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1.
Guter Wirt – schönes Haus.

Sachsen ist ein schönes Land! Wer hat nicht den Ausspruch Kaiser Heinrichs IV. wiederholt, wenn er diese gesegneten Gauen aus eigener Anschauung kennen gelernt? Und Niedersachsen besonders war es, das damals dem Salier diesen bewundernden Ausruf entlockte. Ja, es ist ein schönes und fruchtbares Land, das sich in jener weiten Ebene des deutschen Vaterlandes ausdehnt, geschmückt mit wohlhabenden Dörfern, betriebsamen Städten und von einer tüchtigen Bevölkerung bewohnt, die mit Fleiß und Umsicht die Güter zu verwerten weiß, die ihr die freigebige Natur geschenkt.

Der Boden ist hier von vorzüglicher Güte, jede Frucht, die ihm anvertraut wird, gedeiht, und ein Wohlsein, ein Behagen scheint über der ganzen Landschaft zu ruhen.

Hier wohnt nicht der Bauer in einer ärmlichen Hütte und blickt aus niederen Fenstern auf seine Saat, die aus dem dürren Sande in dünnen Halmen aufgesprossen. Das stattliche, geräumige Haus mit seiner ganzen Einrichtung bekundet einen beachtenswerten Wohlstand und bereits das unverkennbare Bestreben, ihn auch zu zeigen. Pianinos oder Flügel, feinere Möbel in den Stuben sind keine Seltenheit, und überall in Haus und Garten verrät sich der Sinn für eine behaglichere Auffassung des Daseins, wie er mit dem wachsenden Reichtum geweckt wird.

Am Fuße eines waldigen Hügels breitete sich ein Dorf aus, das sich zu den stattlichsten und ansehnlichsten in weitem Umkreis zählen durfte. Konnten sämtliche Bauern von Schwarzthal sich eines hübschen Besitzes rühmen und lebten sie in den besten Verhältnissen, so war vollends der Schulze des Ortes ein Mann, der sie alle durch seinen Reichtum an liegender und fahrender Habe noch überragte. Aber auch sonsthin war der Fellenberg ein Mann, der die Achtung verdiente, welche er genoß.

Schon das Wohnhaus des Schulzen ließ erkennen, welcher Geist und welche Tüchtigkeit von alters her darinnen waltete. Es war ein stattlicher Bau, der bereits von den Vorfahren errichtet worden und hinter den mächtigen Birnenbäumen wie ein kleiner Herrensitz hervorlugte. Die Schulzen von Schwarzthal mußten also schon vor Zeiten ein recht hübsches Stück Geld besessen haben, und in den Händen guter Wirte war ihre Habe zu einem bedeutenden Besitztum angeschwollen.

Nicht nur in dem geräumigen Hause zeigte sich überall jener Wohlstand, der nicht mehr ängstlich nach dem Preis einer Sache zu fragen braucht, sondern alles anschafft, was Laune oder Gefallen anschaffenswert gefunden; auch der wohlgepflegte Garten, die weitläufigen Ställe, die Sauberkeit in Haus und Hof deuteten auf den Reichtum des Eigentümers, der bereits neben dem Erhalten des Besitzes an den Schmuck des Daseins denken darf.

Manch sinnreicher Spruch zierte Gerät und Wände, und von den Vorfahren her war als Wahl- und Wahrspruch den Insassen des Schulzenhauses der Kernspruch: »Ein Mann, ein Wort« überliefert worden.

Vielleicht würde der alte Fellenberg lieber manchen Thaler in die Truhe gelegt, als für unnützen Krimskrams ausgegeben haben; aber er hatte zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter, und sein Stolz siegte über seinen Hang zur Sparsamkeit.

Auch sein Vater hatte niemals geknausert und ihm nicht gern einen Wunsch versagt, das war in der Scholtisei stets so gehalten worden; freilich hatte sein Sinn nicht auf solchen unnützen Trödel gestanden, wie jetzt der seiner Kinder; er hatte für schöne Pferde im Stalle geschwärmt und darin seinen Ehrgeiz gesucht, das beste Roß in der ganzen Umgegend sein zu nennen; dafür hatte er sich's als junger Mensch was kosten lassen, und sein Vater hatte ohne »Mucksen« jede Summe bezahlt, die er zu diesem Zwecke gebrauchte.

Die Kinder hatten andere Liebhabereien, das ließ sich einmal nicht ändern; aber der alte Fellenberg würde sich geschämt haben, wenn er ihnen die paar Thaler hätte verweigern wollen, die sie dafür beanspruchten. Sein Sohn hatte freilich Neigungen, die jedem rechten Bauer bedenklich sein müssen. Er mußte wohl unter der strengen Kontrolle seines Vaters seinem ländlichen Berufe die nötige Aufmerksamkeit schenken, doch ein schärferer Beobachter konnte wohl bemerken, daß seine Seele nicht dabei war, daß er nur mit innerem Widerstreben seine Pflicht erfüllte.

Die Neigung des jungen Fellenberg war nicht auf Bestellung eines großen Ackers, nicht auf Halten eines tüchtigen Viehstandes gerichtet; von früh auf hatte ihn der Gartenbau mächtig angezogen, schon als Knabe war es sein einziges Glück, in einem Teile des großen Gemüsegartens seiner Liebhaberei zu frönen.

Diesen Winkel hatte er von seinem Vater für sich erbeten, und hier war er in den Feierstunden rastlos bemüht, Blumen zu ziehen, seltene Gewächse anzupflanzen, und er gab sich diesem Vergnügen mit einem Eifer hin, der wohl bewies, daß ihn das Schicksal eigentlich zum Gärtner bestimmt habe. Der alte Schulze ließ zwar den Jungen gewähren, aber er sorgte dafür, daß die Neigung seines Sohnes für diese harmlose Beschäftigung nicht die Oberhand gewann. Sein einziger Sohn mußte einmal die Bewirtschaftung des großen Gutes übernehmen. Deshalb hielt der Alte mit eiserner Strenge darauf, daß Wilhelm über seine Spielerei nicht die ernste Arbeit vergesse. Mochte Wilhelm immerhin den Ackerbau mit Unlust treiben, der Alte fragte wenig danach; er dachte, das würde sich alles schon finden, wenn sein Sohn erst einmal selbst die Leitung des Ganzen in die Hand nehmen müsse.

Dem heranwachsenden Schulzensohn dagegen wurde die Landwirtschaft immer widerwärtiger, je strenger sein Vater darauf hielt, daß er sich alles aneigne, was ihn zu einem tüchtigen Landwirt machen konnte. Um so eifriger hing er in jeder freien Stunde seiner Neigung nach, und der lebhafte Verkehr mit dem alten Schloßgärtner Winkler, der mit wahrer Leidenschaft seinem Beruf ergeben war, bestärkte den jungen Menschen desto mehr in dieser Vorliebe für jene stillere, gemütanregende Beschäftigung.

Von dem alten Gärtner erwarb sich Wilhelm eine Menge Kenntnisse, die ihn jederzeit befähigt hätten, eine Stelle als Gartengehilfe anzunehmen, denn er zeigte für diese schöne, anmutige Kunst eine Befähigung und leichte Fassungsgabe, die selbst die Bewunderung des alten Winkler erregte, der oft scherzend, oft aber mit vollem Ernst bemerkte: »Lieber Fellenberg, an Ihnen ist ein Gärtner verdorben.«

Der junge Mensch fühlte das selbst; ob Korn und Weizen geriet, ein Stück Vieh einschlug, war ihm höchst gleichgültig, dagegen leuchteten seine Augen, wenn er eine seltene Pflanze glücklich durchgebracht, eine prächtige Rose gezogen hatte. Hätte sich sein Sinn für den Gartenbau nicht so früh gezeigt, würde man wohl die Vermutung aufgestellt haben, daß die Liebe zu der hübschen Schloßgärtnerstochter dabei nicht ohne Einfluß gewesen sei.

Wilhelm Fellenberg hatte aber mit dem alten Winkler schon zusammengesteckt, als die kleine Helene noch in der Wiege lag; kein Wunder war es freilich gewesen, daß er bei seinen öfteren Besuchen auch mit dem Töchterchen in den vertraulichsten Verkehr gekommen; er hatte mit dem Kinde gespielt und mit der heranwachsenden Jungfrau die Liebe zu den Blumen geteilt, bis dann in beider Herzen die wahre, tiefe Liebe eingezogen, die, wenn sie die rechte, auch unauslöschlich ist.

Der Schulze wußte nichts davon; er sah es nicht gern, daß sein Sohn so oft zum Schloßgärtner lief, einem Menschen, der in anderer Leute Diensten stand, und der alte Fellenberg war stolz darauf, daß er ein unabhängiger Mann war; aber in solchen Dingen gestattete er seinen Kindern gern jedmögliche Freiheit. Wenn sie nur in der Wirtschaft ausführten, was er von ihnen verlangte, dann mochten sie mit der übrigen Zeit anfangen, was ihnen gefiel. Eine harte Arbeit mutete er ihnen ohnehin nicht zu. Sie sollten nur überall nach dem Rechten sehen, die Leute zu Fleiß und Ordnung anhalten, das war die Hauptsache, selbst mit Hand anzulegen, das brauchten sie nicht. – Das Auge des Herrn schafft mehr als seine Hand, dem Grundsatz war von je in der Scholtisei gehuldigt worden. Vielleicht lag es in einem gewissen Vornehmthun, von dem die Fellenbergs nun einmal nicht ganz freizusprechen waren. Man hatte es nicht nötig, gar so schwer am Joche mit zu ziehen, und konnte bereits den Herrn spielen.

Während der Sohn des Schulzen schon durch seine Vorliebe für Blumen einen stilleren Sinn bekundete und in seiner ernsten ruhigen Weise gern allein seines Weges ging, war die Tochter des alten Fellenberg voll Lebendigkeit und die Munterkeit selbst. Heiterkeit und Frohsinn lachten aus ihren blaugrauen Augen, eine übermütige Schelmerei versteckte sich im Grübchen am Kinn und das frische blühende Gesicht verriet die glückliche Sorglosigkeit, in der Auguste aufgewachsen war. Die Schulzentochter war nicht bloß jung, sondern auch schön; von jener derben, gesunden Schönheit, die auf dem Lande allein Wert und Geltung erhält. Auf all die Vorzüge, die man an einer Dame des Salons bewundert, konnte die Schulzentochter wenig Ansprüche machen; ihre Hände waren weder weiß noch ungewöhnlich schlank, sondern breit und rot, die Nase war durchaus nicht edel geformt, vielmehr zeigte Auguste jenes Stumpfnäschen, dem man ein keckes In-die-Weltschauen nachredet. Auch der Mund war viel zu groß, dennoch verschönten ihn ein naives Lächeln und zwei Reihen prächtiger Zähne; die Haare würden böswillige Kritiker tornisterblond genannt haben, aber wenn sie die dicken mächtigen Flechten aufrollte, reichten sie ihr fast bis an die Fersen.

Auguste Fellenberg würde mit ihren derben vollen Formen bei ihrer drallen kräftigen Gestalt in der Stadt kaum einen jungen Mann gefunden haben, der sie für leidlich hübsch gehalten hätte; in Schwarzthal dagegen galt sie für das prächtigste Mädchen, und ihre Schönheit erregte die allgemeinste Bewunderung.

Da gab es niemand, der nicht ohne weiteres erklärt hätte, daß sie die Schönste des Dorfes sei. Und für diese beneidenswerte Dorfschöne hatte sich auch schon, trotz ihrer großen Jugend, ein Liebhaber gefunden, der ganz für sie zu passen schien.


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