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Der junge Schulze dagegen fühlte sich sehr erleichtert, daß ihn der Alte mit seinen langweiligen Ermahnungen in Ruhe ließ und Auguste ihm nicht länger mit ihren Thränen beschwerlich fiel; – er hatte also doch das rechte Mittel angewandt und sie mit seiner Keckheit eingeschüchtert – seine Sorgen waren auf ganz andere Dinge gerichtet. Pferde mußte er wieder haben und womöglich noch prächtigere als die ersten, das verstand sich von selbst! Wie würden sonst die Schwarzthaler über ihn höhnen. Aber wo rasch Geld hernehmen? Das war die Frage, die seinem ohnehin vom harten Fall angegriffenen Kopfe neue Schmerzen bereitete. – Die tausend Thaler waren verspielt, und nächstens kamen die Wechsel. – Pah, was sollte er sich vor der Zeit unnützen Kummer machen, noch hatte er für die Ernte eine hübsche Summe zu erhalten, und kommt Zeit, kommt Rat.
Das Beste war, er fuhr sogleich in die Stadt und suchte von dem Käufer seiner Ernte sich den Rest des Geldes zu verschaffen. – Damit kamen ihm auch alle verdrossenen Gesichter aus den Augen.
Heute mußten freilich die Ackerpferde angespannt und die alte, schon halb zerfallene Kalesche des Schwiegervaters aus der Remise gezogen werden, aber es half nichts – mochten ihm die Bauern immerhin tückisch nachglotzen, in ein paar Tagen wollte er ihnen schon beweisen, daß der Fritz Uhse noch immer obenauf sei, und von diesem Gedanken belebt, fuhr er mit erhobenem Kopfe und dem alten leichten Sinn zum Dorfe hinaus.
Leider gewannen seine vertrauensseligen Hoffnungen in der Wirklichkeit einen ganz anderen Anstrich. Gleich nach seiner Ankunft eilte er zu dem Getreidehändler. Er fand ihn augenblicklich nicht zu Hause und wurde auf eine spätere Stunde vertröstet. Voll Ungeduld wanderte er in den Straßen umher; – bevor er die Sache nicht abgemacht hatte, mochte er nicht einmal ein Wirtshaus betreten. Nach mehreren vergeblichen Gängen traf er endlich den vielfach in Anspruch genommenen Geschäftsmann daheim. Aber mit allem Aufwand seiner Beredsamkeit vermochte er ihn nicht zu bestimmen, den Rest der Kaufgelder sofort auszuzahlen. Selbst durch einen bedeutenden Abstrich, den sich der Schulze gefallen lassen wollte, war der andere nicht zu bewegen und blieb bei seiner Erklärung: »Solange Sie nicht vollständig geliefert haben, zahle ich nicht weiter. Wer bürgt mir dafür, daß Sie nicht das Getreide noch einem anderen verkaufen?«
»Herr, wie können Sie mir so was zutrauen!« brauste der Schulze auf. »Ich bin ein Ehrenmann, habe drei Jahre dem Könige gedient, 1866 mitgemacht und mir nichts zu schulden kommen lassen, und nun muten Sie mir einen solchen Betrug zu?!« – Er stemmte die Arme unter und schleuderte dem dicken, behäbigen Getreidehändler die vernichtendsten Blicke zu.
Dieser ließ sich durch den Zorn des anderen nicht aus seiner Ruhe bringen. »Not bricht manchmal Eisen, lieber Mann«, sagte er gelassen, »und wie ich höre, laufen von Ihnen bedeutende Wechsel 'rum, die noch nicht gedeckt sind, da können Sie mir's nicht übel nehmen, wenn ich mich vorsehe.«
Wohl war es dem Schulzen etwas unangenehm, daß seine Wechselschulden schon so bekannt geworden; aber er durfte sich doch diesem groben Menschen gegenüber nichts merken lassen und entgegnete hochfahrend: »Meine Scholtisei ist groß genug, um die paar lumpigen Wechsel zu decken, und wenn meine Ernte in einem einzigen Jahre ein paar tausend Thaler abwirft, können Sie sich schon denken, daß ich ein sehr schönes Besitztum haben muß, das noch dazu ganz schuldenfrei ist.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte der Getreidehändler, und auf seinem wohlgenährten Gesicht zeigte sich ein eigentümliches Lächeln, als er fortfuhr: »Aber Sie sind der erste Schulze von Schwarzthal, mit dem ich Geschäfte mache.«
Fritz verstand sogleich die Anspielung. Sein Schwiegervater hatte niemals an einen Getreidehändler verkauft, sondern durch direkten Verkehr mit Bäckern und Müllern höhere Preise zu erzielen gewußt. – Nun, es war auch bei ihm nur eine Ausnahme und sollte später gewiß nicht mehr vorkommen – deshalb sagte der junge Schulze gereizt: »Es soll auch das erste und letzte Geschäft gewesen sein, das ich mit Ihnen mache«, und mit bitterem Groll gegen diesen unverschämten dummen Menschen verließ er rasch das Zimmer.
Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen Unmut in einem Glase Wein zu ertränken, und unwillkürlich lenkte er die Schritte zu dem gewohnten Schanklokal. Es war über die vergeblichen Gänge und dann über das nutzlose Hin- und Widerreden schon spät geworden, trotzdem traf er noch die alten Freunde. Sie begrüßten ihn so herzlich wie immer und schienen nicht wenig erfreut zu sein, daß er sich so bald wieder eingefunden. Wohl war's ihm, nach seinem Mißerfolge, gar nicht heiter zu Sinn; aber er durfte doch hier am wenigsten den Kopf hängen lassen und ein trauriges Gesicht machen, und um sich zu betäuben, stimmte er erst recht in die allgemeine Lustigkeit mit ein.
Bernhard war wie gewöhnlich noch nicht da; er fand sich fast immer am spätesten ein, und richtig – jetzt kam er endlich. – Dem jungen Schulzen fiel ein Stein vom Herzen. – Sein Freund, der ihm schon oft geholfen, mußte ihn auch diesmal aus der Klemme reißen, und als die anderen sich wieder dem Trinken zuwandten, zog er den Schreiber etwas beiseite und flüsterte ihm zu: »Bernhard, du mußt mir noch tausend Thaler schaffen, ich braucht sie.« Durch diese eindringliche, entschlossene Sprache glaubte er am besten auf seinen Freund wirken zu können.
Der war auch wirklich von dieser Zumutung gar nicht überrascht: »Nichts leichter als das; du darfst nur einen Wechsel ausstellen, und morgen sollst du dein Geld haben.«
Dem Schulzen klangen diese Worte wie Musik ins Ohr. »Du bist ein prächtiger Kerl!« sagte er und schüttelte ihm derb und dankbar die Hand.
»Zwölfhundert wirst du freilich schreiben müssen«, flüsterte Bernhard mit leichtem Achselzucken, »ich weiß es beim besten Willen nicht anders aufzutreiben.«
»Das hilft nichts, ich muß das Geld um jeden Preis haben«, erklärte Fritz rückhaltslos, »denke, ich habe gestern mit meinem Wagen und den Pferden Pech gehabt, das eine ist drauf gegangen und das andere ist lahm geworden.«
Bernhard versuchte ein sehr teilnahmvolles Gesicht zu machen, während seine Gedanken ganz wo anders waren. Er bereute es schon, daß er nur zweihundert Thaler gefordert – dann aber schnippte er mit den Fingern, und jedes Bedenken schwand. »Er ist mir doch sicher!« jauchzte es in seinem Inneren, und ein diabolisches Lächeln zuckte um seine Lippen.
»Na, du hast recht, wer wird sich darum ein graues Haar wachsen lassen«, lachte Fritz. »Morgen also bekomm' ich das Geld, und dann muß ich wieder ein paar Staatspferde haben.«
»Wenn du heute schon eine kleine Summe brauchst, ich habe gerade etwas bei mir, das ich dir borgen kann«, flüsterte Bernhard.
»Ah, das ist prächtig, ein paar Thaler wären mir lieb.«
»Hier hast du fünfzig Thaler«, ich habe sie selbst gezählt, und der Schreiber steckte dem Schulzen eine Geldrolle zu, die dieser ohne weiteres in seine Tasche gleiten ließ. »Du bist wirklich ein guter Kerl!« und nachdem er dem Freunde dies große Lob erteilt, wandte er sich erleichterten Herzens wieder der Trinkgesellschaft zu. Er konnte nun auch etwas drauf gehen lassen, und in seiner fröhlichen Stimmung, bei seiner Sucht zur Prahlerei fand er seinen Stolz und sein Vergnügen darin, andere frei zu halten oder womöglich die ganze Zeche zu bezahlen; auch heute bestellte er sogleich ein Dutzend Flaschen Champagner. Nach all den Sorgen und Ärgernissen des heutigen Tages war es nicht mehr als ohne, daß er etwas draufgehen ließ, um wieder der Alte zu sein. Warum sollte er sich unnütz länger abhärmen, morgen hatte er ein Paar neue Pferde und alles übrige kümmerte ihn wenig. – Wie er einmal alle seine Wechselschulden bezahlen sollte, daran dachte er nicht, oder mochte nicht daran denken; schlimmsten Falls war ja die Scholtisei groß genug, um alles zu decken. – Der Champagner war köstlich, seine Zechkumpane stießen mit ihm an und bewunderten ihn als flotten Kerl. Es war doch nirgends lustiger als hier in der Weinstube und eine große Thorheit, sich das verweinte Gesicht der Fran und die ernste, fast abschreckende Miene des Schwiegervaters zu Herzen zu nehmen.
In der glücklichsten, weinseligsten Stimmung fuhr er nach Hause, und die hielt auch am anderen Tage an. Was kümmerte ihn die schmerzliche Abgeschlossenheit der Seinen, er beachtete sie nicht weiter oder wollte sie nicht beachten. Er konnte gar nicht die Stunde erwarten, wo er wieder in die Stadt fuhr. Endlich war sie da und alles ging vortrefflich. Bernhard zahlte die 950 Thaler baar aus, und der Schulze unterschrieb mit leichtem Herzen den Wechsel über 1200 Thaler für den ihm unbekannten Darleiher.
Vorher hatte sich Fritz schon nach ein paar hübschen Pferden umgesehen, mit dem Gelde in der Tasche wurde er bald mit dem Verkäufer handelseins, und bei einem Wagenbauer war auch eine prächtige Halbchaise rasch ausgewählt. Freilich mußte er sie auf Borg nehmen; aber der Mann kannte ja den reichen Schulzen von Schwarzthal und begnügte sich mit einem in drei Monaten zahlbaren Wechsel. Dem jungen Schulzen war das Querüberschreiben jetzt schon so geläufig, daß er in dieser Forderung des Wagenbauers gar nichts Besonderes fand und bereitwilligst darauf einging. Bernhard hatte die Gefälligkeit gehabt, ihn bei diesen Geschäftsgängen zu begleiten, und Fritz hatte nicht gemerkt, daß sein Freund mit dem Manne heimlich geflüstert. Der Wagenbauer würde sich wohl sonst mit dem bloßen Wort des Schulzen begnügt und die Ausstellung eines Wechsels nicht verlangt haben.
Der Schreiber forderte ihn jetzt auf, mit ihm in die Weinstube zurückzuwandern, aber Fritz mochte heute davon nichts wissen. »Ich darf jetzt nicht so fort wirtschaften und muß ein bißchen Einhalt thun, sonst geht die Karre ganz schief«, sagte er und nahm eine solche Miene an, als sei es ihm wirklich ernst mit seinen guten Vorsätzen.
Bernhard lachte höhnisch vor sich hin, er durchschaute den eitlen Burschen vollkommen, es war ihm gar nicht darum zu thun, plötzlich seinen Lebenswandel zu ändern. Er wäre gewiß gern in die Weinstube mitgekommen, aber er wollte noch bei Tage nach Hause fahren, um den Schwarzthalern sein neues Gefährt recht vor die Augen zu rücken. Trotzdem ließ sich der Schreiber nichts merken, er ging vielmehr auf die Ideen des anderen ein und sagte zustimmend: »Das machst du recht. Aber in acht Tagen laufen die ersten Wechsel ab, und dann kommst du doch herein, damit ich nicht erst Umstände habe.« Bernhard sprach in einem so gleichgültigen Tone, als handle es sich um die unbedeutendsten Dinge von der Welt; er blickte dabei nur Fritz von der Seite verstohlen an, und eine boshafte Freude jauchzte durch seine Brust, als er die grenzenlose Bestürzung sah, die sich aus dem Gesichte des jungen Schulzen malte. Er hatte schon im Wagen Platz genommen und wollte mit einem kurzen Lebewohl davon fahren, als er plötzlich anhielt. Die Zügel zitterten in seiner Hand, eine Totenblässe bedeckte sein Antlitz und er vermochte vor gewaltiger Erregung kein Wort hervorzustammeln.
»Na, nimm dir's nicht zu Herzen!« rief Bernhard lachend und sah dabei so gutmütig aus, als könne er kein Wasser trüben. »Kannst du wirklich nicht Deckung schaffen, so werde ich schon dafür sorgen, daß der Herr noch einmal prolongiert. Für was wäre ich dein Freund? Das thue ich dir herzlich gern zu Gefallen.«
Fritz atmete bei diesen Worten auf; sein Leichtsinn behielt die Oberhand. Wenn er nur für die nächste Zeit Luft hatte, war er um die ferne Zukunft unbekümmert, und Bernhard die Rechte entgegenstreckend, sagte er mit voller Überzeugung: »Ich hätte nie geglaubt, daß wir noch einmal so gute Freunde werden würden, aber du kannst nun auch darauf rechnen, daß ich für dich durchs Feuer gehe; und nun leb' wohl, Herzensjunge!« Er nickte dem Schreiber freundlich zu, hob ein wenig die Peitsche und die Pferde flogen mit ihm davon.
Hei, wie das lustig war und was für Augen die Schwarzthaler machten. Sie glotzten sich dieselben förmlich aus dem Kopfe, als er vorüberfuhr. Sein Schwiegervater beachtete freilich mit keinem Blick das neue Gefährt, und auch seine Frau ging schweigend mit einem Seufzer fort, als er sie triumphierend und halb gewaltsam in den Hof gezogen, damit sie die Equipage bewundern solle. Ach, sie hatte schon vom Fenster aus die Ankunft ihres Mannes heimlich bemerkt und dabei an das Wort ihres Vaters denken müssen: »Wo soll denn der Mensch das Geld zu all seinen Tollheiten hernehmen?« – Ja, wo nahm er es her? Darüber zergrübelte sie sich vergeblich den Kopf. Sie so wenig wie ihr Vater hatten die mindeste Ahnung davon, in welch leichter und dennoch höchst gefährlicher Weise Fritz sich Geld zu verschaffen gewußt hatte.
Der Schulze lebte jetzt um so leichter in den Tag hinein. Zwar hatte er sich anfangs wirklich vorgenommen, von jetzt ab hübsch zu Hause zu bleiben und ein besserer Wirt zu werden; aber das neue Fuhrwerk war zu verführerisch, er mußte es doch benutzen. Zu was hatte er denn die prächtigen Pferde, wenn er nicht mit ihnen in die Stadt fuhr?! Und die Schwarzthaler mußten doch sehen, daß ihn sein Verlust nicht weiter geschmerzt habe, und sie sollten an dem neuen, eleganten Fuhrwerk ihr tägliches Ärgernis nehmen.
Freilich kosteten die Besuche in der Stadt viel Geld, und auch für die Wirtschaft brauchte er neue Summen, aber Bernhard machte in der Beschaffung neuer Gelder so gar keine Schwierigkeiten, und der Schulze war unverdrossen im Querüberschreiben; Wechsel zu den verschiedenartigsten Beträgen wurden ausgestellt. Fritz fragte schon gar nichts mehr danach, ob nicht das jedesmalige Verschreiben einer weit größeren Summe, als er wirklich erhielt, nicht endlich seine Schuldenlast zu einer entsetzlichen Höhe hinaufschraubte, er war schon zufrieden, wenn er für solch einen leeren Wisch und für seine bloße Unterschrift bare fünfzig oder hundert Thaler erhielt, und die ganze Geschichte kam ihm ganz märchenhaft vor; er befand sich in einem ewigen Rausch, aus dem er nur viel zu spät erwachen sollte.
Auch die nochmalige Prolongation der ersten, wieder fälligen Wechsel hatte sich so leicht gemacht. Bernhard war wirklich ein prächtiger Kerl. Er durfte nur neue Wechsel ausstellen, und die Geschichte war glücklich abgethan. Freilich mußte er wieder »fünfhundert« mehr schreiben, aber was wollte das viel bedeuten! Er war doch für den Augenblick aus der Klemme, und weiter hinaus wagte er schon gar nicht mehr zu denken. Wenn er es wirklich einmal that, so graute ihm selbst davor, und er suchte sich rasch zu betäuben und mit gewohntem Leichtsinn die drohende Zukunft von sich abzuschütteln.
Ein ganzes Jahr hielt das luftige Gebäude, und dann brach es mit einem Schlage zusammen; Bernhard hielt es an der Zeit, die Maske fallen zu lassen und dem »guten Freunde« sein wahres Gesicht zu zeigen.
Die Schwarzthaler hatten sich vergeblich den Kopf zerbrochen, wie der junge Uhse bei dieser Wirtschaft bestehen könne. Der alte Fellenberg mußte doch ein heidenmäßiges Geld zusammengeworfen haben, weit mehr, als alle im Dorfe gedacht. Sonst war es ja gar nicht möglich und mit dem leichtsinnigen Menschen schon längst am Rande. Zwar ließ der alte Schulze sehr den Kopf hängen; – er war nicht mehr derselbe Mann – auch die junge Frau zeigte unverkennbar eine gedrückte Stimmung, aber gewiß fühlten sich die Fellenbergs nur unglücklich, daß Fritz allzu leichtsinnig das mühsam erworbene Geld zum Fenster hinauswarf. Wie es eigentlich mit ihm stand, ahnte niemand – die Seinen am wenigsten.
Der alte Schulze glaubte wohl, daß sein Schwiegersohn eine Menge Schulden mache, aber da er nichts von der Aufnahme einer bedeutenden Hypothek hören konnte, blieb ihm die Größe der heranrückenden Gefahr völlig unbekannt.
Bernhard und sein Geschäftsfreund waren jetzt im Besitze von Wechseln in keinem geringeren Gesamtbetrage als 18 000 Thalern. – Nun war der rechte Zeitpunkt gekommen, der Schreiber konnte die geschickt angelegte Schlinge über seinem armen Opfer zuziehen.
Fritz hatte bisher sorglos in den Tag hineingelebt; die Pumpe seines Kredits setzte sich so leicht in Bewegung, daß es ein wirkliches Vergnügen war, und als es eines Tages wieder mit den zuletzt verschriebenen hundert Thalern zur Neige ging, fuhr er in alter, guter Laune in die Stadt, weil er ja bereits daran gewöhnt war, daß ihm sein lieber Freund für einen lumpigen Papierwisch ohne weiteres klingendes, bares Geld verschaffte. Er hatte in letzter Zeit stets den Schreiber in seiner Wohnung aufgesucht, um vorher das Nötige ins reine zu bringen, eh' beide dann gemeinsam in die Weinstube wanderten. Es traf sich gut, er fand auch heute Bernhard anwesend, der zum erstenmal seinen freundlichen Gruß in sehr kühler Weise erwiderte.
»Willst du nicht etwas Platz nehmen, ich habe gerade noch Notwendiges zu schreiben.« Der Agent, wie sich Bernhard jetzt nennen ließ, wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu und schenkte dem Freunde keine weitere Beachtung.
Der Schulze war über dies Benehmen nicht sehr empfindlich. Warum sollte Bernhard nicht ruhig seine Schreiberei zu Ende bringen, wenn sie gerade dringend nötig war, und er selbst hatte ja nicht solche große Eile. Nun fand er hinreichend Zeit, die Einrichtung des Stübchens zu mustern, die er früher nie beachtet! »Wie hübsch der Tintenkleckser wohnt! Hätte niemals geglaubt, daß er es so weit bringen würde«, dachte er, und seine Augen wanderten von den prächtigen Schalgardinen zu den Sammtsesseln und zu den vielen Schmuckgegenständen, die in dem Zimmer aufgehäuft waren und die den Geschmack wie den Wohlstand seines Bewohners bekundeten.
»Es ist doch ein ganz famoser Kerl, aber gutmütig, das muß man ihm lassen«, dachte er weiter, »er hat mir schon manchmal aus der Not geholfen. Etwas wird er freilich auch dabei verdient haben. – Nun, es scharrt keine Henne umsonst.«
Endlich wurde ihm die Zeit lang. »Bist du nicht bald fertig?« fragte er und noch dazu ziemlich bescheiden.
»So warte doch«, war die mürrische Antwort des anderen, der sich nicht einmal umdrehte, sondern eifrig in seinen Papieren weiter kramte.
»Na, du brauchst nicht erst böse zu werden«, entgegnete Fritz gutmütig, »bist ja noch nicht ein so vornehmer Herr, daß man gar nicht mucksen dürfte.«
Bernhard drehte jetzt dem Schulzen sein Gesicht zu; es war völlig verwandelt. Statt der früheren kriechenden Freundlichkeit zeigte es den bittersten Hohn und die grenzenloseste Verachtung. Seine grauen Augen funkelten wie die eines Raubtieres, das sich aus seine Beute stürzt. »Was unterstehst du dich? Zähle lieber das Geld für die Wechsel aus! Es ist heute ohnehin ein recht hübsches Sümmchen fällig.«
Der Schulze sah bestürzt auf seinen Freund. Der Ton seiner Stimme, sein ganzes Auftreten war so drohend, daß er förmlich aus den Wolken fiel. Dann aber kam ihm der Gedanke: Halt, er will nur einen Scherz mit dir machen, und davon rasch beruhigt, rief er laut auflachend: »Hättest mich doch bald erschreckt mit deinem schlechten Witz, alter Freund! Nein, Geld bring' ich nicht, das wächst nicht auf meinem Acker, auch wenn ich's aussäen wollte; im Gegenteil komm' ich eben, um noch ein paar Thälerchen bei dir anzupumpen. Ich kann mir wirklich nicht anders helfen«, und er kratzte sich hinter den Ohren, um dem lieben Freunde seine Geldverlegenheit anschaulicher zu machen.
»Wer sollte wohl ein solcher Narr sein und dir noch einen Pfennig borgen«, entgegnete Bernhard, und seine dünnen Lippen zuckten spöttisch. Er blieb ruhig auf dem Stuhle sitzen und schien sorgfältig die Wirkung jedes seiner Worte zu beobachten. Der Schulze mußte doch endlich aus seiner behaglichen Sicherheit aufgescheucht werden.
»Ach, wo denkst du hin«, entgegnete Fritz, der den Schreiber in guter Laune erhalten wollte, mit großer Gelassenheit, »meine Scholtisei ist unter Brüdern 30 000 Thaler wert.«
»Du vergißt, daß schon fünftausend Thaler darauf lasten.«
»Das ist ja nur das künftige Erbe meines Schwagers, das ich nicht einmal zu verzinsen brauche, solange der Alte lebt.«
»Gleichviel«, erwiderte Bernhard achselzuckend, »die fünftausend Thaler stehen zur ersten Hypothek, und alles, was dahinter kommt, bleibt unsicher. Doch darüber wollen wir nicht weiter ein Wort verlieren. Heute handelt es sich einfach darum, ob du die fälligen Wechsel decken kannst. Hast du Rat geschafft? Es wäre mir unlieb, wenn du's erst zum Proteste kommen ließest.«
Das blasse, hübsche Gesicht des Agenten verriet nicht die leiseste Bewegung, nur seine Augen ruhten scharf und stechend auf dem Leichtfertigen, der immer mehr die Fassung verlor. Das Benehmen seines Freundes war doch von einer Art, daß er es kaum noch für Scherz halten konnte.
»Du weißt recht gut, lieber Bernhard«, sagte der Schulze und rückte auf seinem Stuhle unruhig hin und her, »daß ich mir das Geld nicht gleich aus dem Ärmel schütteln kann; du mußt schon so gut sein und noch einmal prologieren, oder wie nennt ihr denn das Ding?«
»Prolongieren!« verbesserte Bernhard mit der ganzen Selbstgefälligkeit eines Menschen, der jeden Augenblick sein Mehrwissen dem anderen zum Bewußtsein zu bringen sucht.
»Gleichviel, nicht wahr, du wirst es thun? Du warst ja stets ein guter Kerl, und wir wollen dafür auch heute wieder recht fidel sein.« Fritz war aufgestanden, an den Schreiber dicht herangetreten, legte vertraulich die Hand auf dessen Schulter und blickte ihm mit einem gutmütigen Lächeln in das bleiche, starre Gesicht.
»Und denkst du wirklich, daß du mit solch leeren Redensarten das furchtbare Schicksal beschwören kannst, das über dich hereingebrochen?« fragte Bernhard und richtete sich in die Höhe. Er nahm plötzlich wieder jenen pathetischen Ton an, mit dem er sich früher bei den guten Dörflern so lächerlich gemacht. Jetzt war endlich der Augenblick gekommen, wo er den verhaßten Menschen völlig niederschmettern konnte. Von diesem Gedanken aufgestachelt, wollte er in höchster Aufregung durch das Zimmer stürmen, aber sein Hinken erinnerte ihn vollends daran, was dieser Mensch an ihm verschuldet. Das vorher noch ruhige Antlitz war plötzlich ganz entstellt. Der wildeste Haß, die boshafteste Rachsucht spiegelten sich darin wieder. »Du hast mich damals durch deinen heimtückischen Streich zum elenden Krüppel gemacht, nun zahle ich dir heim; du bist in wenigen Tagen ein Bettler und wirst von Haus und Hof getrieben. Nicht wahr? ich hab' es fein eingefädelt, um dich Gimpel ins Garn zu locken! Ja, aus euren dicken Bauernschädeln kommen freilich solche überraschende Kriegspläne nicht. Oder bist du nicht überrascht?« fuhr er mit grausamem Hohn fort und stellte sich mit untergeschlagenen Armen dicht vor den Schulzen hin, »daß sich dein alter, guter Freund, der dir stets so bereitwillig auf ein bloßes Papier Geld über Geld verschafft, nun plötzlich als dein Todfeind zeigt, der dich vernichten wird?«
»Ja, vernichten!« setzte Bernhard, der in seiner befriedigten Rachsucht eine sinnlose Freude empfand, nach einer Pause triumphierend hinzu. »Glotze mich immer verwundert an, du bist ja ein tapferer Held, hast schon einen Feldzug mitgemacht, du wirst dich schon durch die Welt schlagen, und wenn du den Schulzenhof glücklich verlierst, kann dir gewiß die Nachtwächterstelle in Schwarzthal nicht fehlen, damit du nicht mit deiner Frau zu verhungern brauchst.«
Fritz wußte anfangs gar nicht, was er zu dem tollen Treiben und den noch tolleren Reden Bernhards sagen solle. Der dumme Kerl mußte übergeschnappt oder total betrunken sein. Anders war's ja gar nicht möglich. Daß sich ein Mensch jahrelang verstellen, ihn furchtbar hassen und dennoch mit ihm in der allerherzlichsten Weise verkehren könne, wollte ihm nicht in den Kopf.
»Ich hab' mir damals geschworen, daß du mir alles bezahlen sollst, jede Kränkung, die du mir zugefügt«, rief Bernhard, dessen Aufregung einen noch höheren Grad erreichte, »und du sollst schon gewahr werden, wie ich Wort halte, und auch deine Frau soll es erfahren, daß sie keinen dümmeren Streich machen konnte, als einen solchen beschränkten Menschen wie dich zu heiraten, der noch dazu wunder glaubt, wie klug er ist. Ja, ich hab's geschickt eingefädelt, das muß mir der Neid lassen«, und um Bernhards Lippen spielte ein selbstgefälliges Lächeln. »Oder ist es nicht ein Meisterstreich, daß ich nach und nach Wechsel von dir in die Hände bekommen, die zusammen nicht weniger als 18 000 Thaler betragen, und von denen an einem einzigen Tage, und zwar heute schon, 9000 Thaler fällig sind? Nicht wahr, das ist ein Meisterstück und ein recht artiges Sümmchen?« fragte er mit furchtbarem Hohn, »und du hast wohl selbst nicht gedacht, daß es endlich eine so hübsche Summe werden könnte, die auf der Stelle zu bezahlen dir etwas schwer fallen dürfte. Weißt du denn noch immer nicht, was Wechsel zu bedeuten haben? Wenn du nicht heute zahlst, kann ich all dein Mobiliar abpfänden, dein Gut sequestrieren lassen, und morgen schon sitzest du im Gefängnis. Glaubst etwa, ich drohe nur? Ja, sperre nur Mund und Nase auf, das geht schnell. Hab' ich dir wirklich nicht mit großer Gewandtheit den Strick um den Hals geworfen?« fuhr er laut auflachend fort. »Ja, und du hast dir gewiß stets eingebildet, daß du weit klüger seiest als ich, und doch bist du jetzt rettungslos in meinen Händen, und in wenigen Tagen kann ich dich vernichten, und ich werde es thun, selbst wenn du vor mir auf den Knieen um Gnade bittest.«
Der Schreiber richtete sich in die Höhe, und trotz seiner zierlichen Gestalt lag jetzt in seinem Wesen etwas so Dämonisches, daß es auf den Schulzen den vernichtendsten Eindruck machte. Er zweifelte nun nicht länger, daß Bernhard mit ihm ein tückisches Spiel getrieben. Einen Augenblick stand er wie vernichtet da, er fühlte sich an allen Gliedern wie gelähmt; dann kam plötzlich Bewegung in ihn, und nur der Gedanke tobte durch sein Hirn, dem elenden Schurken seine Nichtswürdigkeit heimzuzahlen. Totenbleich vor Wut stürzte er sich auf den Schreiber und keuchte aus beklemmter Brust: »Dann soll es auch dein Ende sein, du Schurke!« Aber Bernhard hatte trotz seiner leidenschaftlichen Aufwallung jede Regung seines Feindes sorgfältig beobachtet, und als er jetzt die Absicht desselben sah, wußte er sich durch eine geschickte Seitenbewegung aus dem Bereich des Rasenden zu bringen. Im nächsten Augenblick war er an der Thür. »Du wirst schon morgen zahm werden«, rief er hohnlachend aus, und dann war er im Nebenzimmer verschwunden. Wie gebrochen sank der Schulze auf den Stuhl zurück. Es wirrte ihm furchtbar im Kopfe, er konnte keinen klaren Gedanken fassen, und nur ein wilder, entsetzlicher Schmerz durchwühlte seine Brust, daß er von dem Schreiber so schändlich betrogen worden. – An seiner schlimmen Absicht konnte er nicht mehr zweifeln. Und was hatte er eigentlich gethan, daß er so nichtswürdig an ihm handelte!– Bei seiner starken Eigenliebe kam er gar nicht darüber hinweg. Der Verstand wollte ihm stille stehen. Rat- und besinnungslos starrte er vor sich hin, er wußte nicht einmal mehr, wo er war, und als er endlich aufblickte und gewahrte, daß er sich noch immer in der Stube dieses heimtückischen Buben befand, wollte er rasch aufspringen und sich entfernen, aber er kam sich wie gelähmt vor und vermochte nur mit Mühe sich aufzurichten.
Da stand plötzlich ein Mann vor ihm, der geräuschlos durch die Seitenthür ins Zimmer getreten war. Mit geschäftsmäßigem Ton wandte sich der äußerst elegant gekleidete Herr zu dem Schulzen: »Sie sind der Schulze Fritz Uhse von Schwarzthal?«
Der sonst so lustige, übermütige Ulan war mit einem Schlage so zusammengeknickt, daß ihn das plötzliche Erscheinen des Fremden und seine Anrede nicht einmal überraschten. Er nickte nur mit dem Kopfe.
»Ich bin der Justizrat Schmidt«, fuhr der andere mit geschäftsmäßiger Sicherheit fort, »und habe den Auftrag, Ihnen diese Wechsel in Höhe von 9000 Thaler vorzulegen. Können Sie zahlen?« und indem er Fritz die betreffenden Papiere vorzeigte, ruhten seine klugen Augen scharf und forschend auf dem Schulzen. Der Justizrat sah schon, daß er bei diesem Menschen die Vorsicht nicht nötig hatte, die Papiere fest in den Händen zu halten; dieser wie stumpfsinnig vor sich hinstarrende Mann entriß sie ihm sicher nicht. Er mußte sogar seine Frage wiederholen, eh' Fritz mit Mühe hervormurmelte: »Ich kann heute nicht zahlen, aber –«
Eine abweisende Handbewegung des Justizrats hieß ihn schweigen. – »Sie können jetzt ruhig nach Hause gehen, lieber Mann!« und mechanisch folgte der Schulze diesem Geheiß.