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25. An meine Mutter
Gaza, Donnerstag, November 16, 1843
In meinem Zelt
Unter Palmen gelagert – so einen Brief anzufangen, darauf hab ich lange gewartet, Herzensmama, denn ich bin zu gewissenhaft um es zu schreiben, wo es nicht der Fall ist, und die Satisfaktion unter Palmen zu lagern, und auf dieser Lagerstätte einen Brief zu schreiben, muß man doch durchaus auf einer orientalischen Reise haben. Beides kann ich heute mit einer Gewissenhaftigkeit und Ruhe, denn wir bleiben einen ganzen Tag hier um die nötigen Vorkehrungen zur Reise durch die Wüste zu machen. Sie geben sich kund an dem Lärm, der mich umgibt, und den die dünnen Zeltwände nicht dämpfen. Da sind Kameltreiber, da sind Quarantäneaufseher, da sind Dienstfertige, da sind Neugierige, Bettler und Kinder, das alles redet mit der dröhnenden Gurgelstimme der Araber, und wird fast übertäubt durch das angstvolle Geschrei von dreißig Hühnern, die uns lebendig auf unserm Zug durch die Wüste begleiten sollen, und die sich in ihrem Reisekorbe nicht sehr behaglich befinden mögen. Dieser Reisekorb ist übrigens auch aus Palmenstäben geflochten. – Die beiden ungehobelten Lehnstühle, welche an den Höcker eines Kamels gehängt, und in welchen wir recht gesellig sitzen werden, stehen auch schon fertig da. Statt der Polster werden sie mit unsern zusammengerollten Matratzen gefüllt, und dieser Sitz ist natürlich weit bequemer als der oben auf dem Rücken des Tieres. Ob aber bequem ist eine andre Frage. Indessen hoffe ich doch mich daran zu gewöhnen. Ich habe in Syrien und Palästina vierundzwanzig Tagesreisen, zwischen fünf und elf Stunden jede, zu Pferde gemacht, und mich ganz wohl dabei befunden, und so werde ich denn auch, so Gott will! zwölf Tage zu Kamel sitzen können. Man hat mir zwar gesagt, man könne von der Bewegung seekrank werden; aber man hat mir hinsichtlich der Beschwerden der orientalischen Reise so viel Übertriebenes gesagt, daß ich nicht recht daran glaube. Zwei Dinge sind freilich durchaus erforderlich um sie mit Annehmlichkeit zu machen: ein tüchtiger Dragoman, und Geld vollauf, – aber dann wüßte ich in der Tat nicht, welche entsetzlichen Mühsale man zu ertragen hätte. Auf Reisen keine materiellen Sorgen zu haben, erleichtert die etwaigen Beschwerden ungemein, und mit jenen beiden Hilfsmitteln ist man ihrer überhoben. Müde wird man, ja! aber, liebe Mutter, wenn Du den ganzen Tag äußerst bequem und behaglich in deinem Zimmer gesessen, und Dich nur aus dem einen ins andre bewegt hast, und es kommt der Abend: so wirst Du gegen elf Uhr auch müde. Der ganze Unterschied besteht darin, daß ich es nach einem guten Tagesmarsch um ein paar Stunden früher werde In Jerusalem habe ich mich sehr ausgeruht, denn ich hatte Zeit um alles mit Muße sehen zu können, und die guten Väter verpflegten mich aufs beste, schickten mir täglich exzellenten Kuchen und dergleichen, so daß ich sehr schwelgerisch lebte. Mein Befinden ist vortrefflich. Mir schadet weder Hitze noch Regen. Auf dem Wege vom Toten Meer nach Mar Saba wurde ich naß – aber wie! Der Regen durchweichte mir den Hut und das Haar; ich sah aus wie ein Triton. Die Sonne kam und trocknete mich und ich befand mich sehr gut. Die Gesundheit ist auf dieser Reise doch notwendiger noch als der tüchtige Dragoman und Geld vollauf, weil es wirklich nicht möglich ist sich überall in acht zu nehmen. In Konstantinopel wollte man mir aus Vorsorge ich weiß nicht was alles für Arznei aufpacken, aber ich sagte, wenn ich denken müßte, daß ich alle diese Krankheiten bekommen könnte, so bliebe ich ganz gewiß zu Hause. Ich habe ein Arkanum: Brausepulver, wenn ich sehr erhitzt bin, und nichts essen, sobald ich mich im geringsten unwohl fühle; und ich bin überzeugt, daß ich damit nicht krank werden kann. Gott, ich schreibe Dir so um Dich über meinen Wüstenzug zu beruhigen, als ob Du es in acht Tagen lesen könntest! – Ich will Dir lieber erzählen wie ich hieher, in diese alte Stadt der Philister gekommen bin, die in der Bibel Gad heißt.
Vorgestern um halb acht Uhr ritten wir fort. Während des Aufpackens lief ich geschwind noch einmal auf die höchste Terrasse, und kam grade an als die Sonne über die transjordanischen Berge prächtig aufstieg. Eine einsame Palme badete sich in ihrem Licht, und das kleine Klosterglöckchen rief die Mönche zur Andacht, denn große Kirchenglocken haben sie hier nicht. Sie war rührend diese kleine kindliche Stimme in der großen Morgenfeier der Schöpfung, wo alles schweigend gleichsam auf dem Angesicht da lag. – Dann zogen wir langsam aus dem Jaffa-Tor, durch das stille felsige Land, genau den Weg den wir vierzehn Tage vorher in entgegengesetzter Richtung gemacht hatten, bis Ramla. Aber er kam uns jetzt viel hübscher vor. Macht nach Jerusalem jede Stätte den Eindruck freundliche Natur, oder hatte sie sich in der Tat ein frisches Kleid angezogen; genug, das Laub glänzte, die Pflanzen sproßten, das Gras keimte, ein grüner Hauch schwebte über der Erde; sie hatte ihren Brautschleier angetan und sah jung und lächelnd aus. Danach kannst Du Dir vorstellen wie starr und öde Jerusalem ist! Auf dem Hinweg erschienen diese Berge mir so und sie sind es wirklich bis auf wenige Stellen; jetzt fand ich sie reizend. In Ramla nahm uns diesmal das Franziskanerkloster auf, denn man versprach uns das Tor vor Sonnenaufgang zu öffnen, was eigentlich nicht in der Ordnung, aber der starken Tagesreise nach Gaza wegen doch ganz notwendig ist. Ich stand um vier Uhr auf; aber ich hatte so lange Muße die Sterne zu beobachten, die prächtig über meinem kleinen Hof schienen, daß ich dabei wieder einschlief. Die Mukéri sind ein fürchterlich träges Volk! Die unsern ritten alle drei auf sehr munteren Eseln, die ihre Reiter beschämten. Der Esel wird überhaupt in Palästina mehr gebraucht als das Pferd. Beim Volk, beim Land-, Kauf- und Bürgersmann spielt er eine große Rolle, und trippelt so behende und leicht einher, daß er ganz nett aussieht. Die Vornehmen und die Beduinen reiten auf Pferden. Die Frauen auf Maultieren, rittlings, dabei immer tief vermummt und mit ihren großen gelben Stiefeln, wie wilde Gänse. Die Allervornehmsten, wie die Frau des Paschas von Jerusalem zum Beispiel, die eine Reise nach Bethlehem machte, als wir von dort zurückkamen, reiten aber nicht, sondern liegen in einer Art von Marionettenkasten nach ihrer Gewohnheit mit gekreuzten Beinen auf Polstern, und dies Gebäude wird von einem Maultier getragen.
Wir kamen gestern erst um sechs Uhr fort, und ich wollte schon etwas mürrisch sein; aber es war unmöglich an einem solchen Morgen! Als ich aus den dicken dumpfen Mauern meines Klosters heraus war, fühlte ich mich wie unter eine weite Kristallglocke gesetzt, so rein, mild und lieblich waren Horizont, Luft und Himmel; – und wie in geschliffenem Kristall spielten alle Farben und Lichter durch diesen wonnigen Äther. Die Luft – das ist nun einmal meine Schwelgerei!
Wir waren nachmittags sehr durch Südwind geplagt, der uns dichte Staubwolken ins Gesicht jagte, und vor dem die flache Ebene nicht den geringsten Schutz bot. Endlich, ungefähr eine Stunde vor Gaza fanden wir ihn etwas in einem ungeheuren Ölwald von kolossalen Bäumen, der sich vor der Stadt teilt so daß man sie auf einer kleinen Anhöhe und ganz von herrlichen Palmen umgeben sieht. Die Sonne war im Untergehen, strahlenlos, dick und trübe wie ein Eidotter: das kommt vom Staub in der Wüste und deutet auf Sturm. Wir blieben draußen vor der Stadt, und zogen an dem großen, von Menschen und Vieh dicht umlagerten Brunnen vorüber, aus welchem man sich Wasser für die zwei Tagesreisen bis El-Arisch mitnimmt; dann schlugen wir die Zelte auf einem freien ebenen Platz auf, um den herum zerstreut ein Khan, Grabstätten, Gartenmauern, eine Moschee, Schutthaufen, Kaktushecken und prachtvolle Palmen liegen. An letzteren hängen in großen Büscheln wie dicke Trauben die bräunlichen Datteln, die mit einem Netz umgeben sind um sie gegen Fliegen zu schütze. Hier also, auf der Grenze von Syrien und Arabien reift die Dattel zuerst! – Und mein Zelt steht daneben. Ich habe während des Schreibens wohl zehn Mal heraus geguckt, ob sie auch wirklich noch da sind, und mich immer erfreut an ihrer schönen edlen Gestalt. Dann habe ich mich, äußerst prosaisch, nach unseren Vorräten an Lebensmitteln umgesehen, denn sie sind wichtig in der Wüste. Auf reichlich vierzehn Tage sind wir verproviantiert, sagt Giorgio, und da man von hier bis Kairo elf rechnet, so genügt das. Unser Brot ist in Jerusalem gebacken, und der Teig wird so zubereitet, daß es wohl hart wird, aber doch eßbar bleiben soll. Es ist in der Tat nichts Kleines alle Bedürfnisse zu bedenken und zu versorgen, und es gehört eine Dragomansübung dazu! Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was es heißt alles mit sich führen zu müssen, vom ambulanten Hühnerhof an, bis zu den Linsen mit denen er gefuttert, und bis zu den Kohlen an welchen er gekocht wird. Ich gestehe Dir, ich war ganz erstaunt, daß man so viel zum Leben in seiner einfachsten Notwendigkeit braucht. Dieser Hühnerhof erfüllt mir aber zu sehr die Gedanken! Ich fing mit ihm den Brief an, und bin schon wieder bei ihm. Da breche ich lieber ab. – –