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Eines Morgens hatte Wally soeben die Besuche einiger ihrer Verehrer entlassen und lachte noch über die Eitelkeit der jungen Männer, welche gestorben wären vor Ärger, wenn sie ihrer neuen Gilets, ihrer Reitpeitsche und Lorgnette keine Erwähnung getan hätte, als sie im Nebenzimmer ein lautes Sprechen hörte, das immer näher kam und dann plötzlich mit Gewalt unterdrückt wurde, gleichsam als würde jemand, der sich ihrem Zimmer nahen wollte, mit Heftigkeit zurückgehalten. Nachdem die hierauf eintretende Stille anzudeuten schien, daß eine Verständigung dem Besuche hatte vorangehen müssen, öffnete sich stürmisch die Tür, und ein junger Mann trat an der Hand ihres Gatten herein, der ihr in dem Ankömmling seinen längst aus dem Piemontesischen erwarteten Bruder Jeronimo vorstellte.
»Wahrhaftig, ich habe mich nicht getäuscht«, rief der junge Italiener. »Ihren Anblick, Madame, sog ich gestern in der Oper drei volle Stunden lang ein. Ich war kaum in Paris angelangt, als mich der Zufall in die Vorstellung der ›Cenerentola‹ führt und in die reizendste Perspektive, welche ich je gehabt habe. Madame, Sie saßen in einer Loge, von der ich nicht wußte, daß sie die meines Bruders war. Sie trugen blaue Seide, weiße Tüllstreifen, einen roten Schal und Marabouts in dem Haar?«
»Ihr Gedächtnis muß weite Taschen haben,« sagte Wally, »wenn sie am Morgen noch die Toilette der Damen angeben können, die Sie am Abend vorher bei den Italienern bezaubert haben, wie der in dieser Rücksicht bei den jungen Enthusiasten übliche Ausdruck ist.«
»Madame, es sollen viele eine gute Toilette gemacht haben, sagt man. Ich sahe nur Sie. Viele werden sie machen, ich werde nur Sie sehen. Wenn ich die Sprache eines Dichters führen könnte, dann würd' ich erst die Ausdrücke haben, welche Ihrer würdig sind. Ja, ich muß dies elende Wort ›bezaubern‹ adoptieren und meine Gefühle hinter der armseligen Wendung verstecken, daß ich Sie versichre, Ihre Schönheit kann niemals vom Künstler getroffen werden; denn müßte er nicht erblinden in der Anschauung solcher Reize, Madame?«
»Ich schäme mich, mein Herr«, sagte Wally, »Ihnen ein Wort empfohlen zu haben, das sie lernen sollten, um bald in die Gesellschaft der jungen Enthusiasten einzutreten; denn ich sehe, daß Sie schon Meister sind in diesen allerliebsten Übertreibungen, die man um so lieber hört, je weniger Grund sie haben!«
»Sie weichen mir aus, Madame; Sie vergessen, wenn Sie glauben, meine Liebe käme Ihnen ungelegen, daß Widerstand die Liebe verdoppelt. Sie haben die Wahl. Es ist wie mit den Sibyllinischen Büchern; aber umgekehrt: immer mehr Liebe, aber doch immer nur die gleiche Summe.«
Hier machte der Gesandte, der das Zimmer schon verlassen hatte, ein Geräusch nebenan und zwang beide jungen Leute, einen Moment darauf hinzuhören. Wally mußte über die etwas steifen Anträge ihres Schwagers lachen. Sein Feuer hatte mehr von dem russischen Spiritus. Für einen Italiener schien er ihr zu viel Worte zu machen.
»Setzen wir uns aber«, sagte sie freundlich, »mein lieber Jeronimo. Wir wollen versuchen, wie wir uns arrangieren. Es gilt nur, daß man sich verständigt. Wollen Sie meine Farbe tragen? Wollen Sie ins Wasser springen, wenn ich behaupte, es sei nicht tief? Wollen Sie sich mit halb Paris schlagen, wenn ich die Caprice habe, Ihnen Dinge in den Mund zu legen, die Sie über die Herzogin von Breteuil, die Gräfin Allan, die Vikomtesse von Hericourt geäußert hätten? Sie sehen, welche Arbeiten sich Ihnen auferlegen lassen, wenn Sie Herkules genug wären, sich in Dejanira zu verlieben.«
»Bezaubernd, Madame, entzückend! Wie liebenswürdig!«
»Und wenn wir auf dem Fuße hinken, womit der Liebhaber geht: so nehmen Sie den andern, den Fuß der Verwandtschaft, auf dem wir stehen. Ich glaube in der Art wohl, daß Sie ermüden können, Jeronimo, aber niemals, daß Sie fallen.«
Die Tür öffnete sich. Die Vikomtesse von Hericourt trat ein. Sie war eine jener niedlichen Schwätzerinnen, an denen nichts hübscher ist als eine perennierende Begleitung ihrer Stimme mit einer luftpumpenden Bewegung aus der Brust heraus. Sie seufzte bei jeder Periode aus der innersten Tiefe her, und da sie es lächelnd tat und mit glänzendem Auge, bekam dadurch ihr Ausdruck eine hinreißende Gewalt, daß man sich die Triumphe dieser Frau erklären konnte.
Jeronimo blieb aber bei aller dieser Grazie kalt. Er sprang nicht, wie junge Narren von fashionablem Tone mit Recht tun, wo es sich darum handelt, zwischen zwei schönen Frauen das Gleichgewicht zu erhalten, von einer zur andern über, sondern biß in seine Handschuhe, verlegen und nur Wally fixierend, die sein Benehmen nur als Affektation eines übertriebenen Eindrucks auslegen konnte.
Die Vikomtessa hatte so viel mitzuteilen, zu klagen, zu weinen, zu lachen, daß Jeronimo sich mit ihr zu gleicher Zeit entfernte. Er war stumm bis auf den letzten Augenblick geblieben. Die ganze Geläufigkeit, mit der er begann, war gehemmt. Sie wußte nicht, wie sie diesen Charakter nehmen sollte. Er ist ein Russe, dachte sie unwillkürlich. Aber sie besann sich auf die Russen ihrer Bekanntschaft, auf welche dennoch keines der Merkmale Jeronimos passen wollte; denn die Russen, immer begierig, sich elegant und zivilisiert zu zeigen und den Juchtengeruch durch Bisam, eine Unanständigkeit also durch die andere zu verdecken, affektieren überall gegen Damen eine ekelhafte Liebenswürdigkeit, springen von einer zur andern und üben sich in süßen Grimassen. Jeronimo mußte also doch ein Italiener sein.
Am Abend kam Jeronimo in die Loge des sardinischen Gesandten. Wally hörte ihm gern zu; er hatte Ansichten über Musik und viel biographische Notizen über die italienischen Komponisten. Doch alles war flüchtig; denn eine Dame kömmt im Theater nicht zur Ruhe. Keine Meinung, die unter den Liebhabern verbreitet ist, ist so falsch als die von der Gunst, welche das Theater der Neigung gewähre. Man wird sein Idol neben sich haben, man wird stundenlang mit ihm flüstern können; das ist gewiß; aber das Idol wird auch immer zerstreut sein und hinter jeder aufgehobenen Lorgnette einen Mann vermuten, der mit dem Seufzenden neben ihr die Vergleichung aushält oder ihn wohl übertrifft in der Huldigung, die er ihr schenkt. Jener Satz gilt nur bei der Sentimentalität, welche nicht hört und nicht sieht, oder bei jenen kleinen Geschöpfen, die über ein geschenktes Freibillet glücklich sind und alles, was das Theater an Illusionen bietet, für die Schöpfung und die Bekanntschaft ihres Anbeters halten.
Als Wally nach Hause begleitet war von ihrem Schwager und ihn noch einige Zeit bei sich gesehen hatte, zog sie sich in ihre Gemächer zurück. Es klopfte. Der sardinische Gesandte trat mit einem Armleuchter in ihr Schlafkabinett. Sie erstaunte; denn solche Besuche waren ganz gegen die Verabredung.
»Was ist?« fragte sie gedehnt.
»Liebes Kind«, sagte ihr Gatte; »mein Bruder –«
»Ihr Bruder ist sehr langweilig.«
»Er liebt dich; aber höre nicht auf ihn. Was ich ihm auch vorstellen mag, es ist, wie wenn man Feuer plötzlich ins Wasser wirft; aber höre nicht auf ihn. Ich war in meinen Briefen unvorsichtig. Er liebt dich wie eine Nebelgestalt, die man sich aus Täuschungen zusammensetzt und die man sonderbarerweise jede Nacht wieder vor sein Bett zaubern kann. Er schwärmte mit der Luft, er –«
»Was will ich das?«
»Höre nicht auf ihn! Eh' er dich sahe und Nizza nicht verlassen durfte, irrte er in den Wäldern und warf Blumen in die Flüsse. Seine Neigung ist so stark, daß er jede Lebensfunktion seines Körpers mit dem deinigen verwechselt, daß er –«
»Lassen Sie!«
»Höre nicht auf ihn! Warum ist Cupido nur blind? Er ist auch taub, sag' ich oft zu Jeronimo, weil er nicht hört. Sollten seine Sinne verzaubert sein?«
»Oh, Sie werden zum Schwätzer: ich glaube gar, Sie machen Verse.«
»Wie ich dich liebe, Wally! Kind, diese Schere auf dem Tisch nehm' ich als eigne Parze meines eignen Geschickes und schneide eine deiner himmlischen Locken, um sie mit verstohlenen Küssen zu bedecken, wenn ich dich selbst nicht habe. Gute Nacht, Wally: vergiß ihn, höre nicht auf ihn!«
Was sollte Wally denken? Der Gesandte hatte ihr eine Locke genommen. Welche Zärtlichkeit! Zu dieser Stunde, wo sie ihn nie sah. Sie erbleichte, denn jetzt war ihr dieser Mann erst im Lichte eines Gatten erschienen. Welch ein Bild! Ein Narr! Eine schwerfällige Gestalt! Ein Ungetüm, das einen falschen Bart trug! Ein Geizhals, der selbst an Worten sparte und nie umsonst redselig war! Eine hülflose Phantasmagorie, die ein Licht in der Hand hielt und vor ihr stand, leibhaftig, als hätte sie einen Mann in den Vierzigen vor sich gesehen! Sie wischte an ihrem Antlitz, das er berührt hatte. Sie lüftete das Bett, um es von den unkeuschen Worten zu reinigen, die hineingefallen waren, denn es stand offen. Sie begriff jetzt erst die Lage, in der sie sich befand, daß sie seit vier Monaten an einen Mann verheiratet war, den sie nicht kannte. Sie müsse fliehen! schrie es unhörbar in ihr auf, und erst als sie über die Mittel, diese Torheit zu begehen, nachdachte, schlief sie ein.