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36. An meinen Bruder
Wadi Halfa, Montag, Januar 22, 1844,
auf dem Nil
Wenig Europäer, mein lieber Bruder, bekommen Briefe von ihren Schwestern aus Wadi Halfa, oder Halfo; in letzterem Fall muß es Halfu ausgesprochen werden. Du sollst einer dieser Bevorzugten sein. Jetzt bin ich innerhalb der Wendekreise, bei den zweiten, den großen Katarakten des Nil, das weiß ich, und an der südlichen Grenze von Nubien. Welche Länder und Völker aber hier meine Nachbarn sind, das weiß ich nur ganz unbestimmt, denn ich habe keine Karte, kein Buch, gar nichts über Nubien bei nur, und so kann ich Dir über meine Nachbarschaften nur sagen, daß achtzehn Tagesreisen zu Kamel mich nach Dongola bringen würden und abermals achtzehn nach Sennar; und daß Kordufan und Darfur in noch größerer Entfernung sich ausbreiten. Nach Kamelmärschen rechnet man hier zu Lande, und zwischen den Wilden nimmt man halbwilde Gewohnheiten an. Diese Länder sind Königreiche der Schwarzen; Darfur ist jetzt von Mehemed Ali erobert und unterworfen, und Achmed Pascha hatte dort im vorigen Herbst einen Unabhängigkeitsversuch gemacht, und ist gestorben. Kordufan und Sennar sind auch erobert und Mehemed Ali besitzt diese Länder zu Lehn von der hohen Pforte. Es muß unerhört schwierig sein bei dieser großen Entfernung und mehr noch bei diesem Mangel an Kommunikation eine Art von Herrschaft über wilde Völker zu üben. Truppen, Munition, alle Bedürfnisse einer Armee müssen durch die Wüste. Ich möchte Dich orientieren über Land und Ort wo ich mich in diesem Augenblick befinde, darum erwähne ich meine schwarzen Nachbarn, mit denen ich übrigens nicht den geringsten Verkehr gehabt habe, da sie alle jenseits der Wüste wohnen. Nubier sind keine Neger, und sehen besser aus; aber die Nubierinnen wetteifern mit den Negerinnen an Häßlichkeit, und sind wirklich dazu geschaffen einem für immer Widerwillen gegen das schöne Geschlecht in Afrika beizubringen. Sie flechten das Haar, vermutlich einmal im Leben, in zehntausend kleine Zöpfe und pomadieren diese ab und an wenn sie übermäßig struppig werden mit Butter, welche nicht den Parfüm unserer Pomaden und Öle besitzt. Diese Zöpfe bäumen sich förmlich wider einander auf; dazu die breiten blaugefärbten Lippen, der klaffende Mund, die grell weißen großen Zähne, die rollenden Augen – der Affe ist fertig! Dennoch, sobald ein Mann diese Damen ansieht, ziehen sie ihren Schleier vor das Gesicht um ihm nicht den Anblick ihrer Schönheit zu gönnen, oder um den Gemahl nicht eifersüchtig zu machen. Es ist mir unangenehm von so garstigen Frauenzimmern umgeben zu sein, darum klage ich es Dir. Sonst habe ich nichts zu klagen.
Wir sind gestern Morgen hier angekommen, höchst sicher und ungefährdet, und bald darauf ließ der Gouverneur seinen Besuch anmelden – wurde aber nicht angenommen. Ich verstehe nicht durch den Dolmetsch zu sprechen. Das klingt albern; doch versichre ich, daß ich eher auf meine eigne Hand eine lange Rede halten, als in dieser Weise nur drei Worte sagen kann. Für den Araber ist das gar nichts; er füllt die Lücken die durch dies Hin- und Herreden entstehen mit tiefen Zügen aus der vortrefflichen Pfeife und wartet gelassen. Wadi Halfa ist ein langer, schmaler Palmenwald am rechten Nilufer, in welchem hie und da zerstreute Häuser liegen. Das des Gouverneurs liegt zwischen der dichtesten Bebaumung und besteht, wie alle übrigen, aus einem Viereck von Lehmmauern, die den inneren Hof umgeben. Ein kleiner weiß übertünchter Erker mit zwei Fenstern über der Eingangstür, zeichnet es bedeutend aus; denn Fenster sind selten hier zu Lande, wo man im Freien oder wenigstens bei offenen Türen lebt, also Licht und Luft vollauf hat. Für die Eingeborenen hat das nichts Unbequemes; für uns wohl. Jetzt zum Beispiel bei einem plötzlich eingetretenen schneidenden Nordwind ist die glasfensterlose Barke höchst unbehaglich. Sie hat nur kleine hölzerne Schiebefensterchen, mit gehörigen Ritzen und klaffenden Spalten, so daß es unmöglich ist sich gegen den Wind zu schützen ohne sich wie in einem Kasten einzusperren, und auch dann pfeift er als Zugwind hindurch. Diese Barke ist übrigens ebenso eingerichtet wie die, welche wir in Assuan gelassen haben, nur viel kleiner und leichter; elend gebaut, nicht angestrichen, daher wimmelnd von Ungeziefer; kläglich betakelt, alle Taue sind geknüpft; ohne Anker. Indessen sind wir doch glücklich hergekommen. Wir müssen für die Fahrt im Ganzen 1200 Piaster zahlen, was wohl sehr viel ist, da sie vierzehn bis achtzehn Tage zu dauern pflegt, also nur einen halben Monat ungefähr, und da die Bemannung nur aus zehn Leuten besteht. Tische, Stühle, Sofapolster haben wir überdies aus unsrer anderen Barke mitbringen müssen. Der Eigentümer zahlt dem Reis für die ganze Fahrt nicht mehr als dreißig Piaster und jedem Matrosen fünfzehn. Sollte sie grade fünfzehn Tage währen, so hat der Matrose täglich zwei Silbergroschen verdient. Höher ist auch nicht der Tagelohn des Fellah. – Du siehst also lieber Bruder, daß ich jetzt eine Flotte und dreißig Mann in meinen Diensten habe. Das Reisen im Orient ist ganz dazu gemacht um der unbedeutendsten Person einen Anschein von Wichtigkeit zu geben. Heute früh ritten wir zu den Katarakten. Nachmittags wollten wir die Rückfahrt antreten, waren aber nur im Stande bis zum linken Ufer zu kommen, wo wir wenigstens unter dem Winde liegen. Der Sturm aus dem Norden ist uns grade entgegen und nicht zu überwinden durch unsre acht Ruder, die, um kräftiger wirken zu können, auf einer Art Armlehne ruhen, welche horizontal aus dem Rande der Barke herausgreift. Und so bin ich jetzt auf einem Fluß, wo das Fahren stromab ebenso große Schwierigkeiten hat, als stromauf. Da ich ihn von Kairo bis zu den großen Katarakten befahren habe, so will ich Dir doch ein paar Worte über das Land sagen, das ich vom dreißigsten bis zum zweiundzwanzigsten Grad in ziemlich gerader Richtung, wenn auch mit unendlichen Windungen, durchschifft habe. Ich fange aber nicht unten bei Kairo, sondern hier oben an, weil ich dann mit dem Strom gehen kann und sein rechtes Ufer auch zu meiner Rechten habe. Übrigens ist es besser mit dem Chaos zu beginnen und mit der Ordnung zu enden, als umgekehrt – und das Chaos habe ich heute früh gesehen.
Wir setzten ans linke Ufer über, wo ein schmaler Saum von Bohnenfeld und wenig kleine Hütten eine ärmliche Ansiedelung bilden, und ritten vom Fluß ab, schräg durchs Land um die große Krümmung abzuschneiden, die er ober Wadi Halfa macht, ungefähr anderthalb Stunden weit. Das Land bedeutet hier die Wüste, und diese ist so beschaffen, daß aus ihrem gelbbraunen Sande schwärzliche Kalksteinblöcke aufsteigen. Ringsum nicht die geringste Spur von Vegetation. Kadaver von Kamelen in allen Stadien der Auflösung zeigen an, daß hier die große Karawanenstraße nach Dongola geht. Eine schrankenlose Ebene breitet sich ungestört aus; die Wellungen des ungleichen Sandbodens, die Felsblöcke, die Berg- oder Felsspitzen, die am Horizont weiß der Himmel aus welcher Ferne auftauchen, machen auf dieser Fläche nicht den geringsten Unterschied. Mir war als könnte ich bis ins Herz von Afrika hineinsehen. Endlich nähert man sich wieder dem Nil, die Felsblöcke schieben sich etwas dichter zusammen, man steigt ab und erklimmt eine schroffe Klippe – von dort hat man den Blick über die großen Katarakte. Wie soll ich's anfangen um Dir ein Bild von ihnen zu entwerfen? Vor allem ist notwendig, daß Du die gewöhnliche Vorstellung von einem Wasserfall gänzlich fahren läßt, und daß Du ebensowenig an die niedlichen Kaskatellen von Tivoli denkst. Stelle Dir vielmehr vor: Du stehst auf einer Klippe, und Tausende ähnlicher Klippen, bald hoch bald flach, hier ein Block dort ein Fels, sind südwärts wie schwarze Inseln in das große Sandmeer der Wüste bis an den Horizont gestreut; aber nicht Sand umgibt sie, sondern Wasser, ein breites, form-, ufer- und regelloses Wasser, das sich wild und rasch wie es eben den Weg findet um sie herum drängt und tummelt und wohl noch eine Stunde abwärts in gleich unruhiger Weise fließt. Bei Wadi Halfa hören die Inselblöcke und somit auch die Hemmungen auf; da sammelt sich das Wasser, und wird in seinem bestimmten Bett zum Fluß. Bei den Katarakten glaubte ich nicht einen Fluß zu sehen; aber auch keinen See, denn dazu ist wiederum kein Wasserspiegel vorhanden; sondern eben nur ein wüstes Wasser, das kommt – man weiß nicht woher! Das geht – man weiß nicht wohin! Das in der ungeheuren Fläche durch nichts als durch eine geringe Senkung des Bodens bestimmt wird von Süden nach Norden zu strömen, und das im Osten und Westen von der Wüste gleichsam überwältigt und gezwungen wird recht in sie hinein zu verfließen. Aber scharf bestimmt und begrenzt, aber mit Kleid und Färbung angetan ist hier nichts. Es herrscht die graue Einförmigkeit des Chaos und seine düstre Konfusion. Selten kommen Reisende hieher; die spärlichen Namen auf dieser Felsenklippe eingegraben bewiesen es. Einen Frauennamen trug sie noch gar nicht; der meine ist der erste. Engländerinnen mögen indessen doch schon da gewesen sein; doch eine Deutsche gewiß nicht. Die meisten Reisenden die nach Nubien kommen um die Tempel zu sehen, kehren bei dem von Abusambul, eine Tagesreise von Wadi Halfa um, und nur die wenigsten gehen bis zu den großen Katarakten. Reizend sind sie auch keineswegs, merkwürdig sehr. Ich habe nie irgend etwas gesehen, das ich mit dieser – – wie soll ich's nennen? Landschaft, Natur? – vergleichen möchte, und die kleinen Katarakte von Assuan sind nur ihre variierte Wiederholung. Bei Kartum im Sennar nimmt der Nil, der dort der weiße Fluß heißt, den blauen Fluß auf, und tiefer abwärts noch einen, den man Artuboras nennt; aber dann keinen mehr! Bis zu seinen Mündungen nicht das geringste Flüßchen, nicht den kleinsten Bach; daher ist es mir vollkommen unbegreiflich, wodurch er später so breit wird, daß er an manchen Stellen wie ein See aussieht. Außer den jährlichen Anschwellungen, die ihn regelmäßig steigen und fallen machen, empfängt er keinen Zuwachs an Wasser und wächst dennoch – der rätselhafteste Strom, dessen ganzes Leben, von seinen unbekannten Quellen, angeblich im Mondgebirge, geheimnisvoll ist. Interessant macht ihn das, und verleiht ihm einen besonderen Reiz; doch nicht Schönheit.
Die Abende auf dem Nil – Stürme natürlich abgerechnet, die in diesen Regionen ungefähr unser nordisches Schneetreiben vertreten – sind die schönsten, die ich erlebt habe. Am Tage ist es so heiß, und die brennenden Sonnenstrahlen reverberieren so scharf auf dem Wasser, dem Wüstensand, den Kalkgebirgen, daß man nicht gern die Kabine verläßt. Gegen Abend kommt man heraus, legt sich ein paar Stunden auf den breiten Sofa, und atmet die leichte, linde, frische Luft ein. Die Sonne sinkt hinter das libysche Gebirge, das dunkelblau wie Email im Schatten liegt, während die Lichtstrahlen auf dem arabischen wie auf einem Prisma spielen, und es mit Farben von Blumen, Schmetterlingen, Edelsteinen schmücken. Wie große flammende Rosen liegen einzelne Massen da; wie Ketten von Amethyst in goldner Fassung, die langgestreckten. Die stillen Wasser spiegeln getreu die schönen Gebilde zurück, nur mit einem leichten Florschleier überhaucht. Frühlingsduft erfüllt die Atmosphäre; Rübsamen-, Bohnen-, Lupinien-, Wicken-, Baumwollfelder stehen in Blüte; Weizen und Gerste sind armlang; Akaziengesträuch mit lilafarbenen und blauen Schlingpflanzen durchflochten, auch andre Gebüsche, die ich nicht kenne, umgeben die Wasserräder, Sakieh genannt, welche ununterbrochen die Felder bewässern, oder wachsen auf ihre eigene Hand am Ufer, da wo es nicht bebaut ist. Frühlingsatem müßte ich eigentlich diesen unbestimmten, balsamischen, erquickenden Geruch nennen, den unsre Felder und Wälder auch in der schönsten Zeit unseres Jahres, im Juni aushauchen. Die wilden Tauben wiegen sich auf Palmenzweigen, oder gurren und lachen lieblich neckend wie fröhliche Mädchen aus den Gebüschen. Wasservögel sitzen geschart beisammen auf den Sandbänken, marmorweiße hier, rabenschwarze dort, und zirpen oder schnurren ihr eintöniges Abendlied, das sie vom einförmigen Geplätscher der Wellen, zwischen denen sie leben, gelernt haben. Ein großer Reiher fliegt zuweilen über die ganze Breite des Flusses, oder ein Pelikan, der mit schwerem Flügelschlag nach irgend einem Fisch untertaucht. Ist die Sonne gesunken und das Abendrot verglimmt, so beginnt zuweilen im Süden ein zweites Abendrot dunkler und weniger flammend als das erste aufzugehen, und die erblaßten Berge noch einmal rosig zu schminken. Inzwischen sind auch die ersten Sterne aufgegangen: die himmlische Venus als Abendstern, schöner als irgend ein andrer, die Sonne des nächtlichen Himmels; der kühne Jäger Orion steigt langsam über das arabische Gebirg herauf. Später, im tiefen Südost der Kanopus, den man bei uns und ich glaube in ganz Europa, niemals sieht. Dann fährt man dahin wie zwischen zwei Himmeln. Das Silberband des Nils ist in ein dunkles Firmament voll sanft zitternder Sterne verwandelt, während die da oben groß und ruhig wie gute Geisteraugen aussehen, und gar nicht das bittre Geflimmer haben, als ob sie vor Kälte zittern und beben, wie in unseren Winternächten wenn sie recht klar sind. Sie brauchen hier auch nicht zu frieren, denn unsere Juliabende mögen schwerlich wärmer sein, als die januarischen in Oberägypten und Nubien. An den Ufern ist es noch lange lebendig. Feuer flammen in den Dörfern auf und der Platz des Herdes ist vor der Tür. Die Schaf- und Ziegenherden werden blökend heimgetrieben, Hunde bellen, Esel schreien, Kinder jauchzen, die Sakieh dreht sich knarrend. Am Schaduff singen die Männer taktmäßig indem sie die Schöpfeimer im Nil füllen und in die Rinnen leeren, welche das Wasser weiter führen. Gesänge der einzelnen die aus den Feldern heimkehren, laute Gespräche und Rufe schallen weithin. Die Araber reden miteinander von Barke zu Barke, vom Ufer zum Nachen, ich glaube wirklich von Dorf zu Dorf, so lange nur die Stimme erschallt – dermaßen gesprächig sind sie, und immer in einem Ton, der mir wie dröhnendes Geschrei vorkommt. In irgend einer einsamen Barke wacht ein Mann und vertreibt sich die Zeit und den Schlaf indem er die Darabukah schlägt, deren dumpfer Ton mich immer an die spanische Gitarre erinnert, die auch so nachlässig und im Grunde tonlos klingt, obgleich die Instrumente selbst nicht die mindeste Ähnlichkeit haben. Endlich wird es still allüberall, und kühl auf dem Wasser. Dann geht man wieder in die Kabine und trinkt Tee. – Weht der Nordwestwind scharf, der mich so lange ich in Ägypten bin kaum einen Tag verlassen hat, und der bei der Nilauffahrt ebenso günstig war, als er jetzt bei der Niederfahrt hemmend ist, dann steht es freilich übel um die abendlichen Vergnügungen, und das unbehagliche Gefühl in alle Mäntel gewickelt zu sitzen und dennoch frieren zu müssen, gesellt sich zu dem Unbehagen, welches Langeweile und Ungeduld erzeugen.
Montag, Januar 29, auf dem Nil
Nachdem wir sechsunddreißig Stunden wie angenagelt in der Nähe von Wadi Halfa blieben, immer fortzugehen versuchten und immer ans Land getrieben wurden, fiel der Sturm und unsre tüchtigen Nubier mit ihren großen Rudern überwanden den Wind. Ich habe alle Tempel gesehen, die sehr bequem für die Reisenden nahe am Fluß liegen, so daß man nur kleine Spaziergänge zu machen hat; und gestern mittag, grade vierzehn Tage nach unserer Abfahrt, sind wir wieder in Assuan angelangt. Von der alten Barke habe ich freudig wie von einem Palast Besitz genommen, so geräumig, bequem und sauber ist sie im Vergleich zur nubischen: aber der alten Mannschaft sind wir zu früh wiedergekommen. Sie tut was sie kann um die Fahrt zu verlängern, gab gestern abend, als wir fortgehen wollten, Wind vor und ging erst heute Morgen, rudert so gut wie gar nicht – – das wird eine schreckliche Fahrt bis Kairo werden! Immer Zank, immer Drohung und Widersetzlichkeit! Dies Volk ist wirklich für den Kurbatsch geboren; so heißt eine Reitgerte von Rhinozerusleder. Wenn der Reis und der Steuermann eine tüchtige Bastonade bekämen würden sie dienen wie es sich gehört. Gegen solche Mittel sträubt sich ein europäisches Herz; darum wird man auch immer diesen Leuten gegenüber den Kürzeren ziehen. Du siehst mein lieber Bruder, daß eine Nilreise ihre tiefe Schattenseite hat. – Aber ich gehe wieder zu den großen Katarakten zurück von denen ich auslaufen wollte um Dir flüchtig Land und Leute zu skizzieren. Letztere scheinen viel ernster als die Araber, schweigsamer; unsere Matrosen dachten nicht an Musik und Tanz; in den Dörfern lief uns nicht die ganze Bevölkerung nach; man schaute wohl hin nach den Fremden – mehr nicht! Weiber, schwarz und dürr wie Parzen, blieben vor ihren Hütten sitzen, schwarze Schafwolle an der Spindel spinnend. Männer in blauen Hemden, große weiße Shawls mit rotem Saum um Kopf und Schultern geschlungen, und durch ihre scharfen Züge und ihre harte Drapierung frappant wie Michelangelos Sybillen aussehend, blieben auch bei ihrem geselligen Geschäft, der Pfeife, im Kreise hocken. Alle Kinder sind völlig nackt; die Weiber sehr verhüllt in schleppende schwärzliche Gewänder und Schleier von unsauberem Aussehen, aber dennoch mit Firlefanz von bunten Perlen etc. überhängt; die Männer gut gekleidet. Bei der Arbeit werfen sie ihr langes blaues oder weißes Hemd und ein kleines welches sie darunter tragen ab, der Hitze wegen, und behalten kurze halbweite Beinkleider nur an, die von den Hüften zum Knie reichen, und auf dem Kopf trotz der blendenden Sonne nichts als die kleine glatte, enganliegende, weiße Mütze, die schon in Ägypten fast allgemein beim Fellah den roten Tarbusch verdrängt hat und in Nubien ganz. Die Nuancierung dieser weißen Mütze Dir auszumalen überlasse ich Dir selbst. Wer nicht arbeitet hat häufig einen Turban um sie gewickelt und das sieht natürlich sehr viel besser aus. Will jemand von einem Ufer zum andern hinüber, so legt er sich mit der Brust auf einen mit Luft gefüllten Schlauch, und erleichtert sich dadurch das Schwimmen. Seine Kleider trägt er zu einem großen Turban um den Kopf geschlungen und seine Lanze als kolossale Nadel durchgesteckt. Es sieht höchst originell aus. Sie treiben in dieser Weise schwimmend, mit fürchterlichem Geschrei und Schlägen schwimmende Kamele, denen dies ein Greuel ist, durch den Nil. Kleine leichte Nachen, die ein Mensch regiert, habe ich nicht gesehen. Bei dem Dorfe Dörr lief eine große Barke vom Stapel. Die Weiber jauchzten den Zugharit so prächtig, daß er in der Ferne wirklich wie ein Posaunen-Tremolo klang, und die Männer taten Freudenschüsse, die im libyschen Gebirg ein majestätisches langes Echo weckten. Wo wir anlegten bot man uns Milch, Hühner, Eier, getrocknete Datteln zum Kauf. Letztere waren ganz schlecht, weil alle Orientalen, von Konstantinopel an, den unbegreiflichen Geschmack haben die Früchte unreif zu essen; die Milch außerordentlich gut und von Kühen, während man sich in Ägypten meistens mit Ziegen- oder Schafmilch begnügen muß – doch vielleicht auch nur in diesem Jahr, weil unter den Rindern eine Seuche geherrscht, die sieben Achtel weggerafft hat; daher war auch in Kairo das Rindfleisch zu essen verboten. Bei den Hühnern übte man die kleine Industrie sie mit Luft aufzublasen um den mageren Dingern eine trügerische Fülle zu verleihen – einen Kunstgriff den der Dragoman kannte. Übrigens herrscht die größte Harmlosigkeit im Verkehr mit den Fremden, während sie unter sich von Dorf zu Dorf ihre blutigen Fehden haben. Einmal rief ein Mann vom Ufer aus unsre Barke an: ob wir keinen Arzt an Bord hätten. – Nein! Aber weshalb? – Sie hätten um eines geplünderten Bohnenfeldes willen ein andres Dorf überfallen, vier Menschen mit Flintenschüssen verwundet, und dabei hätte einer der ihrigen auch einen Schuß in den Leib bekommen, woran er vermutlich sterben müsse. – Das tat uns sehr leid, aber wir wußten ihm nicht zu helfen.
Das Land ist zuweilen gut und reich bebaut und bebaumt, und zuweilen tritt die Wüste dermaßen an den Fluß heran, daß sogar der kleine Saum von Bohnenfeld verschwindet, und statt seiner wildwachsendes Gesträuch auf den dünenartigen Sandhügeln wuchert. Manchmal sind die Ufer, ohne felsig zu sein, dennoch so hoch, daß der Nil sie nicht überschwemmen kann; und manchmal senken sich hohe kahle blendende Felswände steil in ihn hinein. In eine solche Wand ist das Königsgrab von Abahuda, sind die beiden Tempel von Abusambul, sind andere Gräber des Djebbel Ibrahim gehauen. Große Dörfer wie Wadi Halfa, Dörr, Kurusko, Kelabsche, und andere deren Namen ich nicht weiß, sehen besser aus als irgend welche im Orient, sind fest gebaut, mit Palmen durchwebt, von weiten grünen Feldern umgeben, die zahlreiche Sakiehs wässern. Das Haus des Scheikh-el-Beled (Ältester vom Dorf) welcher Ortsvorsteher ist und für Ordnung bei Ablegung der Abgaben zu sorgen hat zeichnet sich besonders aus, indem das gewöhnliche Viereck sehr geräumig und mit zwei pylonenartigen Türmen in der Diagonale versehen ist. In diesen wohnt die Familie; das Mauerviereck umschließt nachts die Herde. Anfangs und in der Ferne hielten wir diese Gebäude für Tempelreste in Wohnungen verwandelt; aber nein! Man ahmt in Lehm nach, was man aus Stein gebaut sieht, und da es hier nie regnet so genügt er dem Bedürfnis. Andre Dörfer sind wieder so miserabel mit ihren Hütten die wie zerfallene Backöfen aussehen, und mit ihrer kläglich kahlen Lage auf sandiger Fläche oder am sandigen Hügelabhang, daß man sie für verlassen halten würde, wenn man nicht Menschen zwischen ihnen gewahrte. Im Hinauffahren, und bei solchen armseligen baum- und felderlosen Dörfern vorbeikommend, konnte ich gar nicht erraten, wovon die Einwohner lebten, wenn sie nicht verständen wie die Strauße Kieselsteine zu speisen. Herabfahrend und täglich ein oder mehrere Male ans Land gehend, entdeckte ich es denn doch. Die Dura-Ernte ist nämlich schon gemacht, denn sie wird im August gesät, muß unter dem Überschwemmungswasser keimen, und reift bis zum Winter; ihre gelben Stoppeln unterscheiden sich nur in der Nähe vom gelben Sand. Dura ist eine Hirseart, und den Nilländern das, was bei uns die Kartoffel dem gemeinen Mann ist. Durabrot, gedörrte Dura, sind tägliche Kost, die mit Zwiebeln, Knoblauch, getrockneten Datteln gewürzt wird. Ohne dies Gewürz finde ich sie sehr gut; das Brot schmeckt wie unser Roggenbrot nur leichter, und das entsetzliche, schwarze, feuchte, saure, welches der gemeine Mann bei uns ißt kann gar nicht damit verglichen werden. Das schmale Bohnenfeld am Ufer fehlt nie in der Nachbarschaft eines Dorfes. Einige graubestaubte Palmen entdeckten sich hinter einem Hügel, und zuweilen hatte ich sogar die große Überraschung, jenseits des Dorfes ein tiefer liegendes Weizen- oder Gerstenfeld zu gewahren, wohin eine Sakieh oder ein Schaduff Wasser sendete. Der kleine Bewässerungsgraben, den sie alimentieren ist häufig nicht größer als eine tiefe Furche, und ich habe ihn gesehen wenigstens fünfhundert Schritt schnurgerade durch die Wüste laufen bis zu einer Senkung des Bodens, wo man ihn mit vielen waagrechten Rinnen ausgehen läßt und dadurch ein fruchtbares Erdreich erzwingt, das den prachtvollsten Weizen trägt. Zuweilen wird ein ganz kleines Kanälchen – wie Kinder sie im Spiel graben und dann die Gießkanne voll Wasser darin leeren – abgeleitet und ein Gemüsebeet, ellenlang und breit, damit umzingelt. Dann liegt so ein winziges grünes Fleckchen einsam da und prosperiert vortrefflich. Ich sehe doch schon seit Monaten die frappanten Kontraste der Kultur und der Wüste, aber immer bin ich neu davon ergriffen und voll Bewunderung dessen, was der Mensch bewerkstelligen kann, wenn er Mühe, Arbeit, Ausdauer und augenblickliche große Kosten nicht scheut.