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23. An Gräfin Schönburg-Wechselburg
Jerusalem, Sonnabend, November 4, 1843
Meine liebste Emy,
die Via dolorosa, den Weg den Christus unter dem Kreuz vom Richthause bis Golgatha ging, gingen wir heute; aber in entgegengesetzter Richtung, an der Grabeskirche vorüber, durch das Gerichtstor und die Trümmer der alten Mauer, welche damals die Stadt begrenzte, an all den Leidensstationen vorüber, die so tausendmal nachgeahmt, ja nach Schritt und Zoll ausgemessen und durch Bildwerk verherrlicht, das katholische Europa kennt und so abwärts bis zum Stephanustor. Da fällt der eine Abhang des Morija steil hinunter zum Kidron, und auf der andern Seite erhebt sich der Ölberg, so daß er mehr durch eine Schlucht als durch ein Tal von der Stadt getrennt ist. Überall derselbe Charakter in der Landschaft: Ernst bis zur Strenge. Die Häuser, die Mauem, der Morija, das Bett des Kidron, der Ölberg, die Schutthügel, der Erdboden: alles ein und derselbe gelbbraune Stein; nicht ein Wassertropfen im Kidron, nicht ein Grashalm zwischen dem Steingeröll das den Boden weit und breit auf Höhen und Tiefen bedeckt; – nur zerstreute Ölbäume, deren silbergraues Laub in vollkommener Harmonie mit der Färbung der Landes ist, und nur Gräber: türkische am Abhang des Morija, jüdische an dem des Ölberges, aus alter und neuer Zeit, Grabhöhlen, Grabmale, Grabsteine. »Jerusalem, die du steinigst deine Propheten« – fiel mir ein. Der Prophet, die Ehebrecherin – immer war der grimmige Stein da um sie zu züchtigen, denn man hatte ihn unter der Hand. Eine Brücke führt über den Kidron und dann geht der Weg an einem Platz vorüber auf dem acht ururalte Ölbäume stehen und den man für den Garten Gethsemane hält.
Ich habe immer eine besondre Vorliebe für diesen Garten von Gethsemane gehabt, weil Christus hier so ganz überwältigt von Trauer und von Schmerz zerdrückt ist, und sich doch wieder aufreißt. Ich sah mir die alten Ölbäume recht genau an, ob es wohl dieselben sein mögen die hier standen. Ihre mächtigen umfangreichen Stämme sind ganz hohl, und die Höhlungen mit Steinen gefüllt, damit sie dem Winde Widerstand leisten können. Ich habe den Baum gar gern; er opfert sich auch in seiner Art auf: er verzehrt sein Holz, sein Mark, behält nichts übrig als die Kruste der Rinde, um seine Früchte zu ernähren; zum Symbol der Mutterliebe könnte man ihn machen. Uralt wird er, – und sind denn überhaupt achtzehn Jahrhunderte ein so unermeßlicher Zeitraum? Hier kommen sie mir wie eine Geschichte unserer Tage vor; hier sind sie hingerollt und haben nichts Wesentliches verändert, nur ein paar andre Menschengesichter gebracht. Unangetastet ist rings umher die Natur geblieben. Das ist für mich die Hauptsache, und daher gestehe ich Ihnen ehrlich, daß die große Ausführlichkeit mit der man hier jeden Punkt durch irgend ein Wort oder eine Handlung Christi zu bezeichnen strebt, mich sehr ermüdet und wenig anspricht. Da soll er über Jerusalem geweint, dort gebetet, hier sollen die Jünger geschlafen haben. Das ist zu viel! Es kann zwar so gewesen sein, aber man muß doch auch die Gedanken ein wenig sich selbst überlassen, damit sie sich auf ihre eigne Hand besinnen und erinnern können. So steigt man denn zum Ölberg hinan, zu der Stelle wo die Himmelfahrt verehrt wird. Eine kleine nackte Kapelle umgibt sie, und ist ihrerseits von einer großen Mauer-Rotunde umgeben, verschlossen, von Türken bewacht. Früher hat hier die armenische Kirche der heiligen Pelagia gestanden; sie ist verfallen seitdem die Griechen die Armenier zu vertreiben gewußt haben. Eine kleine Moschee, auch sehr verfallen, steht daneben, hinterwärts einige klägliche Wohnungen. Wir bestiegen das Minarett, wo man eine majestätische Ansicht der Stadt und einen Rundblick über die ganze Gegend hat. Von hier ist der Blick auf Jerusalem so überraschend, sie liegt so königlich imposant da, daß ich wahrlich keine Stadt mit ihr zu vergleichen wüßte. Ich war doppelt erstaunt, weil wir vom Gebirge aus Westen kommend, sie zuerst von ihrer Flachseite gesehen hatten. Der Ölberg liegt aber grade entgegengesetzt im Osten, und hier zeigt sie sich auf dem Morija liegend, und hoch bekränzt mit Mauern und Toren schaut sie zum Kidron hinab. Die heilige Stadt! Heilig seit Jahrtausenden den verschiedensten Religionen und ihren Bekennern. Den Israeliten ist sie es als Stadt des alten Bundes, des Tempels Jehovas, als ihr verlornes, ewig beklagtes und geliebtes, dereinst wieder zu erwerbendes irdisches Eigentum, wo im Tal Josaphat die Auferstehung der Toten stattfinden soll. Den Mohammedanern ist sie es in solchem Grade, daß sie keinen andere Namen als el Kuhds, die Heilige, für sie haben, denn hier auf Morija, wo einst Salomos Tempel stand und jetzt die Sakhara-Moschee steht, fuhr Mohammed gen Himmel, hier wird er einst die Toten richten, und die gefürchtete Brücke el Sirat, der Prüfungsweg der Reinen und Unreinen, wird nicht breiter als ein Haar vom Morija zum Ölberg über die Schlucht des Kidron gespannt sein. Sie ist es den Christen – aber ach! Ungefähr so wie die Kleider Christi es den Kriegsknechten waren: sie möchten ein Stück davon haben. Das versichre ich Sie: ich freue mich herzinnig, daß keine der protestantischen Sekten hier auch nur den allergeringsten Einfluß hat, weil also von der Seite wenigstens kein Hader herzukommen kann, und noch mehr freue ich mich, daß der Türk hier Oberherr ist; denn wär' er es nicht, ich glaube es würde Mord und Totschlag, und ganz gewiß Verfolgung und Ausschließung geben.
– Alles in der Nähe wie in der Ferne ist gleichmäßig gefärbt, hat wie mit Asche das Haupt bestreut. Nur im Osten, nach dem Tal des Jordan, zeigen sich über Einschnitten in den kahlen Bergen, aber eigentlich zu ihren Füßen, blaue Punkte und Flächen, glänzend als wären sie vom Himmel gefallen: das Tote Meer, und jenseits desselben ein lang gestreckter Höhenzug, ohne frappante Formationen, aber belebt durch den Reflex und die Atmosphäre des Wassers: das Gebirge Pisga. Da ruht das Auge sich aus; da ist doch wieder das belebende Element: Wasser. Es heißt zwar das Tote Meer, aber im Vergleich zu dieser Umgebung sieht es äußerst lebendig aus. Und wie Saphire oder wie schöne blaue Augen schillerten die Flecke, so daß ich meinte die kleinen Wellen sich kräuseln zu sehen. Doch soll es sechs Stunden in grader Linie von hier entfernt sein.
Wir gingen weiter auf dem Rücken des Ölberges und kamen zu einigen Stellen, wo man das Tote Meer und die transjordanischen Berge noch freier und schöner – aber Jerusalem nicht mehr so vorteilhaft sieht, und dann am andern Abhang herunter, nach Bethanien. Auch dahin geht es, wie das zerfurchte Land nun einmal ist, durch Schluchten, an deren Wänden einige freundliche Pflanzungen von Mandel-, Feigen- und Aprikosenbäumen hängen. Das ist eine wahre Wonne! In Bethanien hört sie auf, obgleich das Dorf auch einige Gärten hat; – denn hier muß man wieder viel sehen, unter anderem il Castello di Lazaro, wie unser Führer ein Gemäuer auf einem Felsblock nannte. Können Sie sich aber Maria, Martha und ihren Bruder als Bewohner eines Schlosses vorstellen? Müssen sie nicht vielmehr ein kleines anspruchsloses Haus bewohnt haben, in welchem Martha sich viel Mühe gab den verehrten Meister nach Würden zu empfangen? Aber mit einem Stückchen weltlicher Pracht muß das Volk nun einmal seine Helden ausstaffieren. Gegen das Grab des Lazarus habe ich nichts, hier wo alles Grab ist. Aber ich bin überzeugt, daß das Volk sich allerlei Plätze die ungefähr passen könnten ausdenkt, und dahin den Fremden schleppt um einen Bakschisch zu erhalten. Es macht es ja überall so; hier ist es doppelt störend. So ließen denn auch die Müßiggänger nicht ab uns, oder vielmehr unsern Cicerone zu plagen die Stelle zu besuchen wo Christus den Esel bestieg auf dem er am Palmsonntag in Jerusalem einzog, und der Cicerone versicherte natürlich nach Art dieser Leute sie liege auf unserm Wege. Die halbe Bevölkerung Bethaniens, und was die Kinder betrifft die ganze, zog mit uns zu einer Stelle, die natürlich unserm Wege ganz entgegengesetzt und folglich ohne alle Wahrscheinlichkeit ist, daß sie es sein könnte; und dort schrie sie uns an um Bakschisch. Man weiß in der Tat nicht ob man dabei lachen oder sich ärgern soll. Um den Fuß des Ölberges gingen wir nach Jerusalem zurück.
Eines der interessantesten Gebäude der Stadt präsentiert sich äußerst vorteilhaft vom Ölberg aus, nämlich die große Moschee Sakhara an die sich hinterwärts noch die kleinere Acksa schließt, und die beide auf Morija liegen über dem alten Tempel Salomons. Kein Christ darf sich ihr nahen, nicht einmal ihren äußeren Vorhof betreten. Würde er drinnen ertappt, so müßte er sterben oder den Islam annehmen. Die Mohammedaner legen der Sakhara ein so heiliges Gewicht bei, daß sie glauben jedes in ihr verrichtete Gebet werde erfüllt, und sie fürchten Christen und Juden möchten in ihr um den Besitz Jerusalems beten: daher diese wütende Eifersucht. Wir sahen die Sakhara in möglichstes Nähe, nämlich von einer Terrasse des Hauses, das der Pascha bewohnt, und das am äußeren Vorhof liegt. Sie sieht schöner aus als irgend eine Moschee, so recht wie ein edler und erhabener Tempel. Der äußere Vorhof ist nur ein freier etwas leerer Platz den Privathauser und Gebäude die zur Moschee gehören, als Schulen, Armenküchen, Bäder umschließen, und in den verschiedene Straßen auslaufen. Aber der innere Hof ist ein viereckiger mit weißem Marmor gepflasterter und um einige Stufen erhöhter Platz, zu dem Triumphbogen-Tore von zwei und von drei säulengetragenen Bogen emporführen. In der Mitte erhebt sich auf einem Unterbau der achteckige Tempel über den sich die glänzende Kuppel wölbt, die eine Spitze mit dem Halbmond trägt. Hohe Fenster scheinen von oben bis unten die Wände zu durchbrechen, und machen den Bau äußerst leicht und graziös, was ich bis jetzt noch bei keiner Moschee gefunden habe. Ein schimmerndes Grün, die heilige Farbe, welche des Propheten Fahne trug, ist leicht darüber gehaucht. Minarette hat sie nicht und braucht sie nicht. Diese müssen bei den anderen Moscheen sozusagen das ersetzen, was jenen an Feinheit abgeht, wie bei uns, aber schöner, der Turm auf dem schweren Körper der Kirche, den schwebenden und strebenden Gedanken vertritt; aber die ganze Sakhara ist dermaßen aus der Erde heraus gehoben und so frei und licht über sie gestellt, daß sie keines Minarettes bedarf. In der Nähe, von jener Terrasse, und in der Ferne vom Ölberg, immer bleibt sie zugleich lieblich und edel anzuschauen und mit keinem anderen Gebäude das ich je gesehen zu vergleichen.