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7.
Wie man sich bettet, so schläft man.

Fritz versuchte in der That, sein Versprechen zu halten, und obgleich es ihm anfangs schwer fiel, gelang es ihm wirklich, sich zusammenzuraffen und auf die Fahrten in die Stadt zu verzichten, die ihm so viel Vergnügen bereitet hatten. Auch der Wirtschaft nahm er sich eifrig an, und er sah mit Freude, wie seine Auguste auflebte und ihre jugendliche Heiterkeit wiedergewann. Auch sein Schwiegervater behandelte ihn mit liebevoller Achtung, wie er sie ihm noch nie gezeigt hatte. Das Leben auf dem Schulzenhofe erhielt wieder eine frohe und glückliche Färbung. – Nur ein Gedanke fiel dem jungen Wirt manchmal schwer aufs Herz: – wenn es endlich herauskam, daß er schon die Ernte auf dem Halme verkauft und das Geld gleich dafür verspielt hatte! – Mit Grauen sah er dem Augenblicke entgegen, wo sich der Herr aus der Stadt bei ihm einfand, um seine Rechte geltend zu machen.

Wenn sein Schwiegervater und seine Frau ihre Freude und Genugthuung ausdrückten, wie alles so schön stand und eine Prachternte versprach, da mußte er unwillkürlich den Kopf senken, und er hätte am liebsten gesehen, daß alles kahl und dürr gewesen wäre. Er konnte an keinem Kornfelde vorübergehen ohne den bitteren Gedanken: das werden andere dir wegholen, und was wird das für ein Hallo geben! Die Seinen vermochten sich diese Gleichgültigkeit dem Himmelssegen gegenüber gar nicht zu erklären, aber sie sagten nichts. Ach, sie waren schon glücklich, daß Fritz noch bei Zeiten eingelenkt hatte.

Als er eines Tages wieder in Gedanken dahinwanderte und beinahe schwermütig die goldenen Ähren betrachtete, stand Bernhard plötzlich vor ihm; er wußte gar nicht, wo derselbe hergekommen war, und es erfaßte ihn ein förmliches Grauen, als sei der hinkende junge Mann der böse Feind in eigener Person. Dieser mußte die Wirkung bemerkt haben, die sein unerwartetes Erscheinen aus Fritz hervorgebracht, denn ein spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen. »Erschrick nicht«, sagte er rasch. »Da du dich gar nicht mehr bei uns sehen läßt, muß ich doch einmal herauskommen, um zu erfahren, wie es dir geht.«

Der junge Schulze suchte sich so viel wie möglich zu sammeln; »ich danke dir, es geht ganz passabel«, und er mühte sich dabei, ein Lächeln hervorzubringen.

»Dann hat mir mein Freund den Auftrag erteilt, wegen der Ernte alles ins Gleis zu bringen. Ich denke, es wird bald Zeit sein«, und Bernhard ließ seine Augen wie prüfend auf den goldenen Ähren ruhen.

Fritz vermochte seine furchtbare Bestürzung nicht länger zu verbergen, eine Totenblässe bedeckte sein Gesicht und wortlos starrte er vor sich hin. Der andere schien sich an dieser Qual nicht wenig zu weiden, denn er fuhr mit scharfer Betonung fort: »Es wird freilich im Dorfe rechtes Aufsehen machen, daß du diesmal nicht selbst einerntest, und du thust mir eigentlich leid, daß du in eine solche Klemme gekommen bist.«

Der Schulze krümmte sich förmlich unter diesen boshaften Worten zusammen, ein kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, und er keuchte mühsam hervor: »Lieber Freund, hilf mir noch einmal heraus, ich werde dir's nie vergessen«, und er packte ihn krampfhaft beim Arm.

Um Bernhards Lippen spielte ein tückisches Lächeln, das seinem Opfer entging; er wiegte den Kopf bedächtig hin und her, als müsse er über etwas nachsinnen, dann sagte er langsam: »Es gäbe wohl ein Mittel!«

»Sprich! einziger Junge!« und Fritz packte seinen Freund noch einmal und jetzt so herzhaft am Arme, daß dieser einen heftigen Schmerz empfand.

»Ich meine es gut mit dir, und deshalb will ich dich schon aus der Tinte herausbringen; aber drücke mir nur nicht so den Arm, ich nehme ja eine vierwöchentliche Erinnerung mit fort«, und Bernhard versuchte zu lächeln.

»Rede lieber!« drängte der andere. »Du glaubst gar nicht–«

»Nur Geduld!« unterbrach ihn der Schreiber, »du sollst sehen, daß ich dein Freund bin, und daß es gut ist, wenn man einen solchen Menschen an der Seite hat.« Mit der ihm eigenen Selbstgefälligkeit fuhr er fort: »Ja, es ist doch besser, wenn man ein bißchen mehr gelernt hat, als der Dorfschulmeister hier in die dicken Schädel bringt«, und er blickte mit triumphierendem Lächeln auf den jungen Schulzen.

Dieser war viel zu sehr von der Sehnsucht erfüllt, daß ihm die drohende Schmach erspart bleibe, um über die Stichelreden seines Freundes empfindlich zu werden. Er nickte vielmehr zustimmend mit dem Kopfe, und Bernhard begann von neuem, indem er vertraulich seine Hand auf die Schulter des Schulzen legte: »Du brauchst dich wirklich gar nicht zu ängstigen, die Sache ist nicht so schlimm, ich werde sie schon ins Gleis bringen. Wenn du ein Anstandsgeld zahlst, dann will ich den Käufer schon bearbeiten, daß er von dem Vertrage zurücktritt, und du hast doch wenigstens nicht die Schande, daß dir ein anderer die Ernte abholt.«

Fritz atmete, wie einer furchtbaren Last enthoben, freier auf und sagte hastig: »Ich zahl', was er haben will, wenn ich nur loskomm'.«

Um Bernhards Lippen spielte wieder ein seltsames Lächeln. Der dumme Bauer ließ sich doch allzusehr in die Karten gucken. »Gut, das läßt sich hören. Komm morgen abend zu uns in die Stadt, ich führe deinen Käufer mit in die Weinstube und wir bringen alles in Ordnung. Verlaß dich auf mich. Ich will dir noch einmal den Strick vom Halse nehmen.«

»Ich kann aber nicht gleich Geld schaffen«, und der Schulze machte ein sehr bedenkliches Gesicht.

»Das brauchst du auch nicht. Du stellst einen Wechsel aus, und dann ist die Geschichte abgemacht.«

Nun brach wieder der alte Leichtsinn in dem jungen Mann hervor. Er hatte keine rechte Ahnung davon, was ein Wechsel bedeute, dennoch glaubte er sich durch die Versprechungen Bernhards von allen Sorgen befreit, und ihm dankbar die Hand schüttelnd, sagte er: »Ich komme morgen ganz bestimmt, und ich will dir's gewiß nicht vergessen, wenn du mir wirklich hilfst.«

»Keine Ursach'«, entgegnete Bernhard, und die Freunde trennten sich mit großer Herzlichkeit.

Zur Freude seiner Frau kehrte Fritz ganz verwandelt heim; er war jetzt wieder der Alte, ließ nicht mehr den Kopf hängen, sondern zeigte wieder eine frohe, glückliche Laune, mit der er einst das Herz Augustens für sich erobert. Deshalb hatte sie auch keine Furcht, als er am anderen Tage mit der Erklärung herausrückte, daß er in der Stadt ein notwendiges Geschäft zu besorgen habe. Mit welch arglosem Lächeln sah sie ihm nach, ohne zu ahnen, wieviel Leid und Unglück ihr Mann an diesem Tage mit nach Hause bringen würde. Daß er wieder in seinen alten Fehler verfallen könne, dachte sie am wenigsten. Er war jetzt so gut und brav zu ihr, sie lebten jetzt beide friedlich miteinander; so hatte sie sich die Ehe gedacht, und seit seiner glücklichen Besserung hatte sie keinen Wunsch weiter. Ihrem sorglosen Wesen lagen ohnehin alle Bedenken fern; sie sah nicht eher eine Gefahr, als bis sie schon über sie hereingebrochen.

Auch Fritz fuhr heute in einer Stimmung fort, wie er sie lange nicht gekannt. Ein Alpdruck sollte ja heute von seiner Brust gewälzt werden; seinem leichtblütigen Herzen genügten die Versprechungen des Freundes, um alles in rosenfarbigem Lichte zu sehen. Die unglückliche Sache, die ihm schon soviel Herzeleid bereitet, sollte ja schnell wieder beseitigt werden.

Im Weinhause traf er schon Bernhard und den Käufer seiner Ernte. Man zog sich in ein besonderes Stübchen zurück, und Bernhard gelang es wirklich, den Herrn zu bearbeiten. Es schien ohnehin ein Lebemann zu sein, der es mit den Geschäften nicht so genau nahm. Nach kurzen Verhandlungen erklärte er sich mit einer Abfindungssumme von fünfhundert Thalern und Rückgabe der Kaufgelder zufrieden. Der junge Schulze rückte zwar jetzt mit dem Bekenntnis heraus, daß er nicht augenblicklich zahlen könne; aber Bernhard fuhr gleich dazwischen: »Das schadet gar nichts, unser Freund wird sich gewiß mit Wechseln begnügen, ein Mann wie du ist ihm sicher.«

Fritz wußte wenig, was es mit Wechseln auf sich habe, und war sehr froh, als der Herr erklärte: »Die Wechsel des Schulzen Uhse sind mir so gut wie bares Geld.«

Bernhard war auch gleich mit einem Wechselschema bei der Hand, das er ausfüllte. »Du darfst nur hier querüber schreiben, dann ist die Geschichte abgemacht. Ich habe das Ziel sehr weit gestellt, zum 1. Dezember.« Der Schulze griff mit freudezitternder Hand zur Feder und schrieb nach der Belehrung des Freundes auf den Wechsel: »Angenommen. Fritz Uhse.«

So leicht hatte er sich doch die Sache nicht vorgestellt, und er ging gern auf den Vorschlag des Freundes ein, nun gemeinschaftlich eine Flasche Wein auszustechen. Im großen Zimmer hatten sich inzwischen die alten Zechgenossen eingefunden; der junge Schulze wurde stürmisch begrüßt, von allen Seiten regnete es herzliche Vorwürfe, daß er so lange ausgeblieben, und seine Eitelkeit fühlte sich von all den Huldigungen nicht wenig geschmeichelt. Da er noch einmal dieser entsetzlichen Schande entgangen, daß ein anderer ihm die Ernte einheimsen sollte, konnte er heute schon etwas draufgehen lassen. – Ein paar Flaschen Wein wurden zur Feier des Wiedersehens bestellt, und bald befand sich die ganze Gesellschaft in der heitersten Verfassung.

Fritz war am lustigsten; er hatte ja alle drückenden Sorgen hinter sich; heute konnte er wieder einmal frei aufatmen, und seine Umgebung war gern bereit, seine frohe Laune zu teilen. Als man genug gezecht hatte, wurde wieder ein Spielchen unternommen. Der junge Schulze weigerte sich zwar anfangs, sich daran zu beteiligen, denn trotz seines Rausches waren ihm die üblen Folgen dieses Vergnügens noch in lebhafter Erinnerung, aber das Zusehen übte bald seinen Zauber; er mußte wenigstens sein Glück versuchen, und er konnte ja nicht viel verlieren, denn er hatte sich vorsichtigerweise nur eine kleine Summe eingesteckt; deshalb widerstand er nicht länger dem beständigen Zureden Bernhards; er griff nach den Karten, und nach kurzer Zeit hatte er den Rest seiner Barschaft verspielt. – Er wollte verdrießlich aufhören, aber Bernhard, der an seiner Seite saß, schob ihm sogleich zehn Thaler zu. »Da nimm, mit geborgtem Gelde hat man Glück«, und Fritz nahm ohne weiteres Besinnen das Darlehen an. Er verlor auch diese Summe, und nun wurde erst sein Spieleifer geweckt. Wie all diese Verblendeten hatte er jetzt nur den Wunsch, das Verlorene wieder zu gewinnen.

»Borge mir noch zehn Thaler«, wandte er sich leise zu seinem Freunde, und dieser, der stets mit fabelhaftem Glück spielte, erfüllte sofort seinen Wunsch. Dieses zweite Darlehen ging ebenfalls verloren, und anstatt durch dieses hartnäckige Unglück abgekühlt zu werden, stachelte es ihn noch mehr auf.

»Borge mir noch zehn Thaler«, drängte er seinen Freund.

»Ach, wozu die Lumperei, stelle mir einen Wechsel über hundert Thaler aus«, entgegnete Bernhard lachend; »du darfst nur einen Federstrich ansetzen, und ich gebe dir achtzig Thaler, damit wirst du schon die davongelaufenen Thaler wieder einfangen«.

In seiner erregten Spielwut rief Fritz sogleich: »Her damit!« und unter dem übermütigen Gelächter der Mitspieler zog Bernhard ein anderes Wechselformular heraus, füllte es aus, und Fritz kritzelte hastig seinen Namen querüber. »Ich. kenne jetzt den Pfiff«, sagte er selbstgefällig, »querüber, das ist zu drollig«, und er lachte dabei aus vollem Halse.

»Ja querüber, wie ich damals geritten bin«, murmelte Bernhard vor sich hin, »aber du sollst noch mehr brechen als ein Bein«.

Das Spiel begann von neuem; leider war das Glück dem jungen Schulzen an diesem Abend durchaus nicht günstig. Er gewann zwar anfangs, doch nach kurzer Zeit hatte er auch die achtzig Thaler verspielt.

»Borg' mir noch hundert Thaler, und ich schreibe gern noch einmal querüber, das ist weiter keine Gefährlichkeit«, wandte er sich zu Bernhard, und dieser erfüllte sogleich bereitwilligst seinen Wunsch. Binnen wenigen Stunden hatte der Schulze eine Summe von fünfhundert Thalern verspielt und seinem Freunde über diesen Betrag Wechsel ausgestellt. Da er kein bares Geld verloren, machte er sich weiter keine Bedenken darüber, und er fuhr in ziemlich heiterer Stimmung nach Hause. Seine lustigen Gesellschafter hatten ihn eingeladen, bald wieder zu kommen, und er sah nicht ein, warum er sich nicht einfinden sollte; er mußte ja sein Geld zurückgewinnen und konnte doch nicht immer solch unerhörtes Pech haben.

Wenige Tage darauf trieb es ihn schon wieder in die Stadt. Seine Frau sagte zwar auch diesmal nichts, als er fortfuhr, aber er sah wohl, daß sie ihm mit einiger Besorgnis nachblickte, und er suchte sie zu beschwichtigen.

»Es ist das letzte Mal, daß ich hinfahre, es geschieht gewiß nicht wieder, das versprecht ich dir. Ein Mann, ein Wort!« sagte er und reichte Augusten zum Abschied die Hand.

Das bekümmerte Gesicht der jungen Frau hellte sich auf. »Ich danke dir, Fritz, und ich weiß, daß du Wort halten wirst«, entgegnete sie mit dem grenzenlosen Vertrauen, das sie stets in ihren Mann gesetzt. Sie war durch dies Versprechen völlig beruhigt und überließ sich ihrer alten Sorglosigkeit.

Selbst als der vom Felde heimkehrende Vater über diese zweite Ausfahrt bedenklich den Kopf schüttelte, suchte sie ihn zu beruhigen, und wenn es ihr auch nicht gelang, den stillen Unmut des alten Mannes zu beschwichtigen, war sie schon froh, daß er sich nicht in hartem Tadel über ihren Fritz erging.

Der geliebte Mann war jetzt so gut, so freundlich zu ihr, sie lebten wie die Kinder miteinander, lachten und scherzten den ganzen Tag, warum hätte sie ihm nicht das letzte Vergnügen gönnen sollen, da er ihr beteuert, er wolle künftig ganz still und gern zu Hause sitzen? – Und Fritz hielt noch dazu merkwürdig Wort; er kam weit eher heim, als sie erwartet hatte, und verzichtete seitdem auf jeden Ausflug in die Stadt. Wenn wirklich ein dringendes Geschäft in der Stadt zu besorgen war, ließ er lieber den Schwiegervater fahren; er schien förmlich sorgfältig jede Gelegenheit zu vermeiden, die den Seinen Kummer machen konnte; dabei legte er gegen seine Frau eine noch erhöhte Zärtlichkeit an den Tag. Sein heiteres, sorgloses Wesen hatte ohnehin für Auguste stets etwas Berauschendes gehabt, nun fühlte sie sich wie im Himmel; sie war die glücklichste Frau auf der Erde, und ihr helles Lachen klang mit ihrem Manne um die Wette durch das Haus. Selbst der alte Schulze wurde durch die Heiterkeit seiner Kinder mit fortgerissen. Er war jetzt mit seinem Schwiegersohn völlig ausgesöhnt und sah ihm vieles durch die Finger. Mochte sich auch der junge Mann der Wirtschaft nicht so eifrig annehmen, als der Alte gehofft, ja manches verkehrt anfassen, war er doch jetzt wieder »vernünftig«, und das blieb die Hauptsache.


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