Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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37. An Gräfin Schönburg-Wechselburg

Kairo, Dienstag, Februar 20, 1844

Vorgestern Abend, liebe Emy, landeten wir bei Bulak und zogen mit wahrhaft heimatlichen Gefühlen wieder im Hôtel d'Orient ein. Das waren zwei Monate von merkwürdiger Abgeschiedenheit! Europa war wie untergegangen unter meinem Horizont: das mußte ich immer denken, wenn ich den Kanopus aufgehen sah. Hier steigt es wieder auf. Briefe, Zeitungen, Reisende, Landsleute, Bewegung des Gehens und Kommens stellt die Verbindung her, und Kairo scheint mir nicht ferner vom Mittelpunkt des europäischen Lebens zu sein, als Lissabon. O, Sie glauben nicht was das für einen Unterschied macht, ob man Europa mitten in dem unruhigen europäischen Treiben betrachtet oder zwischen den erhabenen Ruinen Ägyptens. Übrigens kann ich Ihnen nicht versprechen, daß meine morgenländische Ruhe mir auch in Europa treu bleiben wird. Hier ist es in der Beziehung wunderschön. Wie viel hundert Meilen im Raum ich seit dem vorigen Sommer durchwandert sein möge, ist dagegen von geringer Bedeutung, daß ich in der Zeit wirklich durch Jahrtausende gepilgert bin; und nicht in Büchern, oder auf dem Papier, oder in Gedanken: nein, in der Wirklichkeit, auf dem uralten Boden, zwischen den ursprünglichen Monumenten. Da rollt die Geschichte sich friedlich auf, wie ein künstlich gewirkter, reicher Teppich, der noch lange nicht unseren Erdball umspannt, und noch viele Millionen Hände nötig hat; und aus den Felsentempeln von Abusambul sieht man mit ruhigerem Interesse dem Treiben der wirkenden Hände zu, als in der Nähe, wo man die einzelnen Fäden des Gespinstes sieht.

Abusambul (Abusimbil, Ipsambul) ist der erste Tempel, wenn man von den oberen Katarakten und Wadi Halfa in Nubien den Nil abwärts fahrt. Zugleich ist er auch einer der ältesten aus pharaonischer Zeit. Die königlichen Namensschilder – die ich mit Wappen, Kronen, Namenszügen und Legenden auf unseren Petschaften oder Siegelringen vergleichen möchte – nennen als Erbauer den großen Sesostris (Remeses III., auch Ramses) dem die Chronologie approximativ seinen Platz um das Jahr 1550 vor unserer Ära anweist. Erbauer ist nicht das richtige Wort, denn der ganze Tempel ist in den Felsen gehauen, in die Steinwand des libyschen Gebirges, das hier unmittelbar ans linke Ufer des Nils tritt. Die Macht der ägyptischen Architektur, welche dem Beschauer den Eindruck einer ungeahnten, einer maßlosen Erhabenheit gibt, liegt in ihren großen, ruhigen, festen Linien, und in der Harmonie ihrer kolossalen Proportionen, welche meistens so glücklich getroffen sind, daß sie nie bedrücken, nie ungeheuerlich sondern majestätisch erscheinen. Die äußeren Seitenlinien der Tempel, der Pylonen, sind immer abgeböscht, dadurch werden sie oben um ein Geringes schmaler als unten, aber das genügt vollkommen um ihnen den Ausdruck von Leichtigkeit, von Aufsteigen von der Erde zu geben, dessen sie bedürfen um nicht wie steinerne Kasten auszusehen. Auch die Fassade dieses Felsentempels hat die Böschung. Vier sitzende Kolosse halten vor ihm an die Wand gelehnt Wache, und durch eine wunderschöne Tür tritt man in die erste Vorhalle, die durch zwei Reihen von vier an Pfeilern stehenden Kolossen in drei Schiffe abgeteilt ist. In der zweiten, kleineren Vorhalle findet dieselbe Abteilung aber nur durch zwei glatte Pfeiler auf jeder Seite statt. Sie führt in ein Vorgemach und dieses in das eigentliche Heiligtum, an dessen Hinterwand vier verstümmelte Götterbilder nebeneinander sitzen. Sehen Sie, liebe Emy, so einfach ist die Anlage eines ägyptischen Tempels, welche nur in Einzelheiten, in Abteilung kleiner Seitengemächer, oder in Anordnung der Vorhalle Abwechslung darbietet. Der allertiefste Ernst bleibt in einem solchen Grade vorherrschend, daß ich mich bis in die Seele hinein feierlich gestimmt fühlte, leise sprach, langsam wandelte. Ernst freundlich blickten die schönen Kolosse auf mich herab, grade so, wie sie auf den großen König Sesostris herabgeblickt haben, als er nach Vollendung des Tempels dem Gott zu huldigen kam, welcher vermutlich Osiris gewesen ist, da seine Gestalt, mit der Sonne über dem Sperberkopf, sich am häufigsten in den Wandbildern wiederholt. Wie Ihr so einsam seid, Ihr alten Kolosse! Der Gott dessen Heiligtum ihr schützt ist dahin, sein Tempel entweiht, sein Dienst gefallen, sein Volk und seine Könige sind Staub; und ihr steht so ruhig da, als ob euch das alles nichts anginge. Seid ihr etwa Symbole der Zeit die alles überdauert? Oder der Hoffnung, die alles überlebt? Oder der Kraft, die alles erträgt? Alles! Sogar den Sturz der alten Welt, und lächelnd und ernst zwischen deren Trümmern auf eine neue herabschaut? – Die Kolosse sind etwas, das nur die ägyptische Skulptur kennt, und sind das Einzige, was sie meisterhaft schön gemacht hat. Die Rossebändiger auf Monte Cavallo sind kolossale griechische Statuen; der farnesische Herkules ist eine kolossale römische Statue. Die ägyptischen Kolosse sind aber nicht sowohl riesenhafte Menschengestalten, als titanische Gedanken und Kräfte, welche das gemeinsame Menschengeschlecht beseelen und nicht dem Individuum besonders angehören. Man hat sie ausgedrückt durch ein edles, regelmäßig schönes Antlitz voll unzerstörbarer Ruhe über einer Gestalt in welcher wiederum die tiefste Ruhe sich ausspricht, indem sie sitzend die Hände auf den Knien, stehend die Arme über der Brust gekreuzt hält, übrigens die Formen nur grade erkennen läßt, mehr andeutet als ausführt. Wie Säulen, wie Pfeiler, wie Felsen erscheinen die Kolosse, stets wie etwas Mächtiges, Unerschütterliches, Gewaltiges, welches der Natur und dem Geist innewohnt, und eben das hat mir die Idee gegeben, daß sie keine Menschen darstellen sollen. Aber die Königskolosse? Werden Sie sagen. Jeder König war »Sohn der Sonne«, und selbst die »Sonne Ägyptens«, ein Symbol unendlicher Gnade, unendlicher Macht: und in dieser Beziehung konnte sein Bild kaum anders, als in der Form des Kolosses wiedergegeben werden. Auf ihren Gürteln tragen die Kolosse von Abusambul die Namensschilder, welche dem Remeses III. gehören sollen. Die Hieroglyphen sind schön und klar gearbeitet, gehoben aus vertiefter Fläche, nicht bloß eingegraben. Die Wandbilder sind ungemein roh. Die äußeren sitzenden Kolosse reichen fast bis zum Fries empor und ruhen auf Sockeln. Der Fries, Gesims und Pfeiler der Eingangstür, die Strebepfeiler zwischen den Kolossen, sind mit reichen Verzierungen von schöner Arbeit geschmückt. Der Baumeister hat ungestört der erhabensten Inspiration folgen dürfen, und nur grade die Darstellung der Götterbilder ist dem gegebenen Typus unterworfen geblieben – was einen wirklich abstoßenden Gegensatz erzeugt. Der ursprünglich freie Platz vor dem Tempel ist sehr durch den Sand verschüttet, welcher über die Felswand herübergeweht ist und sich so an die Fassade gelehnt hat, daß der erste Koloß zur Rechten nur noch grade bis zum Kopf frei ist, der zweite bis zum Gürtel, der dritte bis zu den Füßen, und allein der vierte ganz und gar. Der Eingang und die erste Hälfte der Vorhalle sind auch sehr verschüttet. Von Menschenhand zerstört sind nur die vier Bildsäulen der Götter im Heiligtum; aber kann es wohl ein melancholischeres Schicksal geben, als gegründet zu sein mit der unverbrüchlichen Zuversicht zur Ewigkeit und unterzugehen im wehenden Staube?

Der Tempel von Hamada weist Schilder auf, welche der Dynastie der Thotmoses angehören, und diese ging derjenigen der Remesiden vorher, die man als Gründer der Felsentempel – wer weiß, ob mit Recht? – betrachtet. Dieser Tempel liegt ganz in der Wüste, und ist daher sehr versandet, auch zerstört, denn alle Decken sind eingeschlagen, Schutt und Steine türmen sich auf dem Fußboden, der Portikus welcher aus dreimal vier Pfeilern und vier Säulen besteht, ragt verstümmelt aus dem Sandmeer. Dennoch kann man in die Gemächer dringen, die aus einem Vorzimmer und einem Hauptsaal bestehen, welcher zu jeder Seite zwei Kabinette hat. Die Hieroglyphenarbeit ist ausnehmend zierlich, und feiner koloriert, als ich sie sonstwo gesehen. Zwei niedliche Vögel, den Enten ähnlich, vielleicht eine Ibisart, waren besonders sauber mit Bezeichnung der einzelnen Federn an den Flügeln geschnitten und bemalt, so daß sie ungefähr wie Zuckerwerk an unseren Weihnachtsbäumen aussahen. Überbleibsel von Gemäuer aus ungebrannten Ziegeln vor dem Portikus, deutet auf spätere Benutzung; Spuren einer Schafherde in demselben auf gegenwärtige.

Dem Tempel von Seboa ist es schlimmer noch ergangen: kein Eindringen war uns möglich, bis zum Fries füllt Sand ihn aus, und die Pfeiler seines Portikus ragen nur mit dem Knauf aus diesem vernichtenden Element hervor. Hier zum ersten Mal, wenn man mit Abusambul die Tempelschau beginnt, findet man Pylonen, welche der ägyptischen Architektur ebenso eigentümlich sind, wie die Kolosse ihrer Skulptur. Pylonen sind die majestätischen Eingänge zum Vorhof des Tempels, welche dem ganzen Bau eine unbeschreibliche Würde verleihen. Ich wüßte kein europäisches Triumphtor von solchem Adel und solcher gebieterischen Erhabenheit, wie z. B. die Pylonen von Edfu. In Seboa sind sie nicht von den besten Verhältnissen, überdies zerfallend und geflickt. Eine Allee von Sphinxen bildet den Zugang zu den Pylonen. Innere Sammlung, Macht des Gedankens und sybillinischer Tiefsinn haben wohl nie einen großartigeren Repräsentanten als das Antlitz der Sphinx gefunden. Bloß vom Anschauen wird man ganz ernst, und dadurch zur Stimmung vorbereitet in der man einen Tempel betreten muß. Zwei Sphinxe sind noch ganz unverschüttet, die ersten der Allee neben denen zwei Kolosse an Pfeilern aufrecht stehen. Von vier anderen sind nur die Köpfe frei und vielleicht mögen noch mehrere gänzlich im Sande begraben sein, der sich hier hügelartig bis zum Fuß der Pylonen, wo zwei Kolosse umgestürzt liegen, angesammelt hat.

Der schöne und wohlerhaltene Tempel von Dake ist ein Werk der Ptolemäer; außer verschiedenen Namensschildern stehen auch die von zwei Königinnen, Berenike und Arsinoe, zwischen den Hieroglyphen. Die griechische Hand, unter der alles so wundervoll leicht und klar sich ausgebildet, hat diesen Tempel errichtet, und doch ist er ganz im ägyptischen Charakter – nur nicht finster, sondern ernst; nur nicht schwer, sondern fest; das zu Viel verstanden die Griechen, und nur sie, meisterhaft zu vermeiden, und doch nirgends eine Lücke zu lassen. Durch edle Pylonen tritt man in einen offenen Vorhof, und aus ihm in den eigentlichen Tempel, welcher nach hergebrachter Weise mit einer Vorhalle und mit verschiedenen in der Tiefe sich folgenden Gemächern eingerichtet ist. In einem Seitenkabinett befindet sich eine Treppe; da sämtliche Decken eingeschlagen sind, läßt sich nicht bestimmen ob sie zu oberen Gemächern oder nur auf das Dach geführt habe. – Christliche Zerstörungssucht macht sich hier schon sehr bemerklich. Die Monumente der Pharaonen verfielen dem Religionshaß der Perser, welche im Großen das Zerstörungswerk trieben, und Obelisken stürzten, Kolosse zersägten und sich mehr an die Massen hielten, während die Christen die Einzelheiten zu vernichten strebten, Mauern und Pylonen stehen ließen, aber die Bildwerke ganz mühsam mit dem Hammer ausklopften, dann die Mauern übertünchten und mit den Bildern ihrer Religion bemalten, und den Tempel des Osiris in eine Kirche umschufen. Die Araber warfen später ägyptische, persische und christliche Bestrebungen zusammen über den Haufen, und verbrauchten zu ihren Moscheen was sie an passendem Material in den alten Bauten vorfanden. Und endlich kamen die Türken! Die verwahrlosten nur, ließen umkommen, ließen wegschleppen; – bis Mehemed Ali jetzt das gründlichste Vertilgungsmittel erfunden hat: er läßt Kalk aus den Monumenten brennen. Die Räubereien der Kunstfreunde, die Nachgrabungen und Untersuchungen der Gelehrten für ihre wissenschaftlichen – der armen Bewohner des Landes für ihre geldgierigen Zwecke, helfen treulich der Zerstörung nach; und binnen ein paar Generationen ist stark zu vermuten, daß nur das Unzerstörbare, die Felsentempel und die felsenähnlichen Ruinen von Karnak, den späteren Geschlechtern eine Ahnung von dem urkräftigen Schöpfergeist der Pharaonen geben werden.

Der herrliche Tempel von Kelabsche ist mit wahrem Grimm ruiniert worden und liegt eigentlich halb in Trümmern. Die Pylonen und die Wände stehen, aber die ungeheuren Blöcke der Decken sind eingeschlagen, die acht Säulen des Vorhofs sind bis auf eine einzige umgestürzt und die abermals acht der Vorhalle bis auf zwei. Auf diesen Blöcken und Trümmern muß man herumklettern und man tut es mit wahrer Freude, denn die Hieroglyphenarbeit ist nicht nur ihrer großen Zierlichkeit wegen interessant, sondern auch dadurch, daß an manchen Stellen nur die rote Vorzeichnung auf der Mauer, ganz wie mit Rotstift gemacht, da ist. Nie ist sie ausgeführt worden. Neben diesen Vorzeichnungen, neben einer niedlichen Figur des Horus, der auf einer Lotusblume, dem Attribut seiner Mutter Isis, kauert, schauen starre Heiligenbilder, auch abgekratzt und verwischt von den Wänden herab – was auf die Verwüstung von Kelabsche durch Mohammedaner deutet. Bedenkt man wie z. B. diese Decken gemacht waren, nämlich so daß Steinblöcke aus einem Stück, wie Bretter nebeneinander liegend und von einer Wand zur anderen reichend, sie bildeten: so wird man keine andre Gewalt als die Raserei des religiösen Fanatismus finden, die im Stande wäre dergleichen zu ruinieren. Tritt man aus den Pylonen heraus, so erstreckt sich ein schnurgerader mit großen Quadern gepflasterter Weg bis zum Nil und steigt dort mit einer breiten Treppe bis zu ihm herab. Zu beiden Seiten derselben ist ein Kai von demselben Material ausgeführt um das Abstürzen des Erdreichs zu verhüten. Hierin spricht sich der solide römische Pomp recht klar aus. Hinter dem Tempel erstrecken sich ungeheure Steinbrüche; zwischen ihnen und dem Dorf Kelabsche steigt man zu einem Abhang empor und gelangt zu dem kleinsten, aber vielleicht dem merkwürdigsten aller nubischen Felsentempel. Er besteht nur aus einer Vorhalle, die in der Hinterwand zwei Nischen, jede mit drei sitzenden Figuren hat und dazwischen die Tür zum Heiligtum, in welchem die Bank der vier Götter, aber ohne ihre Statuen sich befindet. Diese Götter sind wahrscheinlich immer Osiris, Isis und Horus, und vielleicht Amon, vielleicht der Gott, der in dem Tempel herrschte, vielleicht die Gründer desselben. Die eigentliche Merkwürdigkeit sind aber die beiden dicken, flach kannelierten Säulen, welche die Decke der Vorhalle unterstützen: dorische Säulen nennen wir sie jetzt; hier im Felsentempel von Kelabsche ist ihre Wiege. Ferner: der Tempel hat keinen anderen Vorhof als den, welchen zu beiden Seiten glatt behauene Felsenwände bilden, die mit großen Darstellungen bedeckt sind; die eine zeigt das Getümmel einer großen Schlacht, Kämpfende, Besiegte, Sterbende, vor allem einen königlichen Helden vom Streitwagen herab kämpfend; die andre, denselben Helden auf dem Thron sitzend, und den Huldigungs- und Tributzug des unterjochten Volks an sich vorüberziehen lassend. Ein Altar mit Speiseopfer steht vor ihm. Tiere aus dem inneren Afrika werden ihm hauptsächlich vorgeführt: Giraffe, Löwe, Tiger, Antilope; ein Mann bringt eine Gazelle getragen; ein andrer führt Affen; noch einer hat Tigerfelle über dem Arm hängen. Ochsen wandeln auch mit. All diese Tiere sind unverkennbar genau. Da nun der große Sesostris Kriege im inneren Afrika führte und die Äthiopier tributpflichtig machte, so schließt man, daß er den Göttern zum Dank diesen Siegestempel errichtet habe. Danaos, der von Ägypten aus Griechenland kolonisierte und Argos gründete, wird von einigen für einen Bruder, von anderen für einen Zeitgenossen des Sesostris gehalten. Zum Glück hat bei diesen beiden Tempeln nicht die geringste Sandverschüttung stattgefunden.

Die ägyptischen Tempel sind weit mehr der Verschüttung durch Sand und der Degradation durch Menschen anheim gefallen, als die nubischen. Jenes brachte ihre Lage mit sich, dieses der Umstand, daß Ägypten bevölkerter ist und ein solcher Tempel einer ganzen Dorfbewohnerschaft bequemes Unterkommen darbietet. Der herrliche Tempel von Kom-Ombos erliegt dem Sande von der einen Seite, und den Unterwaschungen des Nils von der anderen. Wo der Fluß ein scharfes Knie macht und ein hohes, senkrechtes Ufer hat, liegt dieser Tempel, fernhin sichtbar, die ganze weite Gegend dominierend, wie eine Königsleiche zur Schau auf dem Paradebett ausgestellt. Gegen Sonnenuntergang besuchten wir ihn, und die purpurfarbenen Strahlen beleuchteten ihn majestätisch wie Kandelaber einen Katafalk. Später kam der Mond, ließ die schönen Formen noch heller hervortreten, den Ruin noch dunkler zurücksinken, färbte die weite Wüste so weiß wie ein Leichentuch; – dazu das unendliche Schweigen rings umher, und der still dahinfließende ruhige breite Nil zu unseren Füßen: das machte eins der grandiosesten Gemälde, welche diese Reise mir aufgerollt hat. Wie der Tempel selbst ist, werden Sie wissen wollen? Ja, denken Sie nur: die Vorhalle allein steht aufrecht und zwar so, daß die Säulen bis zur Hälfte im Sande begraben sind; die vier Säle, welche ihr folgten, sind bis zum Fries verschüttet, und die Querbalken, Steinblöcke von 20 bis 22 Fuß Länge, herabgesunken. Um ihre Hieroglyphen, ihre Zeichnungen, ihre wohlerhaltenen Farben genau zu sehen, kniete ich auf dem Sande, der bis über die Türgesimse reicht, und fand am Fries ptolemäische, sehr gut gearbeitete Namensschilder. Die Vorhalle, welche stets höher als die innern Säle und Gemächer, und daher auch freier von Verschüttung ist, wird hier von fünfzehn Säulen in drei Reihen getragen. Natürlich haben zwei Türen in der Hinterwand in den ersten Saal geführt. Sie sind verschüttet bis zum Gesims; auf demselben prangt die Sonnenscheibe von Adlerflügeln getragen mit Schlangen zur Seite. Dies Symbol königlicher Herrschaft und Macht, ist unwandelbar über jedem Eingang eines ägyptischen Tempels zu finden: über den Pylonenpforten, über den Toren, über den Türen; man wandelt im Schutz der Majestät, die ein Repräsentant der Gottheit ist. Adler mit ausgebreiteten Flügeln schweben gleichfalls unwandelbar an der Decke der Vorhalle und geleiten gleichsam ins Heiligtum als glückverheißendes Zeichen, während astronomische Bilder und die bekannten Zeichen des Tierkreises, welche die Ägypter erfunden haben, die Seitenabteilungen der Decke verzieren. Es tut mir wahrhaft leid sagen zu müssen, daß Zeichnung und Malerei immer gleich unvollkommen blieben. Himmelblau, apfelgrün und hochrot sind die Adler angemalt, und schweben – Gott weiß wie! Himmelblau bemalt sind auch die Götter, und das abscheuliche Krokodilshaupt grinst widerlich an. Während der Baumeister sich durch die Grundidee der ägyptischen Religion inspirierte, welche aus dem Kultus immer mehr und mehr zu verschwinden scheint, mußten die Bildner dafür sorgen, daß diesem sein Recht werde und daß der undeutbare Gott in der deutbaren Fratze untergehe. Wie Karikaturen, wie Schöpfungen eines Fieberkranken, erscheinen diese Gebilde neben den reinen Schöpfungen der Kunst und des Genies, welche aus diesen edlen architektonischen Linien und Formen uns ansprechen, und der schneidende Kontrast hat etwas tödlich Verletzendes, was mehr das Gefühl als den Geschmack trifft. Denn mit dem Geschmack, liebe Emy, ist's ein wunderliches Ding! – Man wird betört, oder gewöhnt man sich, kurz: als ich vor dem Tempel von Kom-Ombos stand und mir die bunten Malereien an der Corniche betrachtete, dachte ich: Es sieht wirklich nicht so ganz übel aus, sondern blumenkranzmäßig, diese Namensschilder von Adlern und Schlangen unterbrochen!

Nun kommt der Tempel von Edfú. Das ist von allen und allen mein Liebling, denn mir scheint daß kein anderer von dieser klaren harmonischen Vollendung sei. Er hat nicht die bestechende Lage von Kom-Ombos; ach nein! Hinter dem Dorf Edfú liegt er, an der Grenze der Wüste, ungefähr eine halbe Stunde vom Nil, und ein ganzes Dorf mit dem vollen, kolossalen Schmutz einer arabischen Einwohnerschaft, mit Ziegen-, Hühner-, Esel-, ja ich möchte sagen mit Menschenställen, hat sich sehr bequem und ungestört auf dem flachen Dach des Tempels angesiedelt. Das ist hübsch fest und glatt, das gibt nicht nach wie der Sand; da sind vortrefflich Hütten drauf zu bauen. Was existiert und sichtbar ist will ich Ihnen sagen. Die herrlichen Pylonen des Eingangs, wohlerhalten, nur am Fuß mit Sand und Geröll beschüttet, über siebzig Fuß hoch, die volle Breite des ganzen Baues einnehmend. Durch sie tritt man in einen freien großen viereckigen Hof, den zu jeder Seite ein Portikus von sechzehn Säulen umläuft, während den Pylonen gegenüber die große bedeckte Vorhalle von achtzehn Riesensäulen in drei Reihen getragen, deren erste Reihe durch eine Wand in halber Höhe geschlossen ist, in unangetasteter Größe sich erhebt. Zwischen den Mittelsäulen ist der Eingang, und ihm gegenüber in der Hinterwand öffnete ein ungemein edles Portal die inneren Gemächer. Sie sind gänzlich verschüttet; aber die äußere Wand läßt wenigstens auf vier schließen. Von der einen Seite kann man zwei Drittel des ganzen Baus umgehen, der eine Umfangsmauer gehabt hat, welche sich hinterwärts an die Pylonen schließt. Von der andern Seite ist Sand und Schutt angehäuft, um zum Dorf auf dem Tempeldach zu gelangen. Da geht man über der Mauer, während man dort in dem freien Gang zwischen Tempel und Mauer geht, und die Bildnereien betrachten kann, mit denen sie im Übermaß ausgestattet sind. Opfer und immer Opfer! Eins, welches an die Votivbilder in den katholischen Kirchen erinnert, nämlich ein Auge das dem Osiris dargebracht wird. Dann kleine Schalen in denen Nachbilder des Tempels stehen – wie man auch ähnliches bei heiligen Bischöfen mit den Modellen der von ihnen erbauten Kirchen sieht. Finden Sie es nicht unbeschreiblich interessant denselben Gedanken bei den verschiedensten Völkern und Zeiten zu begegnen? Dadurch wird nur die Vergangenheit gegenwärtig und lebenswarm, und verliert gänzlich den Modergeruch des Todes. Das herrschende Namensschild gehört dem Ptolemäus Philometor, der im Jahr 145 vor unserer Ära starb. Edfú wird von den alten Autoren Apollinopolis Magna genannt, was auf den Tempeldienst des Re oder Phre – den ägyptischen Gott der Sonne – zu deuten wäre. Indessen scheint Isis die herrschende Göttin zu sein, denn in den sechzig Wandbildern der großen Vorhalle empfängt fast nur sie die Ehren der Opfer. An der Vorderseite der Pylonen macht sich eine Darstellung höchst possierlich. der siegende Osiris, ungefähr 20 Fuß hoch, gespreizt und steif, schreitet wie mit Siebenmeilenstiefeln über seine ganz kleinen Feinde hinweg, und schwingt dazu wutentbrannt statt der herkulischen Keule ein Instrument von Größe und Form eines Eßlöffels.


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