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30. An meine Mutter
Kairo, Dezember 11, 1843
In den ersten Tagen, liebe Mutter, wollte ich gar keine andere Exkursionen machen als westlich von der Stadt um meinen Blick nach Herzenslust in den grünen Auen und in der Fülle und Pracht der Vegetation zu laben. Die Wüste im Osten der Stadt zog mich durchaus nicht an. Ich war gründlich wüstenmüde. Aber ich wußte freilich nicht, daß bei dieser zauberischen Stadt die Wüste anders beschaffen und voll Wunder sei. Kairo ist wirklich die Stadt der Wunder! Da ist der Nil: mysteriös wie unter dem Schleier der Isis, erfüllt er seine Bestimmung; da sind die Pyramiden, mit denen andere Titanen den Himmel stürmen wollten, Riesenerzeugnisse eines Riesengeschlechtes. Da sind eben in dieser östlichen Wüste die Gräber der Kalifen um welche Dschinnen walten und weben. Da ist weiter hinauf der ausgebrannte Krater Djebbel Achmar; und noch weiter, in dem längst versiegten und versandeten Bette eines Stromes, der versteinerte Wald – ungeheure Erzeugnisse losgebundener Naturkräfte, die vielleicht als böse Geister dem guten Geist des Nils entgegenwirkten. – Aus welchem östlichen Tore Du die Stadt verlassen mögest, bist Du in der Wüste, im toten unfruchtbaren Sande, die sich an dem Mokkatam bricht um jenseits desselben mit verstärkter Kraft sich zu lagern. In der Ebene, welche sie zwischen seinem Fuß und den Mauern der Stadt bildet, liegt in der ganzen Ausdehnung von Norden nach Süden die Nekropolis, die Stadt der Toten. Ungeheure Schutthaufen, welche ein Jahrtausend abgelagert hat, ziehen sich wie Wälle zwischen ihren verschiedenen Abteilungen hin. Auf ihnen liegen die traurigen Windmühlen. Die Gräber sind teils schlichte weiße Steine, von denen ein aufgerichteter zu Häupten und einer zu Füßen eines Liegenden stehen; teils viereckige überkuppelte Gebäude, meistens nach Gutdünken in die freie Wüste hineingestreut, zuweilen aber auch viele von einer gemeinschaftlichen Mauer umschlossen, nach Art unserer Gottesäcker.
Die meisten Gräber haben das Schicksal der Moscheen: sie werden nicht unterhalten. Familien und Geschlechter sterben aus, verarmen; dann bleiben sie sich selbst überlassen, und armes Volk findet es höchst bequem ein solches in ein Wohnhaus zu verwandeln, das viereckig wie seine gewohnte Hütte, aber höher und mit einem stattlichen Kuppeldach versehen ist. Manchmal reißen sie auch die Steine ab um die Hütten geselliger, näher bei einander zu erbauen. Da wohnen sie in Scharen, Männer und Weiber spinnen Baumwolle, und daß es ihnen so gar übel nicht geht schließe ich aus den Herden von Kindern, die sie umlagern. Diese Kinder sind nun allerdings affrös, dickbäuchig, großköpfig, kahlgeschoren bis auf den Haarschopf, der oben auf dem Kopf beibehalten wird, starrend vor Schmutz. Aber erwachsen sehen sie gar nicht übel aus – besonders die Frauen, die man im niedrigen Volk nicht selten unverschleiert sieht. Die Nase ist klein und breit, die Lippen sind stark, es ist der Typus den wir an ägyptischen Bildwerken finden, und den die Vermischung mit arabischem Blut nicht aufgehoben hat; aber süperbe Zähne, intelligente Augen, schlanke Gestalt und ungemein leichte grade Haltung, machen sie unendlich viel hübscher als bei uns in Norddeutschland die Weiber des Volkes sind. Sie gehen immer barfuß, tragen nur ein dunkelblaues Kleid über weiten Beinkleidern, und einen langen fliegenden Schleier von blau und weiß gewürfeltem Baumwollzeug, die Wasserflaschen und Körbe auf dem Kopf, das kleine Kind auf der Schulter, und die Hände eigentümlich und nicht ungraziös erhoben, um sie frei zu haben von dem wehenden Schleier und den sehr langen und weiten Ärmeln. Sie sind bei weitem weniger vermummt als die Türkinnen und die Araberinnen in Syrien; aber die Frauen der höheren Stände sind es in einer merkwürdigen Weise. Ich hielt zuerst den Anzug worin sie auf der Straße gehen und reiten für eine Art von Chauve-souris-Capot der Maskenbälle; aber es ist eine Art von weitem Hemd, das Sableh, und von immensem Schleier, der Habbarah heißt, beides von starkem schwarzem Taft. Reiten sie und bläht der Wind letzteren auf, so sehen sie ganz wie unförmige Pakete aus. Auch sie halten, gehend wie reitend, stets die Hände zu den Schultern gehoben, wahrscheinlich um den Habbarah zu unterstützen, damit der ihnen nicht auch noch vors Gesicht hänge, das schon den weißen oder schwarzen Halbschleier unter den Augen trägt. Mit einem Gefolge von Dienerinnen, welche auf dem breiten Sattel die Kinder vor sich halten, sieht man die vornehmen Frauen viel ausreiten, und höchst auffallend ist mir dabei der Seïs, der seinen Arm beständig als Rückenlehne um den Leib der Reiterin legt. Aber das ist Sitte, während es eine ungeheure Unsitte wäre, wenn jemand eine Dame grüßte, ja nur durch eine Miene zu verstehen gäbe, daß er sie erkenne, und wenn es seine Schwester wäre. Frauen die nicht zur untersten Klasse gehören, tragen den schwarzen Habbarah aber ohne Sableh, und gelbe Saffianstiefel. Solche sieht man aber nicht in jener Gräberstadt.
Ein Quartier derselben zeichnet sich vor den übrigen aus; es ist das der »Gräber der Kalifen«. Diese sind im größten und schönsten Stil, mit Moscheen und ehemaligen Schulgebäuden verbunden. Wie sie da liegen, so ganz flach und kahl, so überaus phantastisch in ihren Formen, daß sie immer von neuem das Auge frappieren und immer mehr interessieren, kommt mir das gesamte Bild wie ein Schachbrett vor, auf dem die Figuren durcheinander gewürfelt stehen, und zwar die allerelegantesten, aus Bernstein, Elfenbein und Perlmutter gedrechselt. Der Schachkönig dieses kunstvollen Schachspiels ist das Minarett von Kaïd-Bey, aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, und wie die ganze Moschee ein Kleinod der Architektur, obwohl mir scheint nicht mehr des reinen Sarazenenstils. Es herrschten damals Sultane der zirkassischen Dynastie, und vielleicht hat das tiefere Asien, hat Persien hier einigen Einfluß gehabt, wie er auch in Damaskus unverkennbar ist. Von außen ist sie ganz und gar mit Streifen von roten und weißen Steinen bekleidet. Die Gebäude die früher zu ihren wohltätigen und gelehrten Stiftungen gehörten, bilden förmlich eine Straße und sind dicht bewohnt und natürlich verwohnt durch eine Menge armen Volkes. Anderes hat seine Lehmhütten oben auf dem Portikus der Barkauk-Moschee errichtet. Eine andere, eben so schöne, ist Pulvermagazin, daher wurden wir streng aus ihrer Nähe fortgewiesen. Die übrigen werden denn doch einigermaßen unter Schloß und Riegel gehalten, sonst würde man nächstens den Mihrab von Marmormosaik in einen Herd verwandelt sehen. Die Zusammenstellungen die man hier machen kann, sind eigener Art. Da drüben, jenseits der Stadt und des Flusses, ragen andere Gräber, die Pyramiden, von der Wüstengrenze herüber. Die Erbauer haben sie für niemand gebaut als für sich allein, für ihren Staub. Es sind Monumente der schroffsten Persönlichkeit, des individuellsten Bewußtseins, und dadurch voll gebieterischer Macht, wie es immer die Schöpfungen sind, die auf solchem Boden reifen. Diese Macht bleibt ihnen noch jetzt; sie sind ganz unzerstörbar. Hingegen diese Moscheen, in denen die Gräber der Erbauer nur einen ganz unbedeutenden Teil einnehmen, die durchaus mit dem Gedanken an andre, mit Rücksicht für andre gegründet, in denen alle Interessen wahrgenommen sind, welche ein Fürst seinem Volk gegenüber empfinden soll, vorsorgende Teilnahme an dessen geistigem und leiblichem Wohl durch die verschiedensten Institute ausgedrückt war: sie sind ruiniert nach wenigen Jahrhunderten und ihre frommen und wohltätigen Stiftungen lange vor ihnen – bloß so durch den Umschwung der Zeitläufe. Sieht das nicht wie eine sehr ungerechte Weltregierung aus? Und denkt man nicht ganz unwillkürlich: nur die rücksichtsloseste Kraft gilt etwas auf Erden und macht groß! – – Nicht alle haben ihre letzte Ruhestatt so herrlich bezeichnet. Mehrere begnügten sich mit den Grabmälern, wo ein viereckiges Gebäude das eigentliche Grab umschließt und eine Kuppel es bedeckt. Auch diese sind von Quaderstein und die Kuppeln in einer Weise bearbeitet, die mich lebhaft an die Alhambra erinnerte. Was aber dort Stuck und an den inneren Wänden der Gemächer war, ist hier Arbeit des Steinmetzes und außerhalb. So ist zum Beispiel über die eine ein Netzwerk gemacht, und in jede Masche des Netzes ist eine Kugel eingelegt, glänzend himmelblau wie der schönste Türkis – vermutlich glasierter Ton. Über eine andere – stelle Dir so einen Schleier von ausgeschlagenem Papier vor, wie man ihn zuweilen über Lampen hängt um ihr Licht zu dämpfen: eine solche Zeichnung umspinnt eine andere Kuppel und an ihrem unteren Rande, wo sie auf dem Unterbau ruht, läuft wie die Arabeske in einem Fries ein Koranspruch hin, dessen krause, glänzend dunkelblaue Charaktere angenehm mit der sanften gelbgrauen Färbung des Bausteins übereinstimmen und sich doch sehr entschieden von ihm abheben. Es ist einzig niedlich, und so recht passend für das Grab eines Bekenners des Islam, dessen Seele ins Paradies zu den schwarzäugigen Houris kommt.
Liebe Mutter, wenn ich einmal in schönen Gebäuden sitze, so dauert es eine gute Weile ehe ich wieder herauskomme. Jeder der von seinen Reisen erzählt, hat ein Steckenpferd worauf er sich mit besonderen Vergnügen tummelt; das meine ist die Architektur. Ich liebe es nun einmal; vielleicht zu sehr. Bedenke aber daß dasjenige was Dir ein Superlativ erscheint mir nur grade genügend vorkommt um mich für vierzehn Wüstentage zu entschädigen, denn hätte ich nicht eine kleine Passion für solche Dinge, so würde ich wohl fein ruhig daheim bleiben und mir auf bequemere Weise die Zeit vertreiben. Nun muß ich doch die Befriedigung haben nach Herzenslust von ihnen plaudern zu dürfen. Jetzt werde ich es nicht mehr tun, nämlich von der arabischen nicht mehr. Ich nehme aus dem Orient, zu dem die Erinnerungen aus Spanien kommen, einen vollständigen Eindruck des Kreislaufes mit in welchem sie sich abgeschlossen hat. Hier erreichte sie ihren Gipfelpunkt. – Ich wollte heute ganz etwas andres schreiben. Nun ist es zu spät.