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Einige Wochen später. Jeanne machte eines Sonntagmorgens nach der Frühmesse einige Besorgungen bei Madame Labouret, der Holzschuhhändlerin, die nebenbei noch einen Kramhandel hatte und einige Krämersachen dazu führte.
Madame Brunot, eine kleine Rentnerin aus dem Flecken, befand sich auch daselbst sowie die Frau von Cadet Breton, von jenem Pachtbauer des Herrn Trochère, der als Ohrenbläser bekannt war.
Madame Brunot sagt zu der Pachtbäuerin:
»Habt Ihr den ›Impartial‹ gelesen? Heute ist was Neues drin über Baugignoux …«
»Nein,« sagt darauf die Mutter Breton, »ich hab ihn nicht gelesen, aber ich hab ihn gerade in meinem Korb … Seit zwei Jahren kriegen wir ihn jetzt alle Sonntage, ohne was davon abzuwissen, wer ihn uns spendiert, na, das Papier kann man immer brauchen.«
»Seht nur mal nach, Ihr werdet schon sehen …«
Es wollte Jeanne so scheinen, als ob die Rentnerin dieses mit einer besonderen Betonung gesagt hätte und mit einem hämischen Blick nach ihr hin.
Sie ging daraufhin in den Zigarrenladen, wo der »Impartial« zum Verkauf gehalten wurde, und kaufte die Nummer, die sie mir, ohne sie geöffnet zu haben, hinreichte, als sie wieder zu Hause angelangt war.
»Da hast du was, mir scheint, da ist was über Baugignoux drin.«
Ich kannte diese Zeitung, ein seichtes Ding ohne Abonnenten, dessen Inhalt sich für gewöhnlich aus den tendenziös gefärbten Auszügen aus den großen gesinnungstreuen Blättern, aus einer Anzahl öffentlicher Streitfragen und örtlichem Klatsch zusammensetzte. Der »Impartial« lebte von den gespendeten Geldern eines Verbandes von Bourgeois, die ihn links und rechts, wo es nur ging, auf dem Lande an rechtschaffene Leute verbreiten ließen, deren einzige Lektüre er war. Er sollte die scharfen Berichte abschwächen, die über den einen oder den anderen von ihnen hier und da veröffentlicht wurden.
Mit ganzer Kraft wandte man sich darin gegen die Anführer der Volksmasse in jeder Gemeinde und gegen diejenigen, die einer als besonders schädlich angesehenen politischen Richtung oder einer Besorgnis erweckenden wirtschaftlichen Bewegung vorstanden. Derjenige Mann, den sie für den gefährlichsten hielten, wurde mit einer ganz besonderen Verbissenheit aufs Korn genommen. Man belächelte seine Erscheinung, man schnüffelte an seiner Vergangenheit herum, besah sich die Vorgeschichte seiner Voreltern, seiner Nächsten, um irgendeine alte persönliche Verfehlung oder irgendeine Sünde der Vorfahren zutage zu fördern. Man verwertete jeden Dorfklatsch von den kleinen Boshaftigkeiten bis zu den großen Verleumdungen, man schreckte selbst nicht vor Anschuldigungen schwerster Art zurück, und wenn jegliche Handhaben fehlten, verdächtigte man die Rechtschaffenheit und guten Sitten des Betreffenden. Das Opfer wehrte sich manchmal wohl und erzielte irgendwelchen Schadenersatzanspruch, aber die Protektoren der Zeitungskasse beglichen gnädig diese außerordentliche Rechnung, wenn sie nur glauben durften, daß der ins Auge gefaßte Mensch durch ihre Andeutungen auf diese Art einen Teil des Zutrauens seiner Mitbürger verloren hatte.
Ich hatte sofort die Empfindung, daß jetzt an mich die Reihe gekommen war die Suppe auszuessen, und ich bezeigte nicht das geringste Staunen darüber, auf der zweiten Seite unter dem Titel – Baugignoux – »Unser großer Mann« folgendes Gefasel zu lesen:
»Es wohnt in Baugignoux ein kleiner, häßlicher, unbedeutender Kläffer, mit einem tückischen Duckmäuserkopf und krummen Beinen, und seit einiger Zeit hat er selbst versucht, von sich reden zu machen und Arbeit zu verrichten. Aber seine Stimme ist brüchig wie sein Verstand, und trotz aller seiner Absichten und seiner Kläffereien sind seine Taten ohne Widerhall geblieben.
»Ihr habt wohl sicherlich erraten, daß dieser Bastardmops kein ehrenwertes Hündchen ist und daß er leider, leider! der großen menschlichen Familie angehört, in der sich das Beste und das Schlimmste beieinander findet. Die hochlöbliche Hunderasse würde im übrigen sehr unrecht haben, uns um ihn zu beneiden.
»Diese lächerlich anmutende Persönlichkeit haßt alle staatliche Obrigkeit und alles, was nur irgendwie ihr geistig, durch Bildung oder auf Grund seines Vermögens überlegen ist. Er strengt sich an, das Mißtrauen in den Gemütern unserer braven Bauern auf Kosten ihrer natürlichen Beschützer, der Grundbesitzer, Generalpächter und erfahrenen Landwirte wachzurufen, die es verstanden haben, durch methodische Anwendung neuer Verfahren und durch eine einsichtsvolle Auswahl bei der Zucht, unser Land zu bereichern. Einige überspannte Gemüter folgen ihm, sowie auch einige ehrliche Landwirte, die von Natur aus schwach sind und sich durch die revolutionären Zeitungen entnommenen Phrasen haben einfangen lassen, die er wie ein Papagei nachplappert. Aber diese letzteren werden nur allzu schnell erkennen, daß sie es mit einem Duckmäuser zu tun haben, dem es daran liegt, sich aller Arbeit möglichst zu entziehen und als Bourgeois zu leben, und das auf ihre Kosten!
»Oh! Und unser großer Mann hat schon kühne Taten verrichtet, unsere braven Kaufleute wissen davon etwas zu erzählen! Hat er sich nicht auch an ihnen vergreifen wollen, »die ja nichts anderes als schmarotzernde Zwischenhändler sind«, um einen Ausdruck zu benützen, den er besonders liebt. Hört also, er läßt unter dem Namen einer Vereinigung Wein, Mastfutter, Ölkuchen u. a. m. kommen, welches ihm auch von irgendwelchen Schlauköpfen, Juden sicherlich, geliefert wird, welche seine Dummheit ausnützen, um ihm ihre minderwertige, schadhafte Ware aufzuhalsen, die er dann unter die Mitglieder austeilt, natürlich nicht ohne vorher seinen kleinen Gewinn dafür abzuheben.
»Das halbe Land zu ruinieren unter dem Vorwand einer Vereinigung und der Solidarität, ist das nicht ein glänzendes Resultat, auf das er stolz sein dürfte, unser großer Bauernlümmel? Man sieht ihn auch durch die Straßen unseres Fleckens jeden Sonntag gehen, mit nachdenklich gefurchter Stirne, eine mit Papieren vollgestopfte Mappe unter dem Arm, um den geschäftigen Mann zu spielen: es ist einfach lächerlich!
»Man kann nie genug auf jene Anfänger aufmerksam machen, die auf Grund irgendwelcher verderblicher Lektüre glauben berufen zu sein, obgleich es ihnen an jeder soliden Bildungsgrundlage fehlt, die Welt zu verbessern.
»Ehrsame Landarbeiter, die ihr ehrlich und fleißig seid, die ihr nichts anderes verlangt, als in Ruhe zu leben und zu arbeiten, wann werdet ihr verstanden haben, wie sehr euch diese Lügenmäuler und Faulenzer verachten; ihr werdet dann mehr achtgeben auf sie, um ihnen einen ordentlichen Fußtritt zu verabfolgen: das ist auch alles, was so einer verdient! …
»Wenn etwas Ähnliches einmal diesem verdammten Apostel sozialer Zerstörung, wie unser bedeutsame Mann es ist, zustieße, dann würde alle Welt zu dieser Zurechtweisung, die er sicherlich nicht gestohlen haben wird, Beifall klatschen.«
Ich zerknüllte das schamlose Papierstück und konnte mich nicht zurückhalten, mit verächtlicher Stimme zu sagen:
»Da haben wir es, Donnerwetter! … man möchte mich fangen … mich wundert nur, daß man so lange damit gewartet hat.«
Jeanne hatte gerade ihren Hut und ihr Kleid, das sie für den Kirchgang angelegt hatte, ausgezogen; sie rührte auf dem Herd irgendein Süpplein um, das für Maurice bestimmt war.
»Ah! das bleibt sich gleich, da bist du jetzt also in der Zeitung drin: die Leute werden über dich lachen. Aber das ist dir recht, du hast dir das ja gesucht … Wenn du dich still gehalten hättest, wär' das nicht vorgekommen …«
Vom kleinen Nebengelaß, das unsere einzige noch vorhandene Stube war, kam Germaine hereingestürzt im kurzen Unterrock und einer zerschlissenen Jacke, indem sie noch eilig ihre letzten Haarnadeln in die Haare steckte, die sie soeben gekämmt hatte.
»Ich will das sehen! Schnell, ich will das sehen! Mein Schwager ist sicher nicht irgendein Hergelaufener, daß man ihn in die Zeitung setzt!«
Dicke Tränen tropften Jeanne aus den Augen:
»Wenn er drin ist, dann ist das sicher nichts Gutes! Du lieber Gott, was ich mich ärgern kann!«
Ich hatte allmählich meine Ruhe wiedergefunden.
»Ertrag mich nur so wie ich bin, laß das! … Oder möchtest du lieber einen Spieler, Säufer oder einen, der sonstwie ein schlechtes Leben führt, als Mann haben? Was geht mich, richtig genommen, die Meinung dieses schmutzigen Klatschblattes an. Ich fühl mich nur wachsen durch ihre Beleidigungen.«
»Ja, ja, red du nur, du wirft sehen, wir werden schon unser Unglück haben, ohne lange darauf zu warten …«
Germaine hatte sich in den »Impartial« vertieft und verschlang das anonyme Stück, ohne vielleicht die ganze Tragweite dieser Gemeinheiten richtig zu verstehen, mit denen es gespickt war.
Sie faßte sodann ihren Eindruck in diesem kurzen, nichtssagenden Ausspruch zusammen:
»Das ist recht komisch …«
Darauf verschwand sie schnell in der Kammer, mit der Absicht, sich für das Hochamt in vollen Staat zu werfen.