Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Ernte war eingebracht worden und glänzender ausgefallen denn je. Das trug noch zur glücklichen Stimmung der Schulzenleute bei.
Als Auguste eines Tages wieder in heiterster Laune durch das Haus schwirrte, wurde sie plötzlich durch die Ankunft eines Menschen gestört, den sie am wenigsten hier erwartet hatte. Es war Bernhard. Die grauen Augen des ehemaligen Schreibers verdunkelten sich, als er der jungen Frau ansichtig wurde; er vermochte kaum sich so weit zu beherrschen, um einen Gruß hervor zu stammeln. Auguste war weit schöner geworden und erst jetzt aufgeblüht. Sie sah frisch und rosig aus, daß er kaum den Blick von ihr wegzuwenden vermochte, und das bittere Gefühl des Neides durchwühlte schärfer als je seine Brust. Wenn sie die Seine geworden, dann wäre er der seligste Mensch, während jetzt ihn eine beständige Unruhe umhertrieb und er keine anderen Gedanken kannte, als dem Manne alles zehnfach heimzuzahlen, der ihm sein Glück zerstört hatte. In seiner grenzenlosen Eitelkeit war Bernhard immer noch überzeugt, daß er ohne das Dazwischentreten des jungen Uhse die Schulzentochter doch endlich für sich gewonnen hätte.
Auguste war ganz empört über die Dreistigkeit des Schreibers. Ihr Mann hatte niemals davon gesprochen, daß er sich mit Bernhard längst ausgesöhnt habe, und sie sah in seinem Erscheinen nur eine unerhörte Zudringlichkeit. »Was wünschen Sie?« fragte sie kühl und verächtlich und warf den hübschen Kopf zurück. Trotz ihrer jugendlichen Heiterkeit konnte sie doch, wenn es daraus ankam, den Hochmut der reichen Schulzenfrau herauskehren.
»Ich wollte mit Ihrem Manne sprechen«, antwortete Bernhard, der gewaltsam seine Befangenheit unterdrückte und nun weit kecker auftrat, als er sich vorgenommen hatte. Ohne ihre Einladung abzuwarten, nahm er auf dem nächsten Stuhle Platz.
»Mein Mann kommt erst zum Abendbrot nach Hause«, sagte sie kurz.
»Das thut nichts, ich muß mit ihm sprechen«, erwiderte Bernhard.
»Dann wird Ihnen die Zeit sehr lang werden, denn Sie müssen mich schon entschuldigen, ich habe zu thun«, und mit einem spöttischen Lächeln wollte sie sich entfernen.
Bernhard sprang hastig auf und vertrat ihr den Weg. »Auguste, überschütten Sie mich nicht mit Ihrem Hohn, Sie wissen nicht, was für Sie auf dem Spiele steht. Ich habe das Glück Ihres Mannes in meinen Händen und kann ihn vernichten, wenn ich will.« Sein Auge glühte, er war in einer furchtbaren Aufregung.
»Sie bleiben der alte Phantast«, sagte sie lachend, schob ihn halb gewaltsam beiseite und war dann in der Thür verschwunden.
Das Gesicht des jungen Mannes verzerrte sich zu grenzenloser Wut. »Ich hätte auf meine Rache verzichtet, wenn sie freundlich zu mir gewesen wäre, nun soll sie sehen, was der Phantast vermag!« murmelte er ingrimmig vor sich hin und wartete mit Ungeduld auf die Rückkehr des Schulzen.
Die Zeit wurde ihm nicht lang, denn die finstersten Gedanken leisteten ihm Gesellschaft. Mit triumphierendem Lächeln betrachtete er die glänzende Zimmereinrichtung. Überall sah er die Prahlsucht und Eitelkeit des jungen Schulzen.
»Nun, diese Herrlichkeit soll schon zusammenbrechen!« dachte er und empfand darüber schon jetzt eine boshafte Freude.
Endlich mußte Fritz gekommen sein, denn er hörte in dem Hausflur die wohlbekannte Stimme Augustens: »Du hast Besuch bekommen«, und übermütiges Gelächter schallte an sein Ohr. Im nächsten Augenblick erschien der Schulze. Sein Gesicht entfärbte sich zwar etwas, als er Bernhards ansichtig wurde, aber dennoch begrüßte er ihn freundlich.
»Du kommst wohl wegen der Wechsel?« fragte er sogleich, um seine Sorglosigkeit an den Tag zu legen. Hatte er doch die reichlichste Ernte, daß er alles bezahlen konnte, wenn auch nicht sogleich.
»Ja morgen ist der Verfalltag«, sagte Bernhard und warf einen stechenden Blick auf den jungen Schulzen, der noch so unbefangen blieb, als ob es sich um die unbedeutendsten Dinge von der Welt handele.
»Ich war recht dumm, daß ich an dich tausend Thaler verspielt«, plauderte Fritz weiter und dämpfte dabei vorsichtig seine Stimme, »aber es thut nichts. Die ersten tausend Thaler kann ich schon in spätestens zehn Tagen bezahlen, da bekomm' ich das Geld für meinen verkauften Weizen; mit deinem Gelde mußt du freilich noch ein bißchen warten, ich kann nicht, gleich eine so große Summe aus der Wirtschaft nehmen, das würde zu viel Aufsehen machen.«
»Fritz, es sind Wechsel!« sagte Bernhard mit scharfer Betonung.
Der junge Schulze hatte sich niemals viel um derlei Dinge bekümmert und keine Ahnung davon, was es mit Wechseln auf sich habe. »Na, auf die paar Tage wird es dem Herrn doch nicht ankommen«, sagte er gleichgültig.
»Auch die Wechsel über 2500 Thaler sind an mich giriert worden, und wie ich dir schon sagte, ist morgen der Verfalltag. Als dein guter Freund wollte ich dich darauf aufmerksam machen, damit du nicht etwa in Verlegenheit kommst.«
»Ich danke dir, Bernhard«, entgegnete Fritz noch immer sorglos. »Es ist mir um so lieber, daß ich es nur mit dir zu thun habe. Aber unter vierzehn Tagen kann ich dir kein Geld schaffen, solange mußt du schon warten.«
»Weißt du, was ein Wechsel bedeutet?« fragte Bernhard und blickte den Schulzen mit überlegenem Lächeln an.
»Nein, ich hab' mich um solche Geschäfte nie gekümmert«, antwortete Fritz.
»Es hätte dir nichts geschadet, wenn du's gethan hättest«, entgegnete Bernhard mit kaltem Spott. »Nun, ich will dir's erklären: Wer einen Wechsel nicht auf der Stelle bezahlen kann, der ist in drei Tagen ausgepfändet, und wenn's dem Gläubiger beliebt, marschiert er in den Schuldarrest« – drohte der Schlaue.
»Ach, du spaßest!« rief Fritz, der noch immer nicht seine sorglose Laune verlor.
»Durchaus nicht«, erwiderte der Schreiber. »Wenn du morgen den präsentierten Wechsel nicht zu decken vermagst, dann ist innerhalb drei Tagen all dein Mobiliar, deine Ernte abgepfändet, ja, ich kann dich zugleich sitzen lassen«, und jetzt nahm Bernhard eine so drohende Miene an, daß der junge Schulze nicht mehr an dem Ernst seines Freundes zweifelte.
»Ist das wirklich wahr? Hm, das wäre ja wirklich eine schandbare Geschichte!« – jammerte Fritz und ließ ganz betroffen den Kopf sinken.
»Es ist schlimm, daß du als Schulze mit solchen Dingen nicht besser vertraut bist«, entgegnete Bernhard höhnisch, »aber ich dachte schon, daß dir das alles böhmische Dörfer sein würden, und habe dir zur Belehrung die Wechselordnung mitgebracht, da kannst du darin studieren«, und er zog aus seiner Tasche ein kleines Heft. »Übrigens hätt' ich gar nicht nötig, dich klug zu machen«, fuhr er lachend fort, »denn wenn du morgen nicht zahlen kannst, wird dir schon der rechte Glaube beikommen.«
Fritz starrte ganz betroffen vor sich hin; er mußte sich auf einen Stuhl niederlassen, denn er konnte sich nicht länger auf den Beinen halten. An der Wahrheit von Bernhards Worten durfte er nicht länger zweifeln; er wußte schon, daß es der Schreiber an juristischen Kenntnissen mit vielen aufnahm, und dunkel erinnerte er sich, daß er einmal gehört, mit Wechseln sei gar nicht zu spaßen, die müßten Knall und Fall bezahlt werden. In seinem Leichtsinn hatte er daran nie gedacht.
Jetzt knickte Fritz um so gewaltiger zusammen, je sorgloser er bisher gewesen war.
»Nun, merkst du nicht, daß ich dein Freund bin, da ich dich aus die Bedeutung der Wechsel aufmerksam mache? Hätte ich dich bis morgen hierüber im Dunkeln gelassen, dann warst du verloren.«
»Das bin ich ohnehin«, murmelte Fritz.
»Warum?« fragte Bernhard in größter Ruhe.
»Weil ich so rasch das Geld nicht schaffen kann.«
»Das hast du gar nicht nötig, wenn du meinen Vorschlag annimmst«, entgegnete der Schreiber, und dicht an ihn heranhinkend und die Hand vertraulich auf die Schulter des anderen legend, fuhr er fort: »Du sollst sehen, daß ich's gut mit dir meine. Wenn ich morgen die Wechsel protestieren lasse und einfach mein Recht verfolge, dann bist du wirklich rettungslos verloren, alles wandert in die Pfandkammer und du dazu, aber ich seh' ein, daß du nicht gleich Geld schaffen kannst, und will dir Luft gönnen.«
»Das willst du wirklich?« rief Fritz freudig aus und sprang in die Höhe. »Herzensbruder, das würd' ich dir nie vergessen.«
»Na hör' mich nur ruhig an. Du weißt, ich mache jetzt Geldgeschäfte und verdiene dabei einen hübschen Groschen. Wenn ich jetzt so lange warte, bis du zahlen kannst, verliere ich nicht wenig, denn mir muß das Geld hundert Prozent bringen.«
»Ich ersetz' dir alles«, beteuerte Fritz.
»Dann wollen wir die Sache so arrangieren«, erklärte Bernhard, »ich prolongiere die Wechsel auf sechs Wochen, und du zahlst mir dafür fünfhundert Thaler.«
»Hui, das ist viel«, und das freudige Gesicht des Schulzen verlängerte sich.
»Wie du willst, dann magst du morgen Rat schaffen. Kannst du nicht die 3500 Thaler auf der Stelle zahlen, so wirst du gewahr werden, wie es in drei Tagen bei dir aussehen wird. Deine Frau und dein Schwiegervater können auf die kahlen Wände starren, und bedenk nur den Skandal im ganzen Dorfe.« –
Fritz war auf seinen Stuhl zurückgesunken und grübelte über einen Entschluß. Geld konnte er nicht sofort schaffen, sein Schwiegervater hatte nichts beiseite gelegt, sondern allen Überschuß wieder in die Wirtschaft gesteckt oder noch Ländereien angekauft, denn von je war es sein Stolz gewesen, das größte und schönste Besitztum der ganzen Umgegend zu haben; auch bei seinem Vater durfte er nicht anklopfen, der älteste Bruder hatte schon das Gut übernommen und war ohnehin unzufrieden, daß Fritz die bedeutende Summe von zehntausend Thalern erhalten. Jetzt bereute der Schulze wohl, daß er mit dieser schönen Summe so rasch fertig geworden, aber das war nicht zu ändern, und wenn er nur erst die Ernte verkaufen konnte, half er sich schon aus der Klemme. Die fünfhundert Thaler waren freilich ein hohes Schmerzensgeld, dafür war er jedoch vor aller Schande gerettet. Sein leichter Sinn behielt die Oberhand, er sah schon wieder alles im freundlichsten Lichte. »Gut, ich nehme deinen Vorschlag an, obwohl es eine harte Nuß ist, die du mir hinhältst.«
»Die Exekution wäre dir also lieber?« fragte Bernhard höhnisch.
»Nein«, sagte Fritz aufrichtig, »ich danke schön, das wäre ja zum Davonlaufen, und wegen der lumpigen fünfhundert Thaler werde ich noch nicht entzwei gehen.«
»Denke ich auch«, lächelte Bernhard. »Es bleibt also dabei, ich gebe dir die alten Wechsel zurück, und du stellst mir einen neuen Wechsel über 4000 Thaler, zahlbar in sechs Wochen, aus. Du siehst, das macht gar nicht viel Umstände.«
»Also wieder querüber schreiben?« sagte Fritz, und er zeigte sich bereits so sorglos wie immer.
»Du hast ja darin schon eine Übung.«
»Man lernte endlich«, lachte der Schulze, schrieb sein Accept auf den Wechsel, steckte darauf wohlgemut die von Bernhard zurückbekommenen Papiere in die Tasche und atmete auf, als er den lästigen Burschen glücklich los geworden. Es war ihm gar nicht bange um die Zukunft; wenn er nur sechs Wochen Luft hatte, dann konnte er sich retten. Auf die neugierige Frage seiner Frau, was der unangenehme Mensch so lange bei ihm gemacht habe, gab er eine ausweichende Antwort und suchte durch erhöhte Lustigkeit sie auf andere Gedanken zu bringen. Er war jetzt wieder von einer Sorge befreit, und Auguste merkte nicht das mindeste, welch unangenehmes Geschäft ihr Mann soeben abgemacht hatte. Trotz seines Leichtsinns dachte er wohl alles Ernstes daran, sich durch den raschen Verkauf der ganzen Ernte sobald wie möglich Geld zu verschaffen; aber sein Schwiegervater wollte davon nichts wissen. Der alte Mann machte ihm anfangs die vernünftigsten Vorstellungen, daß ein rascher Verkauf der größte Fehler sei, denn die Getreidepreise müßten bald in die Höhe gehen, da an anderen Orten Mißernten vorgekommen, und was überhaupt die Leute davon denken sollten, so sei es in der Scholtisei noch nie gehalten worden; und als Fritz auf alle diese Einwendungen nicht hörte, kam es von neuem zu einem Zerwürfnis. Nun war wieder der Friede im Hause gestört.
Vergebens bemühte sich Auguste, die streitenden Parteien zu versöhnen. Jeder beharrte auf seinem Kopfe und forderte das Nachgeben des anderen; von ihrem Vater erntete sie Vorwürfe, daß sie ihren Mann nicht zur Vernunft bringe, und dieser beklagte sich bitter, daß der Alte beständig über ihn kommandieren wolle.
»Und ihm zum Trotz werde ich dennoch alles verkaufen!« erklärte Fritz, und zum grenzenlosen Verdruß des Schwiegervaters machte er seine Drohung wahr. Er fuhr in die Stadt und schloß mit einem Getreidehändler ab, der ihm sofort eine Anzahlung von tausend Thalern machte und den Rest nach der Ablieferung zu zahlen versprach. Wer war froher als der junge Schulze; damit war alles gedeckt, und wenn auch für die Wirtschaft nichts übrig blieb, danach fragte er nicht weiter. Bis dahin fand sich schon ein Ausweg. Mit den tausend Thalern in der Tasche eilte er sogleich ins Weinhaus, vielleicht traf er schon den Tintenkleckser. Was der für Augen machen würde, wenn er ihm bereits eine solche Abschlagssumme zahlte.
Bernhard war noch nicht da, aber der Kellner versicherte ihm, daß der Herr Agent jeden Augenblick kommen müsse, denn er finde sich regelmäßig zur bestimmten Zeit ein. Fritz bestellte sich eine Flasche Wein, trank mit rechtem Behagen ein Glas und brauchte wirklich nicht lange zu warten; Bernhard erschien bald darauf und konnte seine Überraschung kaum verbergen, als der Schulze auf ihn zutrat und leise zu ihm sagte: »Komm ins Nebenstübchen, damit wir unsere Geschichte abmachen können.«
»Die Zeit ist ja noch nicht um«, entgegnete Bernhard fast verdrießlich.
»Das schadet nichts. Ich bringe freilich erst tausend Thaler, aber ich will sie los sein, und in vierzehn Tagen kommt der Rest.«
»Ich nehme keine Abschlagszahlung!« entgegnete Bernhard kurz.
»Warum nicht?« fragte der Schulze verwundert.
»Du verstehst doch auch gar nichts von Geschäften«, erwiderte Bernhard, der seine ruhige Fassung wiedergewonnen. »Wenn ich heute das Geld annehme, weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll; zum bestimmten Termine aber ist es schon anderen versprochen, und dann muß ich's haben.«
»Auch gut, da kann ich's so lange behalten«, sagte der Schulze und wollte sich zu seiner Flasche Wein zurückziehen, doch Bernhard folgte ihm, nahm an seiner Seite Platz, und anstatt sich von dem hochmütigen Auftreten des Schulzen beleidigt zu fühlen, sagte er freundlich: »Da siehst du, welches Vertrauen ich in dich setze, daß ich nicht einmal eine Abschlagszahlung mag.«
»Nun, das fehlte auch noch«, entgegnete Fritz, dessen Dünkel zurückkehrte, seitdem er sich in Sicherheit wußte, »meine Scholtisei deckt über und über die lumpigen viertausend Thaler.«
»Das will ich meinen«, stimmte Bernhard zu; »du bist einmal ein Glückspilz, während wir armen Teufel uns so herumschlagen müssen.«
Eine solche Sprache schmeichelte der Eitelkeit des Schulzen er wurde davon plötzlich umgestimmt. »Hast recht. Na, trink, ich hab' gut verkauft und kann schon was drauf gehen lassen«, dabei schob er ihm ein volles Glas hin.
Bernhard nippte nur davon, und Fritz lachte über den Schreiber, der nichts vertragen könne; er leerte das Glas auf einen Zug und bestellte eine neue Flasche.
Jetzt kamen Bekannte; der Schulze wurde stürmisch begrüßt, man drängte sich an ihn heran, trank ihm zu und er fühlte sich wieder einmal in seinem Elemente. Eigentlich war es doch eine Thorheit, immer zu Hause zu hocken und sich mit seinem querköpfigen Schwiegervater herumzustreiten, während er hier die lustigste Gesellschaft hatte, die seinen Humor, seine gute Laune zu schätzen wußte. Heute in seiner gehobenen Stimmung konnte er schon zeigen, daß er noch immer der alte war; er bestellte eine Flasche nach der anderen, und so lustig, so übermütig war es lange nicht zugegangen wie heute. Man schlug zwar ein Spielchen vor, aber trotz seines Rausches mochte er davon nichts wissen. So viel Besinnung hatte er sich noch gerettet, daß er bei dieser Gelegenheit wieder in die Tinte geraten könne.
In seligster Stimmung fuhr er nach Hause.
Am anderen Morgen begegnete er nur einem finsteren Gesicht seines Schwiegervaters, sah die verweinten Augen seiner Frau, und das machte ihn noch verdrießlicher; er hatte ohnehin von dem gestrigen Abende einen heftigen Kopfschmerz.
Auguste wagte keinen Vorwurf zu äußern, aber gewiß hatte ihr der Vater die größte Besorgnis eingeflößt, denn sie ließ traurig den Kopf hängen, und ihr blasses, abgehärmtes Antlitz sprach deutlich genug. Es war abscheulich, daß sie gleich solches Aufsehen machte, weil er wieder einmal ein bißchen über die Schnur gehauen. Sein Schwiegervater trieb es ihm doch zu bunt, daß er ihm auch nicht das kleinste Vergnügen gönnte, und als sie der Zufall in der Scheune zusammenführte und sie gerade allein waren, da sagte er ihm rücksichtslos seine Meinung, wie schlecht es von ihm sei, daß er die Tochter gegen ihn aufhetze. Der Alte hörte ihn eine ganze Zeit ruhig an, endlich war seine Geduld erschöpft, und mit bebenden Lippen rief er aus: »Brauch' ich sie aufzuhetzen, wenn sie sieht, wie du es täglich treibst, und nicht eher Ruhe hast, als bis du uns alle zu Grunde gerichtet?«
»Weil ich einmal eine Flasche Wein getrunken«, lachte Fritz, »davon geh' ich noch lange nicht entzwei.«
Der Schulze hörte nicht auf ihn und fuhr in steigender Erbitterung fort: »Ich wußte es schon, daß du unverbesserlich seiest. Du hattest mir damals zwar versprochen, dich zu bessern; es sollte bei dir auch »ein Mann, ein Wort« heißen, aber ich weiß jetzt, was ich von deinen Versprechungen zu halten habe! O, warum mußte ich dir alles, alles anvertrauen, während ich meinen eigenen Sohn aus dem väterlichen Erbe stieß«, und zum erstenmal sprach er den bitteren Reuegedanken aus, der schon längst an ihm genagt.
»Und warum habt Ihr Euch mit ihm erzürnt?« fragte Fritz. »Weil er nicht nach Euerer Pfeife tanzen wollte, Ihr seid gewohnt, immer und überall zu herrschen; aber ich will Euch zeigen, daß ich Euch gar nicht fürchte und mich nicht von Euch unterjochen lasse, und Euch zum Trotz werde ich heute wieder in die Stadt fahren und noch eine Flasche mehr draufgehen lassen als gestern!« und mit einem lauten Hohngelächter stürzte er hinweg.
Fritz hielt Wort, auf dem Wege zum Schlechten ist's ja so leicht. Er ließ den Knecht anspannen und fuhr wieder bei guter Zeit davon. Vielleicht hätte er darauf verzichtet, wenn Auguste ihm ein freundliches Wort gegeben; aber sie ging still umher und ließ alles geschehen. Sie war schon von ihrem Vater so beeinflußt, daß sie sich ganz von ihm abwandte. Ach, er kannte nicht das arg gequälte Herz seiner jungen Frau.
Wohl sprach sich der Vater jetzt wieder mit großer Erbitterung über Fritz aus, wohl sah er alles schwarz und schilderte die nächste Zukunft in den dunkelsten Farben, und ihr junges, unerfahrenes Gemüt fühlte sich durch die Reden ihres Vaters schwer beunruhigt, aber es war kein finsterer Trotz, daß sie schwieg. Sie wagte ihm keine Vorstellungen zu machen, denn sie fürchtete, ihn damit vollends zu verlieren. Vielleicht kam er doch bald wieder zur Einsicht, wenn sie so schweigend und geduldig litt. Seit dem Zerwürfnis, das zwischen den beiden ausgebrochen, gewahrte sie ohnehin, daß sich ihr Mann immer mehr von ihr entfremdete, und doch hatte sie sich mit keinem Worte darüber beklagt, daß er gegen den Vater so hart und rücksichtslos auftrat.
Fritz dagegen grollte seiner Frau, daß sie nicht offen für ihn Partei ergriff, und das vermochte sie nicht. Ihrem kindlichen Gemüt widerstand es, sich gegen den Vater aufzulehnen, sie litt ohnehin unsagbar darunter, daß Fritz den alten Mann so schonungslos behandelte, und wenn sie ihm das verbarg, glaubte sie genug gethan zu haben. Er hatte dafür nicht das mindeste Verständnis und verletzte täglich das Herz der Tochter, indem er seinem Groll gegen den alten Querkopf Luft machte. Deshalb fürchtete Auguste, durch ihre Vorstellungen alles zu verschlimmern; sie blieb ihrem Vorsatz getreu, alles schweigend zu ertragen, und Fritz sah darin eine unerhörte Gleichgültigkeit. Ihr war es gewiß lieb, wenn er fort fuhr, dann konnte sie bei ihrem lieben Vater sich gründlich ausklagen, und ohne einen letzten Blick auf seine Frau zu werfen, gab er den Pferden die Peitsche und fuhr davon.
Heute brauchte er Zerstreuung nötiger als je, und seine Freunde in der Stadt hatten noch niemals einen so tollen, lustigen Schulzen gesehen als an diesem Abend. Der Wein mußte in Strömen fließen, selbst ein Spiel wurde nicht verschmäht, und als er nach Hause fuhr, hatte er von den tausend Thalern nicht einen Pfennig mehr. Aber es war doch so prächtig gewesen, und er hieb noch einmal mit letzter Kraft auf die Pferde ein, dann entfielen ihm die Zügel, er sank besinnungslos zurück und erwachte erst am anderen Morgen in seinem Bette, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen war. – An allen Gliedern fühlte er sich wie zerschlagen, sein Kopf that ihm entsetzlich weh, und als er mit der Hand danach fuhr, bemerkte er eine furchtbare Beule, die sich auf seinem Schädel eingefunden. Er stand langsam auf, und wie er noch während des Ankleidens darüber nachgrübelte, trat Auguste in das Schlafzimmer. Sie sah noch bleicher aus, als an den früheren Tagen, und mußte wieder sehr geweint haben, denn ihre Augen waren ganz gerötet.
»Willst du frühstücken?« fragte sie mit tonloser Stimme, und zum erstenmal konnte sie ihrem Manne ihre tiefe Niedergeschlagenheit, ja ihren Unmut nicht verbergen.
Fritz wagte nicht, ihr gerade ins Gesicht zu blicken, er hatte sie nur scheu von der Seite angesehen und murmelte vor sich hin: »Ich hab' noch keinen Appetit, ein Glas Wasser wäre mir lieber.«
Auguste entfernte sich und kam bald darauf mit dem Verlangten zurück. Sie reichte ihm schweigend das Glas hin; jetzt mußte sich der Schuldbeladene ihr zuwenden, und als er nach dem Glase griff, ruhten ihre Augen so klagend und vorwurfsvoll auf seinem Antlitz, daß er betroffen die Hand zurückzog, ein besänftigendes Wort sagen wollte und dann doch grollend und heftig hervorstieß: »Was siehst du mich so an, als ob ich wer weiß was verbrochen hätte?«
Nun vermochte sich die junge Frau nicht länger zu beherrschen. »Fritz!« schluchzte sie; vergeblich wollte sie noch mehr sagen, die unaufhaltsam hervorstürzenden Thränen machten ihr das weitere Sprechen unmöglich.
Der junge Schulze wollte die Sache noch immer leicht nehmen und sich mit einem Scherz aus der unangenehmen Geschichte heraushelfen, und er sagte deshalb mit gezwungenem Auslachen: »Du bleibst doch ein Kind, Auguste. Wenn alle Weiber gleich so furchtbar weinen wollten, sobald der Mann einmal etwas benebelt nach Hause käme, würden ganze Städte und Dörfer weggeschwemmt. Auguste, sei vernünftig! Du hast doch früher nicht gleich den Kopf hängen lassen!« Er wollte in alter übermütiger Laune ihr Kinn erfassen und ihr tiefgesenktes Haupt etwas aufrichten; aber sie warf sich an seine Brust und preßte krampfhaft hervor: »So hältst du dein Wort? O, es ist weit mit uns gekommen!«
In diesem Augenblick siegte seine Gutmütigkeit über seinen Leichtsinn. Als jetzt die in Thränen aufgelöste Frau an seinem Halse hing, kam ihm das Bewußtsein, daß er sie doch nicht glücklich gemacht habe, die damals mit so blindem, kindlichem Vertrauen ihr Geschick in seine Hände gelegt. Er hatte sie immer wie ein Spielzeug behandelt, mit ihr gescherzt und gelacht oder sie gar nicht beachtet, je nach Laune, und er hatte immer gemeint, daß sie sich alles nicht viel zu Herzen nehme und froh sei, wenn er nur zuweilen ein freundlich Wort mit ihr rede; – jetzt tauchte doch die Vorstellung in ihm auf, daß sie alles weit tiefer ergreife und weit schmerzlicher berühre, als er je gedacht.
»Nun laß es gut sein, Auguste«, suchte er sie zu beschwichtigen. »Ich habe gestern wieder einmal über die Schnur gehauen, aber es soll gewiß nicht wieder vorkommen, ich versprecht es dir – ich halt' nun gewiß Wort!« und er wollte ihr thränenfeuchtes Antlitz ausrichten, das sie noch immer an seiner Brust barg.
Gerade diese Erklärung weckte die junge Frau aus ihrer schmerzlichen Gebrochenheit; sie erhob den Kopf und trat einen Schritt zurück: »O, versprich nichts wieder, du kannst es doch nicht halten. Der Vater hat schon recht, du bist kein Mann von Wort«.
Damit hatte unseligerweise die junge Frau den wundesten Fleck bei ihrem Manne berührt. Er war eben so gut gestimmt gewesen, hatte wirklich Mitleid mit ihrem Kummer gehabt, und nun erinnerte sie ihn daran, daß eigentlich an dem ganzen Zerwürfnis der Schwiegervater schuld sei, der stets an ihn die wunderlichsten Ansprüche gemacht habe und über das Worthalten doch allzu strenge Begriffe hatte. Ohne seine Einmischung, ohne seine aufstachelnden Reden wäre Auguste gewiß mit ihm zufrieden gewesen und hätte sich auch nicht gleich so verzweifelt gezeigt, wenn er sich einmal ein bißchen zerstreuen gewollt.
»Ah, pfeift der Wind aus dem Loch?« sagte er mit bitterem Auflachen; »dein Vater hat ewig was mit mir, aber ich weiß schon, ich bin ihm ein Dorn im Auge, denn es hat ihn schon lange gereut, daß er mich und nicht seinen lieben Sohn in die Scholtisei eingesetzt.«
Wie auch Auguste bisher nicht den Mut gehabt hatte, ihrem Manne energisch entgegenzutreten, und sie sorgfältig einem harten Konflikt aus dem Wege gegangen war, mit ihrer heutigen Entgegnung war der Bann gebrochen, und nun fand sie auch die Entschlossenheit, ihm noch weiter rückhaltslos die Wahrheit zu sagen. »Er hätte auch besser daran gethan«, entgegnete sie ohne langes Besinnen. »Ich sehe es jetzt selbst ein, daß damit meinem Bruder bitteres Unrecht geschehen ist, und der Himmel straft uns dafür, denn wie lange wird es dauern, so wird das schöne Besitztum in fremden Händen sein.«
Die blauen, thränenfeuchten Augen der jungen Frau ruhten dabei vorwurfsvoll auf ihrem Manne. Dieser lachte noch höhnischer auf: »Das hat dir dein kluger Vater eingetrichtert, der dir ewig einredet, daß wir gleich aus der Scholtisei hinaus müssen, weil ich einmal in der Stadt ein paar Groschen drauf gehen lasse. Aber weit gefehlt, noch bin ich obenauf«, und mit kecker Zuversicht schlug er die Arme unter und blickte triumphierend auf seine Frau.
Ein bitteres, schmerzliches Lächeln zuckte über ihr Antlitz; dann entgegnete sie mit einem schweren Seufzer: »Du glaubst es selbst nicht mehr. Die Ernte hast du vor der Zeit verkaufen müssen und das ganze Geld verpraßt. Und wie bist du gestern nach Hause gekommen? Der hübsche Wagen ist zertrümmert, das Handpferd liegt verendet am Hofthor und das Sattelpferd hat das Bein gebrochen.«
Diese Mitteilungen brachten doch auf den Schulzen eine niederschlagende Wirkung hervor. Sein Gesicht verlor den Ausdruck gewohnter Selbstzufriedenheit, er kratzte sich bedenklich hinterm Ohr; nun erfuhr er plötzlich, warum er mit einer Beule auf dem Kopfe erwacht war. Die Pferde mußten also mit ihm durchgegangen sein und zuletzt sein Gefährt umgeworfen haben. Ein Wunder, daß er noch mit so heiler Haut davongekommen. Er hatte also doch gestern einen sehr bösen Rausch gehabt, und die Sache war freilich schlimm; da hatte gewiß sein Schwiegervater wieder Gelegenheit gefunden, ihn als einen unverbesserlichen Bruder Liederlich hinzustellen. –
Die Geschichte mußte natürlich im Dorfe ein häßliches Aufsehen machen; aber wenn er jetzt demütig zu Kreuze kroch, dann gab es der Vorwürfe und Anklagen kein Ende; er kannte schon den Alten – diesen Streich vergaß er ihm nicht, und bei jeder Gelegenheit erinnerte er ihn an diese nächtliche Heimkehr und an den Verlust des Handpferdes. Das Beste war, sich erst recht auf die Hinterfüße zu setzen und jeden weiteren Vorwurf trotzig abzuweisen.
»Na, was ist da schlimm«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Das kann auch dem geschicktesten Kutscher einmal passieren! Und anstatt dich zu freuen, daß bei dem Unglück wenigstens dein Mann mit dem Leben glücklich davongekommen, jammerst du über das Pferd. Ich hätte weit eher den Hals brechen können, vielleicht wäre euch das am liebsten gewesen.«
Diese Entgegnung hatte die junge Frau am wenigsten erwartet; sie fühlte sich davon zu tief gekränkt und war unfähig, ein Wort zu erwidern. So grenzenlos konnte sie ihr Mann verkennen, den sie so unendlich geliebt, den sie noch immer liebte und gegen die Anklagen des Vaters stets eifrig in Schutz nahm. Und anstatt seinen Fehler zu bereuen, das Schimpfliche seines ganzen Treibens selbst zu fühlen, trat er mit so bitteren Anklagen hervor. Das war mehr, als sie zu ertragen vermochte. – Sie warf ihm nur einen vorwurfsvollen Blick zu und verließ schweigend das Zimmer.
Etwas betroffen blieb der junge Schulze zurück. Anfangs bedauerte er wohl seine Härte, und es kam ihm der Gedanke, daß er seiner Frau unrecht gethan, dann aber suchte er sein erwachtes Gewissen rasch zu beschwichtigen. »Der Alte gönnt niemand ein Vergnügen«, murmelte er vor sich hin, »wenn's nach ihm ginge, müßte ich den ganzen Tag wie ein Vieh arbeiten und des Abends still in der Stube sitzen und die Gemeindeordnung studieren, um dann die Bauern klug zu machen. Darin hat der Alte freilich stets seine Ehre gesucht, daß ihn das ganze Dorf als Gesetzorakel bewunderte; aber daraus mach' ich mir nun einmal nichts. Für was bin ich jung, ich hab' doch nicht deshalb die reiche Schulzentochter geheiratet, um mich bei den Bauern zu langweilen. Mein Schwiegervater hat es ja gewußt, was ich schon immer für ein lustiger Bursche war, und daß man mich den tollen Ulanen nannte! Hei, ich will nicht den Kopf hängen lassen, die Beule thut ohnehin weh genug, und wenn die beiden denken, mich mit Thränen und Lamentationen mürbe zu kriegen, irren sie sich sehr. Nun will ich ihnen erst beweisen, daß ich noch lange nicht zu Kreuze krieche, weil ich bloß das Malheur gehabt, daß mir die Pferde durchgegangen.«
Nach diesem Selbstgespräch hatte sein Leichtsinn vollends die Oberhand gewonnen, und um den Seinigen zu zeigen, wie wenig er sich die dumme Geschichte zu Herzen genommen habe, legte er eine noch größere Gleichgültigkeit an den Tag, als er wirklich darüber empfand. Im Grunde fühlte er sich wohl durch den Unfall, der gewiß im ganzen Dorfe rechtes Aufsehen machte, etwas beklommen, aber um sich selbst zu betäuben und seinen moralischen Katzenjammer zu verbergen, zeigte er sich heiterer und sorgloser denn je. Er ging den ganzen Tag pfeifend und singend in Haus und Hof umher, betrachtete sich sogar lachend den zertrümmerten Wagen und sagte gleichmütig zu dem Knecht, der sich eifrig mit dem gebrochenen Fuß des Sattelpferdes zu thun machte: »Schneid' nicht erst so ein betrübtes Gesicht. Morgen haben wir wieder ein paar Pferde im Stalle, die sich gewaschen haben sollen. Die alten wurden doch schon ein bißchen steif.« Der Knecht blickte ganz verwundert auf seinen Herrn. Er war wohl an dem jungen Schulzen ein sorgloses Wesen gewohnt, aber daß er auch einen solchen Verlust so leicht nehmen würde, hatte er nicht erwartet, und als sein Brotherr den Stall verlassen hatte, schüttelte er bedenklich den Kopf. »So was wär' beim Alten nie vorgefallen«, murmelte er vor sich hin, »und das nimmt gewiß kein gutes Ende.«
Hätte sich sein Schwiegersohn niedergeschlagen und zerknirscht gezeigt, so würde der alte Schulze ihm auch diese Tollheit nachgesehen und endlich verziehen haben, aber Fritz war in einer solch kecken, lustigen Laune, als habe er etwas ganz Vorzügliches zuwege gebracht, und der alte Mann fühlte sich von diesem Treiben tief erbittert. Das ging ihm doch über den Spaß! Der tolle Mensch war mit einem zertrümmerten Wagen nach Hause gekommen, hatte zwei Pferde zu Schanden gefahren und selbst besinnungslos am Hofthor gelegen, und jetzt ging er mit lachendem Gesicht umher und sah so herausfordernd aus, als warte er nur darauf, ob ihn jemand zur Rede stellen wolle, damit er ihn gründlich abfertigen könne.
Dem alten Schulzen schien dies Treiben so widerwärtig und frech, daß es ihm unmöglich war, an seinen Schwiegersohn noch ein Wort zu verschwenden. Was konnte es auch helfen? Ein Mensch, der so wenig sein Wort halten, seine schlimmen Leidenschaften zügeln konnte, von dem war keine Besserung zu erwarten. Der alte Fellenberg gab den leichtsinnigen Menschen auf, und je weniger er es der Mühe wert hielt, dem Manne seiner unglücklichen Tochter Vorstellungen zu machen, umso tiefer nistete der Gram in seinem Herzen. Er hätte eben klüger sein müssen als sein armes, unerfahrenes Kind, und voraussehen sollen, daß Fritz nicht die Eigenschaften besaß, die zu einer Ehe die sichere Bürgschaft gaben. Seine kecke, übermütige Laune hatte ihn bestochen, und er hatte gemeint, ein Mensch, der sich von nichts verblüffen lasse und in allen Sätteln gerecht sei, wäre der beste Mann für seine Tochter, und nun hatte er sich mit seiner Voraussicht, mit der er sich stets so gebrüstet, auf das allerbitterste getäuscht. Fritz war für ihn hoffnungslos verloren; er gab jeden Versuch auf, ihn wieder auf den rechten Weg zurückzubringen. Der Tochter sagte er unumwunden seine Meinung, und diese widersprach ihm nicht mehr; sie senkte traurig den Kopf.
Auch sie hatte alles Vertrauen zu ihrem Manne eingebüßt, sie fühlte sich namenlos unglücklich und wagte doch nicht, dem Vater ihr schmerzzerrissenes Innere zu enthüllen, denn sie sah, wie furchtbar der alte Mann unter Verhältnissen litt, die er nicht mehr ändern konnte und die ihn um so tiefer danieder drückten, je mehr sein energischer Charakter sonst gewohnt war, überall helfend und thatkräftig einzugreifen. Aber hier half kein noch so entschlossenes Ankämpfen gegen das Schicksal. Sie hatten sich blindlings in die Hände dieses Mannes gegeben, der sie völlig vernichten konnte, wenn es ihm beliebte.
Selbst eine Scheidung änderte nichts in der Sache, und deshalb sprach der alte Schulze dies Wort nie aus, deshalb erging er sich auch nicht in müßigen Klagen. In seinem festgefugten Wesen lag es nicht, sich in unnützen Betrachtungen über das Unabänderliche zu verlieren; aber dafür trug er desto schwerer für sich die Strafe seines Irrtums, weil sein klarer, grauer Kopf mit nichts seinen eigenen Fehlgriff zu beschönigen vermochte. Sein männlicher Sinn duldete es nicht, die Tochter für ihre falsche Wahl verantwortlich zu machen, er nahm alle Schuld auf sich und wußte sie nur dadurch ein wenig gut zu machen, daß er für seine Tochter die liebevollste Sorge an den Tag legte. Sie sprachen nicht viel miteinander, aber die junge Frau wußte doch, daß sie an ihrem braven, alten Vater die einzige und letzte Stütze hatte, und vielleicht trug gerade dies seelische Anlehnen an den Alten dazu bei, sie noch mehr von ihrem Manne zu entfernen, es entzog ihr wenigstens den Antrieb, sich ihm wieder rascher zu nähern.
Wie fest und tüchtig war ihr Vater; auf sein einfaches Wort konnte man sich verlassen, wie auf ein Evangelium – wie ruhig und selbstbewußt ging er seines Weges, und trotzdem er sein Schulzenamt nicht mehr verwaltete, begegneten ihm alle noch immer mit der größten Achtung, während die junge Frau zu ihrem Schmerz wohl bemerken konnte, welch geringe Meinung das ganze Dorf von dem neuen Schulzen hatte. Zu ihm kam niemand, sich Rat zu erholen, sein Wort hatte nirgends Geltung, und es gab schon gar viele, die ihn über die Achsel ansahen und verächtlich von ihm sprachen. Er hielt sich auch gar nicht zu gesetzten, tüchtigen Männern, wie es seine Stellung erfordert hätte, am liebsten verkehrte er mit liederlichen und geringen Leuten, die sich freilich geschmeichelt fühlten, daß sie mit dem Schulzen wie mit ihresgleichen umgehen konnten. Mit seiner unerhörten Verschwendung, seiner Prahlerei und seinem tollen Übermut, den er gern gegen die reichsten Bauern herauskehrte, hatte er sich bei ihnen vollends um den letzten Rest von Achtung gebracht.
Der alte Fellenberg sowohl wie seine Tochter kannten die Gerüchte und Prophezeiungen, die über Fritz in Umlauf waren, wenn auch niemand wagte, es ihnen geradezu ins Gesicht zu sagen, denn Vater und Tochter hatten eine Art, die solch zudringliche Stimmen von sich hielten, und trotzdem wußten sie, was im Dorfe geflüstert wurde, und sie wußten etwas noch weit Schlimmeres – daß diese düsteren Zukunftsverkünder recht behalten würden.