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6.
Es ist nicht alles Gold was glänzt.

Vier Wochen, nachdem Wilhelm das väterliche Haus verlassen und in aller Stille sich mit Helenen verheiratet hatte, feierte Fritz mit Augusten seine Hochzeit. Das war ein Fest, wie es Schwarzthal seit langem nicht gesehen. Heute zeigte der Bräutigam noch einmal seine tolle, übermütige Laune, denn er war überglücklich. Hatte seine Partie sich doch weit glänzender herausgestellt, als er damals gehofft. Wilhelm war glücklich beseitigt, und der Alte hatte schon davon gesprochen, daß er sich zur Ruhe setzen wolle, sobald er die Überzeugung gewonnen, daß sein Schwiegersohn auf dem Posten sei. Nun wollte ihn Fritz schon vollends herumkriegen, da war ihm gar nicht bange, und deshalb war er der lustigste Bräutigam, dessen frisches, fröhliches Gesicht heute von Seligkeit strahlte.

Wie wurde das junge, hübsche Paar bewundert und wohl auch beneidet – denn es winkte ihm eine Zukunft, wie sie nicht so leicht jemand zu teil wurde. – Der Bräutigam hatte ein väterliches Erbteil von zehntausend Thalern, und dazu stand ihm der Besitz der Scholtisei in naher Aussicht. Mehr konnten sie vom Schicksal gar nicht verlangen.

Die jungen Eheleute blieben in der Scholtisei, und Fritz Uhse nahm sich der Wirtschaft mit solchem Eifer an, daß der Schulze überzeugt war, er könne sein Gut in gar keine besseren Hände legen als in die seines Schwiegersohnes.

Fritz schien wie verwandelt. Mit seiner Verheiratung war auch sein Leichtsinn entflohen; er konnte jetzt schon recht ehrbar auftreten und sich ein Ansehen geben; der alte Fellenberg war mit ihm völlig zufrieden, und da seine Tochter ihm fortwährend im Ohr lag, ihr Mann sehne sich nach Selbständigkeit und wolle sich lieber ein kleines Gütchen ankaufen, als nur immer der Schwiegersohn des Schulzen zu bleiben, der niemand was zu sagen habe, reifte wirklich in dem Schulzen der Entschluß, sein Besitztum den Kindern zu übergeben.

Er war ohnehin müde. Das Zerwürfnis mit seinem Sohne hatte ihn doch mächtiger gepackt, als er irgend jemand verraten mochte. Nun erst wußte er, daß er Wilhelm trotz alledem geliebt hatte, wie wenig er auch mit ihm zufrieden gewesen war, und jetzt beklagte er sein Geschick, das ihm den Sohn entrissen. Wenn er sich auch noch bei Kräften fühlte, wollte er sich doch zur Ruhe setzen.

Vorsichtig wie der alte Fellenberg war, wollte er der Tochter und nicht dem Schwiegersohn das Gut verkaufen, aber diese mochte davon durchaus nichts wissen. Sie war so glücklich in ihrer Ehe – freilich ein willenloses Werkzeug in den Händen ihres schlauen Mannes. Bei ihrer großen Jugend konnte er sie leicht völlig beherrschen und zu allem bewegen. Was sie sprach und dachte, war völlig nur ein Echo ihres Mannes; – er war so gut, so aufmerksam gegen sie, jeden ihrer Wünsche suchte er zu erfüllen, und mit seiner frohen Laune, seinem einschmeichelnden Wesen wußte er sie völlig zu umgarnen. Die Leute hatten alle gesagt, der künftige Ehemann sei ganz anders als der Bräutigam und dann höre das Schönthun auf, und ihr Fritz war gegen sie jetzt noch weit zärtlicher als je vorher. Wie hätte ihm die junge Frau nicht blind vertrauen sollen, deren Augen ohnehin durch einen frühzeitigen Kampf mit Menschen und widrigen Schicksalen nicht geschärft waren. Was ihr Fritz sagte, galt ihr als Evangelium; er hatte sich einmal so ganz gelegentlich über einen Mann im Dorfe lustig gemacht, der eine Frau geheiratet hatte, die Besitzerin des Bauerngutes war, und gemeint, »so ein Mann bleibe eine Null sein Lebelang« – und nun hätte Auguste um keinen Preis ihren Fritz zu einer solchen Null herabdrücken mögen. Ob auf sie oder ihn das Gut geschrieben war, blieb ihr völlig gleich, und hier war es noch schlimmer: wenn ihr Mann nicht Besitzer der Scholtisei würde, kam er in Schwarzthal nie zu Ansehen. Mit jener Beredsamkeit der Liebe, die stets unwiderstehlich ist, wußte Auguste dem Vater die Gründe auseinander zu setzen, die sie zu ihrem Wunsch bestimmten, und er gab endlich, wenn auch widerstrebend, nach. Der Kauf wurde abgeschlossen, der Schulze ließ sich ein ansehnliches Gedinge aussetzen, sein Schwiegersohn beteuerte ihm noch dazu, daß er sich glücklich schätzen würde, wenn er ihm auch ferner mit Rat und That zur Seite stehen wolle, und Fritz Uhse war Besitzer der Scholtisei.

Von jenem Tage an war der junge Mann ein anderer; selbst seine besten Freunde erkannten ihn nicht wieder. Nun kam seine innere Natur zum Vorschein. Mit einem grenzenlosen Leichtsinn verband er eine ebenso grenzenlose Eitelkeit und Prahlsucht. Der alte Fellenberg hatte wunder gedacht, wie prächtig sein Mobiliar war, das er im Laufe der Zeit angeschafft; es wurde sofort durch neues, weit eleganteres ersetzt und das alte in die Rumpelkammer geworfen. Auguste spielte zwar jetzt nur noch selten Piano, trotzdem kaufte Fritz einen prachtvollen Flügel, und auf die sanften Vorstellungen seiner Frau erklärte er, daß die Sache ein anderes Ansehen bekommen müsse. In kurzer Zeit waren Tausende damit verschleudert. Und nicht genug, daß der junge Schulze für kostbaren Hausrat große Summen ausgab; er wußte noch auf vielfache Weise sein Geld an den Mann zu bringen. Im Stalle mußte jetzt ein Reitpferd von edler Rasse stehen, und die Pferde, die bisher der Stolz des alten Fellenberg gewesen, waren seinem Nachfolger zu schlecht, sie wurden nur noch als Ackergäule benutzt, während sich Fritz zwei Kutschpferde anschaffte, ausgezeichnete Tiere, die sogar bei einem großen Wettrennen den Preis erhalten und deren Besitz selbst einen Grafen erfreut haben würde.

Nun fuhr er damit täglich in die Stadt. Hei, das ging dort lustig zu! – Er fand da gute Freunde, die seinen Humor bewunderten und den Schulzen von Schwarzthal wie ihresgleichen betrachteten – nur beim Zahlen ließen sie ihm gern den Vortritt – und Fritz rechnete es sich zur Ehre an, die Zeche zu bestreiten, er hatte es ja dazu.

Anfangs hatte er zuweilen seine junge Frau mitgenommen; aber er fand dies schließlich langweilig und amüsierte sich bei weitem nicht so gut, als wenn er allein war. Deshalb ließ er lieber Auguste zu Hause, die so wie so an diesen Stadtfahrten nicht viel Gefallen fand. Sie hatte den Stolz ihres Vaters geerbt und fühlte sich tief gekränkt, wenn ein Städter sie etwas von oben herab behandeln wollte, denn da kam ihr stets das Bewußtsein, wie weitaus gesicherter ihre Lebensstellung war.

Fritz dagegen hatte in der Stadt Kameraden gefunden, die ihm zusagten und die viel lustiger und unterhaltender waren, als die Leute in Schwarzthal. Deshalb zog es ihn immer mächtiger in die Stadt, und es verging keine Woche, wo er nicht ein paar Mal hineingefahren wäre. – Zuerst hatte er dafür stets einen Vorwand, endlich fuhr er auch ohne denselben, denn es zog ihn zu mächtig hin, und er fragte wenig danach, was und wie viel zu Hause darüber zu Grunde ging.

Als er eines Tages wieder in die Stadt fuhr und in der Schankwirtschaft einkehrte, die stets die lustigsten Zechbrüder sah, bemerkte er zu seinem Verdruß, daß der Tintenkleckser, der Bernhard, mitten unter der Gesellschaft saß, mit der er am liebsten verkehrte. Es war recht fatal! Er wollte sich schon an einen anderen Tisch setzen, aber der junge Winkler rief ihm so gemütlich zu, als habe zwischen ihnen stets die herzlichste Freundschaft geherrscht: »Ach, das ist prächtig, daß du kommst, Schulze, ich habe dich lange nicht gesehen und sehnte mich schon immer danach, denn es gibt keinen lustigeren und witzigeren Menschen als dich«, und Bernhard streckte ihm von weitem die Hand entgegen.

Fritz Uhse war nicht der Mann, der ein solch herzliches Entgegenkommen zurückweisen konnte; er war noch dazu heilfroh, daß der Schreiber ihn vor den übrigen Herren mit solcher Auszeichnung behandelte, anstatt, wie er gefürchtet, ihm mit Vorwürfen zu begegnen, und deshalb schlug er herzhaft in die dargebotene Hand seines ehemaligen Gegners ein und sagte ebenso freundlich, als wenn zwischen ihnen nie was vorgefallen: »Na, es freut mich auch, und ich hoff', daß es dir gut geht.«

»Besser, als ich's verdiene!« lachte Bernhard »und deshalb bleibt uns nichts übrig, als unser unerwartetes Wiedersehen mit Champagner zu feiern. Kellner! drei Flaschen Sekt«, befahl er sogleich, und der hübsche Einfall fand alsbald bei den versammelten Freunden die lebhafteste Zustimmung. Es war nicht gerade die beste Gesellschaft, mit der Fritz verkehrte; aber damit hatte es der junge Uhse niemals so genau genommen, und er glaubte wunder welche Ehre ihm zu teil wurde, daß er mit einem bankerotten Rittergutsbesitzer, einigen pensionierten, vielleicht auch kassierten Gerichtsbeamten und Leuten ähnlichen Schlages verkehren konnte. Er bemerkte noch dazu, daß Bernhard in dieser Gesellschaft eine hervorragende Rolle spielte, und das allein schon würde ihn bestimmt haben, sich mit ihm auf den gemütlichsten Fuß zu setzen. Es war doch ein ganz netter Kerl, daß er ihm nicht einmal jenen kleinen Hieb nachtrug, der ihm doch ein unheilbares Hinken eingetragen.

Der Champagner kam, und nun ging es lustig zu am Tische. Bernhard war weit unterhaltender, als es Fritz von dem Tintenkleckser je vermutet hätte. Er wußte allerhand lustige Geschichten zu erzählen und lachte zu den Späßen des Schulzen so herzhaft, daß dieser sich davon nicht wenig geschmeichelt fühlte. Und nun dazu der Champagner, auf den er bisher noch gar nicht gekommen war und der ihm ausgezeichnet schmeckte. »Bei der Sorte wollen wir bleiben«, rief er in heiterer Weinlaune, und die anderen lachten beifällig über den »guten Witz«, wie es Bernhard nannte.

Noch ein paar Flaschen Champagner wurden bestellt, und diesmal ließ sich der Schulze die Ehre nicht nehmen, sie zu bezahlen. Die Gesellschaft wurde immer lustiger. Bernhard schlug ein Spiel vor, und die Idee fand allgemeinen Anklang. Fritz wollte sich anfangs nicht daran beteiligen, er hatte es bisher noch niemals mit den Karten versucht; aber es liegt im Spiel die Anziehungskraft des Strudels, und der junge Mann hätte ein ganz anderer Charakter sein müssen, wenn er dem Zauber zu widerstehen vermocht, der in dem Hin- und Herrollen des Geldes, in dem beständigen Wechsel des Glückes liegt. Vom Champagner und dem Zusehen berauscht, rief er lachend: »Ich muß es doch auch einmal versuchen!« und bald war er von der dämonischen Macht des Spieles gefangen. Das Glück war ihm, wie allen Anfängern, günstig, er gewann eine bedeutende Summe, und obwohl er das Bewußtsein hatte, daß der reiche Schulze von Schwarzthal es nicht nötig hatte, machte ihm dieser Gewinn doch mehr Freude als der reichlichste Ernteertrag. Erst in später Nachtstunde fuhr er nach Hause; er hatte sich seit langem nicht so gut amüsiert wie heute. Die Pferde mußten seine tolle, übermütige Stimmung entgelten; er schlug darauf los, daß sie pfeilschnell dahin schossen. So schnell war damals nicht sein Schwiegervater gefahren. Zu seinem Erstaunen fand er seine Frau auch noch wach. Sie hatte stets seine Rückkehr erwartet, obwohl er ihr schon zehnmal kühl und nüchtern gesagt, daß sie es nicht nötig habe. Jetzt, wo er noch dazu so ungewöhnlich spät nach Hause kam, war es ihm desto unangenehmer. Sie empfing ihn so freundlich wie immer, nicht ein Wort des Vorwurfs kam über ihre Lippen, ihre verweinten Augen sprachen um so deutlicher; äußerst verdrießlich entgegnete er auf ihre Begrüßung: »Warum bist du nicht zu Bette gegangen? Was soll die Aufpasserei? Ich kann nach Hause kommen, wann ich will!«

»Ich wollte dich nur erwarten«, sagte die junge Frau.

»Das hast du gar nicht nötig«, war seine Antwort, und er wollte mit einem finsteren Blick an ihr vorüber.

Da stürzten der jungen Frau die Thränen aus den Augen, sie lehnte sich schluchzend an seine Brust, und nur der einzige Ausruf: »Fritz!« kam über ihre Lippen. Er enthielt so viel geheimes Leid und Weh, wie es die bittersten Vorwürfe nicht vermocht hätten.

Trotz seines tüchtigen Rausches, den er mitgebracht hatte, drang dieser Ton zu seinem Herzen. Etwas von der alten Liebe erwachte, denn mit all seinem Leichtsinn war der junge Mann nicht ohne Gutmütigkeit, und gerade diese war es, die Auguste immer wieder zu ihm zurückführte. Auch heute sagte er beschwichtigend: »Sei mir nicht böse, Gustchen, daß ich einmal länger geblieben, aber es war zu hübsch. Denke dir, ich hab' ein schweres Stück Geld gewonnen, und ich durfte doch nicht eher aufhören, als die anderen; aber je länger wir spielten, je mehr gewann ich, das hat mir wirklich Spaß gemacht.«

»Mein Vater sagte immer, die Leute halten wohl Fritz für ein bißchen leicht, aber er spielt nicht Karten und das ist die Hauptsache.« Sie versuchte dabei zu lächeln, um ihn mit dem leisen Vorwurf, der in ihren Worten lag, zu versöhnen. Fritz machte ein Schnippchen: »Dein Vater hat vielleicht im Spiel rechtes Pech gehabt, und deshalb ist es ihm so zuwider; wer aber wie ich fabelhaftes Glück dabei hat, der darf es schon wagen. Gustchen, glaub' mir nur, ich bin viel zu klug, ich höre schon auf, wenn ich verlieren sollt'.«

Seine freundlichen Worte beschwichtigten all ihre Unruhe. Er war heute so gut, sie merkte wohl, daß er mehr als gewöhnlich getrunken hatte; aber sie glaubte auch, im Rausche komme erst die wahre Natur des Menschen zu Tage, dann zeige er rückhaltslos seine Gesinnung, und dann durfte sie noch immer nicht an seiner Liebe zweifeln, wie sie es in jüngster Zeit schon oft gethan; er war seit langem nicht so zärtlich gewesen, und ihr junges zagendes Herz sehnte sich danach, an den Bestand eines Glückes zu glauben, dessen Verlust sie nicht zu ertragen vermochte.

Fritz war sehr froh, daß er bei seiner Frau so davongekommen und sie nicht erst viel lamentiert; – er konnte sie doch mit seiner Schlauheit um den Finger wickeln.

Auch der alte Schulze hatte nicht schlafen können, wie jetzt schon manche Nacht. Er hörte deshalb die späte und geräuschvolle Heimkehr seines Schwiegersohnes, und er mußte unwillkürlich einen Seufzer ausstoßen.

Die Uhr schlug soeben zwei. Der Alte richtete sich im Bette in die Höhe und blickte ernst und traurig in die stille Mondnacht hinaus. Welch trübe Gedanken und Vorstellungen mochten durch sein Gehirn zucken! Er, der sich auf seine Menschenkenntnis stets so viel zu gute gethan, er hatte sich so bitter getäuscht und gerade dort getäuscht, wo es zum furchtbarsten Unheil für sein armes Kind ausgeschlagen. – Auguste klagte zwar nicht, aber er wußte doch, daß sie nicht glücklich war, und ihre blassen Wangen, ihre zuweilen geröteten Augen sprachen deutlich genug. Eben so wenig, wie sie ihm ihr Leid klagte, mochte er danach fragen. Wozu?! Sah er nicht, wie es sein Schwiegersohn täglich trieb, wie er nicht nur die Wirtschaft völlig vernachlässigte, sondern auch seine Frau? Er war jetzt so kurz angebunden gegen sie, und während er früher sich so übermütig und lustig gezeigt, war Fritz seit seiner Verheiratung übellaunig und schroff und sparte all seine Heiterkeit für seine Zechgenossen auf.

Der Schulze hatte schon seit Monden seine Tochter nicht mehr lachen hören, und wie gern hatte er dies stets gehört! Mit der ruhigen, ernsten Schweigsamkeit, die ihm eigen war, hatte er bisher alle Schwächen und Fehler seines Schwiegersohnes ertragen und mit keinem Wort einmal eine Rüge sich erlaubt. Ohne Geräusch suchte er die Versäumnisse desselben in der Wirtschaft gut zu machen, und er verdoppelte seine Anstrengungen, damit wenigstens alles im alten Gleise blieb. Dabei wußte er es mit seiner Besonnenheit so einzurichten, daß es seinem Nachfolger nicht empfindlich werden konnte. Er half nur immer dort nach, wo Fritz nicht war, und sobald derselbe irgendwo wirklich einmal erschien und nach dem Rechten sah, trat er bescheiden zurück. Durch dieses kluge Auftreten hatte er stets jeden Zwiespalt mit dem Schwiegersohn vermieden und dennoch dafür gesorgt, daß die Bewirtschaftung des Gutes nicht allzusehr vernachlässigt wurde.

Vieles ließ sich freilich gar nicht ausgleichen. Mit dem ganzen Eifer eines neuen Besitzers hatte Fritz anfangs eine Menge Maschinen angeschafft und in der Bebauung des Ackers große Veränderungen vorgenommen. Auf Weizenboden bestellte er versuchsweise Kartoffeln, und den Acker, der stets diese Früchte getragen, ließ er zur Aussaat von Weizen zurichten, und das Ergebnis von all seinen Neuerungen war, daß der Ertrag der Ernte weit geringer wurde. Der alte Mann sah im voraus das Thörichte all dieser »sogenannten Verbesserungen«, aber er wagte nicht den leisesten Widerspruch, denn er hoffte, daß sein Schwiegersohn durch eine Menge Fehlschläge schon selbst zur Vernunft kommen werde. Schwerer drückte ihn der ungeheure Leichtsinn, die Verschwendungssucht des jungen Mannes. Er hatte ihn nur für eine heitere, sorglose, äußerst lenksame Natur gehalten und gemeint, niemand passe so gut für seine Tochter wie Fritz Uhse, und nun gewahrte er zu spät seinen Irrtum. Fritz hatte jetzt ein so keckes, rücksichtsloses Auftreten, daß es schon so leicht niemand wagte, ihn zur Rede zu stellen und auf einen anderen Weg zu bringen. Am wenigsten vermochte es seine Tochter. Der alte Fellenberg sah wohl, wie sie unter dem veränderten Benehmen ihres Mannes unendlich litt; aber sie war viel zu jung und unerfahren, um irgendwie auf ihn einzuwirken. – Wohin sollte es endlich führen? –

Die Liederlichkeit des Schwiegersohnes nahm nicht ab, sondern zu, und wenn das so fortging, mußte es zum sicheren Untergange führen. War es nicht endlich Zeit, ein ernstes Wort mit dem leichtsinnigen Manne zu reden? – Dabei stellte er Vergleiche an zwischen ihm und seinem Sohne. Zwar bäumte sich sein Stolz noch immer auf, sich selbst einzugestehen, daß er dem letzteren unrecht gethan, aber so viel gewahrte er doch, daß Wilhelm eine größere Tüchtigkeit zeigte, als er je erwartet hatte. Er hatte seinen Lebensplan mit einer Sicherheit zur Ausführung gebracht, die von der Festigkeit seines Charakters das beste Zeugnis ablegte. In einem Vorort der nächsten Stadt hatte er ein kleines Grundstück angekauft und es mit der Gemüsegärtnerei versucht. Der Fleiß und die Erfahrungen seiner Frau kamen ihm trefflich zu statten, und wie der Schulze erfuhr, brachte Wilhelm sein Geschäft wirklich vorwärts, während sein Schwiegersohn sichtlich zurückkam und, wenn das so fortging, noch ein schlechtes Ende nehmen mußte.

Obwohl der alte Fellenberg sich vorgenommen hatte, mit Fritz am anderen Morgen in aller Vernunft ein ernstes Wort zu sprechen, kam er doch nicht dazu. Ehe derselbe aufgestanden war, mußte er längst aufs Feld hinaus, wo seine Anwesenheit notwendig war; mittags, in Gegenwart der Leute, war vollends nicht daran zu denken, und als er abends seine Tochter nach Fritz fragte, gab diese ziemlich kleinlaut zur Antwort: »Er ist wieder in die Stadt gefahren.«

Der Alte wollte seinen Ohren nicht trauen. »Und das duldest du und sagst ihm nicht endlich, daß es so nicht fortgehen kann?«

»Er meinte, daß er ein notwendiges Geschäft in der Stadt zu besorgen hätte.«

»Das glaubst du ihm?« lachte der Vater ingrimmig auf. »Er treibt sich in den Wirtshäusern herum, das sind seine Geschäfte!«

Die Tochter wußte es ebenfalls, und dennoch wollte sie ihren Mann verteidigen, denn sie kannte schon die Energie des Vaters, der, einmal unzufrieden mit jemand, auch unerbittlich mit ihm brach. – »Zürn' ihm nicht, Vater, er will noch ein bißchen das Leben genießen, aber glaub's nur, er wird's bald satt kriegen und dann schon zur Vernunft kommen.«

»Das hab' ich auch gedacht, aber statt dessen wird's schlimmer als je«, entgegnete der Alte und ging mit finsterem Stirnrunzeln in der Stube auf und ab. »Das muß endlich ein Ende erfahren. Ich werd' ihn noch heut abend ins Gebet nehmen und so lange warten, bis er kommt.«

»Wirst du nicht müde sein? Du hast den ganzen Tag gearbeitet«, warf sie zaghaft ein.

»Ja, während er den großen Herrn spielt und unser Gut verpraßt«, grollte der alte Mann. »Nun, ich werde ihn doch erwarten«, setzte er mit gewohnter Hartnäckigkeit hinzu, »und du Auguste, geh ruhig schlafen. Er verdient's wirklich nicht, daß du ihm so viel Liebe erweisest«, er legte dabei seine Hand auf ihre Schulter und sah sie mit großen, jetzt feucht gewordenen Augen, mit einer Zärtlichkeit an, wie er sie seiner Tochter noch nie gezeigt hatte.

Sie warf sich laut schluchzend an seine Brust, und er hielt sie innig umschlungen. Kein Wort der Klage kam über ihre Lippen, auch der Vater versuchte nicht, sie zu trösten. Beide verstanden sich doch und wußten, daß sie durch eine bittere Täuschung tief unglücklich geworden. Auguste war noch zu jung, um die Größe des Elendes zu übersehen, das sich an sie herandrängte; die Brust ihres Vaters dagegen durchrieselte die schmerzlichste Reue, er hätte eben klüger und scharfblickender als seine Tochter sein müssen und die unselige Wahl nicht billigen sollen. Ein Charakter wie der alte Fellenberg, der an die anderen die größten Ansprüche machte, ging auch mit sich selber am schärfsten ins Gericht.

Wie der Schulze gesagt, wartete er auch wirklich in der großen Wohnstube auf die Rückkehr des Schwiegersohnes. Wie lang wurden ihm die Stunden; es schlug Mitternacht, und der leichtsinnige Mensch erschien noch immer nicht. Wohl fühlte er eine Ermattung, dennoch kam kein Schlaf in die Augen des alten Mannes. Endlich, die Uhr wies auf zwei, ließ sich Pferdegetrapp hören, und wie auch der alte Schulze sich vorgenommen hatte, ganz ruhig zu bleiben, so begann sein Blut doch rascher zu wallen, als jetzt der Schwiegersohn hereinschwankte und, wie schon der erste Augenschein erwies, in völlig betrunkenem Zustande. Wie es ihm möglich gewesen, glücklich heimzukommen, war ein Wunder und gewiß nicht ihm, sondern nur seinen trefflich eingefahrenen Pferden zu danken.

»Da bist du ja schon«, sagte der alte Fellenberg, und in seinem Gesicht lag noch mehr Ironie, als in seinen Worten.

Fritz machte eine sehr verwunderte Miene und wollte an seinem Schwiegervater vorübertaumeln; aber dieser merkte seine Absicht: »Nein, Freund, endlich sollst du mir Rede stehen, wenn du noch so viel Besinnung hast!« und er vertrat ihm den Weg.

»Ach, Ihr denkt wohl, ich bin betrunken –« lallte der junge Mann und suchte sich ein wenig aufzuraffen.

»Ich denke es nicht bloß, ich seh' es«, entgegnete der Alte, und sein Blick ruhte eben so zürnend wie verächtlich auf seinem Schwiegersohn.

»Hm, ich habe Unglück gehabt und aus Ärger einen drauf gesetzt, aber betrunken bin ich nicht, wahrhaftig nicht« – und er legte zur Beteuerung die rechte Hand auf die Brust, während er sich mit der Linken an dem Tisch festhielt und trotzdem bedenklich hin und her schwankte.

»Was kannst du für Unglück haben? Das sind die ewigen Ausreden bei einem Trinker.«

»Nein, ich hatte es doch – die Karten fielen heute merkwürdig gegen mich.«

»Also du hast dich auch noch dem Laster des Spiels ergeben!« – rief der Schulze ganz entsetzt; »dann muß ich morgen mit dir ein ernstes Wort reden, wenn du wieder nüchtern bist, heute magst du erst deinen Rausch ausschlafen.«

»Ich bin nicht betrunken, das ist eine Beschimpfung«, lallte Fritz, aber der Alte gab ihm keine Antwort. Gesenkten Hauptes, mit einem tiefen Seufzer verließ er das Zimmer.

Dem jungen Schulzen war es doch etwas unbehaglich, daß ihn sein Schwiegervater bei seinem späten Nachhausekommen ertappt hatte. Es war aber auch ein rechter Unglückstag – und mißmutig, so leise wie möglich, um nicht noch von seiner Frau eine Gardinenpredigt zu erhalten, tappte er nach seinem Lager. Durch diese plötzliche Begegnung mit dem Alten war der Rausch etwas verflogen, er konnte seinen Vorsatz ausführen – seine Frau erwachte nicht durch seine späte Ankunft – sie war wenigstens still und schlief gewiß.

Am anderen Morgen fühlte sich Fritz noch immer sehr elend. Es war ihm so wüst im Kopfe, und er mußte sich mühsam auf die Vorgänge des gestrigen Abends besinnen. Ja richtig, Freund Bernhard hatte ihm einen reichen Herrn zugeführt der ihm schon die Ernte auf dem Halme abgekauft. – Es war freilich etwas auffällig, und die guten Schwarzthaler würden darüber gewiß ein großes Geschrei erheben, daß er schon auf dem letzten Loche pfeife; aber er hatte gleich dafür eine schöne Summe erhalten, die weit über das hinausging, was je der Alte bei der besten Ernte herausgeschlagen, und warum hätte er nicht auch auf dies glänzende Geschäft eingehen sollen, das er nur Bernhard zu verdanken hatte, der ihm aus Freundschaft jetzt alles zu Gefallen that? Runde 2000 Thaler, da mußte sein Schwiegervater ganz still sein. Wo hatte er nun das Geld? In der Brieftasche, ganz recht! Und als könne er sich so die Geschichte am besten vergegenwärtigen, langte er in seinen Rock. Die Brieftasche war wohl da, aber die Kassenscheine fehlten. Nun kam ihm plötzlich auch der Rest des Abends in Erinnerung; er schlug sich vor die Stirn. »Die sind ja flöten gegangen, ich hatte zu niederträchtiges Pech!« murmelte er vor sich hin und steckte die Brieftasche wieder leise und vorsichtig in den Rock, als könne er damit die ganze dumme Geschichte verheimlichen.

Einen Augenblick ließ er den Kopf hängen und kratzte sich nachdenklich hinter den Ohren. Das gab sicher argen Verdruß, wenn der Alte dahinter kam. Aber sein Leichtsinn behielt bald die Oberhand. Was hatte ihm sein Schwiegervater noch zu sagen? Er war der Gutsherr und konnte mit der Ernte machen, was er wollte. Der Alte sollte ihm ja nicht mit Ermahnungen und Vorwürfen kommen!

Und so sorglos wie immer nahm er sein Frühstück ein, beachtete nicht weiter das Benehmen seiner Frau, die heute schweigsamer als sonst war, ja, er fühlte sich desto behaglicher, daß sie ihn nicht nach dem Ausgange seines gestrigen Ausfluges fragte; daß ihre Augen feucht waren und sie bleich und verstört aussah, härmte ihn wenig, und er ließ sich den Kaffee trefflich schmecken. Er bemerkte es nicht einmal, daß jetzt Auguste hinausging und bald darauf der alte Fellenberg hereintrat; erst bei dessen Gruß blickte er auf und seltsam genug, wie er sich auch vorgenommen hatte, ihm durch die größte Keckheit zu imponieren, er empfand wieder vor den großen grauen Augen seines Schwiegervaters dasselbe Unbehagen, das ihn schon gestern abend und stets heimgesucht, wenn die Blicke des Alten vorwurfsvoll und dennoch schweigend auf ihm ruhten.

»Hast du Zeit, ich habe mit dir ein Wort zu sprechen«, begann der Schulze und rückte sich ohne weiteres einen Stuhl näher, während Fritz auf dem Sofa sitzen blieb und sich eifrig noch ein Stück Brot abschnitt, als wolle er sein Frühstück beschleunigen. »Viel nicht«, sagte er kauend, »es ist heute ein bißchen später geworden, und ich muß hinaus.«

»Es wird immer ein bißchen spät, eh' du aufs Feld kommst, und manchmal hast du gar nicht Zeit dazu«, bemerkte Fellenberg, und sein Gesicht verbarg nicht den bitteren Hohn, der in seinen Worten lag.

»Ja, wenn man andere Geschäfte hat, dann geht es freilich nicht«, und Fritz schob wieder einen mächtigen Bissen in seinen Mund.

»Andere Geschäfte?« wiederholte der Alte. »Ganz recht, Trinken und Kartenspielen und sein Hab' und Gut totschlagen, das sind freilich sehr wichtige Geschäfte, über welche man schon die Wirtschaft vernachlässigen kann.«

Fritz mußte erst den Bissen hinunterschlucken, ehe er antworten konnte. War es die Anstrengung, die er dabei hatte, oder der Zorn, sein Gesicht wurde purpurrot, und derb auf den Tisch aufschlagend, daß die Tasse klirrte, rief er schwer gekränkt: »Ich bin nicht Euer dummer Junge, um mich von Euch verhöhnen zu lassen. Was ich thue, geht niemand etwas an!« und er stemmte trotzig die Arme unter und suchte eine sehr hochfahrende Miene anzunehmen. Gerade weil er sich dem Alten gegenüber nicht recht sicher wußte, suchte er sich durch die größte Keckheit die lästigen Angriffe seines Schwiegervaters abzuwehren.

Der alte Fellenberg mochte wohl fühlen, daß er in diesem Tone nicht fortfahren dürfe, denn er entgegnete ruhig: »Ja, Fritz, es geht mich etwas an, denn dein und meiner Tochter Glück steht auf dem Spiele. Du hast Gelegenheit genug gehabt, dich auszutollen, aber es mag genug sein. Du mußt endlich vernünftig werden. So kann es unmöglich fortgehen, oder du richtest uns alle zu Grunde. Fritz, höre auf mich, ich habe es stets gut mit dir gemeint und auf dich mein ganzes Vertrauen gesetzt.« Er legte dabei die Hand auf die Schulter seines Schwiegersohnes und sah ihn mit seinen großen, ehrlichen Augen beinahe bittend an.

Einer solchen Sprache konnte Fritz nicht widerstehen. Es war ja nur sein Leichtsinn, der ihn auf Abwege geführt; im Grunde blieb er doch ein gutmütiger, lenkbarer Gesell. Sein Trotz schlug in das Gegenteil um. Ohnehin war schon etwas wie Reue in ihm aufgedämmert, und deshalb sagte er rasch: »Ihr habt recht! Das Herumschwärmen kann nichts nutzen, es kommt nichts dabei heraus. Ihr sollt sehen, von heute ab will ich mich ganz anders der Wirtschaft annehmen. Ein Mann, ein Wort – wie es bei Euch heißt!« und er reichte dem Alten zur größeren Beteuerung die Hand, die dieser herzhaft ergriff.

»Ich wußte es schon, daß du vernünftig sein würdest.«

Fritz wollte seine Gesinnungsänderung noch lebhaft versichern, der Alte wehrte ihn ab. »Laß es gut sein. Ein Mann, ein Wort«, und damit war für ihn die Sache zu Ende.


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