Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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8. An meine Mutter

Konstantinopel, September 17, 1843

Meine Herzensmutter, heute ist Dein lieber Geburtstag. Ich denke recht an Dich, und ungestört, denn der Regen rauscht in Strömen herab, der Sturm braust und macht die schlecht verwahrten Fenster zittern, die sonst so unbeweglichen Zypressen schütteln hastig ihre feinen Gipfel, und von unserem Peraschen Berge rinnen Wasserbäche nach allen Weltgegenden herunter. Gestern hatten sie mich bald fortgeschwemmt. Wir kehrten von einer langen Wanderung zurück und wurden bei der Heimkehr, aber noch in der Stadt, von einer wahren Sintflut überfallen, vor der man sich hier zu Lande in keinen Wagen, in keine Portechaise retten kann. Jeder Kaik war in eine kleine schwimmende Badewanne verwandelt; ohnehin sind die leichten Dinger bei plötzlichen Windstößen sehr unsicher, – so zog ich vor in Wasser zu gehen, statt darin zu sitzen, und wir machten den großen Umweg über die große Brücke nach Pera. Den Berg hinauf zu klimmen war ein Seiltänzer-Kunststück, weil die Straßen, wie ich Dir neulich schon schrieb, den Rinnstein in der Mitte und nicht ein Fleckchen haben, das nicht abschüssig wäre. Jetzt war dieser Rinnstein eine permanente Kaskatelle, und in derselben wandelte ich, denn meine Schuhe waren ganz aufgeweicht, glatt und schlüpfrig wie eine Aalhaut, und erlaubten mir nicht mich auf dem löchrigen Steinpflaster zu halten. Da habe ich gründlich die Überzeugung gewonnen, daß es hier unmöglich ist bei Regen das Haus zu verlassen, und da er gewiß heute nicht aufhören wird, so bin ich eine Zimmergefangene und dadurch im Stande Dir recht ausführlich zu erzählen, wohin meine gestrige Wanderung ging. Endlich in die Moscheen, und diesmal nicht mit den unruhigen wallachischen Herren, sondern mit einer ebenso großen und aus allen Nationen zusammengesetzten Gesellschaft, die aber an der Sache Freude hatte, und zu der wir uns – durch den Verfasser der ›Ahnfrau‹ gesellten. Das ist ein freundlicher schlichter Mann, dem man seine schauerliche Tragödie gar nicht anmerkt. Er war so gut mich zu besuchen, und da seine Gesellschaft den notwendigen Firman begehrt und empfangen hatte, so durfte ich mich ihr anschließen. Sie war bunt genug: Deutsche, Engländer, Franzosen, ein Holländer, ein Spanier, aus allen Ländern Europas zusammengewürfelt um die Wunder der religiösen Architektur des Islams in Augenschein zu nehmen. Ich war sehr, sehr gespannt. Ich hatte inzwischen schon durch einen glücklichen Zufall die Moschee von Beglerbeg, dann die der Mewlewi Derwische, und die verödete von Piale Pascha gesehen; umso mehr verlangte ich nach der Aja Sofia, und nach den berühmten von Sultan Suleiman und Sultan Achmed, welche beide keine christlichen Kirchen gewesen sind, wie jene es war. Ach, jene! Das ist doch ein ganz wunderbar imposantes Gebäude – im Innern nämlich; denn von außen finde ich sie durch die Halbkuppeln entstellt, die sich um die große Kuppel lagern, und dem Bau etwas Schwerfälliges, Zusammengedrängtes geben. Im Innern waltet ein grandioses Halbdunkel, eine ernste Pracht, welcher der christliche Ursprung unauslöschlich eingeprägt ist. Das Glaubensgeheimnis des dreieinigen Gottes schwebt unverkennbar in diesen Räumen, und gibt ihnen die mystische Färbung unserer alten Dome, mit denen die Aja Sofia übrigens natürlich keine Ähnlichkeit hat und haben kann; denn mit ihr verglichen sind jene lauter Neulinge. Sie ist ihre Urahnin. Daher, wie die allerältesten und vornehmsten Familien kein Adelsdiplom aufzuweisen haben, weil sie bereits aus einer so fernen Zeit stammen, daß die Dokumente nicht mehr in sie hineinreichen – daher ist die Aja Sofia auch nicht in einem bestimmten Stil gebaut; allein sie hat die Grundlage zu jenem gegeben, den man später den byzantinischen genannt hat, und dessen Hauptmerkmal der runde auf Säulen sich erhebende Bogen ist. Byzantinisch ist sie allerdings in vollem Maß zu nennen: sie war die köstlichste Blüte des christlichen Byzanz, und Konstantin gründete sie nach seiner Bekehrung zum Christentum

Wir durften sie von oben bis unten durchwandern. Über den beiden Seitenschiffen ziehen sich breite von den köstlichsten Säulen gebildete Galerien dahin, von welchen man das ganze Mittelschiff bequem überschaut und viele Einzelheiten gewahr wird. Da sieht man an manchen Stellen das alte Mosaik durchschimmern, womit die Gewölbe bekleidet waren; und welches jetzt mit weißem Kalk übertüncht ist – vermutlich weil sie heilige Bilder darstellen, die von den Mohammedanern verabscheut werden. Da sieht man viele ausgekratzte Kreuze an der Marmorbrustwehr, und ein paar die man vergessen hat. Hauptsächlich aber hat man einen herrlich freien Überblick über das ganze Innere, das sich als ein regelmäßiges Viereck darstellt, in der Mitte von einer großen, und rund herum von vier halben Kuppeln überwölbt. Die Wände sind mit Marmor bekleidet, der durch die langen Jahrhunderte eine dunkle gedämpfte Färbung bekommen hat, die eine köstliche Folie zu den alten Mosaiken sein mußte. Jetzt sticht der Kalk grell und gemein dagegen ab.

Ich habe die Aja Sofia mit der Markuskirche zu Venedig vergleichen hören, aber keine andere Ähnlichkeit gefunden als die: daß über beiden der Glanz und der Schatten eines Jahrtausends schweben, daß beide an die Größe und den Untergang mächtiger Reiche und an den Umsturz des Festesten erinnern, und daß in beiden die Seele gern einen Aufschwung zu dem alten ewigen Gott nimmt, den man durch Kirche und Moschee zu ehren versucht. Aber die Markuskirche ist unendlich viel schöner! Wie eine Sybille ist sie ganz eingehüllt in mystischen Tiefsinn, während die Aja Sofia eine schreckliche Verzerrung hat leiden müssen. Der Mihrab nämlich, die heilige Stelle nach welcher der Mohammedaner sich bei dem Gebet wendet, muß immer die Richtung nach Mekka haben, muß in der Mekkalinie oder der Kiblah liegen – wie man es nennt. Da nun in christlichen Kirchen der Hochaltar stets nach Osten liegt, und die Kiblah hier nach Südosten zeigt: so hat die ganze innere Einrichtung etwas Schiefes bekommen. Die Matten die den Fußboden bedecken, sind alle schräg angelegt; die Betenden liegen sämtlich in der Diagonale auf den Knien, ich hätte es wieder in Ordnung rücken mögen, so verdreht sah es aus. Der Mihrab ist übrigens eine leere Nische, und weiter nichts. Neben ihm erhebt sich zur Rechten eine Art von hoher Kanzel zu der eine Treppe emporführt: das ist der Platz für den Gebetausrufer; – und zur Linken eine Art von Gerüst auf Säulen ruhend: da wird am Freitag ein geistlicher Vortrag gehalten – und zwar nach türkischer Weise auf untergeschlagenen Beinen sitzend. Eine Art von vergitterter Loge fehlt in keiner Moschee; sie ist für den Sultan bestimmt. Hierauf beschränkt sich die innere Ausstattung. So ist die Aja Sofia beschaffen. Wir sahen sie zur Stunde des Gebets, weil das die interessanteste ist, und diesmal ganz ungestört. Man ließ uns stehen, gehen, sehen; der Bakschisch wird wohl an die Rechten verteilt worden sein! – Weiber und Männer waren nicht abgesondert, verrichteten gemeinsam ihre Gebete, und zwar sämtlich halblaut, so daß dadurch ein großes brausendes Gemurmel entstand. In den Seitenschiffen saßen die Leute friedlich bei einander, einer schrieb nach türkischer Sitte, nämlich in die flache linke Hand legt man ein Stück Papier und schreibt in dieser unbequemen Weise die krausen türkischen Buchstaben von der Rechten zur Linken. Die Rohrfeder und das kleine Tintenfaß tragen die Leute im Gürtel. Einige drehten den Rosenkranz, was aber mehr eine Beschäftigung der Finger, als eine Andachtsübung sein soll, und auch nicht für eine solche gilt. Einer las Gebete aus einem Buch und machte dabei fortwährend kleine wackelnde Verbeugungen, so daß er frappant wie jene chinesischen Porzellanpagoden auf den Kaminen aussah, die bei uns meine ganze Antipathie sind.

In den anderen Moscheen war es stiller, und sie sind auch ganz anders als die Aja Sofia, aus einer andere Idee geboren. In jener ist das christliche Dogma mit der grandiosen inbrünstigen Mystik der uralten Zeiten, mit der flammenden Glaubensglut der Kirchenväter durchwebt und durchweht, noch ganz unverkennbar. In diesen ist es ebenso unverkennbar das einfache klare Gesetz des Islam. »Es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet.« Das ist hell und leicht verständlich und gar keiner andere Deutung fähig als der die es ausdrücken soll.

Sultan Suleiman der Große ließ im Jahr 1560 durch seinen großen Baumeister Sinan die berühmte Moschee bauen, die seinen Namen trägt: die Suleimanje. Sie ist auch viereckig, auch mit einer Kuppel überwölbt, hat auch köstliche antike Säulen, hat Fenster von bunten Glasscheiben, welche zu zierlichen Arabesken zusammengesetzt sind, und ist eine vollkommene Moschee: der Geist der sie durchweht ist einfach bis zur Trockenheit und schlicht bis zur Leerheit, ohne doch dürftig zu sein. Nein, dürftig ist sie gar nicht, groß, fest, mächtig ist sie! Aber ihr Geist gibt nicht genug, denn er reicht nicht hoch genug. Sie ist so fertig, weltfertig möchte ich sagen, und der Himmel will doch nicht in sie hineingleiten! Höchstens ein Stückchen vom mohammedanischen Paradiese, repräsentiert durch Kränze von Draht an denen kleine Lampen, Straußeneier und Troddeln von Gold hängen, eine Art von rohen Kronleuchtern, die in festlichen Nächten angezündet werden, und die in keiner Moschee fehlen. Die von Beglerbeg war ganz damit durchwebt. Aber dieser kindische Aufputz stimmt gar nicht zu der übrigen Einfachheit. Die Wände sind weiß übertüncht; der Mihrab ist mit bunter Fayence ausgelegt; der Fußboden ist Backstein, aber mit Matten bedeckt. Dürfte man glauben, daß ein asketisches Volk hier seine Andachtsstätte hätte, so würde die Kahlheit weniger befremden; jetzt erscheint sie mir nur als ein Zeichen von Unentwickeltheit. Indessen erinnert doch noch die Form des Ganzen, die Anordnung der Pfeiler auf denen das Kuppelgewölbe ruht, der Säulen welche zwischen den Pfeilern stehen, an die Aja Sofia durch eine gewisse ernste Feierlichkeit.

Allein die Moschee Sultan Achmeds, die im ganzen Bereich des Islam wegen ihrer sechs Minarette berühmte Achmedje, treibt die Einfachheit in der Tat bis zur Nüchternheit. Ein immenses Viereck, in dessen Mitte vier immense, höchst rohe Pfeiler das Kuppelgewölbe tragen, Fenster an allen Wänden von oben bis unten, das Ganze förmlich untergetaucht in weißen Kalk: das ist sie. Die Osmanje aus dem vorigen Jahrhundert gefällt mir besser, ist freilich kleiner, aber dafür ist auch der ganze innere Raum frei und das Licht, das rundum in die zahlreichen Fenster fällt, paßt gut dazu. Mit weißem Marmor sind die Wände bis zum Fries bekleidet, und dieser wird aus fußhohen goldenen Buchstaben gebildet, die auf schwarzem Grund Koransprüche zeichnen, und in ihrer krausen Verschlingung wie Arabesken aussehen. Die einfache Klarheit des Gesetzes des Islam finde ich in der Osmanje am glücklichsten aufgefaßt und im besten Sinn dargestellt, und dieser Übereinstimmung wegen hat sie mir den angenehmsten Eindruck gemacht.

Die Umgebungen sind am großartigsten bei der Achmedje; ihre sechs Minarette, mit zwei und drei Kränzen von Galerien, – ihr mächtiger äußerer Vorhof mit herrlichen Platanen – ihr großartiger innerer Hof, den ein Portikus von antiken Marmorsäulen umringt – ihre zierlich gearbeitete Marmorfontäne voll Koransprüche in dessen Mitte – machen sie zu einem Kleinod in dem großen Schmuckkasten von Konstantinopel. Übrigens haben alle Moscheen mehr oder weniger große und schöne Vorhöfe mit säulengetragenen Portiken, mit Platanen und Zypressen und mit einer Fontäne. Diese Umgebungen sind ebenso notwendig, als die mit ihnen verbundenen Wohltätigkeitsanstalten. Neben der Fontäne im Schatten der Bäume sitzen gewöhnlich Verkäufer von Rosenkränzen. Im Vorhof von Sultan Bajesids Moschee werden Tauben gefüttert – zum Spaß, der Gebrauch ist so, daß wer hinkommt eine Kleinigkeit gibt, und dafür das Vergnügen hat Taubenschwärme über den hingestreuten Weizen herfallen zu sehen. Der Türk ist gutmütig; er will daß auch das liebe Vieh es gut habe; er mißbilligt sehr ein Tier zu töten sobald man nicht dessen bedarf. Dieser übel angebrachten Gutmütigkeit hat man das Ungeziefer der konstantinopolitanischen Hunde zu danken. Verständige Leute haben vorgeschlagen, diese zu vergiften. Aber behüte der Himmel! Großes Geschrei der Türken gegen die Grausamkeit. Ich liebe den Hund wegen seiner Treue, seiner verständnissuchenden Augen, seiner verschleierten und doch unleugbaren Intelligenz; aber die hiesigen machen mir nur den Eindruck des Ungeziefers und fallen in die Kategorie der Ratten und Mäuse, die man vertilgen muß. Wenn nachts diese Tausende von hungernden Kehlen zu heulen anfangen, der Sturm braust, und die Wächter im Hafen sich von Zeit zu Zeit um nicht einzuschlafen ihren langen eintönigen, traurigen Ruf zusenden: so schauert es einem wie bei uns in eisigen Winternächten – und die Hunde tragen hauptsächlich die Schuld. Oder man reitet, das Pferd tritt eines dieser Tiere, die nie ausweichen; es fängt an zu heulen, seine Kameraden stimmen ein, rotten sich zusammen, laufen hinterher, an jeder Straßenecke vergrößert sich die Gesellschaft, das Geheul geht in Gebell über, das Pferd wird unruhig, der Reiter betäubt. Oder sie sterben, und sind als Leichnam vollends die allergrößte Kalamität. Aber aus dem allen macht der Türk sich nichts! Er ist zu gutmütig um nicht auch das Ungeziefer zu lieben. Scheint Dir das eine große Tugend zu sein? Nun, ich will sie ihm gönnen, aber seine Trägheit ist wirklich ganz unausstehlich.

Gestern befand sich die ganze Gesellschaft im Schutz unter der Anführung eines Kawass. Der ist eine Art von Sicherheits- oder Ehrenwache, trägt Waffen, und wird von der Regierung an alle fremden Minister und Konsuln zur beständigen Begleitung gegeben; so auch an einzelne Fremde, sobald ein Firman respektiert werden soll. Es war Mittag, wir waren gerade zwei Stunden gegangen; plötzlich hieß es der Kawass könne nicht weiter vor Ermüdung, müsse sich bei einer Tasse Kaffee und einer Pfeife von der überstandenen Anstrengung ausruhen und für die kommende stärken; und richtig! bei einem Café mußte die ganze Gesellschaft Halt machen und wohl eine halbe Stunde verweilen. Es war nahe bei dem Eingangstor zum Serai, aber das zu sehen ist jetzt ganz unmöglich, weil der Großherr in diesen Tagen aus dem Palast zu Beglerbeg ins Serai hinüber zieht um den bevorstehenden Ramadan – die Fastenzeit – und vielleicht den ganzen Winter darin zuzubringen.

Ich muß mich also damit begnügen die hohe Pforte gesehen zu haben, wo die Staatsgeschäfte verhandelt werden, und muß auf das Serai verzichten, wo der Großherr in sultanischen Herrlichkeiten schwelgt. Bis in dessen Küche könnte ich übrigens mittels Bakschisch und guter Worte dringen – höre ich; aber das macht mir keinen Spaß, und ich bin des Glücks ganz unwürdig die großherrlichen Tiegel und Kessel gesehen zu haben.

Gott, aus den Moscheen gerate ich in die Küchen! Das ist die Schuld des trägen Kawass, der uns beim Serai aufgehalten hat, vor dessen Tor aber auch noch eine wunderschöne Fontäne zu betrachten ist. Diese wie ihre sämtlichen Schwestern sind eine große Zierde der Stadt, obgleich man sie mit Unrecht Fontänen nennt – worunter wir plätschernde Springbrunnen, hohe Wasserstrahlen in weiten Bassins verstehen. Dies sind Wasserbehälter von kleinen hübschen tempelartigen Gebäuden umgeben, aus denen das Wasser durch Röhren haushälterisch in Tröge rinnt – für das Vieh, während neben den Röhren meistens Schalen von Blech angekettet sind, damit die durstigen Menschen sich auf ihre Weise laben können.

Ich bin auch mit den Moscheen zu Ende, denn mehr als jene vier, die Aja Sofia, die Suleimanje, die Achmedje, und die Osmanje, haben sich uns nicht aufgetan, und sie genügen auch vollkommen um einen Begriff ihrer Bauart, ihrer Einrichtung, und des Eindrucks zu geben, den sie auf den Beschauer machen. Ich küsse tausend Mal Deine Hand. Übers Jahr tue ich es in der Wirklichkeit – Inschallah! spricht der Türk, d. h. so Gott will.


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