Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Sommer reifte zur Ernte. Aus seinen letzten Fäden spann sich ein Herbst voll Kelterlust. Die Astern sammelten noch einmal alle Farben der schönen Vergangenheit, dann starb die Natur, und was zurückblieb, legte den Frostreif und Nebelflor der Trauer an. Die Ströme gerannen, die Wolken zerrieben sich zu Schneeflocken. Der Winter kam in seinen Pelzschuhen angeschlichen und klopfte mit Weihnachtsfreuden an die Reifblumen der Fenster an.
Wally wirbelte sich in einer Lust, die sie so zauberhaft zu regeln verstand. Was Religion! Was Weltschöpfung! Was Unsterblichkeit! Rot oder blau zum Kleide, das ist die Frage. Ob's besser ist, die Haare zu tragen à la Madeleine oder sie zusammenzukämmen zu chinesischem Schopfe? Tanzen – vielleicht auch Sprüchwörter aufführen – oh, nur gering ist die Zahl der Vergnügungen, welche im Verhältnis zur zunehmenden Civilisation nicht mehr lächerlich sind: so sehr gering! falls man sich selbst so viel liebt, nicht Karten zu spielen, jene melancholischen Spiele Albions und der nordamerikanischen Yankees, wenn man noch wie Mendelssohn philosophisch und kantisch genug ist, für den Scherz keinen Ernst und für den Ernst keinen Scherz aufzuwenden!
Aber eine Unterhaltung ist unerschöpflich; ein Spiel unermüdlich. Das ist die Koketterie. Wally hatte damit alle Hände und alle Mienen voll zu tun. Künstliche und natürliche Launen waren die Zahlen, mit welchen sie ihre Umgangsexempel zusammensetzte. Wally ließ die ganze Welt wie elastische Figuren auf dem Resonanzboden ihrer Einfälle springen. Sie spielte die kapriziösen Melodien zu allen diesen Bewegungen, welche sie lachen machten. Was wollte sie auch mehr? Sie wollte nicht einmal den Ruf davon, die Neigungen ihrer Umgebungen so unübertrefflich eskamotieren zu können. Sie tat alles ohne Stolz, ohne Absicht, ohne Bewußtsein. Sie war bezaubernd!
Cäsar war die Balancierstange dieser Equilibres. Er rektifizierte wie irgendein chemisches Natron alle die barocken Konfusionen, welche Wally anrichtete. Cäsar fiel dabei bald hier-, bald dorthin, in jenem ersten Bilde. In diesem letzten nahm Wally bald größere, bald kleinere Portionen von ihm. Er fehlte aber nie, und diese perspektivische Verschiebung bald zu einer Gunst von einer Linie, bald zu einer von zwei Zollen oder drei, hielt ihn in der Spannung, welche Männer allein zu fesseln imstande ist. Es ist möglich, daß Cäsar Wally liebte, wenigstens war sie ihm eine Vertraute geworden. Er hätte sie vielleicht einem andern abtreten können; aber von ihr sich trennen, das konnte er nicht. Und doch! Vielleicht! Wir sind Scharlatane, wir können alles!
Es war auf einem glänzenden Balle, der am Hofe gegeben wurde. Cäsar, der nicht tanzte, weil die Prinzessinnen zugegen waren und es ihn beleidigt haben würde, wenn sie ihm durch ihre Kammerherrn die herkömmlichen Aufforderungen geschickt hätten, zog sich zurück. Wally beachtete ihn nicht. Er nahm das leicht. Er wußte, daß Wally weit entfernt war von der gewöhnlichen Ansicht deutscher Mädchen, dem Tanze eine sinnliche Bedeutung oder die Bedeutung irgendeiner Gunst unterzulegen; er wußte, daß sie diejenigen liebte, mit denen sie nicht tanzte. Und doch war sie heute aufgeregter als jemals. Das nahm ihn wunder und verstimmte ihn. Als Wally zu ihm trat, sprach sie: »Ich habe Sie suchen müssen. Wo stecken Sie? Ich muß Ihnen etwas sagen.«
Sie standen in einem der entlegeneren Zimmer. »Und was?«
»Ich werde den sardinischen Gesandten heiraten; aber wir sprechen uns noch!«
Damit war sie verschwunden.
Cäsar eilte nach Hause. Er hatte durchaus nichts, was ihn drückte, und doch entschloß er sich, eine kleine Reise zu machen. Er war sehr unruhig den ganzen Tag, mehre Tage. Er machte die Reise. Er notierte, zeichnete, schrieb viel Briefe. Er würde sich vortrefflich zerstreut haben, wenn ihm nicht aus jedem Baum, aus jedem Echo zugeklungen wäre: Aber wir sprechen uns noch! Dies Aber! machte ihn verwirrt; denn es klang wie eine so schwärmerische, träumende Liebe, daß er geglaubt hatte, den letzten lechzenden Seufzer, das kaum gelispelte felicissima notte einer Italienerin zu hören. »Sind das schon die Wirkungen der sardinischen Gesandtschaft?« sagte er lächelnd und kehrte hübsch beruhigt in die Residenz zurück.
Er hatte bald darauf von Wally die Einladung zu einem vertrauten Gespräch.