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12.
Glück kehrt wieder, wo der Friede weilt.

Es schien, als ob das Schicksal dem alten Schulzen jede Demütigung auslegen und seinen früheren Stolz völlig brechen wollte. Er mußte jetzt eine Zufluchtsstätte bei seinem Sohne suchen, den er in eigensinnigem Dünkel einst aus dem Hause getrieben. Der alte Mann empfand das alles tief und bitter; aber er leistete gegen die Anordnungen seiner Tochter keinen Widerstand, denn er war nicht mehr derselbe Eisenkopf, der alles nach seinem Willen beugen wollte. Wilhelm, der bei der Garde-Artillerie gedient, hatte jetzt auch schon die Einberufungsordre erhalten und mußte in den nächsten Tagen fort. Ihm gewährte deshalb diese Übersiedelung einen großen Trost; nun hatte seine arme Frau an Auguste und dem Vater eine Stütze. Als er sich hierüber gegen seine Schwester aussprach, entgegnete sie sogleich: »Nur auf mich darfst du nicht rechnen.«

»Warum?« fragte er verwundert. »Glaubst du nicht, daß Helene glücklich ist, dich hier zu haben?«

»Daran zweifle ich nicht«, war ihre Antwort, »aber es ist genug, wenn deine kleine Wirtschaft jetzt den Vater mit erhält. Ich darf euch nicht ebenfalls zur Last fallen.« Und als Wilhelm ihr widersprechen wollte, fuhr sie lebhaft fort: »Ich weiß wohl, daß ihr, du und deine Frau, jedes Opfer für uns bringen würdet, aber mein Entschluß ist bereits gefaßt, ich gehe mit in den Krieg.«

»In den Krieg? Und was willst du dort?« fragte er ganz erstaunt.

»Als Marketenderin. Sieh mich immer verwundert an, ich hab' doch alles reiflich überlegt. Was soll ich hier müßig sitzen? Ich habe schon, was mein war, zu Geld gemacht; das reicht zu den nötigen Einkäufen, und ich begleite dich. Du bist ja Sergeant und wirst mir schon forthelfen und mich ein wenig beschützen können; hast du mir nicht erst gestern erzählt, wie es 1866 an Marketenderinnen gefehlt hat und wieviel diese Leute verdienen konnten?«

»Aber du, Auguste, bedenke doch, du bist an solche Strapazen nicht gewöhnt«, warf ihr Bruder endlich ein, der sich von seiner Bestürzung über diesen seltsamen Einfall noch nicht erholen konnte.

»Laß alle Bedenken«, entgegnete Auguste, »du weißt, wir Leute aus dem Schulzenhofe sind alle hartnäckig und gehen unerschütterlich den Weg, den wir für recht erkannt. Auch mich wird nichts mehr von meinem Plane abbringen. Ein Wort – eine Frau« – lächelte sie trübe.

Wohl schüttelte Wilhelm noch ein wenig den Kopf über ihren wunderlichen Einfall, im Grunde mußte er ihr jedoch recht geben. Was sollte sie hier, wo sie alles an ihr Elend erinnerte? Und konnte sie sich dort nicht ebenfalls wie so viele ein kleines Vermögen erwerben? Sie war ja nicht mehr die heitere, etwas verwöhnte Schulzentochter, die vornehm in das Leben blickte; das Unglück hatte sie in eine tüchtige Schule genommen und sie völlig verwandelt. Wie die Schwester jetzt war, so fest entschlossen, so ruhig überlegt, so kühl und vernünftig, konnte sie sich wohl in eine solche schwierige Lage finden, und wenn es sich ermöglichen ließ, daß sie sein Regiment begleiten durfte, dann hatte sie ja an ihm den nötigen Beistand. Es entsprach ohnehin so ganz seinem innersten Wesen, sich auf die eigenen Füße zu stellen und nach dem Gerede der Leute nicht zu fragen.

Und nach einigem Nachsinnen sagte er ungewöhnlich lebhaft; »Es freut mich von dir, daß du nicht im Elend hocken willst, wie so viele Narren, die sich zu vornehm dünken, um sich aus einer unglücklichen Lage wieder herauszuarbeiten. Da können sie das und jenes nicht ergreifen, denn was würde die Welt dazu sagen? Aber ich meine doch, wer sich um solche Dinge härmt, der wird niemals auf den rechten Weg kommen.«

Die Schwester schüttelte dem Bruder herzlich die Hand. Wohl leistete der alte Schulze anfangs den lebhaftesten Widerstand und mochte von einem solch tollen Einfall nichts wissen. Seine Tochter wollte Marketenderin werden! Das war unerhört; aber die jungen Leute bewiesen ihm, daß es jetzt nicht Zeit sei, solche Vorurteile zu hegen, und schweren Herzens willigte er endlich ein.

Dem Plane Augustens setzten sich weiter keine Hindernisse in den Weg. Der Regimentskommandeur nahm ihr Anerbieten bereitwilligst an. Es fehlte ohnehin an solchen Leuten, und er war froh, jemand zu finden, dem er Vertrauen schenken konnte. Die ernste, blasse Frau machte auf ihn den besten Eindruck, und wenige Tage später war Auguste schon mit ihrem Bruder aus dem Marsche nach Frankreich. – – – –

*

Während Wilhelm alle Kämpfe und Anstrengungen der Belagerungsarmee vor Paris durchzumachen hatte, gehörte Fritz der Nordarmee an, in der gerade die Kavallerie vielfache Gelegenheit hatte, sich auszuzeichnen. Auch in Fritz war wieder, seitdem er in der Ulanenuniform steckte, der alte Jugendmut erwacht, und wo es irgend ein gefahrvolles, tollkühnes Unternehmen galt, da drängte er sich gewiß herbei und war der erste, der sich freiwillig erbot, es zu bestehen. Wie durch ein Wunder entging er all diesen Gefahren. Ja, das Glück war ihm noch ganz besonders günstig. Auf seinen verwegenen Streifzügen fiel ihm mit zweien seiner Kameraden als Beute eine ansehnliche Kriegskasse in die Hände, und es wurde ihm ein Beuteanteil zugesichert, den er nach Beendigung des Krieges in der Höhe von tausend Thalern ausgezahlt erhielt.

Wer war glücklicher als Fritz Uhse! Mit dem eisernen Kreuz geschmückt, das er sich durch seine Tapferkeit redlich errungen, kehrte er in die Heimat zurück. Das Gefühl der tiefen Schmach und Demütigung war von ihm genommen; nun konnte man doch nicht mehr mit Verachtung auf den bankerotten Scholtiseibesitzer herabsehen; er war jetzt ein anderer, er hatte jenen Vaterlandsverteidigern an gehört, deren Thaten die Bewunderung der Welt erregt und von denen jeder einzelne sich glücklich preisen kann, weil eine große Vergangenheit sein Herz für immer mit den erhebendsten Empfindungen erfüllt. Auch Fritz hatte das volle Bewußtsein, daß er sich wiedergefunden, in der Stunde der Gefahr seinen Mut dargethan und die furchtbarsten Anstrengungen und Strapazen heldenmütig ertragen, und ferner hatte die große Zeit veredelnd auf ihn gewirkt und seine Eitelkeit erstickt. Die Eigenschaften, auf die er sich früher so viel zu gute gethan – kecker Mut und Lebenslust – bemerkte er bei all seinen Kameraden, und jeder füllte den Platz aus, auf den man ihn gestellt, leistete in Entfaltung all seiner Kräfte das unmöglich Scheinende, ohne daß irgend einer Aufhebens davon machte. Es war bei jedem so selbstverständlich, daß es sich niemand als großes Verdienst anrechnete, wenn er die schwersten Dienste verrichtet, die furchtbarsten Strapazen ertragen hatte, daß Fritz zum Bewußtsein kam, was für ein eitler Geck er früher gewesen war, wenn er sich auf Dinge etwas eingebildet, die ihm nicht einmal zur Ehre gereichten. Hier, in dem langen und hartnäckigen Kampfe, verrichtete jeder das Schwerste ohne alle Prahlerei; er war sich stets so bedeutend vorgekommen, wenn er volle Champagnerflaschen vom Tisch geworfen, mit Stulpenstiefeln und eleganter Reitpeitsche aus den Acker hinausgeritten war, oder ein Pferd im tollen Jagen zu Schanden gefahren hatte.

Diese Beobachtungen und Erfahrungen hatten vollends die guten Vorsätze in ihm gereift, die er damals gefaßt, als das Unglück über ihn hereingebrochen war. Nicht einmal die Huldigungen, die den heimkehrenden Siegern überall zu teil wurden, weckten in Fritz Uhse einen Funken jener leichtfertigen Eitelkeit, die ihm so verderblich geworden; ja, mit einem seltsamen Zagen trat er jetzt den Heimweg an. Hatte er denn noch ein Heim? War das nicht durch seinen grenzenlosen Leichtsinn auf immer verloren gegangen? Das Herz wurde ihm schwer, als er langsam die Schritte zum Hause seines Schwagers lenkte. Wie würde er die Seinen wiederfinden? Wohl hatte er mehrmals geschrieben, aber nur von der Schwägerin war Antwort eingetroffen, und sie hatte dabei mit keinem Wort Augustens oder des Schwiegervaters erwähnt. Zürnten sie ihm noch und hatte damals nur der Moment des Scheidens sie milder gestimmt? Nun mußte er alles erfahren!

In dem kleinen sauberen Häuschen schien es ganz still zu sein. Sicher war Wilhelm noch nicht zurück. Auch am Fenster war niemand zu bemerken. Mit einem seltsam beklommenen Gefühl öffnete er die Thür und – Auguste hing an seinem Halse. Das war eine Überraschung, wie er sie nicht zu träumen gewagt. Nachdem die Freude des ersten Wiedersehens verrauscht war, gewahrten beide erst, welch große Veränderungen mit ihnen vorgegangen. Der ernste, sogar ein wenig abgeschlossene, schweigsame Mann, der jetzt an Augustens Seite saß, war nicht mehr der leichtsinnige, übermütige Fritz Uhse, der so viel Unheil über sie alle gebracht, das fühlte sie wohl; aber Fritz bemerkte ebenfalls zu seinem Erstaunen, daß Auguste nicht mehr dieselbe war. Sie zeigte sich bestimmter, selbstbewußter, entschlossener, er war über ihre Umwandlung entzückt. Ach, wäre sie schon damals so gewesen, sie hätte ihn gewiß früher schon zur Vernunft gebracht. So fest und lebensmutig hatte er sie sich stets gewünscht, so war sie ihm recht, und von diesen Empfindungen erwärmt, teilte er ihr sein Kriegsglück mit, das er gehabt, und knüpfte an den Besitz der kleinen Summe neue Hoffnungen. Er sprach von der Pacht einer Besitzung. »Es wird freilich eine harte Arbeit werden«, sagte er mit einem Seufzer und ihr die Hand reichend, »aber soviel ich kann, will ich durch Fleiß und Ausdauer meine große Schuld in etwas wieder gut machen. Du sollst sehen, ich halte Wort, und ich weiß auch, daß du mir jetzt redlich zur Seite stehen wirst.«

Sie antwortete nicht, drückte ihm nur die Hand und ging dann rasch hinaus. Fritz blickte ihr ganz verwundert nach. Da kam sie schon zurück und legte mit strahlenden Augen einen Beutel auf den Tisch. »Ich will auch zum neuen Anfang etwas beitragen«, und sie schüttete eine Menge französischer Goldstücke auf den Tisch. »Es fehlen nur 10 Stück zu 500 Thalern. Sieh mich nicht so versteinert an, ich hab' auch Glück im Kriege gehabt!« und sie berichtete von ihrem kecken Entschluß und ihren Erlebnissen.

Fritz glaubte zu träumen; dann schloß er seine Frau jubelnd in die Arme. Nun wußten sie, daß sie mutig ausharren würden mit und nebeneinander, nachdem sie beide durch eine harte Schule gegangen waren, und daß sie jetzt die Gabe erworben, sich einen neuen Weg durch das Leben zu bahnen.

Wer hat es nicht schon beobachtet, wenn er auf sein Leben zurückblickt, daß Glück und Unglück selten vereinzelt austreten? Es gibt eine Zeit, da schlagen all unsere Unternehmungen fehl, da kommt ein Sturm nach dem anderen, zerknickt unsere Hoffnungen und zertrümmert unsere schönsten Lebenspläne. Es ist, als ob die launenhafte Glücksgöttin uns den Rücken zugewandt hätte, und wir wollen verzweifeln, weil selbst all unser Mühen und Sorgen kein Erfolg begleitet. Ja, wir möchten an das Walten eines eisernen Fatums glauben, das gnadenlos die Opfer zermalmt, die es sich einmal ausgesucht. Aber wenn wir nur mutig ausharren, wenn wir dem Unglück so lange ins Gesicht lachen, bis es die strengen Züge zu einem Lächeln verzieht, dann tritt eine wunderbare Wandlung in unserem Schicksal ein; zu der umnachteten Brust, die schon verzweifeln wollte, verirrt sich endlich ein Sonnenstrahl, heller, freundlicher wird es rings um uns, und plötzlich breitet sich wieder ein blauer Himmel über unser Erdendasein, das düstere Schicksalsgewölk ist verflattert, und heller Sonnenschein und echtes, wahres Glück jauchzt in das Herz.

Das erfuhr auch unser schwer geprüftes Ehepaar. Fritz war eben im Begriff, sich nach einer größeren Pachtung umzusehen, da erhielt er die Nachricht, daß sein gefährlichster Feind, dessen Rachsucht für ihn so schlimme Folgen gehabt, nicht mehr am Leben sei. Bernhard hatte sich seines durch die schändlichsten Ränke erworbenen Besitzes nicht lange zu erfreuen gehabt. Seitdem er sich vom armen Schreiber zum reichen Schulzen von Schwarzthal aufgeschwungen, war ihm das Glück zu Kopf gestiegen; er zeigte jetzt einen Hochmut und eine Rücksichtslosigkeit, die ihn überall verhaßt machten. Nun er ein vermögender, angesehener Mann war, fehlte ihm noch eins – eine reiche und schöne Frau. Er bewarb sich jetzt um die Tochter eines benachbarten Gutsbesitzers, erhielt auch wirklich die Zusage ihrer Hand – doch als er eines Abends wieder zu seiner Braut geritten war, da schleifte sein Pferd kurz vor Mitternacht seinen Leichnam in den Hof der Scholtisei. Eine Kugel hatte ihm den Kopf zerschmettert.

Die eingeleitete Untersuchung endigte ohne Ergebnis. Von der öffentlichen Meinung wurde bald der ehemalige Geliebte seiner Braut, bald einer seiner Knechte der That bezichtigt, mit dem Bernhard kurz vorher in Streit geraten war; bald warf man Verdacht auf einen wilden Burschen des Dorfes, welcher durch die Anklage des neuen Schulzen zu einer mehrwöchigen Strafe verurteilt worden; aber die nach allen Seiten angestellten Nachforschungen führten zur Ermittelung des Mörders nicht.

Da inzwischen auch der Vater Bernhards gestorben war, so fiel seiner Schwester Helene als einziger Erbin die Scholtisei zu. Weder sie noch ihr Mann mochten aber von einem Besitztum etwas wissen, das nur durch die unredlichsten Mittel in die Hände Bernhards gekommen war. Wie auch Fritz sich anfangs dagegen sträubte, er mußte die Scholtisei zurücknehmen; er drang jedoch selbst darauf, daß diesmal seine Frau als Besitzerin eingetragen wurde. Wenn er auch vor einem etwaigen Rückfall sich sicher fühlte, wollte er doch den Seinen jede Bürgschaft bieten, die eine Wiederkehr jener trübseligen Erfahrungen unmöglich machte.

Die dunkle Vergangenheit lag nun für immer hinter ihnen; auch der alte Schulze war jetzt mit seinem Schwiegersohn völlig ausgesöhnt, der wirklich nun alle guten Eigenschaften kundgab, die bisher in ihm geschlummert. Durch die Tüchtigkeit seines Charakters, durch redliche, wackere Gesinnung erwarb sich Fritz die allgemeine Achtung, und für die beiden Eheleute begannen jetzt Tage des Friedens und des echten Glückes. – Wohl ist ihre Ehe bis dahin kinderlos geblieben, aber Helene hat schon wieder ihren Mann mit einem kleinen Erdenbürger beschenkt, und sowohl für Fritz wie für Auguste steht es bereits fest, daß einmal der Sohn Wilhelms Schulze von Schwarzthal werden und damit wieder das Besitztum in die Hände des rechten Erben kommen soll, und in der Scholtisei gilt längst wieder: »Ein Mann, ein Wort.«

 

Ende


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