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33. An meine Mutter
Auf dem Nil, Dezember 22, 1843
Jetzt schwimme ich dahin – weiß Gott wie lange! Weiß Gott wie weit! Vielleicht bin ich bei den ersten Katarakten der Wasserfahrt überdrüssig und beschränke mich auf Ägypten, vielleicht bin ich es nicht, und gehe durch ganz Nubien bis zu den zweiten. Hinter denen liegen die schwarzen Königreiche und die locken mich nicht. In welcher Weise ich die Reise mache will ich Dir nun beschreiben, meine Herzensmama. Dampfschiffe hat der Nil von Kairo aufwärts nur für die Regierung, und Mehemed Ali hat sie bauen lassen. Der Verkehr des Handels und der fremden Reisenden ist nicht lebhaft genug um sie notwendig zu machen. Segelbarken in verschiedenen Größen und Formen dienen zum Transport von Waren und Menschen zwischen Assuan und Alexandrien, stromauf und stromab, und diejenigen deren sich die Fremden gewöhnlich bedienen heißen Dahabieh. Bei Bulak, das der Hafen von Kairo ist, liegen eine große Menge, und es war schwer genug eine passende zu finden, denn die kleinen sind sehr unsicher und die großen sind sehr schwer. Ein paarmal ritten wir nach Bulak um mehrere zu besehen und endlich nahmen wir eine der größten, die daher auch recht bequem ist und verhältnismäßig sicher geht. Ganz sicher kann man wohl nicht behaupten, denn all diese Barken sind ohne Kiel gebaut, und haben zwei lateinische Segel von denen das große fünfzig Fuß hoch sein mag und aus einem einzigen Stück, also schwer zu regieren ist; kommt ein plötzlicher in dieser Jahreszeit nicht seltener Windstoß, so kippt die ganze Maschine um. Natürlich schwört der Eigentümer, daß das bei der seinen unmöglich vorfallen könne, und wirklich scheint sie mir zu breit zu sein. Er mußte sie in Reisestand setzen, von Innen und Außen mit Ölfarbe anstreichen und die Kabine mit Tischen, Stühlen und Sofapolstern versehen; endlich sie bemannen und zwar mit einer förmlichen Schiffsmannschaft von achtzehn Leuten, den Reis (Kapitän), den Steuermann, den Schiffsjungen inbegriffen. Diese formidable Mannschaft soll hier nötig sein. Schiffskundige Völker wie die Engländer und Holländer, würden mit einer solchen um die Welt fahren. Der Preis der Barke in diesem Zustand ist monatlich 3.000 ägyptische Piaster, ungefähr 300 Fl. Ein Monat muß immer ganz bezahlt werden, und bliebe man auch nur drei Wochen unterwegs. Später wird es nach Tagen berechnet. Vor zwölf bis fünfzehn Jahren ist der Preis nicht höher als 900 Piaster und darunter gewesen; jetzt ist der niedrigste 2000. Die Besitzer der Barken machen gute Geschäfte dabei, denn die Löhnung der Leute ist gering; der Matrose bekommt täglich zwei Piaster (vier Silbergroschen), der Steuermann drei und der Reis vier. Bevor wir abreisten wurde in Gegenwart des österreichischen Konsuls, des Besitzers und des Reis ein schriftlicher Kontrakt über die gegenseitigen Leistungen abgeschlossen, worin unter anderem ausbedungen ist daß immer ein Matrose bei dem großen Segel sitze und dessen Tau halte: so wichtig ist dessen Bewachung. Auch der Ballast muß ausbedungen werden, sonst nimmt der Reis gar keinen um leichter zu gehen, was die Unsicherheit der Barke vermehrt. Der unsre wollte es durchaus nicht, und hielt uns anderthalb Tage hin; erst gestern nahm er einige Steine, doch bei weitem nicht hinreichend.
Am achtzehnten mittags zogen wir mit unserer vollständigen Reisebagage ab, und mit Provisionen an Zucker, Kaffee, Wein, Wachslicht, Reis, Makkaroni auf zwei und einen halben Monat. Ein neuer und wohlgefüllter Hühnerkorb fehlte nicht. Die innere Einrichtung ist im Vergleich zu Syrien höchst luxuriös; die Eisenbleche, auf die der Dragoman aus Furcht sie bei dem ewigen Aus- und Einpacken zu beschädigen oder zu verlieren so dringend bestand, daß wir sogar mit eisernen Messern und Gabeln essen mußten, haben sich in englisches Steingut und in silberne Couverts verwandelt. Letzteres macht mich ganz glücklich! Ihre Entbehrung war mir die unangenehmste auf jener Reise. Auf der Barke kommt nichts abhanden; der Reis ist verantwortlich für Großes und Geringes. Die Kabine erinnert auch, aber im verbesserten Stil, an das Zelt; sie zerfällt in drei Gemächer, ein jedes mit Sofas zu beiden Seiten und einem Tisch in der Mitte. Die Sofakasten sind niedrige Schränke, in denen man Koffer, Körbe, Vorräte etc. verwahren kann. Wer sich zu beschränken und einzurichten versteht, wie ich das schon einigermaßen gelernt habe, befindet sich ganz erträglich; wer die Gewohnheit hat zehntausend unnütze Sachen mitzuschleppen, lebt in greulicher Unordnung. Unter dem großen Mast steht der Herd von einigen großen Kisten flankiert: das ist das Küchendepartement in welchem der Dragoman herrscht, und jenseits desselben, auf dem Vorderteil der Dahabieh, treibt die Mannschaft ihr Wesen. Da sitzt der Reis und raucht gravitätisch; da sitzt die ganze Gesellschaft, wenn es nichts zu tun gibt, und musiziert stundenlang während einer tanzt; da ist die große Eintiefung in den unteren Raum, der ihnen als Küche und Schlafkammer dient. Um zehn Uhr morgens und nach Sonnenuntergang halten sie ihre Mahlzeiten, gewöhnlich bestehen sie aus Reis. Am früheren Morgen und nachmittags trinken sie eine kleine Tasse schwarzen Kaffee. Brot essen sie außerdem. Ich glaube nicht, daß der gemeine Mann bei uns besser lebt. Ihre Kleidung ist für Matrosen wirklich einzig: flatternde Hemden, große bis zu den Fersen reichende dunkelbraune Mäntel mit ungeschickt langen Ärmeln, und Turbane, so klettern sie in die äußerste Spitze der Segelstange hinein. Zum Glück sind die Beine nackt, so daß sie wie Hände sie gebrauchen können, und ihre Fußzehen haben die Geschmeidigkeit von Fingern. Ist der Wind günstig, so fährt man mit Segeln; ist er's nicht oder fällt er ganz, so ziehen sie am Ufer gehend die Barke, aber mit gehöriger Muße, denn da es ihr Vorteil ist, daß die Fahrt so lange wie möglich dauere, verlängern sie dieselbe nach Kräften. Von Sonnenauf- bis untergang müssen sie arbeiten; später wird nicht mehr gezogen, wohl aber in der Nacht gesegelt, wenn es möglich ist, und nie stromauf gerudert. Wenn die Barke auf eine Sandbank gelaufen, oder in Gefahr ist gegen Steine getrieben zu werden, müssen sie mit baumlangen und baumstarken Stangen, welche sie gegen die Schulter stemmen, sie abzustoßen suchen. Um alle Kräfte mit der gehörigen Präzision zu verwenden, singen sie dabei im strengen Takt etwas, das mich an die Litaneien der Prozessionen erinnert, ein Lob ihres Propheten; und ist das Manöver gelungen, so gehen sie in unartikuliertes Geschrei über. Auch beim Wenden und Aufziehen der Segel, beim Ziehen der Barke, sobald es beschleunigt werden soll, wird dieser taktmäßige Lobgesang ausgestoßen. Der Reis, ein auffallend schöner Mann, der einen mächtigstolzen Turban und einen eleganten dunkelblauen Wollenmantel trägt, steht gewöhnlich bei mühseligen Manövern in der Mitte des Schiffes, singt, und wendet sich dabei mit emporgehobenen Armen von einer Seite zur andern – wobei ich immer an die Oberpriester in unseren Opern denken muß, nur daß sie nicht seine natürliche Würde haben. Wird die Arbeit ganz schwer, so wirft er Mantel und Turban ab, und hilft etwas. Ist die Barke wieder flott, kehrt er zur Pfeife zurück. Bis neun oder zehn Uhr morgens muß gewöhnlich gezogen werden, dann hebt der Wind aus Nordwest oder Nord an, ist nachmittags am stärksten und sinkt meistens bald nach Sonnenuntergang. Unsre Mannschaft hat also ziemlich viel Muße, und unterhält sich ausnehmend gut. Des Gesprächs, des Erzählens, des Lachens ist kein Ende, und leidenschaftlich werden die schönen Künste getrieben. Einen Haupttänzer gibt's, der stundenlang den ganzen auf den Fersen hockenden Kreis amüsiert: er bewegt die Füße äußerst wenig, schneidet aber formidable Grimassen, kreischt zuweilen hell auf, macht Schwenkungen und Drehungen mit seinem Stock und seinem Gürtel; und kommt noch ein Zweiter mit einem Stock dazu, drehen sie sich beide um einander, so scheint das Ballett die Vollendung erreicht zu haben: dann spielt die Musik accelerando, und das taktmäßige Klatschen in die hohle Hand, womit die Zuschauer sie begleiten, wird immer stärker und geschwinder. Mir kommt es genau so vor als ob Affen tanzten. Die Musik wird gemacht mit der Darabukah und dem Zumarah: jenes ist ein trichterförmiges, mit einer Haut über die weite Öffnung gespanntes Instrument, das am Stiel gehalten und wie ein Tamburin geschlagen wird; – dieses sind zwei Flageolets die zugleich geblasen werden, so daß das eine immerfort den Grundton hält während das andre höchst simple Melodien von drei bis vier Tönen ausführt.
Dies ist eine von meinen Hauptunterhaltungen: in dem offenen Vorzimmer auf dem Sofa zu liegen, während die Schiffer Musik machen, und die stillen monotonen Ufer zu betrachten, die durch nichts zu bezeichnen sind als durch lange flache Linien. Ganz lang zieht der Strom sich hinauf; ganz lange grüne Ufer besäumen ihn; ganz lang und niedrig, wie ein gelbes Band am Horizont, liegt das libysche Gebirg im Westen, und etwas lebhafter gefärbt und gezackt das arabische im Osten. So ist es seit vier Tagen. Am achtzehnten nachmittags gingen wir von Bulak fort, aber nur bis Fostat dem Nilometer gegenüber, weil die Mannschaft noch nicht ihren Proviant beisammen hatte. In dieser Nacht regnete es etwas; das war der zweite Regen, den ich in Kairo erlebt habe; seitdem ist es schönes Wetter, indessen wegen des Luftzuges auf dem Strom doch so, daß man einen wattierten Kapot, außer in den Mittagsstunden, sehr gut verträgt. Die Bewegung ist so ruhig, daß ich bequem schreiben kann, und Lärm, Gesang und Geschrei stört mich dabei nicht. Die Sitte ist nämlich die, daß man in einem Zug bis Assuan oder Wadi Halfa hinaufgeht, und erst bei der Heimkehr die Monumente besieht mit denen vor Jahrtausenden die ägyptischen Herrscher die Ufer des Nils verherrlicht haben. Sie geben vollauf Beschäftigung. Daher werde ich auch erst wenn ich sie alle gesehen habe und nach Kairo zurückkomme, über sie berichten und jetzt überhaupt nicht schreiben. Könnte ich die Briefe alle acht Tage fortschicken, so würde es Dich wohl unterhalten; bekommst Du aber die ganze Sammlung auf einmal, so ist es langweilig nichts zu lesen, als: heute fuhren wir an diesem Dorf vorüber und gestern an jenem; und später immer sich wiederholende Beschreibungen von einigen Dutzend Tempeln zu finden, statt der Darstellung eines großen Gesamteindruckes. – Von meiner Einrichtung auf dem Nil mußte ich aber doch ein Wörtchen sagen!