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27. Kapitel

Mein Freund, Charles Hervaux, Hervaux, der versessene Syndikalist, der begeisterte Radikale, der am meisten dazu beigetragen hatte, mich in den Kampf hineinzudrängen, zählte jetzt zu den Gleichgültigen, und zwar aus eigenem Entschluß, ganz wie der flache Descombes. Hervaux ließ langsam nach, ganz einfach, weil er rechtschaffen verliebt war in meine Schwägerin Germaine.

Ich hatte das wohl wahrgenommen, bei allen seinen winterlichen Besuchen; ich hatte gut gemerkt, mit welcher Beharrlichkeit er sie anschaute und wie er sich ihr gegenüber betrug. Ich hatte aber auch recht wohl gesehen, wie Germaine nicht gleichgültig gegenüber seinen Aufmerksamkeiten blieb und wie sich sein herrlicher Schnurrbart mit den hochgezwirbelten Spitzen in ihrem Herzen einen Platz erobert hatte.

Von dem Tag an, als das Mädchen wieder zu den Eltern heimgekehrt war, fand Hervaux nichts mehr, was er mir hätte sagen sollen. Die Besuche in la Fayt, die ihrer Häufigkeit wegen anfingen lästig zu werden, hörten wie durch einen Zauberschlag auf. Aber ich wußte, daß er jeden Sonntagabend um Amouraux herumstrich und daß er da fast immer seine Liebste traf, deren Spaziergänge zur gleichen Stunde natürlich nicht ohne Zweck waren …

Nun geschah es, daß in den ersten Tagen des Monats Juni Germaine wieder auf etliche Wochen zu uns herauskam unter der Angabe, ihrer Schwester zu helfen, die den Jungen entwöhnen wollte. Und wie von ungefähr stellte sich an dem Sonntag, den sie bei uns zubrachte, bei Hervaux das Bedürfnis ein, mich zu sprechen. Er blieb recht lange.

Ich neckte Germaine an den darauf folgenden Tagen. Nach vielem Erröten und Ausflüchten gestand sie mir schließlich hinter Jeannes Rücken, daß sie und Hervaux beide feste Absichten hätten und daß Charles im Augenblick sich darum bemühte, eine Stelle für sich ausfindig zu machen, denn in Petit-Moussais und auch in Amouraux waren schon zwei Hausstände und sie hätten nicht die Absicht, weder an dem einen, noch an dem anderen Platz ihr Heim zu errichten. Charles hatte nun bei Herrn Trochère vorsprechen müssen, mit dem ihn eine entfernte Vetternschaft verband und bei dem sein Pate schon seit vielen Jahren als Beamter diente.

Germaine bat mich eindringlich, das Geheimnis selbst gegenüber Jeanne zu hüten, weil ihre Eltern sehr schlecht auf ihren Verlobten zu sprechen wären, von dem sie die schlimmsten Sachen redeten, was ihr recht peinlich wäre.

Ich hatte das Vertrauen meiner kleinen Schwägerin nicht mißbraucht, aber ich wußte nun im voraus, aus welchem Grund sich Hervaux dem Syndikat entfremden würde.

Maurice war nicht schwer zu entwöhnen, und als hätte er nur darauf gewartet, fing er in der darauf folgenden Woche an, allein zu gehen.

Das war für Jeanne eine doppelte Erleichterung, aber sie war so ermattet, daß ich es dennoch für ratsam hielt, für Jeanne bis auf St. Martin eine junge Magd zu dingen, in der Hoffnung, sie dadurch wieder etwas zu Kräften kommen zu lassen.

Ich hatte keine glückliche Hand darin. Das junge Ding, das uns zufiel, die Bertha Charvy, die Tochter eines Ziegeleiarbeiters aus La Clayette, war schlecht erzogen, sie war sehr geschwätzig und mit zahllosen kleinen Fehlern behaftet, von der Naschhaftigkeit bis zur Verlogenheit und von der Klatschsucht bis zur Eitelkeit. Nichts als ein flatterhaftes und verderbtes kleines Vogelgehirn, welches das ungünstige Entwickelungsalter noch vollends verdarb … In ihr verbanden sich der Leichtsinn eines Kindes, das sie noch gestern gewesen war, und die Unreife der Frau, die sie erst morgen sein würde, ohne daß sie auch nur eine der für die Arbeit guten Eigenschaften, oder die Gewissenhaftigkeit gehabt hätte, die das Alter ihr sicher einbringen würde. In unbegreiflicher Zerstreutheit brachte sie es dahin, alles verkehrt zu machen. Trug man ihr auf, sich mit der Suppe zu befassen, so wässerte sie sie, bevor sie sie gekocht hatte, salzte sie zweimal oder gar nicht; – wenn man ihr sagte, die Bohnen im Garten einzusammeln, las sie nur die auf, die schon überreif waren, befahl man ihr, die Kühe auf die Weide zu treiben, so vergaß sie sicher, die Hürde zu schließen, oder ließ sie in ein anderes Feld hinein, als in dasjenige, wohin es ihr anbefohlen war. – Sollte sie den Hühnern oder den Kücken Futter austeilen, warf sie damit unnütz umher, den Kaninchen setzte sie Schierling und anderes Futter, wie z. B. Flußgrunickel oder Kreuzkraut hin, das fähig war, deren Tod herbeizuführen. Bei dem Geschirrwaschen ließ sie in jedem Gefäß einen fettigen Satz nach, aber verstand sich trotzdem gut darauf, ein paar Teller oder Schüsseln zu zerschlagen. Im Hausstand trödelte sie herum und beschränkte sich darauf, den Staub aufzuwirbeln, wenn sie ihn nicht lieber ganz in Ruhe liegen ließ; und beim Waschen: da blieb bei ihr die Seife in den Falten der Wäscheteile oder Kleider kleben, die dann im trockenen Zustand einen lästigen Geruch von sich gaben und später wie geteert und ganz ungeschmeidig blieben. Wenn sie aber einkaufen sollte, dann vergaß sie die meisten Sachen und irrte sich in bezug auf den Rest der Bestellung. Wir zögerten selbst, ihr das Kind anzuvertrauen, aus Furcht, sie möchte es nicht vor immerhin möglichen Unglücksfällen bewahren können.

Sie war ganz und gar von dieser Art, das Unglück erst zustande kommen zu lassen, anstatt es zu verhüten.

Auf diese Weise war das unselige Ding zumeist meiner Frau nur ein neuer Grund zu Ärgernissen. Jeanne hatte jetzt Zustände von Müdigkeit und Entmutigung und auch eine Gemütsverfassung, bei denen es Tränen gab. Sie klagt über Kopfschmerzen und Schwächegefühl und über Sausen in den Ohren. Es gibt Tage, an denen sie die einfache Haushaltstätigkeit unendlich anstrengt. Ihre schlechte Laune macht sich in allem bemerkbar. Sie gefällt sich nur mehr darin, schwarze Gedanken wiederzukäuen und vertraut sie sodann dem ersten besten an. Selbst die Mutterliebe scheint manchmal bei ihr halb erdrückt zu sein: Ich habe das Gefühl, als gäbe sie zu diesen Zeiten nicht so viel auf den Kleinen acht, wie es eigentlich erforderlich wäre und daß sie sich zu leicht errege bei dem geringsten Lärm, den der Kleine macht.

Der Arzt Mathivon aus Baugignoux hat mich eingehend über ihren Zustand unterrichtet, so will es mir wenigstens scheinen.

Es ist Neurasthenie, die durch Schwäche verursacht ist. Sie braucht eine gute Pflege, Zerstreuung, keine Überbürdung im Hausstand und keinen Verdruß.

Du lieber Gott, so etwas ist leicht zu sagen, aber viel schwieriger zu verwirklichen! … Die ärztlichen Vorschriften haben immer ein Aussehen, als ob sie für die Bourgeois bestimmt wären, die ihr Leben einrichten können, wie es ihnen beliebt. Auf welche Weise aber sollten sich die Minderbemittelten damit abfinden?

Der Gedanke kommt mir, Bertha nach Hause zu schicken und sie durch eine Tagelöhnerin zu ersetzen, die fähig wäre, alles zu machen. Aber schließlich halten mich gewisse Bedenken ab. Die Menschen sind böswillig gegen denjenigen, welchen sie als etwas anderes empfinden, und gegen den, der ein neues Ideal verkörpert, erhebt sich all ihr versteckter und offenkundiger Haß.

Würde man nicht sagen, daß wir, Jeanne und ich, hart gegen unsere kleine Magd gewesen sind und daß sie gegangen ist, weil wir von ihr die Arbeit eines 20 jährigen Mädchens forderten?

Das ist nun einmal so! Vier Monate sind schließlich bald vorüber. Es lohnt sich besser noch etwas auszuhalten, als sich dem ungerechten Urteil der Menschen auszusetzen. Ich entschließe mich also, meine Nächte zu Hilfe zu nehmen, um meiner Frau nach meinem Besten beizustehen.


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