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Coronas erster Ausgang am anderen Morgen war die spanische Treppe hinauf zur Messe in der Kirche Trinita del Monte. Mehr denn je fühlte sie sich machtlos ihren Verhältnissen gegenüber und gedrückt durch die Verstimmung zwischen ihrem Vater und ihrem Mann, die hier aufs peinlichste zum Vorschein kommen mußte, wo beide, auf längere Zeit und durch die Fremde mehr als sonst an einander gewiesen, zusammen leben mußten. Und was konnte sie tun, um die beständige Reibung zu verhüten? sich aufreiben lassen; sonst nichts. Sie bat Gott um Kraft zum vollkommenen Opfer und um himmlische Klugheit, um in jedem Augenblick das Richtige zu erkennen, zu sagen, zu tun. Als sie nach beendeter Messe die Kirche verließ, fand sie draußen Orest, der vor derselben auf- und niederging und sagte:
»Ich war schon bei Dir und erfuhr von Justine, daß Du hieher gegangen wärest. Komm nun, ich bitte Dich, mit mir ins Hotel Meloni, in meine Wohnung. Ich habe an Justine gesagt. Du würdest bei mir frühstücken. Lili schlief noch.«
Er gab ihr den Arm und sie gingen den Monte Pincio entlang und dann die prächtigen Rampen hinunter zur Piazza del Popolo, an welchem das Hotel Meloni liegt. Sie sprachen von der Peterskirche, die sich dem Monte Pincio gegenüber in gigantischer Großartigkeit erhebt – ein Felsendom, die ewige Stadt so weit überragend, wie diese alle Städte der Welt – und wenn sie ihre Einwohner nach Millionen zählen – an Großartigkeit weit überragt; ein Felsendom, sinnbildend den Felsen Petri, in dem die Kirche Christi, göttlicher Verheißung gemäß, unerschütterlich wider die Pforten der Hölle gegründet ist. Von An- und Aussichten, von Palästen, Kirchen und Ruinen sprachen Orest und Corona so gleichgültig, als ob sie nicht zwei Monate getrennt gewesen wären. Aber hinter dem gleichgültigen Ton klopften unruhige Herzen, und Orest war in so fiebernder Aufregung, daß er kaum sein Zimmer betrat, als er sich auf ein Sofa fallen ließ und sagte:
»Corona, Du mußt mich retten!«
Sie legte ihre Hände wie zum Gebet vor der Brust zusammen und sagte innig:
»Gott wolle mir diese Gnade geben.«
»Ja, Du mußt mich retten, Corona!« fuhr Orest fort; »Du kannst, Du wirst es! meine ganze Hoffnung ruhet auf Dir. Sage, daß Du es auch willst!«
»Lieber Orest,« erwiderte sie traurig, »hättest Du nur die leiseste Ahnung von den Sorgen, die ich um Dich trage, so würdest Du mich nicht fragen, ob ich Dich retten wolle. Überdas ist es ja meine Pflicht, alles für Dich zu tun, so weit meine Kräfte reichen. Also sprich! ich sehe ja, daß Du leidest.«
»Ich werde Dir wehe tun!« rief er in äußerster Aufregung, und ging heftig im Zimmer hin und her.
»O daran bin ich gewöhnt,« antwortete sie ruhig, wie jemand, der nicht den geringsten Anspruch an eine andere Behandlung hat. »Sprich nur ohne Scheu.«
»Wohlan, Corona!« sagte Orest, indem er vor ihr stehen blieb, »sei barmherzig und gib mir meine Freiheit.«
Sie schlug erstaunt die Augen zu ihm auf und fragte:
»Hab' ich je versucht. Deine Freiheit zu beschränken?«
»Nein, nein! in Kleinigkeiten nie! aber meine Freiheit ist im Ganzen verloren, weil Du meine Frau bist.«
Corona legte mit einem Ausdruck von stillem, namenlosem Schmerz die Hand über ihre Augen und sagte:
»Nur ein paar Jahre noch, lieber Orest, und ich denke – dann bist Du frei.«
»Ach, nur nicht solche unsinnige Todesgedanken! davon ist keine Rede! Du sollst ja nicht sterben, sondern nur meine Freiheit mir geben.«
»Und was verstehst Du darunter?« fragte sie.
»Daß unsere Ehe für ungiltig erklärt werde, indem Du erklärst, Du seiest zu derselben gezwungen worden. Ich habe mir sagen lassen, auf den nachweislichen Grund des Zwanges hin könne eine Ungiltigkeitserklärung bewirkt werden, so daß beide Teile zu ihrer vollkommenen ungeschmälerten Freiheit gelangen und eine andere Ehe eingehen dürfen. Da nun wirklich eine Art von Zwang bei Dir stattgefunden hat, so mache davon Gebrauch zu meinen Gunsten und gönne mir das Glück – eine Frau glücklich zu machen, die ich seit Jahren grenzenlos liebe und die viel zu edel ist, um eine Liebe zu erwidern, welche ihre weibliche Würde auch nur durch einen Hauch verletzte. Ich gehe zu Grunde bei diesem Verhältnis und Du bist auch nicht glücklich; fasse also einen großmütigen Entschluß – und drei Menschen richten sich auf von einem vernichtenden Druck.«
»Lieber Orest,« entgegnete Corona ruhig, »auf diesen Vorschlag war ich freilich nicht gefaßt; aber mein Entschluß ist dennoch reif. Zu Deiner Rettung biete ich mit Freuden die Hand – bis zum höchsten Opfer. Aber nicht zu Deiner Entwürdigung.«
»Und so willst Du an mir haften als der Fluch meines Lebens!« rief er knirschend.
»Ich will, was Gott will: bis zum Ende die Fessel tragen, die er geheiligt und unauflöslich gemacht hat.«
»Ich sage Dir aber, daß die Ehe freilich nicht aufgelöst, allein für null und nichtig erklärt werden kann. Da die Kirche das tut, deren Autorität Dir ja über alles geht, so wirst Du ihr Recht dazu und die Rechtmäßigkeit ihres Verfahrens nicht in Abrede stellen.«
»Durchaus nicht!« entgegnete Corona mit unerschütterlicher Ruhe. »Die menschliche Verkehrtheit und Bosheit ist so groß, daß es der uralten Schlange möglich wird, in jedes Verhältnis ihr Gift zu spritzen, und da mag es denn wohl zu trostlosen Zuständen kommen, welche eine ausnahmsweise Behandlung erfordern. Ein solcher Fall liegt aber bei uns durchaus nicht vor. Daß sich in der Ehe der eine Teil durch traurige Verblendung einer verbotenen Liebe hingibt, ist leider, ach leider! in unserer Zeit und unserer Welt nicht so selten, um die Kirche zu veranlassen, jenes Mittel, das auf ganz unheilbare Zustände berechnet ist, auf heilbare anzuwenden.«
»O wollte man doch weniger von dieser Heilbarkeit faseln,« rief Orest, »und mehr jenes Mittel anwenden! es würde dadurch viel Skandal vermieden und viel menschliche Schwäche von dem Brandmal der Treulosigkeit befreit bleiben, die sich auch in das edelste Herz einschleichen kann.«
»Und der Mensch den Gelüsten der gefallenen Natur preisgegeben werden, gegen welche das edle Herz sich bis aufs Blut verteidigt, wenn es so unglücklich gewesen sein sollte, ihnen irgendwie Gehör zu geben,« sagte Corona. »Nein, Orest! jede Schwache, jeder Fehltritt, jede Versündigung, jede Wunde an der Menschenseele ist heilbar. Daran darf man nicht zweifeln; man muß nur Geduld haben, wie Gott mit uns Geduld hat. Noch in der elften Stunde kann Reue erwachen und zur Umkehr vom bösen Wege mahnen und drängen; kann der Pflichtvergessene sich besinnen, auf seine Pflicht und in ihren Kreis zurücktreten und den Kummer gut machen wollen, den er auf Weib und Kind gehäuft hat. Ist dann die Brücke hinter ihm abgebrochen, gähnt dann eine unausfüllbare Kluft zwischen ihm und seiner Vergangenheit, ist er neue Verpflichtungen eingegangen, die ihm ebenso lästig werden, wie die alten – weil es Verpflichtungen sind, die auf der verderbten Natur drücken und drücken sollen: so schleppt er den Stachel in der Todeswunde mit sich umher, ungesühnt, ungebüßt. Nein, Orest, wir wollen Gott danken, daß die heilige Kirche von göttlicher Weisheit erleuchtet und geführt, ihr letztes Mittel nur in ganz seltenen Fällen anwendet und statt dessen den einen Teil zu Liebe, Geduld und Gebet – den anderen zu Reue und Busse auffordert.«
»Es muß charmant sein für einen Flüchtling vom häuslichen Herde, sich wieder bei demselben einzufinden als Büßer und sich dessen Asche aufs Haupt streuen zu lassen.«
»Lieber Orest,« entgegnete Corona mit himmlischer Liebe in Blick und Ton, »ein solcher Flüchtling würde aufgenommen werden, wie der göttliche Heiland den Petrus nach seiner Verleugnung aufnahm: er vertraut ihm die Leitung seiner Herde an; und wie der Vater den verlorenen Sohn empfing: er eilt ihm entgegen und richtet ein Festmahl für ihn an.«
»Ach, Krönchen!« rief Orest, »könnt' ich Dich nur lieben! Du bist wirklich ein seelengutes Geschöpf, zu gut für mich. Darum hab' ich ja das Vertrauen zu Dir, daß Du mir ein Opfer bringen werdest ...« –
»Du verlangst Unmögliches!« unterbrach sie ihn mit großer Bestimmtheit. »Mich selbst, mein Kind, Dich, meinen Vater, alles was mir teuer ist, kann ich zum Opfer bringen, wenn der anbetungswürdige Wille Gottes es verlangt. Aber Dich Deiner Leidenschaft zum Opfer bringen, wenn der Satan es verlangt – nein, Orest, das kann ich nicht, denn ich will es nicht. Ich kann es nicht! ich kann nicht lügen! es hat nicht der leiseste Zwang stattgefunden bei meiner Verheiratung.«
»Hättest Du mich gewählt, wenn der Vater nicht unsere Verbindung angeordnet hätte?« fragte er.
»Als ich Dich heiratete,« erwiderte sie, »war ich zu jung, um je vorher an die Ehe oder die Wahl eines Gatten gedacht zu haben. Nach meiner Verheiratung hab' ich nie gedacht, daß ich anders hätte wählen können.«
»Es ist doch gewiß, daß der Vater die Sache abmachte, ohne uns so recht zu fragen. Er kündigte sie an und erwartete Gehorsam.«
»Ja, das ist so seine Art. Aber wir haben an Regina und Hyazinth das Beispiel vor Augen, daß sie ihm nicht gehorchten, wenn die Stimme Gottes anders zu ihnen sprach, als die Stimme des Vaters – und daß er es sich gefallen ließ. Du und ich, wir hätten beide es machen können wie unsere Geschwister. Wir taten es nicht. Wir gaben freiwillig unsere Zustimmung.«
»Der Wunsch, den ein geliebter Vater mit der größten Zuversicht ausspricht, ist auch ein Zwang, ein moralischer, für ein gutes Kind.«
»Wenn Du Gehorsam aus Liebe – Zwang nennen willst, lieber Orest! Aber ein solcher ist gewiß nicht darunter verstanden, wenn auf den Grund hin eine Ehe ungültig erklärt werden soll. Aus Rücksicht für den Wunsch der Eltern werden gewiß sehr viele Ehen geschlossen, welche glücklicher sind, als jene, die von blinder Neigung geschlossen werden. Ja, wenn ich ebenso sicher wüßte, daß Du in einer anderen Ehe Dein geträumtes Glück fändest, als ich jetzt weiß, daß Du es nicht finden wirst, so könnte ich es Dir doch nimmermehr verschaffen um den Preis einer Lüge.«
»Entsetzliches Schicksal!« rief Orest und warf sich in trostloser Aufregung in einen Lehnstuhl. »Wodurch hab' ich es bewerkstelligt, daß ein ungeliebtes Weib sich so fest an mich klammert!«
»Du hast mir freilich nicht das Leben an Deiner Seite so lieblich gemacht,« entgegnete Corona sanft, »daß es mir, menschlich gesprochen, sehr schwer fallen sollte, mich davon zu trennen. Aber die Ehe gehört nicht der menschlichen Denk- und Empfindungsweise, sondern dem Gnadenleben an. Die Würde des Sakramentes ruhet auf ihr und das verbindet uns für dies irdische Leben zu einer höheren Gemeinschaft als die ist, die auf verflatternder Neigung und verrauschender Leidenschaft beruht. Sie soll uns im Wechsel von trüben und heiteren Stunden, von bald lieblichen und bald schweren Pflichten, uns und unsere Kinder für den Himmel erziehen. Das ist der Zweck der Ehe; zu dieser erhabenen Bestimmung haben wir uns verbunden; wir müssen suchen, sie zu erfüllen. Hattest Du, als Du sie eingingst, mit frevelhaftem Leichtsinn eine andere Absicht: so mußt Du das vor Gott verantworten. Das ist aber kein Grund, um die Ehe ungültig zu machen. Hingegen sollte es ein Grund sein, um die Vergangenheit gut zu machen. Ach, vergib mir, daß ich so zu Dir spreche, lieber Orest! Glaube mir, ich tue es ohne Selbstsucht, ohne Empfindlichkeit. Ich denke nicht daran, mich an Dein Herz zu drängen oder irgend einen Anspruch an Deine Liebe zu machen; allein ich muß den Platz behaupten, auf den Gott mich gestellt hat und Dich anflehen, dasselbe zu tun!«
»So sind diese frommen Frauen!« brach Orest aus. »Immer im Kanzelton geredet! immer den lieben Gott als Larve vor ihrem Eigensinn! immer ihre Herzenskälte verbrämt mit tötenden Phrasen! unfähig zu jedem Opfer! unfähig zu erkennen, wo ihre Würde liegt. Du siehst ja, daß das Leben mit Dir eine Folter für mich ist, daß ich es fliehe, und, wenn ich es nicht fliehen kann, unter dessen Bleigewicht zusammenbreche. Wie ist es möglich, daß ein zartfühlendes Weib so etwas aushalten mag, und nicht lieber tausendmal sich von dem Mann trennt, der ihr nichts sein kann, da sie ihm nichts ist. Ich fasse das nicht! ich begreif' es nicht, aber ich muß ein Wesen verabscheuen, das aus starrem Egoismus mich um mein Glück bringt.«
Der heftige Kampf streitender Gefühle wogte in Coronas Brust, und drückte sich in dem Wechsel ihrer Farbe und in dem schmerzlichen Zittern ihrer Lippen, ihrer Hände und ihrer Stimme aus, als sie mit der Gewohnheit der Selbstbeherrschung sagte:
»Wollte ich meinem Egoismus folgen, so würde ich meine Tochter bei der Hand nehmen und, statt unter Dein Dach zurückkehren, mit ihr in mein Vaterhaus gehen. Aber ich darf nicht, ich muß bei Dir ausharren. Ich muß vor der Welt Deine Ehre in meinen Schutz nehmen und vor Gott Deine Seele, für die auch ich verantwortlich bin – denn wir sind Eins.«
Sie stand auf, tauchte ihr Taschentuch ein wenig in ein Glas Wasser und drückte es an ihre bebenden Lippen, nahm dann ihren Hut und sagte mit einer Stimme, die – wie das oft bei seelenzarten Personen der Fall ist – durch Gemütsbewegung zu einem leisen Flüstern herabgedämpft war, während die Roheit in solchem Falle lärmt und schreit; sie sagte:
»Ich bitte Dich, laß einen Wagen kommen und mich zu Hause fahren.«
»Und Du fragst gar nicht?« rief Orest; »nicht nach einem Namen oder einer Person? nicht nach meinem ferneren Plan oder Entschluß?«
»Es gibt Dinge, von denen es sich nicht schicken würde, daß ich sie mit Dir bespräche, und andere Dinge, von denen es gut ist, wenn Du sie so wenig wie möglich besprichst,« entgegnete Corona mit Fassung.
»Wähnst Du denn, alles sei abgetan mit Deiner wahnwitzigen Weigerung!« rief Orest mit solchem Zorn in Ton und Geberde, daß Corona wieder in ein nervöses Zittern verfiel und nichts erwiderte als: »Um Gotteswillen, einen Wagen, Orest!«
Aber er beachtete ihre Bitte gar nicht. Er fuhr fort, mit den heftigsten Ergüssen von Zorn, von Klagen, von Vorwürfen sie zu überschütten und sie förmlich unterzutauchen in das Meer von Bitterkeit, das sich in seinem Herzen bloß deshalb gegen sie angesammelt hatte, weil er ihr so viel zu Leide getan. Denn geradeso, wie der Mensch eine Zuneigung für diejenigen spürt, denen er wohl tut, ebenso faßt er eine Abneigung, die sich bis zur härtesten Ungerechtigkeit, ja bis zum Haß steigern kann, gegen Personen, die nicht etwa ihm, sondern denen er wehe getan. Corona schwieg, sammelte sich vor Gott und ließ den Sturm brausen – bis es ihm einfiel, ihr die unsinnigsten Vorwürfe zu machen über den Tod ihres Sohnes. Wäre der am Leben, so wüßte man doch, weshalb diese ganze unselige Ehe geschlossen sei! Das konnte sie nicht mehr hören. Das Mutterherz drohte zu brechen. Sie stand auf, verließ schweigend das Zimmer, das Hotel Meloni, verhüllte sich in Shawl und Schleier und ging die via Condotti hinauf zum spanischen Platz, ganz allein in der großen fremden Stadt. Ihr war zu Mut, als könne ihr von keinem Menschen Schlimmeres begegnen, als von ihrem Mann. Neben der spanischen Treppe erkannte und erreichte sie glücklich ihre Wohnung. Felicitas stand am Fenster und rief:
»Da kommt Mama!«
»Endlich!« sagte Graf Damian, trat zum Fenster und sah mit grenzenlosem Erstaunen Corona ohne irgend eine Begleitung über den Platz gehen.
Er ging ihr in das Vorzimmer entgegen und fragte:
»Wo kommst Du denn her? wo ist Orest? wo sind seine Leute? warum gehst Du denn mutterseelenallein in der wildfremden Stadt spazieren? gibt es keine Wagen in Rom?«
»Doch, lieber Vater! aber ich wollte gehen!« antwortete sie und ging in ihr Zimmer, wo sich die übermäßige Spannung von Leib und Seele in Tränen auflöste und im Gebet sänftigte. Graf Damian fuhr zu einigen der fremden Gesandten, mit denen er bekannt war, und so war Corona allein, als Hyazinth kam. Sie sah so angegriffen aus, daß er teilnehmend sagte:
»Bist Du müde von der Reise, liebe Corona? oder bist Du krank?«
Sie verneinte schweigend; als ihr aber Tränen in's Auge quollen, sagte sie entschlossen:
»Orest ist krank – an der Seele! und ich bin ratlos. Deshalb muß ich mit Dir sprechen, Hyazinth, nicht um zu klagen. Ich möchte ja am liebsten seinen Zustand vor mir selbst verbergen; es geht aber nicht mehr, daß wir so fortleben wie bisher. Er treibt es zum Äußersten.«
Und sie erzählte an Hyazinth klar und einfach ihr ganzes Leben, seitdem sie Orest's Frau geworden war, mit der größten Schonung für Orest und mit der größten Bereitwilligkeit ihren Anteil an dem traurigen Verhältnis anzuerkennen, obzwar ihre Schuld höchstens in Unerfahrenheit bestand, wie sie den siebenzehn Jahren eigen ist. Zum Schluß sagte ste:
»Die Szene von heute früh hat mir gezeigt, wie tief das Übel bei Orest um sich gegriffen hat. Es haben weder meine Bitten noch die Geduld, die ich drei Jahre übte, den geringsten Eindruck auf ihn gemacht; und obgleich ich, wenn es Gott so fügt, bereit bin, mein Lebenlang in Geduld auszuharren, wie das ja meine Pflicht ist: so muß ich doch fürchten, daß Orest durch dies Verfahren nicht zur Erkenntnis kommt. Er ist blind und taub für alles, was nicht mit seiner Leidenschaft zusammenstimmt.
»Das sind eben die Schatten des Todes,« sagte Hyazinth, »von denen die heilige Schrift so ergreifend spricht. In der Finsternis der Sünde, im dunkeln Schattental sitzen die Menschen, geblendet, gelähmt, betäubt – und ahnen nicht, daß die Nacht des geistigen Todes mit dem Verlust der heiligmachenden Gnade über sie eingebrochen ist. Ach, Corona! einem so schrecklichen Zustand gegenüber sind wir alle macht- und ratlos; denn Orest will nicht hören, will nicht sehen, will nicht verstehen – und wenn wir uns alle zu Tode reden und bitten, ermahnen und stehen. Wir müssen Gott bitten um Erleuchtung für uns und für ihn. Wir müssen uns bereit machen, nicht bloß Opfer zu bringen, sondern uns selbst durch die stets erneuerte Hingebung unseres Willens an Gott als ein lebendiges Holocaust ihm darzubieten. Wir müssen leiden, Corona! und zwar so, daß uns die Liebe zum Leiden in freudige Opfer verwandelt. An die Ausführung von Orest's wahnwitzigem Plan, die Ehe für ungiltig erklären zu lassen, ist gar nicht zu denken! aber daß er so lange schon in dieser jämmerlichen Leidenschaft befangen ist und dennoch daran denkt, seine Ketten immer fester zu schmieden – ist ein böses Zeichen.«
»Glaubst Du,« fragte Corona beklommen, »was der anonyme Brief in Paris sagte: die spanische Sängerin, Judith Miranes, habe ihn gefesselt?«
»Ich glaub' es, denn unser Vater hat mir ähnliche Andeutungen gemacht.«
»Also weiß es der Vater!« rief sie erschreckt.
»Liebe Corona,« sagte Hyazinth traurig lächelnd, »in der Welt weiß man alles, was zur Welt gehört. Mit Dir spricht Niemand darüber, das versteht sich! aber der arme Vater, der so viele Menschen kennt und mit so vielen in Verbindung ist, weiß gewiß alles, was Orest betrifft. Ich habe aber immer diese Mitteilungen vermieden; denn es war mir ein grenzenloser Schmerz, meinen Bruder auf solchem Wege und Dich in solchem Leid zu wissen, ohne Euch helfen zu können.«
»Ach, und stelle Dir nur vor, wie gräßlich das ist: diese Circe ist eine Jüdin – ungetauft, unerlöst, gnadenlos, nie eingetreten in's übernatürliche Leben.«
»O die Unglückselige!« rief Hyazinth schmerzlich. »Bedauere sie, Corona, verdamme sie nicht. Das Gewissen und das natürliche Licht des Verstandes könnten ihr freilich sagen, welch Unrecht sie begeht. Aber ach! wie leicht werden die von der Leidenschaft gefälscht und ausgelöscht, wenn man nicht höheres Gesetz und höheres Licht zu Rat ziehen kann, welche sich nicht der Leidenschaft anbequemen, sondern ihre ewige, unwandelbare, objektive Geltung haben. Davon weiß sie nichts, diese Circe! sie sitzt, wie jener gefesselte Mensch des Plato, in einer düsteren Höhle, mit dem Rücken dem hellen Eingang zugewendet, und sieht vor sich an der Wand nur die Schatten, welche die Gestalten werfen, die sich hinter ihr im Licht bewegen. Der Wahrheit in's Auge – sieht sie nie! hat sie nie gesehen! o arme Circe!«
»Aber Orest ist noch viel unseliger!« rief Corona. »Er weiß, was wir wissen, Hyazinth, und ach! er lebt, als wisse er es nicht. Mir grauet vor jeder Erörterung über diesen Gegenstand mit dem guten Vater, und doch fürchte ich, daß es unmöglich sein wird, länger in dieser Weise fortzuleben – denn Orest will keine Rücksicht mehr nehmen. Ach, Hyazinth! darf man sich den Tod wünschen? wenn mich der liebe Gott in die Ewigkeit riefe, so wäre all' die Trübsal zu Ende und Orest frei.«
»Das wäre die Auflösung eines Romans und nicht so pflegt Gott seine Menschen zu führen. Er will sie an sein Ziel, nicht an das ihre bringen. Orest wird nicht frei, wenn er sich ungehindert seiner Leidenschaft hingeben darf – und Du hast nicht Zeit, Dich zu heiligen, wenn Du vor der Zeit vom Leben scheidest. Aber sieh! Dorn, wohin der Fuß tritt, wohin die Hand greift! Wermut, was die Lippe berührt: das ist uns heilsam! das löst uns ab von unserer sündigen Natur, die so selbstsüchtig ist, daß sie in jedem Verhältnis ganz heimlich, wenn auch uneingestanden, Freude und Trost begehrt; und so betrügerisch, daß sie, möge man noch so innig Gott in's Auge und in's Herz fassen, all' Augenblick sucht, ihm das Geschöpf vorzuschieben. Es ist aber kein irdisches Verhältnis ohne Trübsal, ohne Verwirrung, ohne Bitterkeiten, und nur in dem Maß, als wir das erkennen, suchen wir unseren Trost in dem einzigen Verhältnis, das ohne Trübsal für uns ist – in dem, zu unserem göttlichen Heiland. Deshalb müssen wir uns mehr über Dorn und Wermut freuen, als über Nektar und Ambrosia.«
»Statt dessen grämt man sich!« sagte Corona schmerzlich; »statt dessen verlangt man immer wieder ein wenig blauen Himmel und Sonnenschein – ein wenig Glück!«
»Und ganz besonders: Genuß des Glücks,« entgegnete Hyazinth lächelnd; – und damit sind wir denn wieder bei unserer selbstsüchtigen Natur angelangt, der wir auf jedem Schritt und Tritt begegnen.«
»Was fang' ich an, Hyazinth? ich meine immer, ich müsse etwas tun für Orest!« rief Corona und rang schmerzlich ihre Hände.
»Laß Dich mit unüberwindlicher Geduld demütigen und kreuzigen, so tust Du genug,« entgegnete Hyazinth. »Bete viel, opfere viel, hoffe viel – mit einem Wort: liebe viel; damit brachten die Heiligen große Dinge zu Stande. Aber freilich, das unruhige Menschenherz findet eine Erleichterung in äußeren Handlungen, und läßt sich gern zu ihnen hinreißen! Bleibe Du in der Stille und Ruhe Deines Herzens. Sieh, die Christenheit feiert jetzt den Advent, die Ankunft des Herrn. Wie kommt der Herr? mit welchen Taten tritt er auf? wie bekehrt er die Menschheit? wie erlöst er die Welt? Die seligste Jungfrau bereitet ihm ein Kripplein im elenden Stall, und das Kindlein in Windeln ist der menschgewordene Gott und er friert in kalter Winternacht und er weint. So erlöst er die Welt. Er läßt sich demütigen; und dann – läßt er sich kreuzigen. Weshalb wollten wir es anders machen – da doch gerade dies uns vorgezeichnet ist?«
»Vielleicht, weil gerade dies am schwersten ist,« erwiderte Corona.
»Sieh, wie gut es Gott mit Dir meint! Du sollst es nicht anders haben, als er es hienieden hatte. Weine nicht, Corona, blicke in Dich und über Dich mit dem Auge des Glaubens und Du wirst frohlocken mit jenem heiligen Sänger: »Mir ist das Los auf's Lieblichste gefallen, mir ist ein herrliches Erbteil geworden.«
»Bete für mich, bete für uns!« sagte Corona. Sie fühlte sich ermutigt durch Hyazinths Zuspruch, und gefaßter sah sie einer Zukunft entgegen, von der sie nicht ahnte, wie drohend sie sich gestalten werde. Auch Hyazinth ahnte es nicht und wußte nicht es anzufangen, um einen klaren Blick in Orests Seele zu werfen; denn daß dieser ihn nicht eher in seine Pläne einweihen werde, als bis er auf ihre Durchführung hoffen könne – das war zu erwarten. Ihm Vorstellungen machen, hieß aber weiter nichts, als Wasser auf heißes Eisen gießen. Es zischt, es raucht – und bleibt heiß wie zuvor. Er beschloß, Orest mit der größten Liebe zu behandeln und dadurch, wenn nicht Einfluß auf ihn, doch vielleicht sein Vertrauen zu gewinnen. Als Orest sich bald darauf bei den Seinen einfand, übersah Hyazinth gänzlich dessen Verstimmung und äußerte nicht das leiseste Zeichen von Erstaunen über das Auffallende in seinem Benehmen und in der ganzen Art und Weise, wie er den Zuschnitt seines Lebens gemacht hatte. Er ließ ihn gewähren und bot sich ganz ungesucht zu Corona's Begleitung an, um die zahlreichen Kirchen zu besuchen, in welchen wahre Schätze von Gemälden, von Fresken, von Bildhauerarbeit, von köstlichem Material, von Kunst- und von heiligen Gegenständen aufgehäuft sind – während Orest mit der ernsthaftesten Miene von der Welt die Behauptung aussprach: er könne die Kirchenluft nicht vertragen. Sie sei dumpf, feucht, beklommen, durchräuchert – kurz, sie mache ihn nervös. »In der Beziehung halte ich mich zu Dir, Orest,« sagte Graf Damian, der inzwischen von seinen Besuchen heimgekehrt war. »Ich glaube, man kann hier ganz angenehm im diplomatischen Kreise leben, in welchem sich auch immer einige ausgezeichnete Fremde vorfinden, ohne die ermüdende Unterhaltung aufzusuchen, die mit der Besichtigung so vieler Merkwürdigkeiten verbunden ist. Die Hauptkirchen, die Hauptruinen, die Hauptpaläste und basta – für mich. Sehr unterhaltend ist es in der Stadt selbst sich umzusehen; da hat man merkwürdige Überraschungen! Ein Platz ist ganz übersäet mit abgebrochenen, umgestürzten, verstümmelten Säulen, die wie ein Kegelspiel aussehen, welches von Riesen ausgerichtet und verlassen worden wäre. Zwischen ihnen erhebt sich eine prächtige, mit Bildwerken bedeckte himmelhohe Säule. Trajans Forum – nannte es der Lohndiener. Ein anderer Platz sieht aus, als wäre er unter Wasser gesetzt, so enorm und zu ebener Erde ist das Bassin, an welchem die Tritonen so ungeniert sitzen, als würden sie sich nächstens aus ihrer Versteinerung aufmachen und auch ihr Wort mitreden zwischen den übrigen Leuten, die da zirkulieren. Fontana di Trevi, nannte es der Lohndiener. Solche Wassermasse in einem Springbrunnen ist großartig. Und der Venetianische Palast – welch' ein herrliches Gebäude! halb Kastell, halb Schloß – ein Adlerhorst! ich freue mich, daß Österreichs Adler drin horstet! Die österreichische Botschaft ist drin, sagte er erläuternd zu Corona, die sich an seinem Interesse für Rom erfreute. Ich habe doch wahrlich die größten Hauptstädte Europa's gesehen und abermals gesehen und lasse mich daher nicht so ganz leicht durch Häuser und Straßen und was drum und dran hängt, verblüffen; aber in diesem Rom komm' ich mir vor, wie ein Krähwinkler in der Residenz. Er sperrt Mund und Augen auf über die ungeahnte Herrlichkeit. Und das tue ich redlich. In anderen Städten gibt's auch Herrlichkeiten an schönen Gebäuden, öffentlichen Plätzen und dgl. mehr. Aber es ist alles so berechnet, so wohlgeordnet, so gemacht, so fremd, so eingewandert, so – ich weiß nicht was. Hier ist es naturwüchsig und eingeboren. Das hab' ich noch nie gesehen! ich schwärme für Rom.«
»Gewiß die erste Schwärmerei Deines Lebens, Papa!« sagte Orest.
»Nun, das will ich doch nicht behaupten,« entgegnete Graf Damian. »Früher hatte ich eine große Vorliebe für Paris – wie Du sie jetzt hast. Das begreift sich. Es ist die Stadt des eleganten Lebensgenusses, und der Mensch hat Epochen, in denen er für denselben schwärmt. Damit scheint es hier nicht splendid auszusehen. Die Kaffeehäuser und die Kaufläden sind nicht luxuriös ausgestattet und zur Schau gestellt, und ob es hier einen guten Restaurant gibt, ist wohl sehr die Frage. Als ich mich bei meinem Lohndiener nach einem solchen erkundigte, sagte er betreten, es gäbe recht gute Trattorien in Rom. Aber eine Trattorie ist auf gut deutsch – eine Garküche! Wie sieht's denn mit dem Diner aus, Corona? – das wird wohl auf Windeck besser sein.« –
Nachdem die ersten Tage der Niederlassung an einem fremden Ort, die stets etwas Unbehagliches für alle haben, welche nicht in langer Gewohnheit des Reisens sind, vorüber waren, schien die Familie in's rechte Geleise gekommen zu sein. Man wohnte sich ein, man lebte sich ein. Graf Damian ging in die Welt, machte Besuche, fand alte Bekannte, ritt mit ihnen in der Campagne umher, ging auf die Jagd und unterhielt sich vortrefflich. Corona trank Eselsmilch, fuhr spazieren und nahm mit Maß Roms unerschöpfliche Herrlichkeiten in Augenschein. Mit der großen Gesellschaft befaßte sie sich nur gerade so viel, als sie es ihrem Vater nicht abschlagen mochte, der zu behaupten pflegte, er werde freundlicher empfangen, wenn Corona an seiner Seite erscheine.
»Die Welt,« sagte er, »bedarf des Schmuckes der Jugend und Schönheit. Ältliche Leute – zu denen ich leider anfange gezählt zu werden, aber mich selbst keineswegs zähle – sieht sie gern nur unter drei Bedingungen. Entweder: sie sind europäische Berühmtheiten – oder sie geben ungeheuer gute Diners – oder sie haben schöne Töchter. Das erste bin ich nicht; das zweite kann ich in Rom nicht bewerkstelligen! dazu muß man mich in Windeck aufsuchen. Doch die dritte Bedingung – die erfülle ich und zwar in höchster Potenz: mein feines Töchterlein ist vermählt. Folglich kann man ihr in aller Gemütsruhe huldigen, ohne Furcht, sich deshalb in Hymens Fesseln begeben zu müssen – was bei der bekannten Ehescheu, die jetzt wie eine Grippe bei den jungen Männern unseres Standes grassiert – ein großer Vorzug ist.«
»Lieber Vater,« sagte Corona in dem heiteren Ton, womit sie immer zu ihm sprach, auch wenn sie ernste Dinge sagte, weil er auf diese Weise sie anhörte; »Deine Welt ist ein Babylon, mit König Baltassars Festmahl. Die Geisterhand schreibt ihre geheimnisvollen Zeichen an die Wand des Königssaales; der Perserkrieg steht vor der Tür; aber sie achtet es nicht und taumelt dahin in ihrem Rausch und ihrem Frevel.« Sie dachte an Orest – dem ächten Sohn dieser Welt. Graf Damian erwiderte:
»Kind, warum nennst Du sie meine Welt? Ich habe sie nicht geschaffen und bin recht froh darüber, denn ich würde mich tot ärgern, sehen zu müssen, wie sie jeden Augenblick – bald nach der verkehrten Seite sich umdreht, bald wieder schief ins Blaue hinein fliegt, bald einen ungeschickten Burzelbaum macht. Die Welt ist Gottes Welt. Er hat sie geschaffen, er muß für sie sorgen, daß sie wie ein Stehauf immer wieder auf die Beine kommt, wenn sie auch tausendmal auf die Nase fällt. Ich sehe bei dem Spektakel nur ganz vergnüglich zu und wälze alles getrost auf seine Schultern. Das ist meine Philosophie. Ist sie nicht sehr christlich?«
»So ganz wohl nicht,« sagte sie lachend.
»Nicht ganz?« rief er verwundert. »Ei, Kind, was fehlt denn noch?«
»Von dem, was fehlt, wollen wir gar nicht reden, mein Väterchen! nur von dem, was zu viel ist.«
»Zu viel Christlichkeit! sieh, das überrascht mich.«
»Der vergnügliche Zuschauer, lieber Papa, der dem Weltbankerott zusieht und die Hände reibt, und auch wohl einmal Beifall klatscht – der ist zu viel in Deiner christlichen Philosophie.«
»Ja, Kindchen!« sagte Graf Damian und streichelte liebevoll ihr weiches Haar, »Du bist aus Onkel Levins Schule! mit Euch ist für unsereinen nicht Schritt zu halten.«
Orest beobachtete einigermaßen den äußeren Anstand Corona gegenüber – hauptsächlich auf Judith's Wunsch. Als sie sicher war, ihr Ziel zu erreichen, hatte sie zu ihm gesagt:
»Wähnen Sie nicht, Graf Orest, mir einen Gefallen zu tun oder mir eine Huldigung darzubringen, indem Sie ihre Leidenschaft für mich zur Schau tragen, oder Aufsehen erregen, oder Ihre Gemahlin beleidigen. Für eine gewöhnliche Schauspielerin könnten Sie dergleichen tun, denn die hat Freude daran. Aber ich bin keine gewöhnliche Schauspielerin und alles, was an eine solche erinnert, ist mir zuwider. Ich will ruhig und ohne komödiantenhaftes Gepränge und Getöse den Platz in der großen Welt einnehmen, den Ihre Liebe mir bereitet. Daß dazu die Trennung von Ihrer Gemahlin gehört, tut mir leid, ist aber unvermeidlich. Umsomehr müssen Sie schonend und rücksichtsvoll verfahren, und wenn es Sie auch einige Monate Ihres Glückes kosten sollte! wir haben ja das ganze Leben vor uns, um glücklich zu sein.«
»Aber wie lang ist denn überhaupt das Leben,« fragte Orest, »daß Sie die Versäumnis von einigen glücklichen Monaten nicht als Verschwendung betrachten?«
»Ich werde mich freuen, wenn Sie in zehn Jahren auch noch so gesinnt sind,« erwiderte Judith. –
Orest hatte in seinem Gespräch mit Corona erkannt, daß sie nie ihre Zustimmung zu seinem Vorschlag geben werde.
»Sie ließe sich lieber umbringen als dazu bewegen,« sagte er zu Florentin, der plötzlich, er wußte selbst nicht wie! sein Vertrauter geworden war. Neigung zum Bösen ist kein dauerhaftes, aber zuweilen ein sehr starkes Band zwischen den Menschen, die sich ihm hingeben. Einer stützt den andern, so lange es gilt, das gute Prinzip zu bekämpfen. Später verfolgt dann jeder seinen besonderen Zweck und dann verwandelt sich die Freundschaft nicht selten in bittere Feindschaft. Florentin hatte schon früher durch den vollen Cynismus seiner Grundsätze einen verderblichen Einfluß auf Orest geübt. Dieser fand zwar immer, daß Florentin zu weit gehe, aber er merkte nicht, daß er ihn nur in der Theorie, nicht in der Praxis bekämpfe und dasjenige bereitwillig annehme, was mit seinen Leidenschaften übereinstimme. Als Florentin ihm jetzt erwiderte, es sei nun an der Zeit, endlich Anspruch an seine volle Freiheit zu machen und sich den abgeschmackten Gesetzen der katholischen Kirche gründlich zu entziehen, entgegnete Orest:
»Das ist mein fester Entschluß! ich werde protestantisch und lasse mich scheiden.«
»Vortrefflich!« jubelte Florentin. »Ja, Du mußt protestantisch werden! das ist der erste Schritt zur geistigen Befreiung, dadurch widersagst Du der priesterlichen Vormundschaft und nimmst Deinen Platz ein zwischen denjenigen, welche ihre Selbstberechtigung beanspruchen, ihre höchsten Angelegenheiten nach ihrem eigenen Gewissen zu gestalten. Einen Grund zur Scheidung findet man sehr leicht und der beste wird sein – daß Du protestantisch wirst. Dann kommt auch wieder ein protestantischer Herr auf Deine protestantische Herrschaft Stamberg! Vortrefflich! nach welcher Seite hin man es betrachten möge – ganz vortrefflich!«
»Ich wußte nicht, daß Du ein so wütender Protestant geworden seiest, um sogar auf ein harmonisches Verhältnis zwischen Herr und Untertanen Rücksicht zu nehmen, Du Sozialist und Kommunist!« erwiderte Orest, immer spottend über Florentins Ansichten und immer bereit, ihnen zu folgen, wenn sie seinen Projekten zusagten. »Was bist Du denn eigentlich? calvinisch, lutherisch, anglikanisch, high church, low church, presbyterianisch? nennst Du Dich evangelisch oder reformiert? gehörst Du zu den Mennoniten, den Irvingianern, den Anabaptisten? bist Du der geschworene Anhänger irgend einer Landeskirche? oder wie oder was?«
Florentin antwortete mit verächtlichem Achselzucken:
»Der große Wilhelm von Oranien sagte: Ich weiß nicht, ob die Prädestinationslehre grau oder blau ist. Aber ich weiß, daß Oldenbarneveldt's Kopf und der meine nicht unter einen Hut gehen. Der Kampf für und wider diese Lehre, in den sich natürlich politische Meinungen und Interessen verwebten, zerriß damals Holland in zwei wütende Parteien und Oranien war der Führer der einen, nicht um die Prädestinationslehre siegen – sondern um Oldenbarneveldt um einen Kopf kürzer zu machen. Schlaue Politiker und sonstige kluge Köpfe haben es immer als etwas höchst gleichgültiges betrachtet, ob die religiösen Lehren grau oder blau sind; sie haben sie benutzt für ihre Zwecke. Und so mache ich es auch, obschon ich nichts weniger als ein kluger Politiker bin. Aber das ist ja handgreiflich klar: religiöse Lehren und Ideen sollen in irgend einer Weise den Menschen beglücken. Tun sie das nicht, so haben sie weder Sinn noch Zweck. Der Mensch besitzt seine Vernunft, um zu erkennen, ob sie zu seinem Glück beitragen oder nicht – und seinen freien Willen, um andere Lehren aufzusuchen und anzunehmen, welche mit seinen Glücksbedürfnissen in Einklang sind.«
»Hyazinth würde sagen,« warf Orest ein, »das sei kein Akt des freien – sondern des von Gelüsten und Begierden geknechteten Willens.«
»Sophistik! Priesterart!« rief Florentin. »Hyazinth haben wir hinter uns! der Wille ist frei, wenn er wählen kann nach seiner Lust: das versteht jedes Kind; aber der Priester verdreht die Auslegung. Genug! daß kein denkender Mensch, wenn er zugleich aufrichtig und unegoistisch ist, im Protestantismus sitzen bleibt, das ist so gewiß, wie zweimal zwei – vier ist. Daß der Protestantismus noch immer als Landeskirche oder Bekenntnis, oder wie man das Ding nennen soll! existiert – beweist, wie selten jene drei Eigenschaften in einem und demselben Menschen vereinigt find. Hingegen als Sauerteig in der politischen Welt, und als ein getreuer Eckart der Revolution gegen Tiare und Krone – da wird er bestehen, so lange diese zu bekämpfen sind. Das ist seine Glorie – und darum lieb' ich ihn. Seine Sekten verachte ich; und wenn ich Dir rate, Dich an eine derselben zu schließen, so geschieht das nur, um Dich von Rom abzulösen und in der Hoffnung, daß Du vom Protestantismus nach und nach zu irgend einem anderen – ismus fortschreiten werdest, denn er ist mit ihnen allen verwandt. Auch macht es mir Vergnügen, mir den Schreck vorzustellen, den die aristokratische ultramontane Partei in der Heimat wegen Deines sogenannten Abfalles bekommen wird. Dies Geschrei der Priester! dies Geschnatter der Betschwestern, die sich ihre letzten drei Haare ausreißen werden! Ah, denen gönn' ich besonders diesen Schlag.«
»Judith hat einen großen Widerwillen gegen den Protestantismus,« bemerkte Orest.
»Judith ist stolz und tief ungläubig,« entgegnete Florentin. »Welcher Religionsgesellschaft sie sich zuwenden möge – es ist für sie eine Sache der Form. Es liegt ein gewisser Schmelz auf der katholischen Kunst und dem katholischen Gemütsleben, das ihre Phantasie anspricht; aber sie beugt ihren Geist vor keinem fremden und deshalb ist es ziemlich gleichgültig, ob sie auf katholische oder protestantische Weise die Zeremonie der Taufe durchmacht. Ist sie einmal Gräfin Windeck, so hoffe ich noch viel von ihr und von Dir. Bis dahin verfolgt Ihr beide ganz selbstsüchtig eure persönlichen Bestrebungen und es ist nichts mit euch anzufangen.«
»Seid ihr denn noch immer damit beschäftigt, die euren zu verfolgen und die Welt zu revolutionieren?« fragte Orest.
»Bedarf sie es etwa nicht?« rief Florentin. »Sitzt hier nicht der Papst im Regiment, als ob das ewig dauern sollte?«
»Ich bekümmere mich ja wenig um diese Angelegenheiten,« erwiderte Orest, »aber ich höre von Männern, die im Stande sind, es gründlich wissen zu können, weil sie sich um die Tatsachen bekümmern, daß dies Regiment nichts weniger als schlecht sein soll; daß man Reformen beginnt, Freiheiten gibt, auf Neuerungen eingeht wie überall, und daß die Staatsschulden und die Abgaben geringer sind, als irgendwo.«
»Und wenn die Zustände paradiesisch wären – sie taugten doch nichts! ja, sie taugten gerade dann am wenigsten, denn durch sie würde sich ja das päpstliche Regiment rehabilitieren – und es soll untergehen,« rief Florentin: »durchaus untergehen! Das Haupt der katholischen Kirche ist das Haupt der gegenwärtigen Weltordnung, denn es stellt eine moralische Macht ohnegleichen dar, eine Macht, die Fürsten und Völker miteinander und mit diesem Oberhaupt der Kirche verbindet. Drum ist es die Zielscheibe unserer Bestrebungen. Verbesserungen, Freiheiten, Reformen, Erleichterungen – wir wollen sie nicht; denn wir wollen nicht die Hand, die sie erteilt.«
»Ihr seid wahnwitzig!« rief Orest; »Ihr verabscheut die Herrschaft eines Lammes und sehnt Euch nach der Herrschaft von Tigern.«
»Und Du wirst das noch ganz in der Ordnung finden, wenn Du etwas logisch denken willst,« entgegnete Florentin hohnlachend. »Tust Du nicht dasselbe? nur in enger egoistischer Sphäre und nach kleinem Maße. Corona – ist sie nicht ein Lamm? duldend, friedfertig, lieblich, zur Erfüllung jedes Wunsches bereit. Was helfen ihr die Tugenden und Gaben! Du liebst sie nicht. Du sagst Dich von ihr los, Du willst Dein Leben nicht mit ihr teilen. Und Judith – ist sie nicht so etwas, wie das schöne, stolze Tigertier der Wüste in wilder, königlicher Freiheit? und ihr huldigst Du! und ihr bist Du bereit, allerhand Opfer zu bringen! und von ihr erwartest Du die Wonne Deines Lebens! Und was Du tust für ein sterbliches Wesen und es gerechtfertigt findest durch Deine Liebe – und wenn Dich tausendmal die Welt deshalb verdammt! – Das nennst Du wahnwitzig, wenn es gilt, die Liebe zu einer unsterblichen Idee in Taten auszuprägen? wenn es gilt, die wonnige Braut der Menschheit, die Freiheit, in ihrer vollen, wilden, ungeschminkten Schönheit zu erringen! wenn es gilt, mit ihr eine neue Aera zu begründen – nicht für ein Haus und an einem Herde! sondern für die große Familie der Nationen, die nach ihr schmachtet und der sie schon so lange verheißen ist. Ich sehe, Orest, daß ich auf Dich noch geraume Zeit werde warten müssen.«
»Ja,« entgegnete Orest kaltblütig; »und um so länger, je glücklicher ich sein werde. Kein glücklicher, mit seinem Schicksal zufriedener Mensch macht Revolution. Drum habt ihr bei den euren immer Banditen und Leute dieses Schlages bei der Hand, die ihr Glück erst machen wollen und in ruhigen Zeiten und geordneten Zuständen nicht dazu kommen können. Also auf mich rechne nicht.« –
Hyazinth hatte Coronas Mitteilungen mit um so größerem Schmerz aufgenommen, als er vor ihr verbergen mußte, wie tief sie auch ihn erschütterten. Corona verlangte von ihm in Geduld und Kraft bestärkt und zu edler Ergebung ermuntert zu werden. In dem Sinn mußte er zu ihr sprechen und von demselben beseelt vor ihr erscheinen, denn das ist der ächt christliche Sinn: er ist gefaßt in den Willen Gottes – nicht aus Stumpfheit, sondern weil er ein St. Christophorus des Geistes, ein Riese in der himmlischen Liebe ist, und durch die brausenden Wellen des reißenden Lebensstromes zärtlich und unerschütterlich den Heiland der Welt auf seinen Schultern trägt. Wohl stand Hyazinth mit seinem Willen auf diesem Gipfelpunkt des inneren Lebens; aber er sah zugleich auch in den Abgrund hinab, in welchem die Sünde, die tätliche Beleidigung Gottes fort und fort geboren wird und sah diesen Abgrund geöffnet im Herzen seiner Familie, unter dem Dach seines Hauses. Welche Strafgerichte konnten da nicht einbrechen! auf welche Gottesgeißel mußte man da nicht gefaßt, sein! Wird die Ehe nicht in ihrer vollen Heiligkeit hoch und unangetastet gehalten, so durchschleicht ein geistiges Gift nicht ein Herz allein, sondern es ergießt sich, wie die übervolle Schale eines Springbrunnens in ein weiteres Becken – in die Familie, und geht aus ihr, in tausend Kanälen, deren Zusammenhang das Menschenauge freilich selten entdeckt, in die ganze menschliche Gesellschaft über. Denn der Mensch ist nicht ein abgerissenes Einzelwesen, das ohne Zusammenhang mit seinesgleichen und mit den Höhen und den Tiefen, die ihn umgeben, sein Dasein für sich allein hat, wie eine Kugel dahin rollt. Durch das Gnadenleben, welches Christus der Menschheit gebracht hat, ist sie in eine übernatürliche Gemeinschaft eingetreten und zu einem mystischen Leibe geworden, an welchem die Schönheit und Vollkommenheit jedes einzelnen Gliedes dem Ganzen zur Zier gereicht. Indem jeder einzelne an seiner Vervollkommnung arbeitet, dient er zugleich der übernatürlichen Gemeinschaft und trägt, nach dem Maß, das ihm geworden, sein Sandkorn oder seinen Edelstein zu ihrer Vervollkommnung bei. Wer es nicht tut, reißt eine Lücke in sie; seine Arbeit fehlt; der Platz ist leer, den er ausfüllen sollte, und alsbald zeigt sich und vergrößert sich der Schaden. Wo eine Lücke war, bröckelt mehr und mehr die Mauer ein, bis sie zusammenstürzt und aus einem schönen Gebäude einen Schutthaufen macht, worin häßliches Getier wohnt. Je mehr der Mensch von der Wahrheit und Wärme dieser übernatürlichen Lebensgemeinschaft durchdrungen ist, welche durch die Menschwerdung Gottes begründet und durch die Sakramente erhalten wird, desto schärfer erkennt er den Frevel gegen diese göttliche Liebesordnung, der in der Sünde liegt; desto schmerzlicher beweint er die Vereitlung göttlicher Liebesabsicht, welche sich der Frevler in sündiger Verblendung zu Schulden kommen läßt. Und das war Hyazinths untröstlicher Gram: die Sünde hatte sich eingenistet in seinem Hause! sein Bruder vergaß Gott und seine Pflicht und huldigt einem Götzen und seiner Leidenschaft; und wie weit der innere Abfall ihn auch äußerlich noch stürzen werde – das war nicht zu berechnen und ließ den schlimmsten Befürchtungen Raum. Ihm war zu Mut, als müsse er sich vor den Abgrund werfen, dem Orest zutaumelte, und den Berauschten auffangen und festhalten – sollte er auch unter der Last zusammenbrechen. Mit unaussprechlichen Ängsten und mit grenzenlosem Vertrauen bat und flehte, weinte und seufzte er vor Gott um die Rettung seines Bruders, und indem er sein Kreuz an das des göttlichen Erlösers lehnte, begehrte Hyazinth sein Opfer mit dem Opfer des Gottessohnes zu vereinigen und die Seelen zu lieben, wie Christus sie geliebt hat: für alle sein Blut zu vergießen, für die fremdeste, die geringste, die unbekannteste – nicht für Orest allein.
So lebten sie alle ein Doppelleben, wie das bei den meisten Menschen der Fall ist; äußerlich – rosenrot, Sammt und Seide, gefälliger Umgang, genußreiche Unterhaltung. Trat dann jeder in sein Kämmerlein zurück, so war es anders! da fand sich jeder gegenüber seinem Herzen, das die Folge und Strafe der Sünde, der eigenen und der fremden – einen Dornenkranz trug.