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Endlich hatte Wally den Zusammenhang ihrer häuslichen Verhältnisse erfahren. Cäsar war unermüdlich, den Ruf seiner Freundin wiederherzustellen und die öffentliche Meinung über sie zu berichtigen. Sie dankte ihm dafür nicht einmal; denn sie lebte gar nicht in bezug auf diese unwürdigen Dinge, weil sie weder von ihnen eine Vorstellung hatte noch sie für wert einer Aufmerksamkeit hielt, die größer gewesen wäre als die vollständige Erschöpfung ihres Verhältnisses zu Cäsar.
So verflossen einige für sie unersetzliche Tage. Wally duldete nicht, daß irgend etwas sie im Genusse derselben störte. Sie gab sich wenigen Besuchen preis. Die meisten wies sie ab, vor allen die Anmeldungen Jeronimos, den sie in seinen Leiden mit einer entsetzlichen Grausamkeit behandelte. Sie trat alles mit Füßen, was nicht in unmittelbarer Beziehung auf Cäsar stand.
»Sie müssen mich über diesen Unglücklichen anhören«, sprach Cäsar einst zu ihr. »Er glaubt Rechte auf Sie zu haben und behauptet, daß Sie um den Preis seines Vermögens die seine wären.«
Wally lachte hierüber, dann aber sagte sie ärgerlich: »Was soll ich aber tun? Ich bin dieser Verhandlungen müde, daß mir meine Lage unerträglich wird. Es kömmt so weit, daß ich jedes Mittel ergreife, Paris zu verlassen.«
»Was tut Ihr Mann? Was sagt er Ihnen? Will er denn alles geschehen lassen?«
»Was geschieht denn? Gütiger Himmel, so schenken Sie den Narrheiten der Welt nicht fortwährend Ihr Ohr. Ich bin für Sie ohne Tadel und bedarf nicht mehr, weil ich nur Ihnen gefallen will. O Gott! Ist je zu einem Manne so gesprochen worden?«
»Sie verwirren meinen Kopf, Wally!«
»Gewiß: denn der meinige ist unfähig, noch im Zusammenhange zu denken. Wollen Sie etwas Entscheidendes tun?«
»Nun?«
»Befreien Sie mich aus dieser Lage! Ich gehe mit Ihnen aus Paris und kehre niemals zurück. In der Einsamkeit will ich wohnen, selbst wenn Sie mich verbergen müßten. Hier ist die Luft verpestet. Sagen Sie alles meinem Manne. Er ist ein Pinsel, der gar keine Rechte auf mich hat. Fort! Gehen Sie noch jetzt hinüber zu ihm.«
Als Cäsar mit dem Gesandten allein war, sagte er zu ihm: »Mein Herr, Sie vernachlässigen den Ruf und die Ruhe Ihrer Frau.«
»In welcher Eigenschaft sagen Sie mir dies?« fragte der Gesandte.
»Als Bevollmächtigter und Beauftragter Ihrer Frau, als Freund des Hauses, dem sie angehört, als Teilnehmer an Wallys Lebensschicksalen, die sie betreffen, als beträfen sie mich selbst, zuletzt – wenn auch nur – als Beschützer eines Wesens, das unschuldig ist und nicht die Kraft hat, sich von einer Intrigue loszusagen, in welche sie wider ihren Willen verwickelt wurde.«
»Sie scheinen von den Verhältnissen meiner Frau mehr zu wissen als ich selbst. Doch will ich ihre Mitteilungen abwarten, um mich zu irgend etwas bestimmen zu lassen.«
»Dann werden Sie freies Spiel haben, mein Herr! Wally lebt nicht mit dem, was um sie vorgeht.«
»Dann scheint es, als bauten Sie ihr eine neue Welt.«
»Ja, Sie können so sagen, wenn Sie darunter verstehen, daß ich die alte einreißen werde. Was können Sie tun, um Ihrem Bruder seinen Verstand wiederzugeben und die Reichtümer desselben, welche Sie sich das Ansehen geben, mit Ihrer Gattin zu teilen? Sie wagten es, eine himmlisch reine Seele zu beschmutzen. Sie wagten es, das Leben eines Bruders methodisch zu untergraben. Gegen das letzte werden die Gesetze auftreten, gegen das erste aber Gesinnungen, die sich weder widerlegen noch bestechen lassen.«
»Aber auch gegen diese tugendhaften Gesinnungen wird es Gesetze geben; denn Sie wissen, daß diese Art Tugend nicht überall am Orte ist.«
»Die Gesetze werden zu spät kommen.«
»Wie sollten sie von Ihnen vereitelt werden?«
»Durch die Entführung Ihrer Frau, die Brandmarkung Ihres Namens, durch die Aufhebung jeder ehrlichen Gemeinschaft mit Ihnen, durch tausend Vorsprünge, welche die Ehrlichkeit vor einem Manne voraus hat, der mit dem guten Namen seiner Frau das Vermögen eines Bruders kauft, der zur einen Seite die Menschen übel berüchtigt, zur andern wahnsinnig macht. Wahrhaftig, ich schwöre Ihnen –«
Der Gesandte trat scharf auf Cäsar zu und hintertrieb hiedurch das, was dieser sagen wollte, er stieß einige Drohungen aus und verließ dann mit einem gemachten Stolze das Zimmer. Cäsar wollte ihm nach, aber die Tür war ins Schloß gefallen.
Als er in die Zimmer Wallys zurückkam und er hörte, daß sie im Bade sei, verließ er unmutig über die verlorne Mühe das Hotel. Seine Ausdauer war erschöpft. Er war nahe daran, jetzt alles so kommen und so gehen zu lassen, wie es ging. Aber noch an demselben Abende sollte eine Schlußkatastrophe den Knoten durchhauen.
Jeronimos Seelenzustand war unheilbar zerrüttet. Es war ihm nur noch eine Kraft geblieben, die gefährlichste für seinen unzurechnungsfähigen Zustand, die Kraft, Entschlüsse zu fassen und sie um so eher ins Werk zu setzen, weil ihn nichts in seinen Combinationen störte. Jeronimo war fast ein Bild des Todes. Das dunkle Feuer seines Auges hatte sich selbst verzehrt, ein Büschel dünner Haare deckte den kahlen Scheitel. In Regen und Frost stand er vor den Fenstern seiner unglücklichen Neigung, die ihn von sich wies und den ganzen Herbst und Winter mit ihm nicht gesprochen hatte. Dabei versagte er sich das Notwendigste. Er schien verhungern zu wollen. Da ihn aber die Langsamkeit dieser Todesart peinigte, so wählte er eine schnellere. Nur darum handelte es sich noch bei ihm, wie er vor den Augen Wallys sterben sollte.
Es war an demselben Tage, wo Cäsar mit dem Gesandten gesprochen hatte, als sich in der Nachtdämmerung eine blasse Gestalt von ihrem Lager erhob, nach einem Pistol griff und sich an den erleuchteten Häusern der Pariser Straßen dicht unter den ersten Stockwerken entlangschlich. Es war ein wenig Schnee gefallen. Die Straßen waren leer, oder doch hatte alles, was auf ihnen war, Eile, sie wieder zu verlassen. Nirgends brannten Laternen. Der Kalender hatte Mondschein.
Jeronimo stand endlich vor dem Hotel seines Bruders. Man sah es, daß dieses Haus kein Sitz der Freude war. Nur hie und da war ein Fenster erleuchtet. Jeronimo spähte nach dem, welches zu Wallys Schlafkabinett gehörte. Er sah es, doch war es noch finster. Wally mußte aus dem Theater schon zurück sein. Einige falsche Akkorde auf dem Klavier drangen zu dem Ohr des Unglücklichen. Jeden andern, dessen Geist nicht schon in wahnsinnige Erstarrung übergegangen war, hätten diese Töne dem Leben wiedergegeben. Jeronimo hatte keine Empfindung als für das, welches mit seinem Tode und einer Art von Rache zusammenhing. Er tat nichts, als den Hahn seines Pistols zurücklegen.
Jetzt schwiegen die Töne, welche nur in einem Anfalle von Zerstreuung und zufälliger Leere des Bewußtseins angeschlagen schienen. Das Schlafkabinett Wallys erhellte sich. Jeronimo zitterte, denn nah erkannte er zwei Gestalten, welche an den Gardinen des Fensters zuweilen wegrauschten. Bald war es nur noch dieselbe, die zuweilen wiederkehrte. Es mußte Wally sein.
Jeronimo wollte nicht anders, als sie im Auge haben. Der Zufall war grausam genug, hier alles zu erleichtern. Vom Vorsprung des Parterrefensters war er bald auf das eiserne Gerüst einer Laterne. Die Einschnitte an der Wand des Hauses unterstützten ihn. Er schwang sich auf, griff mit zuckender Hand an das Fenster und faßte so viel vom Holze, daß er bequem aufgerichtet einige Minuten lang stehen konnte; er stand noch länger; denn in so fürchterlichen Augenblicken ermüdet der Körper nicht und kann das Unglaubliche leisten.
Wally blieb drinnen an einen Pfeiler ihres Bettes gelehnt. Sie war noch nicht ganz entkleidet; nur was an Schnüren und Bändern ihre Kleider zusammenhielt, das war gelöst und machte, daß sie in einer malerischen, die Sinne verlockenden Situation dastand. Sie war sehr indifferent in ihrem Gemüte, wie es schien, und griff nach einem Buche, nach einem deutschen Buche, um sich in Paris einzuschläfern. Da störte sie ein Geräusch am Fenster. Sie sieht auf und erblickte durch die angelaufenen Scheiben die ganz undeutlichen Umrisse einer menschlichen Gestalt. Sie eilt hinzu, wischt so viel von dem Tau des Fensters ab, um ein gräßlich verzerrtes Antlitz wahrzunehmen, das im Nu beim Knall eines Pistols zerschmettert ist. Sie stößt einen entsetzlichen Schrei aus: der Schuß machte das Haus lebendig. Man eilt von allen Seiten herbei, dringt in Wallys Zimmer; denn hier hatte man den Schuß gehört. Man tritt in das Kabinett und findet Wally bewußtlos am Boden liegen. Die Scheiben sind zerschmettert, und blutige Teile eines zersprungenen Schädels liegen auf dem Fußboden.
Wally hatte sich bald erholt. Sie besann sich auf alles; sie hatte Jeronimo in dem Augenblicke, als das Pistol blitzte, erkannt; niemand zögerte, ihre Vermutung zu bestätigen, als man den hinuntergestürzten Leichnam besichtigte und dem Bruder des Gesandten in ein Antlitz leuchtete, das nicht mehr da war. Aber welch ein tiefer Abgrund ist das weibliche Herz! Wally tobte wie eine Bacchantin. Sie lief, sie schrie, sie riß die Zimmer ihres Gatten auf, der nirgends zu finden war. Sie verbot unter jeder Bedingung, den entsetzlichen Leichnam in das Haus zu tragen. Wäre Jeronimo nicht tot gewesen, jetzt hätte sie ihn umbringen können. Sie rief nach Cäsar. Bediente eilten fort; man traf ihn nicht. Sie schickte zwei-, dreimal. Zuletzt ließ sie ihm sagen, daß er am folgenden Morgen um sechs Uhr reisefertig in ihrem Hotel eintreffen sollte.
Hier war kein Besinnen, kein Abraten mehr möglich. Alles mußte Hand anlegen, um ihre Sachen zu ordnen und das Nötigste auf den Reisewagen zu packen, der unter den Torweg gezogen wurde. Die Post wurde zur Minute bestellt. Wally war wie verzaubert. Sie befahl, majestätisch, kalt, nordisch, wie eine Alleinherrscherin Moskoviens. Bis tief in die Nacht war sie mit diesen Zurüstungen beschäftigt.
Sie hatte in halbem Schlummer gelegen, als sie in der Frühe aufwachte. Das blutige Ereignis hatte sie vergessen; nur ihr Entschluß beschäftigte sie. Cäsar erschien, ganz verstört. Sie blickte ihn forschend an, sie befahl. Er begriff nichts, er frug nicht, er folgte willenlos. Unten im Torweg war alles noch um den Wagen beschäftigt, sie zitterte vor Ärger, daß hier noch nicht alles beendigt war. Sie dachte gar nicht daran, bei Menschen, welche sie nie wiedersehen wollte, einen angenehmen Eindruck zu hinterlassen. Cäsars Blick fiel auf eine Blutspur, die von außen sich in den Torweg und wieder hinauszog. Er wagte nicht zu fragen, so erschreckte ihn dies. Wally schien alles zu wissen, und wie leichtsinnig trat sie über das kaum getrocknete Blut, das hie und da mit zersplitterten Knochen vermischt war!
Erst als sie beide im Wagen saßen und die Barrièren von Paris im Rücken hatten, teilte ihm Wally das Geschehene mit. Cäsar schauderte.