zurück, und die Spazierfahrt war aus. Junge Leute übten sich auf dem feuchten festen Ufersand im Springen, zum Teil recht geschickt. Die Kinder waren neu und herrlich gekleidet, mit kleinen Goldmünzen am Tarbusch, auch wohl im seidnen Kaftan. Was die Frauen für ihre Toilette getan hatten, wurde man nicht gewahr; unerbittlich verhüllte der weiße Schleier jede Schönheit der Gestalt und des Anzugs. Ein Schleier ist anmutig – aber er muß nicht, wie hier, alles verschleiern. Dazwischen ritten vornehme Leute mit Gefolge, aber nur sehr wenige, und ein paar Araber auf schnellfüßigen Dromedaren. Von den Wällen wurde kanoniert. Flintenschüsse, die größte Freudenbezeugung der Araber, erklangen nur sparsam, und Musik, Tanz, Gesang, gab es gar nicht. Wir kamen schon um halb vier Uhr an, und hätten also um sieben den Karmel erreichen können; aber ich war müde – eigentlich wohl nur träge – und die bunten Gruppen unterhielten mich. Also blieben wir bei einem Khan vor dem Tor. Um Sonnenuntergang wurde alles still; das Volk verlief sich wieder in die Stadt hinein. Die Orientalen lieben nicht in die Nacht hinein zu wachen; sie tun es, halb gezwungen, durch die Strenge des Ramadan, ist er zu Ende kehren sie gern zu ihrer eigentlichen Gewöhnung zurück früh schlafen zu gehen und früh aufzustehen. Der Abend war doch schön genug um ins Freie zu locken. Ich saß lange vor dem Zelt und sah mir meine alten lieben Bekannten an – die Sterne. A propos von ihnen! Weißt Du weshalb das türkische Wappen aus einem Stern im Halbmond besteht? Ich wußte es nicht bis ich's im »Hammer« las. Bei den Byzantinern des heidnischen Altertums wurde die Diana vorzugsweise verehrt, als Hekate oder Göttin der Nacht sowohl wie als Phosphora oder Verkünderin des Morgens. Als Hekate war der Mond ihr Symbol, der das Licht der Nächte ist, als Phosphora war es der Morgenstern, Lucifer, Phosphorus, welcher der Sonne vorauseilt. Eine milde Lichtgöttin war sie immer. Ihr zu Ehren machten die Byzantiner ihre Symbole zum uralten Wappen der Stadt das von den christlich-byzantinischen Kaisern vernachlässigt, aber durch die erobernden Türken wieder auf- und angenommen, und zu dem des Reichs erhoben wurde – wahrscheinlich ohne zu wissen woher es stammt und nur um ihrer Herrschaft den Adelsbrief uralten Bestehens zu geben.

Von Akka sahen wir nur die Mauern, die nach dem Meer zu an verschiedenen Stellen in Trümmern liegen, so wie Admiral Stopford sie 1840 niedergeschossen hat. Das war die famose Einnahme von St. Jean d'Acre, die damals soviel besprochen wurde, weil sie Mehemed Alis Herrschaft in Syrien ein Ende machte. Akka ist der arabische Name der Stadt und bedeutet die Gebrochene, und so sieht sie auch aus. Eine Bucht tritt zwischen ihr und dem Vorgebirge des Karmel ins Land hinein. Man muß sie umgehen um zu ihm zu gelangen. Hart am Strande ritten wir hin. Zur Linken hatten wir dünenartige Sandhügel, welche die weite Ebene, die sich hinter ihnen ausbreitet, gegen das Meer begrenzen und schützen. Durch zwei Flüsse mußten wir reiten; der letzte heißt Kison. An seinem anderen Ufer beginnt ein schöner Palmenwald mit Unterholz von Granaten, Orangen, Feigen und Johannisbrotbaum, der bis zum Städtchen Kaiffa fährt, welches am Fuß des Karmel liegt. Hier beginnt man zu steigen, anfangs allmählich durch einen weitläufigen Olivenhain, in dem große Herden von Ziegen und Rindern weideten, dann steiler an der nackten kreidigen Bergwand, jedoch auf gebahntem Wege zum Kloster empor, das fest und stattlich auf einem Absatz des Berges liegt. Die Väter wünschten uns Glück daß uns nichts Unangenehmes begegnet sei. Der Weg gilt für sehr unsicher, und wir haben auch einzelne bewaffnete Beduinen zwischen den Dünen herumschleichen sehen; aber unser Zug war ihnen wohl zu groß für einen räuberischen Anfall. Von hier längs der Küste über Jaffa nach Jerusalem zu gehen, soll unmöglich sein, weil es ein sehr öder Landstrich ist, in dem sich die Beduinen oft aufhalten. So werden wir denn übermorgen nach Nazareth – auch nicht mit großer Sicherheit, und von dort nach Jerusalem pilgern. Aus Nazareth schreibe ich. Gehab dich tausendmal wohl.


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