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5.
Ein jeder ist seines Schicksals Schmied.

Vielleicht wäre trotz des Vorgefallenen doch noch zwischen Vater und Sohn eine Verständigung erfolgt, wenn es nicht jemand gegeben hätte, der all seinen Witz daran setzte, um dies zu hintertreiben. Fritz Uhse war mit all seinem Leichtsinn äußerst eingebildet, und seine Eitelkeit fühlte sich durch die ehrliche Parteinahme des Schwagers tief verletzt; er ließ keine Gelegenheit vorübergehen um Wilhelms Liebesplan zu vernichten. Durch seine Braut erfuhr er, wie die Sache stand und welche Gründe der alte Schulze dem Wunsche seines Sohnes entgegengesetzt. Wenn auch der alte Fellenberg in seiner zugeknöpften Weise mit seinem zukünftigen Schwiegersohne die fatale Sache nicht besprach, so ließ sich Fritz davon wenig beirren; mit gewohnter Keckheit brachte er selbst das Gespräch auf diese Angelegenheit; mochte dann der Alte immerhin ein starres, ablehnendes Gesicht machen, Fritz Uhse war dadurch nie einzuschüchtern; er plauderte von Helenen, nannte sie ein unerfahrenes Ding, eine Nähtermamsell, die nichts weiter zu führen verstände als ihre Nadel und am liebsten den ganzen Tag Bücher lese. Sie habe sich schon gerühmt, daß sie als künftige Schulzenfrau alles auf einen anderen Fuß bringen werde; ein langweiliges, mühseliges Bauernleben wolle sie nicht führen. »Der arme Wilhelm dauert mich«, schloß er gewöhnlich seine boshaften Mitteilungen, »er ist ganz vernarrt in das kleine alberne Dings, die zu einer Schulzenfrau paßt, wie eine Theekanne zum Pferdeeimer.«

Der Schulze erwiderte auf alle diese Redensarten nichts, aber sie gingen dennoch nicht spurlos an ihm vorüber und bestärkten ihn nur in seiner längst gefaßten Ansicht. Die Schloßgärtnerstochter war keine passende Frau für seinen Sohn: sie war wie ein Stadtfräulein erzogen worden, verstand von ländlichen Arbeiten nichts, und Wilhelm brauchte gerade die allertüchtigste Wirtin; wozu hatte er also nötig, noch einen Weigerungsgrund anzugeben? Er war viel zu stolz, um zu bekennen, daß ihm an einer armen Schwiegertochter vollends nichts gelegen war, und doch hätte ihn dieser Umstand auch allein bewogen, eine solche Ehe niemals zuzugeben. Es war von je der Ehrgeiz der Fellenbergs gewesen, daß sie für die reichsten und angesehensten Leute im Dorfe galten; auch seinem Sohne wollte der alte Schulze diesen Vorrang sichern, und da er ihm nicht die nötige Tüchtigkeit und Umsicht in der Bewirtschaftung zutraute, so sollte er durch eine vernünftige Heirat das Fehlende ergänzen. Wilhelm konnte nur eine Frau brauchen, die gehörig auf dem Posten war, alles richtig zusammenhielt und noch ein hübsches Stück Geld in die Wirtschaft mitbrachte, das ebenfalls mit arbeiten half. Er zweifelte keinen Augenblick, Wilhelm endlich zur Raison zu bringen.

Von Fritz erfuhr er, daß sein Sohn noch immer beinahe täglich mit der Gärtnerstochter verkehre, und er wurde von der Widerspenstigkeit des Jungen sehr unangenehm berührt. Es half nichts, der Sache mußte ein Ende gemacht werden, und als Wilhelm eines Sonntags nachmittags sich eben anschickte, mit kurzem Lebewohl das Zimmer zu verlassen, rief ihn der Alte zurück. »Wo willst du hin?« fragte er, und seine großen Augen ruhten forschend auf dem Sohne.

Dieser war viel zu ehrlich, um eine ausweichende Antwort zu geben. »Zu Helene«, antwortete er ohne weiteres und wollte noch etwas hinzusetzen, aber der Vater schnitt ihm schon das Wort ab.

»Hab' ich dir nicht gesagt, daß du der Sache ein Ende machen sollst? Wohin soll es führen? Willst du das Mädel erst zum Narren haben?«

»Durchaus nicht; ich habe dir ja auch schon erklärt, daß ich sie heiraten werde.«

»Und das sagst du so ruhig, als ob ich wirklich kein Wort mit drein zu reden hätte?« entgegnete der Schulze, und auf seinem Gesichte prägte sich deutlich aus, wie tief sein Stolz durch diese Entgegnung verletzt worden.

»Wenn du dich nur überzeugen wolltest, wie gut und brav Helene ist, ich bin gewiß, du würdest sie mit Freuden als deine Schwiegertochter willkommen heißen.«

»Nie!« rief der Schulze mit größter Entschiedenheit.

»Lerne sie nur erst kennen, dann wirst du anders urteilen.«

»Ich weiß genug von ihr, um mir sagen zu können, daß sie eine Schulzenfrau nicht abgibt.«

»Du solltest doch nicht so unbeugsam an deinen Vorurteilen festhalten.«

Jetzt richtete sich der Schulze in die Höhe, über seinen Augen zog sich eine Unmutsfalte zusammen. Er vermochte kaum noch mühsam an sich zu halten. All die stolze Ruhe, die er sonst so sorgfältig zu bewahren wußte, war dahin. Das Wort des Sohnes empörte ihn aufs allertiefste, gerade weil er von ihm eine solche kecke Entgegnung nicht gewohnt war. Hätte Wilhelm sich demütig gezeigt und ihn gebeten, seinem Glück nicht hinderlich zu sein, vielleicht würde er ihm nicht widerstanden haben; aber der Mensch that, als ob er völlig im Recht sei und nach seinem Vater gar nicht zu fragen brauche, und dieses Benehmen verletzte seinen Stolz zu empfindlich, als daß er es ungestraft hinnehmen konnte. Er bedachte nicht, daß er durch sein kühles, ruhiges Auftreten sich und seinem Sohne selbst eine Schranke gezogen hatte. Wie gern wäre Wilhelm an die Brust des Vaters gestürzt, hätte ihn unter heißen Thränen angefleht, ihn nicht durch seine Härte zur Verzweiflung zu treiben; aber er wagte es nicht, denn er fürchtete, sein Vater würde ihn dann nur ganz erstaunt betrachtet und für überspannt gehalten haben. Sie hatten sich stets so ruhig und verständig neben einander bewegt, nicht durch den kleinsten Gefühlsausbruch bewiesen, daß unter dieser kühlen Außenseite doch ein wärmeres Empfinden schlummerte. Auch jetzt war es dem Sohne unmöglich, zu verraten, wie hoch und stürmisch sein Herz pochte und ihn nur die Sehnsucht erfüllte, mit seinem Vater in Frieden übereinzukommen.

»Nenne es, wie du willst«, entgegnete der Schulze in seiner leidenschaftlichen Erregung, die ihm sonst völlig fremd war, »aber solange ich atme, kommt die Dirne nicht über meine Schwelle, und am allerwenigsten als deine Frau. Ein Mann, ein Wort!«

»Es ist mir ganz unmöglich, deine Gründe zu begreifen«, sagte Wilhelm kopfschüttelnd und starrte niedergeschlagen vor sich hin. Wie schmerzlich war es ihm, mit seinem Vater einen solchen Kampf durchzukämpfen, und doch blieb ihm nichts anderes weiter übrig; er mußte all seine Entschlossenheit zusammenraffen, um ihn zu bestehen.

»Das brauchst du auch nicht«, erwiderte der Schulze, und sein Atem ging immer schneller. »Du sollst mir gehorchen, weiter fordere ich nichts von dir.«

»Du forderst Unmögliches von mir. Denkst du denn, ich habe gar nichts von dir geerbt und ich lasse mich so leicht umdrehen, weil ich gern still meines Weges gehe? Aber ich bin doch dein Sohn, und wenn ich einmal einen Entschluß gefaßt habe, dann ist nichts auf der Welt im stande, ihn zu erschüttern. Würdest du denn nicht gering von mir denken, wenn ich des Wahlspruchs unseres Hauses vergessen könnte: Ein Mann, ein Wort!«

Heute in seiner Aufregung beachtete der Alte diesen Einwurf nicht. »Rede kein Wort mehr, ich will von der dummen Sache nichts mehr hören!« brauste er auf. »Entweder du verzichtest auf deine Thorheit, oder wir sind fertig miteinander.«

Nun begann es auch in der Brust des Sohnes zu sieden, und wie alle phlegmatischen Naturen, brach er um so heftiger los, je schwerer es war, sein Blut in raschere Bewegung zu setzen. »Du redest fortwährend von Vernunft und beweisest mir doch das Gegenteil, sonst würdest du unmöglich –« weiter kam Wilhelm nicht.

Der Schulze hatte bei dieser kecken Entgegnung den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung verloren; seine großen Augen rollten unheimlich, und in seinem Gesichte zeigte sich ein wilder, unbändiger Zorn. »Bube! kein Wort weiter, oder ich schlage dich nieder!« und drohend erhob er den Arm; dann schien er sich seines leidenschaftlichen Ausbruchs selbst zu schämen, denn er setzte plötzlich ruhiger hinzu: »Du wirst mir gehorchen, sonst ist es mit uns ganz aus, ganz aus!« Und ohne die Antwort des Sohnes abzuwarten, verließ er rasch das Zimmer.

Seit jenem Tage ging es sehr schweigsam in der Scholtisei zu. Vater und Sohn besprachen nur das Notdürftigste miteinander, zu einem gemütlichen Gedankenaustausch, zu einer Verständigung kam es nicht mehr. Der Schulze glaubte durch das Abschneiden aller weiteren Erörterungen die Sache am ehesten tot zu machen und den Sohn ins rechte Gleis zu bringen, und dieser suchte ebenfalls eine nochmalige Auseinandersetzung nicht. Es lag nicht in seinem Wesen, über eine Angelegenheit viel zu sprechen, die einmal beschlossen war. Er verkehrte so ruhig wie bisher mit Helenen, als ob sein Vater mit dieser Verbindung völlig einverstanden sei, und alle Bedenken der Geliebten wußte er in seiner einfachen und dennoch bestimmten Weise niederzuschlagen. »Er mag drohen, so viel er will, ich lasse doch nimmermehr von dir«, sagte er und reichte ihr die Hand.

»Fritz hat schon jubiliert, daß dich dein Vater dann enterben will, und um meinetwillen sollst du nicht unglücklich werden«, antwortete Helene, und ihre blauen Augen ruhten voll Zärtlichkeit auf dem Geliebten; sie hatte Mühe, ihre Thränen zurückzuhalten.

»Mag er thun, was er will, ich werde mich darum nicht härmen«, entgegnete Wilhelm, und zärtlich über ihr blondes Haar streichend, setzte er hinzu: »Du gehst mir über alles, und nichts auf der Welt soll uns trennen.«

Wie auch der Schulzensohn nicht gern viele Worte machte, Helenen gegenüber wurde doch seine Zunge entfesselt; ihr vertraute er all seine innersten Gedanken, seine Träume und Hoffnungen. So jung sie war, hatte sie es doch verstanden, sein Vertrauen zu gewinnen und ihn zum Aussprechen alles dessen zu bewegen, was seine Seele erfüllte. Gerade weil er sich allen anderen gegenüber so schweigsam abschloß, mochte es ihn um so wohlthuender berühren, sich bei ihr Luft machen zu können. Sie hatte für all sein Fühlen und Denken das lebhafteste Verständnis und wußte auch, welche Schätze einer edlen, warmen Empfindung in seinem Inneren ruhten, während er sich im gewöhnlichen Leben kühl und nüchtern gab und niemand einen Einblick in sein tiefstes Innere gestattete. Sein Vater hätte doch auf seinen Sohn nicht mit solcher Geringschätzung herabgesehen, ihn nicht wie einen unerfahrenen Knaben behandelt, wenn er gewußt, wie reif und tüchtig, wie fest und männlich der Kern seines Wesens war, den eine unscheinbare und anscheinend zu weiche Schale umschloß.

Durch seinen Hang zur Einsamkeit, durch seine stille Beschäftigung mit Pflanzen und Blumen hatte Wilhelm früh denken und auf den Grund zu gehen gelernt. Auch die Menschen seiner Umgebung kannte er weit besser, als sie ahnten; er durchschaute ihre Leidenschaften und Schwächen, und ihr innerstes Wesen lag ihm so offen wie die Kelche seiner Blumen. Wenn er sich von den Leuten so viel wie möglich zurückzog, geschah es nicht aus einer Grille, sondern aus der schmerzlichen Erkenntnis, daß er überall auf rohe Selbstsucht, Dünkel und Eitelkeit stieß. Wie das sich alles widerwärtig aufblähte und einer über den anderen verächtlich wegsah, wenn er draußen ein paar Morgen Acker oder im Kasten daheim ein paar Hundert Thaler mehr hatte. Und welchen Gewinn zogen diese Menschen aus dem Leben! Sie hatten für nichts Sinn als für ihre Wirtschaft und lebten mitten in der Natur, ohne die Freude zu kennen, die sie zu bieten vermochte.

Was war seinen Kameraden eine prächtige Rosenknospe, ein Sonnenuntergang! Sie hatten ihn gründlich verhöhnt und ihn für halb verrückt gehalten, als er sie zuweilen darauf aufmerksam gemacht. Seitdem verschloß er sorgfältig in sich, was in ihm lebte und sein höchstes Glück geworden. Für ihn rollte die Natur beständig neue Landschaftsbilder auf, er freute sich an jeder fliehenden Wolke, an jedem Strauch, der ängstlich am Boden klebte. Erst in Helenen fand er ein teilnahmvolles Verständnis für sein sinniges Schauen und Träumen, und deshalb fühlte er sich mit tausend unauflöslichen Banden an sie gefesselt.

»Aber denke, Wilhelm, wenn er dich wirklich enterben sollte?« sagte das junge Mädchen und blickte mit ängstlicher Sorge zu ihm hinauf. »Ich kann und darf von dir das schwere Opfer nicht fordern.« Wilhelm lächelte. »Setz' dich ruhig zu mir her und dann laß uns vernünftig miteinander reden, wie mein Vater immer sagt. Ach, ich bin weit vernünftiger, als er glaubt. Du siehst mich erschrocken an, daß ich so gelassen bleibe. Warum soll ich denn die Drohung meines Vaters fürchten? Mag er sie wahr machen, mich soll's wenig härmen. Er nimmt mir eine rechte Last von den Schultern. Ich habe mich schon immer vor dem großen Gut gefürchtet, das nichts als Sorgen bringt und nie zum wahren Genuß des Lebens kommen läßt.«

Helenen waren diese Gedanken nicht neu, er hatte sie oft geäußert und von seiner Abneigung gegen die Führung einer weitläufigen Wirtschaft kein Hehl gemacht; dennoch berührten sie jetzt die Worte des Geliebten ganz anders, jetzt, wo die Idee zur Wirklichkeit werden sollte. »Und was willst du dann beginnen?« fragte sie rasch, und es sprach sich darin mehr jugendliche Neugier wie Besorgnis aus.

»Ich sagte dir ja, daß es von je mein Lieblingswunsch gewesen, die Landwirtschaft aufzugeben und mich ganz der Gärtnerei zu widmen. Dazu allein habe ich Lust, und ich weiß, dazu reichen auch unsere Kräfte.«

»Das will ich meinen«, rief Helene, »und froher und glücklicher wollen wir sein als auf dem größten Gute.« Mit der ganzen Sorglosigkeit ihres Temperaments gab sie sich augenblicklich den Zukunftsträumen hin, die Wilhelm vor ihr ausgebreitet. Gerade die Frische ihres Wesens machte den Zauber aus, der den Schulzensohn so innig an sie fesselte. Sie brachte durch ihren Frohsinn sein träg fließendes Blut etwas in Wallung, er hatte von ihr schon gelernt, die Sachen leichter zu nehmen und sich um »morgen« nicht zu kümmern, da jeder Tag seine eigene Sorge habe. Und wirklich hatte er sich überzeugt, daß sie im Recht sei mit ihrer harmlosen Heiterkeit, es war doch mit allem Absorgen um die fernste Zukunft nie anders, nie besser geworden. Jetzt hielt er es ebenfalls schon mit der Gegenwart und war um das morgen unbekümmert. »Wenn wir heute tüchtig sind und uns rühren und das Herz auf der rechten Stelle haben«, sagte die Kleine sehr oft, »dann kann uns das »morgen« auch nichts anhaben, wir werden schon mit ihm fertig werden.« O, in seiner Helene steckte bei all ihrer Jugend ein Schatz von Weisheit, und er verwunderte sich nur, woher sie diese genommen; aber gewiß war, daß sie mit all ihrer Sorglosigkeit jeder Lage des Lebens gerecht wurde, und daß sie den Kopf oben behielt, es mochte noch so viel auf sie einstürmen. War sie es doch allein, die durch ihre Umsicht, ihren Fleiß alle Versäumnisse des Vaters vertuschte und es bewirkte, daß die Herrschaft einen Mann behielt, der sich durch seine unglückliche Neigung zum Trunk manches zu Schulden kommen ließ. Anfangs hatte der Ärger über seinen Sohn ihm den Weg zum Wirtshause gezeigt, dann war ihn der Alte allein gegangen, und er betrank sich jetzt ohne allen Grund, aus reiner Gewohnheit.

Wilhelm wußte, daß nur die Aufopferung Helenens dem alten Manne die Stelle sicherte.

»Mag mich also der Vater immerhin enterben«, fuhr der Geliebte mit ruhigem Lächeln fort, »mein Mütterliches kann er mir nicht vorenthalten, und das genügt, um vorläufig einen kleinen Garten zu pachten.«

Die beiden Liebenden hatten vor dem herrschaftlichen Treibhaus gesessen. Über dem Garten und Park ruhte der hellste Sonnenschein, und sie konnten ungestört den Sonntag genießen, denn in diesen Nachmittagsstunden und bei der außerordentlichen Hitze wagte sich niemand gern ins Freie.

Plötzlich drang aus dem Inneren des Treibhauses eine scharfe Stimme: »Redet doch nicht solche Narrheit. Verlaßt euch nur auf mich. Ich werde schon alles ins Gleis bringen.« Es war Bernhard, der jetzt den Kopf aus dem Fenster steckte und seinem Schwager einen guten Tag bot. »Ich wollte hier meinen Mittagsschlaf halten, aber ihr habt ja so geschwatzt, daß ich nicht die Augen zumachen konnte.«

Bernhard kam jetzt herausgehinkt und nahm auf dem Bänkchen mit Platz. Zeigte schon früher sein Gesicht zuweilen einen erbitterten, heimtückischen Zug, so trat derselbe jetzt viel deutlicher hervor. Das früher hübsche, beinahe interessante Antlitz war jetzt eigentümlich verzerrt. Die Augen glitzerten unheimlich, und um die schmalen Lippen zuckte unverkennbar ein tiefer, unauslöschlicher Menschenhaß. Wie er voraus verkündet, war sein Fuß lahm geblieben, und damit bohrte sich der tiefste Groll gegen den Urheber seines Unglücks in sein eitles Herz. Er würde ihn gehaßt haben, selbst wenn er nicht seiner Liebe in den Weg getreten wäre.

Wenn man Fritz mit neugieriger Bosheit gefragt, wie denn eigentlich der Sturz des Schreibers erfolgt sei, dann hatte er stets gewitzelt: »Er wollte quer über reiten und ist quer unter gefallen, was kann ich dafür?« und Bernhard, dem man diese kecken Reden alsbald hinterbrachte, schäumte vor Wut. »Ich will ihm schon auch etwas in die Quere legen«, lachte er ingrimmig, und er schwur sich heimlich, dem nichtswürdigen Buben seinen Streich so empfindlich heimzuzahlen, daß er sein Lebtag ebenfalls an ihn denken sollte. Seitdem brütete der junge Mann nur über finsteren Rachegedanken, und als er erfuhr, daß der Schulze wirklich dem verhaßten Menschen die Hand der Tochter zugesagt, kannte sein Groll keine Grenzen. Er haßte jetzt die ganze Welt und vor allen Dingen seinen glücklichen Nebenbuhler. Nur mit seiner Schwester und Wilhelm machte er eine Ausnahme. An der ersteren hatte er stets gehangen, und dem letzteren war er dankbar für seine ehrliche Teilnahme, deshalb schien es sein Lieblingsgedanke zu sein, für die beiden eine Art Vorsehung spielen zu wollen.

Als ihm auf seine ruhmredige Verkündigung nicht gleich eine Antwort wurde, begann er von neuem: »Ihr denkt vielleicht, mein Kopf ist so lahm, wie jetzt mein Fuß; aber ihr werdet euch irren. Ich will nichts verraten, nur so viel ist gewiß, in wenigen Tagen wird sich manches geändert haben. Ihr wißt gar nicht, welche Energie in mir steckt; es gilt euer und mein Glück, und da darf ich nicht länger zögern.«

»Ich danke dir für deine gute Meinung«, sagte Wilhelm freundlich, »aber glaub's nur, das Glück muß man sich selber schmieden, und zur rechten Stunde werde ich gewiß nicht müßig sein.«

Bernhard lachte hell und schneidend auf. »Schönes Glück, auf das du lossteuerst – eine Gartenpacht und ein kümmerliches Brot bis ans Ende. Nein, du sollst in deinem väterlichen Erbe sitzen, wie es dir zukommt, und nimmermehr darf es der niederträchtige Schurke schlucken, der Fritz, dem freilich schon danach der Mund wässert. O, ich weiß alles, er allein liegt deinem Vater beständig im Ohr, nicht nachzugeben, nun wartet nur!« und er hob drohend den Stock in die Höhe; sein Gesicht war von Wut und Bosheit bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

»Was hast du im Sinn?« fragte Helene erschrocken. »Verjag' dir die bösen Gedanken. Weißt du nicht, wie es in der Schrift heißt: Liebet eure Feinde!«

»Ich kenne nur den einen Spruch, Auge um Auge, Zahn um Zahn«, entgegnete der Bruder, und seine Augen funkelten unheimlich. »Ihr seid freilich feige Träumer und laßt euch alles gefallen, deshalb muß ich für mich und euch handeln«; er hatte sich in gewaltiger Aufregung erhoben und hinkte davon.

Als Wilhelm die Unruhe der Geliebten bemerkte, sagte er beschwichtigend: »Wie kannst du nur seine Reden so ernsthaft nehmen! Er schwatzt fortwährend ganz geheimnisvoll, als wenn er Gott weiß was ausführen wollte, aber ich bin sicher, daß er sich bald trösten und sogar mit Fritz noch völlig aussöhnen wird.«

»Glaub' es nicht«, entgegnete Helene ängstlich, deren junges Herz noch immer von düsteren Ahnungen erfüllt war. »Er brütet über irgend einem finsteren Plan, das habe ich schon gemerkt; und wenn er lange Zeit unnütz redet, zuletzt führt er doch aus, was ihm einmal im Hirn sitzt. Ich kenne ihn ganz genau.«

»An Fritz wird er nicht so leicht herankommen, der stellt schon seinen Mann, und wie er meinen Vater für sich gewinnen will, begreif' ich vollends nicht; weder im guten noch im bösen hat je ein Mensch was über ihn vermocht, und deshalb war ich längst auf alles gefaßt, und ich wär' ganz versteinert gewesen, wenn er wirklich nachgegeben hätte.«

Wilhelm entwickelte nun der Geliebten seine weiteren Lebenspläne. Da war nichts Überschwengliches dabei, nichts Übertriebenes. Der Schulze wäre gewiß erstaunt, wenn er gehört, wie fest und sicher sein Sohn den Fuß in ein neues Dasein hinaussetzte. Er hätte dann sicher von dem Träumer und Kopfhänger eine ganz andere Meinung erhalten.

Wenn auch der alte Fellenberg sein ruhiges, überlegenes Wesen beibehielt und mit demselben kühlfreundlichen Gesicht allen begegnete, in seinem Inneren sah es doch etwas anders aus. Daß sein Sohn noch immer nicht zu Kreuze kroch, so still und schweigsam wie bisher seines Weges ging, verwundete ihn bis auf das tiefste. Er war es von je gewohnt, überall zu herrschen, zu befehlen, jeden unter seine Botmäßigkeit zu bringen, und er sagte sich selbst, daß es nur seiner festen Hand gelungen, aus dem Sohne notdürftig einen Landwirt zu machen. Von ihm hatte er am wenigsten einen solch hartnäckigen Widerstand erwartet und noch dazu in der allerwichtigsten Sache. Es war traurig genug, daß sein eigener Sohn so wenig Ehrgeiz besaß und, anstatt durch eine passende Heirat seinen Reichtum zu vergrößern, ein armes Mädel heimführen wollte. Dachte denn der Junge gar nicht daran, daß er gerade des Geldes bedürfe, um einmal als Schulze sich zu behaupten? denn es fehlte ihm ohnehin das sichere Auftreten, das sich überall sogleich Respekt verschafft. Wäre sein Sohn tüchtig auf dem Posten gewesen, hätte er es verstanden, die Zügel eben so straff zu halten wie er selbst, er würde ihm weit eher durch die Finger gesehen und seinen Herzenswunsch gebilligt haben, schon aus Stolz, damit er sich rühmen könnte, daß sein Wilhelm nicht nötig hätte, bei der Wahl auf Geld zu sehen. So aber war es etwas anderes. Er durfte um keinen Preis dem thörichten, unerfahrenen Menschen den Willen lassen.

Vor den Leuten ließ er sich freilich nicht merken, wie ihn der unerwartete Widerstand seines Sohnes quälte, nur wenn er allein war, kamen die verdrießlichen Gedanken und gingen nicht mehr weg. Auch heute, wie er auf dem Wagen saß und mit seinen prächtigen Pferden zur Stadt fuhr, mußte er darüber brüten. Er hatte auf dem Landratsamte eine Menge Geschäfte abzumachen, und da alle Knechte auf dem Felde in Anspruch genommen wurden, lenkte der Schulze selbst die Pferde. Das war ohnehin seine ganze Freude. Heute aber kam er auf der ganzen Fahrt aus seiner gedrückten Stimmung nicht heraus. Erst nach der Rückkehr vom »Amt« hob er wieder den Kopf. Der Landrat war wie immer sehr freundlich gegen ihn gewesen, hatte ihm manch anerkennendes Wort gesagt, denn der humane und höchst intelligente Beamte wußte die Thätigkeit des alten Fellenberg zu schätzen, und er fand noch dazu an seinem festen, gediegenen Charakter ein besonderes Gefallen.

Der Schulze hatte sein Gefährt in einem Gasthofe der Vorstadt zurückgelassen und wanderte langsam dorthin, um nach der langen Verhandlung im Amte eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen. Er begnügte sich mit einem Glase Bier und ließ dann den Hausknecht wieder anspannen, denn diese niedere Verrichtung übernahm er niemals selbst. Als er hinaustrat, sah er zu seiner Verwunderung Bernhard vor dem Hause stehen.

Seit seiner Verunglückung war der junge Winkler nicht mehr in den Dienst des Schulzen zurückgekehrt – er war sehr oft in der Stadt und trieb dort seine eigentümlichen Geschäfte.

Bernhard grüßte den Alten freundlich, und ohne seine Anrede abzuwarten, begann er sogleich: »Sie haben sich gewiß gewundert, daß ich nicht mehr zu Ihnen gekommen bin, aber nachdem mich dieser nichtswürdige Mensch zum Hinken gebracht hat, muß ich sehen, wie ich mich anderweit durch die Welt schlage.«

Wenn auch der Schulze seinen Wirtschaftsschreiber schon sehr schmerzlich vermißt hatte, war er viel zu stolz, um nur eine Art von Verwunderung zu zeigen. »Es muß jeder selbst sehen, was ihm am besten dünkt«, sagte er kurz und bestieg dabei schon den Wagen.

.

Bernhards Rache.

Der junge Mensch humpelte jetzt an die Pferde dicht heran, und ohne darauf zu achten, daß der Schulze schon die Zügel in die Hand genommen und abfahren wollte, streichelte er das Handpferd am Halse und rief zum Schulzen gewandt: »Das kann nicht dafür, daß es nicht den Preis gewinnen half und mich runter schleuderte. Hätte nicht der Fritz heimtückisch es geschlagen, Ihr Fuchs wäre gewiß der erste an der Fahne gewesen.«

»Er hat's nur im Spaß gethan«, sagte der Schulze, dem doch die Rede Bernhards geschmeichelt hatte, sonst würde er ihn nicht dieser Antwort gewürdigt haben.

Der junge Winkler sah sich nach allen Seiten um, als wolle er zu seiner jetzigen Antwort keine Zeugen haben – niemand war mehr vor dem Hause. Der Knecht hatte sich schon wieder in den Stall verfügt, und in dieser Nachmittagsstunde war die ohnehin einsame Straße noch einsamer. Kein Mensch ließ sich sehen.

»Im Spaß!« schrie er heftig und drehte dem Schulzen sein zornglühendes Gesicht zu, während seine rechte Hand noch immer den Hals des Pferdes klopfte. »Herr Schulze, Sie sind viel zu klug, um das selbst zu glauben. Aus reiner Nichtswürdigkeit hat er meinem Pferde den Hieb versetzt«, und Bernhard schlug dabei heftiger den Fuchs, der schon ungeduldig wurde und zu bäumen anfing. »Sei ruhig, auf dich bin ich ja nicht böse«, wandte er sich an das Tier und fuhr liebkosend über den Kopf desselben.

»Ich hab' weder Zeit noch Lust, mich hier auf der Straße mit Ihnen herumzustreiten«, sagte der Schulze ärgerlich, schwang die Peitsche und die tüchtigen Renner flogen davon. Bernhard hatte Mühe, noch im rechten Augenblick zu entweichen.

Hei, wie seine Tiere davonsausten. Das mußten doch alle sagen, ein solches Gespann besaß man in der ganzen Umgegend nicht. Seltsam genug, obwohl er die Tiere nicht weiter antrieb, wurde das Handpferd immer unruhiger und riß auch das Sattelpferd mit sich fort. Es schlug hinten aus, bäumte sich und schüttelte sich, schoß eine Zeit wie rasend dahin, daß es der eisernen Hand des Alten bedurfte, um nicht die Zügel zu verlieren. Der Schulze wußte nicht, was er von seinem sonst so gut geschulten und eingefahrenen Tiere denken sollte. So toll hatte es sich noch nie gebärdet; jetzt richtete es sich kerzengerade in die Höhe, dann schlug es hinten aus, und die Gefahr lag nahe, daß es noch alles kurz und klein schlagen würde.

Jeder andere wäre vom Wagen gesprungen und hätte sich nach Hilfe umgesehen. Der Schulze hätte eher sein Leben geopfert, als dies gethan. Je toller und unbändiger sich das Pferd gebärdete, je herzhafter schlug er darauf los. Er hatte in seinem Leben noch nicht so energisch die Peitsche gebraucht wie heute. Die Wirkung war eine furchtbare, und selbst das Herz des unerschütterlichen Alten begann doch etwas zu zittern bei der wahnsinnigen Fahrt. Die Pferde schossen wie Pfeile dahin, und die Arbeiter an der Straße blickten dem Alten ganz erschrocken nach, sie hielten ihn für verloren, denn wie rasend jagten die schweißbedeckten Tiere weiter, und alles stob scheu und furchtsam aus dem Wege. Der Schulze wußte, daß sein Leben an einem Haar hing, ein einziger Riemen durfte reißen, eine Schnalle aufgehen und er hatte die Tiere nicht mehr in der Gewalt. Aber anstatt den Versuch zu machen, die Pferde endlich zum Stillstand zu bringen, ließ er ihnen die Zügel so lang wie möglich und ließ sie ruhig dahinsausen. Er wußte, daß darin allein seine Rettung lag. Und immer toller ging die Fahrt. Schon wollten ihm die Kräfte erlahmen, da hatte er endlich Schwarzthal erreicht. Nun wollte er hier den Leuten zeigen, daß er noch Herr seiner Pferde war: er schlug noch einmal darauf los, und die Höllenfahrt ging weiter – brauste jetzt durch das Hofthor – dann brach der Fuchs, am ganzen Leibe zitternd, zusammen. Man sprang von allen Seiten hinzu – mit einem tüchtigen Satz wollte er noch einmal in die Höhe, und die Knechte hatten Mühe, ihn zurückzuhalten.

Der Schulze trat jetzt an das Tier heran, das plötzlich still geworden war. »Es hat was am Ohr, ich hab's am Schütteln bemerkt«, sagte er zu seinen Leuten. »Da seht, daß ich recht hatte«, rief er triumphierend, als er das Ohr näher untersuchte, »es ist ganz verbrannt, dem armen Fuchs ist etwas hineingesteckt worden, vielleicht ein brennendes Stück Schwamm. Bringt mir rasch etwas Öl!« Er bepinselte das Ohr des armen Tieres, das in Schweiß gebadet und ganz entkräftet jetzt alles ganz ruhig mit sich geschehen ließ. Dann ging der Schulze noch schweigsamer und ernster als sonst in das Haus. Er wußte schon, wer ihm den Streich gespielt hatte, aber es war nicht seine Art, solche Dinge gleich an die große Glocke zu hängen.

Selbst der Tochter, die ebenfalls ganz erschrocken herbeigeeilt war, sagte er nichts. Kurze Zeit darauf fand sich ihr Verlobter ein; er war in der Schmiede gewesen und hatte von der tollen Fahrt gehört, nun kam er, um sich teilnahmvoll nach dem Befinden seines Schwiegervaters zu erkundigen. Er hatte eine Art, die den Schweigsamsten zum Sprechen brachte, auch der Schulze konnte seinem eindringlichen Forschen nicht widerstehen. Wohl behauptete er nicht geradezu, daß ihm Bernhard diesen Streich gespielt habe, er erzählte aber ausführlich, wie die Geschichte zusammenhing, und Fritz rief sogleich: »Da haben wir's, das ist ja sonnenklar, es ist niemand anders als der nichtsnutzige Tintenkleckser.«

»Es nützt uns nichts, wir haben keine Beweise«, meinte der Schulze.

»Ich dächte, Beweise genug«, eiferte Fritz. »Der Fuchs wollte augenblicklich durchgehen, nachdem ihn dieser Lump am Ohr gekraut, und dann hat sich das Hinkebein fortwährend gerühmt, er wolle schon noch an sein Ziel kommen und auch seinen künftigen Schwager glücklich machen, denn Wilhelm müsse seine Schwester heiraten, und er wolle die Auguste haben. Kann er's nicht deshalb gethan haben, um Euch auf diese Weise zu beseitigen, dann ging ihm alles nach Wunsch, und hättet Ihr nicht solche Courage gehabt und so schauderhaft festgehalten, wer weiß, wie's gekommen wäre.«

Der Schulze antwortete nichts und wußte bald dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, aber um so tiefer saß der Stachel in seinem Herzen, den Fritz mit gewohnter Schlauheit in ihn hineingedrückt, und als sein Sohn endlich vom Felde heimkam, rief er ihn sogleich in sein Zimmer, erzählte ihm, was ihm heute begegnet sei, obwohl es derselbe bereits von den Knechten gehört hatte, und setzte dann hinzu, ohne die Antwort Wilhelms abzuwarten: »Du siehst also, welche Familie du mir auf den Hals bringen willst. Der Vater ist ein Trunkenbold, und der Sohn trachtet mir nach dem Leben.« Wilhelm war über die Mitteilung seines Vaters sehr betroffen. So hatte der Unselige seine dunkle Drohung doch wahr gemacht, und in seiner offenen Weise entgegnete er: »Das ist abscheulich von Bernhard. Wie konnte ich ahnen, daß er auf einen solch nichtswürdigen Gedanken verfallen würde? Ich hab' all sein Reden für leeres Geschwätz gehalten.«

»Du hast es gewußt und ihn nicht zur Ordnung gebracht. Am Ende wäre es dir lieb gewesen –«. Weiter kam der Alte nicht; mit einer leidenschaftlichen Erregung, die an Wilhelm völlig fremd war, und in einem Tone, den er noch niemals angeschlagen, unterbrach er ihn heftig: »Vater, sprich es nicht aus, wenn du dich nicht selbst entehren willst!«

Der alte Schulze blickte ganz überrascht auf den Sohn. So hatte er ihn noch gar nicht gesehen. Die blauen, sonst so gutmütigen Augen blitzten, er stand hoch aufgerichtet, förmlich gebietend da. Es war ein ganz anderer, der plötzlich seinem Vater gegenübertrat. Anstatt von dem unehrerbietigen Auftreten seines Sohnes empört zu werden, empfand der Alte darüber eine Art Befriedigung. So war sein Wilhelm doch nicht so weich und schwerfällig, wie er immer gedacht, es steckte ein fester Kern in ihm, wie er in diesem Augenblick zum erstenmal bewies, und er sagte deshalb gar nicht empfindlich: »Du siehst wenigstens, was das für eine Familie ist, in die du hin einheiraten willst, und du wirst endlich Vernunft annehmen.«

In seiner Gutmütigkeit bereute es Wilhelm bereits, daß er seinem Vater so schroff und gebieterisch entgegengetreten war, und noch mehr wurde er von der Milde des alten Mannes gerührt, der ihn nicht einmal zur Ordnung wies; nun fühlte er sich gedrungen, durch freundliche Bitten seine Übereilung vollends auszugleichen. »Ich weiß, Vater, daß du es gut mit mir meinst, daß du mein Glück willst, aber glaube mir, das finde ich bei niemand anders als bei Helenen, und ich weiß auch, daß du an ihr die beste Tochter haben wirst.«

Hätte Wilhelm seine vorherige Entschlossenheit beibehalten, vielleicht würde er dem alten Mann imponiert und ihn dennoch im letzten Augenblicke zum Nachgeben bewogen haben; diese plötzliche Weichheit des Sohnes verdarb alles, er bekam dadurch das Bewußtsein seiner Überlegenheit zurück und zu gleicher Zeit die instinktartige Empfindung, daß auf einem solchen Charakter so lange herumzuhämmern sei, bis er nachgebe, und von dieser Empfindung geleitet, sagte er kalt und ruhig: »Erspare dir jedes Wort. Ich will endlich mit dir zu Ende kommen und nicht zum Gespött des ganzen Dorfes werden. Entweder du gibst die Dirne auf und läufst auch nicht mehr hin, oder du gehst deinen eigenen Weg und wir haben miteinander nichts mehr zu schaffen. Denk' ja nicht, daß ich noch länger spaße; es ist mein heiliger Ernst.« Der Schulze verschränkte die Arme, und seine großen Augen ruhten streng auf dem Sohne, als könnte er ihn schon mit seinem Blick unterjochen.

»Ich habe mir alles bereits überlegt«, entgegnete Wilhelm in größter Ruhe. »Verlangst du, daß ich Helene aufgeben soll, dann verzichte ich lieber auf mein Erbgut und werde mich so durch die Welt schlagen.«

Der Schulze lachte ingrimmig auf und schaute auf den Sohn nicht ohne Geringschätzung. »Du wärst ein Held. Wenn du nicht recht warm im Nest sitzest, dann wirst du wohl elend umkommen.«

»Darauf mach' dir keine Rechnung«, entgegnete der Sohn mit einer gewissen Bitterkeit.

»Du weißt also, was für dich auf dem Spiele steht!« fuhr der Schulze fort und nahm wieder seine unbeugsame Ruhe an, die er so gern zur Schau stellte. »Und nimm's nicht gar so leicht. Lässest du nicht endlich deine thörichten Gedanken fahren, dann bekommt Fritz die Scholtisei und du magst sehen, wo du bleibst.« Er hoffte von dieser energischen Drohung die allerbeste Wirkung und war nicht wenig erstaunt, als sie ausblieb.

Ohne sich nur einen Augenblick zu besinnen, entgegnete der Sohn: »Zahle mir mein mütterliches Erbteil aus, und dann magst du mit der Scholtisei anfangen, was du willst.«

Der Schulze hatte Mühe, seine Bewegung zu verbergen. Er stemmte sich mit der Rechten auf den hinter ihm stehenden Tisch, als bedürfe er einer Stütze, und fuhr sich mit der Linken über die heiß werdende Stirn. Was in ihm alles auf und nieder stürmte, wer konnte es sagen? Sein massives, festes Gesicht verriet wenig davon. Aber sicher traf ihn das Benehmen seines Sohnes härter, als dieser ahnen konnte. Seine teuersten Gefühle waren verletzt worden. Während es von je sein Stolz gewesen war, ein solch prächtiges Gut zu besitzen und es einmal in noch verbessertem Zustande seinem Sohne zu hinterlassen, legte dieser nicht den mindesten Wert darauf und warf es achtlos beiseite, als sei es eine taube Nuß. Die Kälte und Gleichgültigkeit Wilhelms, die ihm wie Stumpfsinn vorkamen, schmerzten ihn tief. Und zu gleicher Zeit dachte er bereits an das Aufsehen, das die Geschichte machen würde. Es war doch zu toll. Der Junge warf ein Besitztum im Werte von mindestens dreißigtausend Thalern dieser Dirne wegen achtlos weg.

Während der alte Mann sich sagte, daß er unbedingt nicht anders handeln könne, that es ihm doch wehe; sein Charakter ließ indes ein Nachgeben nicht zu, und wenn es ihn noch so viel kostete. Aber daß sein Sohn nicht im letzten Augenblick Vernunft annahm und es so ruhig zum Äußersten kommen ließ, war ihm unbegreiflich und wahrhaft qualvoll, weil er eine solch blinde, unselige Leidenschaft nicht zu fassen vermochte. Nun, mochte der Junge immerhin in sein Elend rennen, einem solchen Querkopf war nicht mehr zu helfen.

»Du wirst es einmal bereuen, wenn's zu spät sein wird«, sagte er langsam und tief Atem holend, »zu mir darfst du nicht mehr kommen, bedenk' das wohl. Entweder du thust, was ich für dein Bestes halte, oder ich habe keinen Sohn mehr.« Der Ton, mit dem er die entscheidenden Worte sprach, war so kühl und ruhig wie immer, nur in seinem Gesicht zuckte es seltsam auf, und die großen Augen ruhten mit erwartungsvoller Angst auf dem Sohne.

Wilhelm hatte den Blick zu Boden gerichtet, und damit entging ihm die tiefere Bewegung seines Vaters. »Wenn du aus solchen Gründen mit mir brechen kannst, immerhin!« erwiderte er in gleichem Tone. »Es wird mir schwer fallen – doch mein Fortkommen werd' ich schon finden.«

Mit dieser Entgegnung war auch die letzte weiche Anwandlung des Schulzen verflogen. »Dein mütterliches Erbteil sollst du haben, es sind nur zweitausend Thaler, und du magst sie zusammenhalten; den letzten guten Rat will ich dir noch geben, denn bis zu meinem Tode bekommst du nichts weiter, und ich hab' noch nicht Lust, sobald von hier abzurücken. Aber nun mach' der Sache rasch ein Ende. Ich hab' das Hin- und Hergezerre niemals leiden können, entweder biegen oder brechen!«

»In ein paar Tagen sind wir mit der Ernte fertig, und ich denke, daß ich dann nicht mehr fehlen werde«, entgegnete Wilhelm; er hatte es achtlos gesagt, in dem Herzen des Vaters zitterte das Wort doch schmerzlicher nach – nicht mehr fehlen?

Was wußte der Junge davon, wie's in seinem Inneren schon jetzt aussah und später aussehen würde? »Es ist gut so«, sagte er, und so gelassen, als ob sie die gleichgültigsten Dinge miteinander verhandelt, schieden Vater und Sohn.

Und eben so nüchtern und ruhig wurde das einmal Beschlossene ausgeführt. Es kam nicht zu leidenschaftlichen Auftritten, zu Schmerzensausbrüchen und Thränen.

Wilhelm verließ das väterliche Haus, ohne daß noch einmal der Versuch gemacht worden wäre, eine Versöhnung herbeizuführen. Selbst Auguste, die sonst so innig an dem Bruder gehangen hatte, nahm jetzt das verhängnisvolle Ereignis ganz ruhig auf.

Fritz hatte all seinen Einfluß ausgeübt, um sie immer mehr gegen den Bruder zu erkälten. Was seine Schlauheit nur auffinden konnte, hatte er gethan, um den Riß zwischen Vater und Sohn unheilbar zu machen. Anfangs trieb ihn der Groll gegen seinen Schwager, der ihn damals so schwer gekränkt, später, als er sah, daß Wilhelm seine Liebschaft ganz ernsthaft meinte, erkannte er sofort, welcher außerordentliche Vorteil ihm daraus entsprang, wenn es zwischen Vater und Sohn darüber zum Klappen kam. Und was an ihm war, half er redlich, die Geschichte zu einem schlimmen Ende zu bringen. Er wußte geschickt den Stolz und Eigensinn des alten Mannes aufzustacheln und ihm vorzustellen, wie er um allen Respekt käme, wenn er seinen Sohn nicht zur Raison bringen könne, und solange es noch nicht ganz entschieden war, blieb er in einer fieberhaften Spannung. Fritz besaß dabei die Kunst, sich beliebt zu machen, in hohem Grade. Er redete seinem Schwiegervater nach dem Munde, gab sich den Anschein, als sei er mit ganzer Seele Bauer und nichts als Bauer, und wie scharfblickend auch sonst der alte Fellenberg war, der schlaue Bursche wußte ihn doch zu täuschen und durch seine einschmeichelnden Manieren ganz für sich zu gewinnen. Er war auch jetzt gar nicht mehr so leichtsinnig und übermütig, er konnte so gesetzt sein, so vernünftig reden, und der Schulze war zuletzt überzeugt, daß er in dem Manne seiner Tochter einen weit passenderen Nachfolger gefunden als in seinem Sohne.

Fritz wußte wirklich aus dem Herzen des Alten den Sohn zu verdrängen, und damit wurde es dem Schulzen vollends leicht, sich von dem eigensinnigen Jungen zu trennen, der einmal in sein Elend rennen wollte.


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