Karl Gutzkow
Wally, die Zweiflerin
Karl Gutzkow

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3

Inzwischen rückte Wallys Vermählung heran. Sie gestand sich oft und selbst ihren Umgebungen, daß es ihr wäre, als würde ein unsichtbares Netz, das sie aber fühle, immer enger angezogen, und daß es ihr bald zum Ersticken sein müßte. Alles, was man nur brachte, um die Atmosphäre recht duftend und verführerisch zu machen, drückte ihren Atem noch mehr zusammen; sie ging wie Gretchen im »Faust« und lüftete Fenster und Türen, da Mephistopheles im Zimmer es so schwül gemacht hatte.

Noch größer war aber die Unruhe in ihrem Innern. Sie brauchte gern physikalische Gleichnisse und verglich sich mit dem Gefühl eines lebenden Wesens, das man in die Glocke einer Luftpumpe setzt; mit dem Vogel, dem es von innen und außen bei entzogener Luft weh wird. Ach, sie konnte Cäsar nicht vergessen: sie konnte jene begeisterte Miene des Freundes nicht vergessen, jene unschuldige Seligkeit, die sie an ihm noch nie gekannt hatte und die er damals zeigte, als sie einige aus seinen zuckenden Lippen schleichende Worte mit so pedantischer, altkluger Entrüstung aufnahm. Schon im nächsten Augenblicke, als sie gegangen war, war sie sich mit ihrer Tugend recht abgeschmackt vorgekommen.

Wally fühlte bald, daß Cäsar an das Unsittliche seines Antrags im Momente nicht gedacht hatte. Sie machte sich den Vorwurf, diese Überlegung an dem Manne nicht abgewartet zu haben. Auch mußte sie sich gestehen, daß Cäsar ihr vielleicht nie das Prekäre der Situation eingeräumt haben würde. Jetzt wußte sie, worin der ganze Zauber liegt. Sie fühlte, daß das wahrhaft Poetische unwiderstehlich ist, daß das Poetische höher steht als alle Gesetze der Moral und des Herkommens. Sie fühlte auch, wie klein man ist, wenn man der Poesie sich widersetzt. Ach, das quälte sie, untergeordnet zu sein und weniger unschuldig im Grunde als die Poesie, die Menschen braucht und schildert!

Wally schlug die rührende Geschichte nach, die ihr Cäsar erzählt hatte. Sie weinte mit Sigunen, sie kostete die Unschuld, die in dem Verlöbnis der beiden Liebenden des Gedichtes lag, allmählich immer tiefer. Es liegt in der Schönheit der Natur eine göttliche Gewalt, die bezaubert. Wally beugte und wand sich mit all ihren schönen Grundsätzen und den Lehren, die sie ihrer Erziehung, ja selbst ihrer vernünftigen Überlegung verdankte, vor dem Ideale des Naturschönen. Sie ging noch weiter. Sie gab die Natur auf, sie hielt sich an die Kunst, an das Gebilde der Phantasie, das in sich abgerundet und hier so richtig gezeichnet war wie jeder logische Zirkel ihrer tugendhaften Entschlüsse. Sie kam sich verächtlich vor, seitdem sie fühlte, daß sie für die höhere Poesie kein Gegenstand war. So konnte es nicht mehr fehlen, daß sie sich bald selbst dazu machte.

Wie oft war sie Cäsarn begegnet! Er blickte stolz! Er hatte eine Moral, die über der ihren war! Er konnte das Auge erheben, das Ideale hub es in ihm! Wally konnte nicht stolz sein, an ihr schien die Reihe der Scham zu sein. Sie fürchtete sich vor Cäsar. Ihre ganze Tugend war armselig, seitdem sie ihm gleichsam gesagt hatte, die Tugend könne nur in Verhüllungen bestehen, die Tugend könne nicht nackt sein. Cäsar hatte an ihr den poetischen Reiz verloren. Er übersah sie.

Ob es wohl Menschen gibt, dachte Cäsar eines Tages bei sich selbst, welche die Literatur und das, was dem Leben durch sie an schönen Elementen und Staffagen gegeben wird, für eine Tyrannei und eine despotische Willkür der Dichter und Künstler halten? Wär' ich selbst Autor, so würde mich dieser Gedanke erschrecken. Ich würde die Gleichgültigkeit, die Dummheit der Masse immer mit einer Strafe verwechseln, welche ich als Autor für die Zudringlichkeit meiner Schöpfungen mit Recht einernte. Ich würde zittern, wenn von Büchern die Rede kömmt, und würde immer gewärtig sein, daß jemand aufträte und die Literatur in die Kategorie von Warenartikeln stellte, von Ellen- oder Kolonialwaren, die man nimmt oder stehenläßt, je nach Bedürfnis. Ich brauche die Schönheit nicht! Fürchterlich, wenn von Homer und Ossian die Rede wäre! Ich brauche nicht einmal die Bestrebungen um das Schöne, wenn von einem Erstlingsversuche die Rede wäre! Ja, es gibt Menschen dieser Art, welche die Poesie für eine Zumutung halten, Geldmenschen, Aristokraten, manche Könige, auch Frauen, besonders wenn sie schön sind und sie deshalb glauben, der Bildung überhoben zu sein!

Cäsar dachte dabei gewiß nicht an Wally; denn welch' ein Unterschied ist es, für das Außerordentliche sich interessieren und dem Außerordentlichen sich als Staffage unterlegen! Er hatte aber in dem Augenblick einen Brief von Wally in der Hand.

»Ich habe Sie beleidigt«, schrieb sie ihm; »Sie wissen es ja, Cäsar, daß der Mutlose immer der Ausfallendste ist. Wissen Sie noch, wie wir über Mut stritten? Welch' eine Zeit, wo Sie sich um fünf Ringe, die Sie mir noch immer nicht wiedergegeben haben, mit fünf Menschen schießen konnten! Morgen um zehn Uhr abends besuchen Sie das Hotel des sardinischen Gesandten. Sie werden von Auroren, die Sie dort erwartet, an einen Ort geführt werden, den Sie nicht verlassen dürfen. Schwören Sie mir, hinter dem Vorhang, den Sie zehn Minuten nach zehn gütigst zurückziehen wollen, nicht hervorzutreten! Cäsar, schwören Sie mir! Ich schäme mich vor Ihnen, daß ich Scham hatte. Verantworten Sie es einst! Vor Gott! Vor Gott! Aber ich liebe heiß, ewig, unaussprechlich! Wally«

Und an Wallys Hochzeitstage zeichneten die Unsichtbaren ein reizendes Gemälde, ein Gemälde in altem Stil, zart, lieblich wie die saubern Farbengruppen, welche sich auf dem sammetweichen Pergamente goldener Gebetbücher des Mittelalters finden.

Rings, wie Rahmen und noch hineinrankend in die Szene, Epheu und Weinlaub. Auf den Ästen sitzen Paradiesvögel in wunderbarem Farbenspiel, auf den breiten Blättern der Arabesken schlummern Schmetterlinge, in den Kelchen der Blumen saugen Bienen. Oben schwebt der Vogel Phönix, der fußlose Erzeuger seiner selbst; unten blicken die spitzschnäbligen Greifen und hüten das Gold der Fabel. Bezaubernd und märchenhaft ist die Verschlingung aller dieser Figuren. Es ist wie ein Traum in den tausend Nächten und der einen. Zur Rechten des Bilds aber im Schatten steht Tschionatulander im goldenen, an der Sonne funkelnden Harnisch, Helm, Schild und Bogen ruhen auf der Erde. Der Mantel gleitet von des jungen Helden Schulter, seine Locken wallen üppig, wie von einem Westhauche gehoben. Das Auge staunt; ein Entzücken lähmt die Zunge. Zur Linken aber schwillt aus den Sonnennebeln heraus ein Bild von bezaubernder Schönheit: Sigune, die schamhafter ihren nackten Leib enthüllt, als ihn die Venus der Medicis zu bedecken sucht. Sie steht da, hülflos, geblendet von der Torheit der Liebe, die sie um dies Geschenk bat, nicht mehr Willen, sondern zerflossen in Scham, Unschuld und Hingebung. Sie steht ganz nackt, die hehre Gestalt mit jungfräulich schwellenden Hüften, mit allen zarten Beugungen und Linien, welche von der Brust bis zur Zehe hinuntergleiten. Und zum Zeichen, daß eine fromme Weihe die ganze Üppigkeit dieser Situation heilige, blühen nirgends Rosen, sondern eine hohe Lilie sproßt dicht an dem Leibe Sigunens hervor und deckt symbolisch, als Blume der Keuschheit, an ihr die noch verschlossene Knospe ihrer Weiblichkeit. Alles ist ein Hauch an dem Auge, ein stummer Moment, selbst in dem klugen Auge des Hundes, der die Bewegungen verfolgt, welche der Blick seines Herrn macht. Das Ganze ist ein Frevel; aber ein Frevel der Unschuld.

So stand Sigune einen zitternden Augenblick; da umschlang sie rücklings der sardinische Gesandte, der seine junge Frau suchte. Es war ein Tropfen, der in den Dampf einer Phantasmagorie fällt und sie in Nichts auflöst. Die Vorhänge fielen zurück, und Tschionatulander wankte nach Hause. Der Gesandte ahnte nichts. Tiefes Geheimnis.


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