Ida von Hahn-Hahn
Orientalische Briefe
Ida von Hahn-Hahn

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An meine Mutter

Dresden, im Junius 1844

Meine liebe Herzensmutter, da sind nun meine sämtlichen Briefe beieinander, und ich bringe sie Dir jetzt alle, weil sie Dir das größte Vergnügen machen werden. Ferner bist Du so daran gewohnt, Nachsicht mit mir haben zu müssen, daß Dir die mannigfachen Unvollkommenheiten, Widersprüche und Inkonsequenzen, die untrennbar von einer solchen Briefsammlung sind, nicht störend auffallen werden, und dieser Gedanke ist mir sehr angenehm. Denn wenn ich auch bereit bin meinen Briefen tausend Unvollkommenheiten anzuerkennen, so muß ich doch die scheinbaren Widersprüche und Inkonsequenzen ein wenig in Schutz nehmen, weil sie wirklich nur scheinbar sind. Am Montag sah ich ein Ding von der Seite an, und schrieb es Dir; am Mittwoch betrachtete ich es von der anderen, und schrieb es Dir auch. Erklärungen, Ergänzungen, die Du auf der Stelle haben möchtest, findest Du vielleicht erst zehn Briefe weiter, – vielleicht gar nicht, wenn ich nicht wieder an den Gegenstand gedacht habe, was auf einer an fremden und neuen Eindrücken reichen Reise ziemlich natürlich ist. Wiederholungen kommen denn auch vor, z. B. spreche ich ein bißchen oft von den Sternen und von der Luft; aber die sind nun einmal meine Liebe und machen mich glücklich – Gnade für Sie! – Dafür, daß ich meinen Glauben, meine Ansicht, meine Meinung mit der vollkommensten Unbefangenheit, ohne Hehl und ohne Rücksicht bei jeder Gelegenheit ausspreche, bitte ich Dich nicht um Gnade; denn obwohl Du auf der weiten Gotteswelt die einzige Person bist, die mir imponiert, hast Du mich dennoch immer meine eigenen Wege gehen lassen, so fern und fremd sie den Deinen sein mögen, und mir eine selbständige Entwicklung gegönnt, deren Resultat mein Glaube und meine Meinungen sind.

Wie ganz unter meiner Erwartung die Beschwerden, Gefahren, Drang- und Mühsale dieser Reise gewesen sind, kann ich Dir gar nicht genug wiederholen. Ich muß immer lachen, wenn man mich jetzt überall wie eine von den Toten Erstandene empfängt, mitleidvoll nach großen Fährlichkeiten fragt, die mir nicht wiederfahren sind, und den Mut bewundert, den ich nicht Gelegenheit gehabt habe, zu zeigen. Weder Unfälle, noch Störungen, noch Krankheiten haben uns getroffen; zuweilen Verdrießlichkeiten und Unbequemlichkeiten, nämlich träge Leute, Ungeziefer und die Kamelreiterei durch die Wüste, aber Verdrießlichkeiten gibt es überall. Furcht habe ich nicht einen Augenblick empfunden, und ebensowenig die momentane Desperation gekannt, die uns ausrufen läßt: »Hätte ich's doch nie unternommen!«. Bei der ganzen Sache ist nur Eines mir schwer geworden. zum Entschluß zur Reise zu kommen. Meine gute Gesundheit hat nur später Alles leicht gemacht; sie ist das Haupterfordernis. Die Wahl der guten Jahreszeit ist das zweite: Oktober und November für Syrien, zwischen Sommerhitze und dem Winterregen; und die Wintermonate für Ägypten, bevor Pest und Wüstenwind ( Chamsin) ausbrechen. – Das muß ich denn aber doch sagen: wer das Reisen wie eine oberflächliche Zerstreuung betrachtet, der gehe nicht in den Orient. Vergnügungen bietet er nicht, nur Lehren und Offenbarungen. Das habe ich vorausgesetzt, sie gesucht und gefunden, und darum bin ich vollkommen mit meiner Reise zufrieden, nur freilich wieder in meiner Art und Weise: ohne Ekstase und Übertreibung.

Herzensmutter, wenn Dir die Briefe ein Paar angenehme Stunden machten – wie froh wär' ich!

Tausendmal küsse ich Deine Hand.


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