Karl Gutzkow
Wally, die Zweiflerin
Karl Gutzkow

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8

Nach einiger Zeit teilten sich die Wolken über dem Tale. Es war möglich, ins Freie zu treten. Cäsar und Wally stiegen die Straße nach Ems hinauf. An der Türe der beiden Indien stand das stille Bärbel und betrachtete sie beide mit einem wehmütig-rührenden Blicke. Wally blieb kalt dabei; er konnte das nicht begreifen.

»Ich will Ihnen, Wally«, sagte er, »eine andre Geschichte erzählen, die sich in unsrer Nähe begibt und in der Tat schon eine Art Schluß hat. Glauben Sie nicht, daß ich die Demokratie so weit treibe und auf Entdeckungen in den Hütten ausgehe. Die Schwalbacher bilden sich ein, ihre Gäste unterhalten zu müssen, und so erfuhr ich etwas, was würdig gewesen wäre, von Hoffmann bearbeitet zu werden. Sie kennen die nassauischen Soldaten, Wally! Sie haben über Brust und Schulter gelbe Bandeliere, was für ein preußisches Auge kurios läßt. Die Artillerie ist schöner, aber hören Sie von einem Tambour bei jener Infanterie. Der junge Mensch stand in Wiesbaden und soll ein Meister auf seinem Instrumente gewesen sein. Niemand in der nassauischen Armee schlug wie er die Reveille mit solcher Fertigkeit. Seine Wirbel sollen den Turbillons geglichen haben, welche bei Feuerwerken aufsteigen, nur daß er imstande war, eine Viertelstunde lang die Schlägel in dieser tremulanten Bewegung zu erhalten. Namentlich aber gelang ihm jenes hübsche Stakkato auf der Trommel, das mit Wirbeln untermischt die Erschütterung des Kalbfells plötzlich hemmt und einen ganz abbrechenden Ton, einen Ton ohne alles Echo hervorbringen muß. Sie sehen, welch einen Schatz das Haus Nassau an diesem Tambour hatte. Unglücklicherweise verliebte sich aber der militärische Künstler, und in ein Mädchen, das zwar den Wert der Armee zu schätzen wußte, auch den der Musik, aber einem Trompeter von der Artillerie schon den Vorzug gegeben hatte. Hier mußte eine Rivalität eintreten, welche der Liebe ebensosehr galt wie der Kunst. Der Tambour verzweifelte nicht; indessen war er zu bescheiden. Er fühlte, wie sein Instrument, diese monotone Rhythmik, hinter der Trompete zurückstand. Sein Gegenstand war die Tochter eines Wiesbader Bürgers, eines Mannes, den man durch Auszeichnungen ehren konnte. Und wie zeichnete ihn der Trompeter aus! Wenn er des Abends in des gehofften Schwiegervaters Gärtchen saß, siehe, dann setzte er das silberne Mundstück an die glänzende Trompete und blies den Parademarsch ›Frisch auf, Kameraden!‹, alle Walzer, von denen des Kursaals an bis zu dem Zweitritt der Kirchweih. Das erfreute die Herzen dieser Menschen. Die Nachbarn sammelten sich: sie lauschten, sie klopften an die Gartentür, sie kamen herein und tanzten auf dem grünen Rasen. Der Schwiegervater hatte den ganzen Abend die Nachtkappe zu lüften und war unbeschreiblich geehrt. Und wenn der Trompeter mit seinen lustigen Stücken Feierabend machte und sie alle aus dem Gärtchen mußten, um in der Finsternis die Beete nicht zu verderben, dann blieb er mit der Tochter noch allein und blies ihr Arien der Schwärmerei vor, ›Schöne Minka‹, ›Mich fliehen alle Freuden‹, mit sterbenden, gedämpften und wie durch Zugwind gehauchten Tönen, bis alles still wurde. Der Tambour hörte diese Szenen täglich und verging vor Wehmut. Er war eine sanfte, echt deutsche Heimwehnatur, voller Empfindung und Ehrgefühl. Jede Nacht badete er sich in Tränen und schlug die Morgenreveille mit matten Händen. Das Feuer seiner Augen erlosch. Er fluchte seinem Instrumente, fluchte der Artillerie und ihren Trompeten. Was hatte er an seiner Trommel! diesem dummen Lärmkasten, bei dessen Tönen sich die Gebildeten der Nation das Ohr zuhalten, dieser Klangmaschine, die, wie man mich in meiner Kindheit überredete, nur dazu da ist, auf dem Schlachtfelde das Geschrei der Verwundeten zu übertäuben! Zum Unglück gab es Augenblicke, wo der Tambour nichtsdestoweniger auf sein Instrument eifersüchtig wurde. Ist es nicht das wohltätigste Instrument, schlußfolgerte er, wenn es den Menschen anzeigt, wo Feuer ausgebrochen ist, um welche Zeit das Tor geschlossen wird; kann es rührendere Töne geben als die dumpfen Wirbel beim Begräbnisse eines meiner Kameraden! Bei der Erinnerung an den Tod stürzten ihm die Tränen aus den Augen, von jenseits drang die Trompete seines glücklichen Nebenbuhlers herüber, ach! diese freudigen Töne durchschnitten grausam seine zitternde Seele. So schwand er hin und wurde immer mehr das blasse Bild der Resignation. Er dachte nur an den Tod und sagte oft, wenn er nicht käme, so müsse er selbst sich ihn geben. Damit ging er lange um und weinte viel, sooft er beim Abendmahl und in der Kirche war. Aber es half nichts: die Liebe zermalmte sein Herz, die Eifersucht vernichtete seinen Stolz, statt ihn zu erheben. Noch einmal richtete er sich eines Abends auf, wo alles still war, am Tage vor der Hochzeit der Trompeterbraut, und setzte sich dicht unter ihr Fenster auf einen Stein. Zwischen den Füßen hielt er die Trommel eingespannt und begann sie in der Stille der Nacht, wo alles schlief, so schwermutsvoll und sanft zu rühren, daß es lange währte, bis mehr darauf achteten, wie das Mädchen oben in der Kammer. Sie hörte diese Serenade, sie wußte alles, denn sie hatte den Tambour gekannt, ihn bevorzugt, ehe die Trompete kam. Sie zitterte unter der Bettdecke, denn es klang wie zum Grab so hohl unterm Fenster. Aber die Töne hoben sich, die Schlägel wurden dringender, die abgestoßenen Punkte folgten Schlag auf Schlag: sie mußte aufspringen vor Entsetzen; die ganze Straße schien zu grollen und die Steine dumpf aneinanderzuschlagen. Man rief: »Feuer!« Sie riß das Fenster auf. Draußen war alles still; der Tambour war nirgends zu sehen; auch beim Appell nicht. Man schiffte seine Trommel bei Mainz an der Rheinbrücke auf: ihn selber einen Tag später auf der nämlichen Stelle.«

Wally hatte von dieser Erzählung erwartet, daß sie in einer Beziehung mit Schwalbach stünde, und allem, was auf diese Erwartung keine Rücksicht nahm, nur eine oberflächliche Aufmerksamkeit geschenkt. Sie blickte Cäsar mit ruhigem Auge an und fragte kalt, was in dieser Geschichte mit Schwalbach zusammenhinge? Cäsar fand diese Frage natürlich und legte sie sich nicht so empörend aus, als sie ursprünglich war.

»Diese Historie«, fuhr er fort, »ist mehre Jahre alt. Der Trompeter heiratete die Tochter des Wiesbader Bürgers, nahm seinen Abschied und zog nach Schwalbach, wo er die Direktion der Musiken für die Saison zu übernehmen pflegt. Aber seine Frau leidet seit jener traurigen Katastrophe ihres verschmähten Liebhabers an einem unheilbaren Übel. Hätten die Ärzte nicht schon zuweilen ähnliche Beobachtungen gemacht, so würde man versucht sein, hier an einen Spuk, an eine Rache des gespenstischen Tambours zu glauben. Die Frau des Trompeters hört Tag und Nacht ein dumpfes Murmeln an ihrem Ohr, das sich zu verschiedenen Zeiten steigert und ihr wie der Ton einer Trommel vorkommen muß. Nachts schreckt sie aus dem Schlaf auf, zeigt mit stierem Blick auf die Tür, wo sie den blassen, kleinen Mann mit seinem Instrumente zu erblicken glaubt; sie hat nicht Ruhe, wie tief sie sich auch in die Kissen des Bettes hineinwühlt. Die Ärzte nennen dies eine unnatürlich präponderierende Kraft des Gehörsinnes und können sich auf die gleichzeitige Tatsache berufen, daß alle übrigen Sinne der Frau allmählich schwinden und der übermäßig hervorbrechenden Gehörskraft zu weichen scheinen. Dabei ist sie abgefallen und bleich, ihr äußerer Körper verringert sich immer mehr: ich sahe sie, es ist eine ganz absorbierte Erscheinung, die Grausen erregt. Sie selbst hat den festen Glauben an die Rache des Tambours, oder wie es diese Leute nennen, daß er im Grabe keine Ruhe habe. Sie versicherte mich, daß das Gespenst ihr überallhin folge, in Küche, Boden und Keller; ja auf dem Wege, selbst im Walde sähe sie ihn oft, den Toten, wie er leibhaftig vor ihr stehe, die kleine, bleiche Figur, mit der Trommel auf dem weißen Schurzfell und dieselben gelbledernen Bandeliere um die Schultern gehängt, welche uns Preußen so fatal sind. Die Ärzte wissen, daß die Frau bald sterben muß an totaler Nervenentkräftung. Ich glaub' es. Gott, da steht sie!«

»Wo?« schrie Wally auf.

Cäsar lachte. Es war ein Scherz; aber sie hatte ihn übel aufgenommen und ließ sich mit der bittersten Laune über seine Späße und abenteuerlichen Erzählungen aus.

»Gehen Sie mit Ihren Trommeln und Trompeten! Womit Sie sich doch alles abgeben!« sagte sie mürrisch, empfahl sich und wandte sich allein dem Kaisersaal zu, wo sie wohnte.


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