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17. Kapitel

Das war eine feststehende Tatsache in der ganzen Umgebung: Herr Trochère hatte Baugignoux in die Höhe gebracht. Das ehemalige Dorf, das sich gegen einen kleinen Hügel lehnte, der über das Flüßlein Velzette hinausragte, umschloß im Höchstfall genommen nur an die vierzig Höfe. Der gegenwärtige Marktflecken zählte gegen dreihundert Herdstellen. Dieses hatte sich im Zeitlauf von dreißig Jahren zugetragen, und die Geschichte war folgende:

Im Jahre 1855 kam ein Faßbinder mit Namen Trochère, nachdem er lange bei einem Wein- und Spirituosenhändler in Verneuil gearbeitet hatte, nach Baugignoux und eröffnete dort sein Geschäft. Da die Arbeit nicht reichlich war, kam ihm der Gedanke, auf eigene Faust einen Engroshandel mit Weinen zu begründen. Ein alter Esel und eine Karre, die er durch einen Gelegenheitskauf erstanden hatte, erlaubten ihm die paar Weinfässer, die er hier und da verkaufen konnte, nach seinem Wohnort zu bringen.

Die Jahre verstreichen, in denen der Faßbinder und Weinhändler recht kümmerlich sein Leben fristet.

Aber da kommt gerade die Zeit eines Aufschwungs der Landwirtschaft. Die Bauern, die bis dahin das ganze Jahr hindurch Wasser getrunken hatten, mit Ausnahme des eigenen Namenstages und der Familienfeste, leisten sich zur Sommerszeit eine Ration »Picolo« und halten sich in ihrem Hause einen kleinen Vorrat davon. Der Großkaufmann von Verneuil stirbt während dieser Vorgänge, sein Nachfolger ist kein angenehmer Mann. Trochère, der seine fünf Sinne beisammen hat, ergreift die gegebene Gelegenheit; er übergibt das Faßbindergeschäft einem anderen, besucht die Märkte, schafft sich Verbindungen, und in kurzer Zeit verdreifacht, vervierfacht sich sein Geschäftsumsatz.

Gerade um diese Zeit entschließt er sich, seinen fünfzehnjährigen Sohn, der keinen Geschmack an irgendeiner Arbeit bekundete und sich besonders darin gefiel, in den Feldern herumzuschweifen und sich sein Teil zusammenzuplündern, den Priestern der Erziehungsanstalt zum Heiligen Franziskus in Carivanne anzuvertrauen.

Mit neunzehn Jahren, nach einem Studium, das von einem wenig glänzenden Erfolg bei der Ablegung des Baccalaureat-Examens gekrönt wird, kommt der junge Mann nach Baugignoux zurück und beginnt damit, seinem Vater in dessen Geschäften beizustehen, die nicht aufhören zu gedeihen und sich auszudehnen.

Sehr schnell fügt er sich in dieses neue Leben ein und gewinnt ihm Geschmack ab. Er besitzt Sicherheit, einen leichten Geist und die Seele eines rechten Kaufmannes. Er redet die Bauern mit einer Art gutmütiger Vertraulichkeit an, erkundigt sich besorgt nach dem Sohn im Militär, nach dem kranken Vater oder nach den Ernteaussichten. Er versteht es, jedermann zu Diensten zu sein bei jedweder Gelegenheit. Er bietet sich bei Bedarf seinen des Schreibens nicht kundigen Abnehmern als Sekretär an oder um in der Stadt in ihrem Namen gewisse Angelegenheiten zu erledigen. Es kommt ihm nicht darauf an, eine Zeche zu machen, und er wird schnell beliebt.

Mit dreißig Jahren ist Georges Trochère Gemeindevorsteher von Baugignoux. Der Umsatz seines Geschäftes erreicht jetzt dreihundert Hektoliter monatlich und zeigt eine deutliche Neigung, sich noch zu steigern. Sein Kundenkreis dehnt sich jetzt wohl auf ein gutes Dutzend Gemeinden aus.

Der übliche Wein war durch seine dunkle, fast schwarze Farbe kenntlich. Von einer Blume war darin kaum noch etwas zu erkennen. Aber der Landmann fand ihn kräftig so, und man braucht einen starken Wein für die Erntearbeiten, wo so viel Kraft sich abnutzt; man braucht ihn auch noch für die lärmenden Vergnügungen, die den Festmahlzeiten folgen. Überhaupt, in der Zeit, da man in der Krise der Reblausplage war, sah man nicht so genau darauf hin … Und der reiche Kaufmann von Baugignoux ließ einem Zeit mit der Zahlung …

Währenddessen sieht sich der reiche Großgrundbesitzer unseres Landbezirkes, Vicomte de Lormery, nachdem seine Verschwendung ihren Höhepunkt erreicht hat, an den Rand des Ruins gedrängt und fängt an, Ländereien zu verkaufen. Georges Trochère kauft im ganzen zu ganz niedrigen Preisen das steinige, mit Felsblöcken und Gestrüpp bedeckte Gelände vom Dorf bis zum Fluß auf.

Eine Eisenbahnlinie wird geplant, die Carivanne mit Buyle-Château verbinden soll. Der vorläufige Plan läßt sie hinter der Station Pericourt den Fluß La Velzette durchschneiden und nach Verneuil quer durch die Ebene gelangen, indem sie Baugignoux auf diese Weise acht Kilometer abseits liegen läßt.

Aber Trochère ist einer anderen Meinung: Er läßt alle Bittschriften in seiner Gemeinde sowie auch in La Clayette und Firmelière die Runde machen, er belagert den Präfekten, den Unterpräfekten, die Regierungsmänner, die Ingenieure. Er ist so eifrig bald hier, bald da dabei, daß er es erreicht, die Pläne nach seinen Wünschen abgeändert zu sehen. Verneuil hat man zum Vorteil von Baugignoux abseits liegen lassen. Die Eisenbahn durchschneidet die Velzette erst hinter diesem letztgenannten Dorf. Und die Begünstigten lachen untereinander über die Protestkundgebungen der Unzufriedenen vom jenseitigen Ufer.

Der Triumphator war kein Mann, der auf seinen Lorbeeren einzuschlafen dachte. Er bahnte sofort ein anderes Geschäft an, dazu waren viele Schritte nötig, aber trotz alledem endigte er damit, die Erlaubnis zu erlangen, in Baugignoux zu jeder Jahreszeit einmal einen Markt abzuhalten. Von da an beginnt er Nutzen aus seinen guten Verbindungen mit den Großpächtern zu schlagen und seine Macht auf die kleinen Landwirte anzuwenden, um sie zu bestimmen, ihr Vieh heranzutreiben. Andererseits schreibt er an die Kaufleute, bestimmt sie zu kommen, bietet ihnen ein Frühstück an und läßt ihnen zu Ehren den Champagner fließen. Während der Stunden des Geschäftsganges auf dem provisorischen Marktgelände, das neben dem Bahnhof auf seinem steinigen Landbesitz hergerichtet worden ist, läuft er von Gruppe zu Gruppe, vermittelt die Verbindungen zwischen Käufern und Verkäufern, dient als Schiedsrichter bei zustandekommenden Käufen … Der Einfluß dieses geschickten Teufelskerls wird ohne Versteckenspiel ausgeübt, hat aber auch seinen Erfolg: Alle Welt unterwirft sich ihm. Und die Märkte bürgern sich sehr rasch ein …

Wie zu erwarten war, erheben sich um den Bahnhof und um das Marktgelände herum nach und nach Hotels, Herbergen und Läden … Ein neues Dorf baut sich nach und nach an dem Bergabhang auf, der sich nach der Velzette neigt. Trochère, der der Besitzer der ganzen Ländereien ist, verkauft an jeden Baureflektanten die Parzelle, die er zu haben wünscht. Nicht, ohne dabei seinen gehörigen Gewinn einzustecken. Er verkauft Land zu einem Franken das Meter, das ihm vordem tausend Franken pro Hektar gekostet hat! Um diesen Preis liefert er, nebenbei gesagt, auch der Gemeinde den Platz für einen Komplex von Schulgebäuden, für ein Postamt und anderes mehr, ohne von dem Platz für den Markt zu sprechen. Er behält für sich nur einen etwas weiter nach Norden gelegenen Platz von 300 bis 400 Meter zurück, wo er einen Steinbruch eröffnet. Die Stärke des Steinlagers ist groß genug, um ihm zu ermöglichen, zu günstigen Bedingungen das für die Bauten erforderliche Steinmaterial zu liefern – sein Vermögen wächst …

Seine Heirat war auch ein außerordentlich gutes Geschäft. Ein paar Monate nach dem Tode seines Vaters, als er gerade das sechsunddreißigste Lebensjahr begonnen hatte, heiratete Georges Trochère Josephine Blanchonnet, Tochter des Ziegeleibesitzers von La Clayette, die weder besonders klug noch besonders schön war, aber von mütterlicher Seite her eine Mitgift von einigen sechzigtausend Franken mitbrachte.

Das ermöglichte es Trochère, als es so weit kam, den größten Teil der Besitztümer des Vicomte von Lormery, der am Ende seiner Herrlichkeit war und sich nicht mehr in der Gegend zeigte, zu erwerben: den alten Familiensitz, eine Art Kastell aus der Zeit Ludwigs des Vierzehnten, das noch recht gut erhalten war, und vier große Farmen außerdem, darunter auch die von Amouraux. Nichtsdestoweniger fuhr er fort, mit der gleichen Aufmerksamkeit seine Geschäfte zu führen und selbständig auf die Lieferungen und Rechnungen zu achten.

Leute dieser Art lassen sich nicht von nutzlosen Bedenken hinhalten. Sie haben keine andere Moral als diejenige, die aus dem Gelingen ihrer Geschäfte kommt und die die Befriedigung ihrer Gelüste ist. Georges Trochère, der die Fähigkeit hatte, nutzbringende und tatkräftige Handlungen zu vollführen, war der Meinung, daß der Geldgewinn in sich seinen eigenen Wert hat und dadurch immer erlaubt ist. Vielleicht müßte man noch hinzufügen, daß mancherlei Abenteuer bei Frauen aus dem Volke ihn über den Mangel an Liebreiz bei seiner angeheirateten Frau trösteten.

Auf diese Art gingen die Dinge eine lange Zeit. Baugignoux fuhr fort, sich weiter auszubreiten und sich zu einem großen, recht betriebsamen Marktflecken auszudehnen, und der Reichtum seines Bürgermeisters wuchs geometrisch von Jahr zu Jahr.

Doch gerade jetzt schien sich eine Krise vorzubereiten. Das Dorf hatte wohl den Höhepunkt seiner Entwickelung erreicht, man baute nicht mehr, die Märkte schienen sachte abzuflauen zugunsten der großen Zentren: Buy-le-Château und Carivanne. Die Handwerker und die Kaufleute beklagten sich. Ihre Anzahl hatte sich in der günstigen Zeit zu sehr vermehrt, jetzt fristeten sie kaum ihr Dasein. Viele sahen sich an den Rand des Verfalls gebracht oder gezwungen auszuwandern.

Herr Trochère hatte immer noch das Amt des Bürgermeisters inne, aber die Zeiten der fruchtbaren Unternehmungen waren für ihn vorüber; er wurde jetzt leicht persönlich, legte eine Verbohrtheit an den Tag und mußte sich manche Kritik gefallen lassen.

Ich bringe, wie es das Gesetz fordert, die Statuten des Syndikats der Landwirte aus dem Kreis von Baugignoux in doppelter Ausfertigung auf das Bürgermeisteramt. Herr Trochère ist gerade anwesend. Er klopft auf meine Papiere mit der Fläche seiner kurzen und massigen Hand, es ist ohne Zweifel die Gebärde der Ungeduld, eine ganz unwillkürliche Bewegung.

»Na also, schön, was soll denn damit, mit eurer Sache? Mein Alter und meine Stellung hierzuland gibt mir, ich glaube es wenigstens, das Recht, euch diese Frage zu stellen.«

»Herr Trochère, ich denke, unser Paragraph 4 wird Sie ganz ausführlich unterrichten, welchen Zweck wir damit verfolgen, was kurz gesagt sich auch so zusammenfassen läßt: Um eine bessere Einschätzung unserer Arbeit ist es uns zu tun, um bessere Lieferungen und zu besseren Bedingungen, um unsere ganze materielle Stellung, die verbessert werden muß, um die Hebung unserer geistigen Möglichkeiten, wenn es angänglich ist …«

»Worte, mein Lieber, Worte … Du tätest weit besser daran, dich ruhig zu verhalten, als diesen braven Leuten, die nur danach verlangen, in Frieden zu leben, solchen Unsinn vorzureden … Ich bitte dich doch, jeder ist frei heute … Es braucht sich keiner daran zu halten, Bedingungen anzunehmen, die man als schlecht bezeichnet. Wenn man sich nicht wohl befindet, wo man ist, geht man anderweitig hin – das ist doch recht einfach!«

»Nein, Herr Trochère, das ist nicht immer nur so recht einfach für die armen Teufel, nach anderswo zu gehen … Und sie könnten bei einer gegenseitigen Verständigung auch eine Aufbesserung erlangen, ohne genötigt zu sein, ihren Wohnort zu wechseln.«

»Pah! wartet das erst ab, jawohl, bis die Bauern den Herren die Gesetze machen. In unseren Tagen ist keiner unglücklich, der arbeitet und sich gut führt. Was ich bin und meine Pachtbauern, wir verdienen alle Geld! Ihr wißt etwas darüber: Die Couturier, Eure Schwiegereltern, die würden sich nicht für zehntausend Franken den Kopf abhauen lassen …«

Das gerötete Gesicht des Bürgermeisters erglänzte in einem leichten, wohlwollend herablassenden Lächeln.

»Ich, wie ich da zu Euch spreche, bin ja auch nur ein Arbeiter, nicht wahr? Das verhindert nicht, daß diejenigen, die mich als einen Millionär ausgeben, nicht weit davon ab sind, recht zu haben …«

Er betrachtete mich jetzt von der Höhe seiner Million herab, und als er sich wohl aufgerichtet auf seinem sicheren Piedestal fühlte, waren auch sein Ärger und seine Ungeduld weg: Er hatte nichts mehr als eine etwas mißbilligende Heiterkeit an sich in bezug auf den armseligen Erdenwühler, der ich war.

Ich sah auf die Büste der Republik an der Wand, um mich, wie es mir dünkte, an dem entschlossenen, harten Gesicht dieser Gipsmegäre zu entflammen.

»Herr Trochère, Sie sind intelligent, gut begabt und die Umstände haben Sie begünstigt. Sie wären indessen niemals reich geworden, wenn nicht andere für Sie gearbeitet hätten …«

Und, meiner Seele, ich hatte sodann den Mut, ihm Auge in Auge zu sagen, daß diese Geschäfte mit nichten einen Zusammenhang mit der Arbeit hätten, die Arbeit wäre an sich moralisch und ehrenwert, wenn bei der Sache, wie es im Lande heißt, Essen und Trinken herauskäme. Ich sagte ihm noch, daß der Handarbeiter durchaus keine Gefahr liefe, Millionär zu werden, ja selbst nur bescheidene Ersparnisse zu machen.

Mit einem Male verließ ihn sein Phlegma, er fing wieder an, sich zu erregen, und die Adern an seinen Schläfen zeichneten sich violett auf seinem schon sowieso übermäßig roten Gesicht ab. Er wurde jetzt ernstlich böse:

»Na aber, Ihr wißt wohl nicht mehr, was Ihr sagt … Euch hat wohl schlechte Lektüre den Kopf ganz und gar verdreht … Nichts weiter als Zwietracht und Gehässigkeit werdet Ihr in unser friedliches Land säen. Ihr werdet wohl der erste sein, der darunter zu leiden haben wird, aber bedauern werd ich Euch nicht, Ihr habt es so gewollt! Andere arme Teufel, denen Ihr den Nacken gesteift habt, werden auch daran glauben müssen: um so schlimmer für sie! Das ist ihnen dann aber eine Lehre für die Zukunft.«

Darauf ließ seine Aufregung nach, und mit einer ganz natürlichen Stimme fügte er noch folgenden Satz hinzu, der ziemlich nichtssagend unsere Unterredung abschloß:

»Na schön, abgemacht, ich werd denn tun, was nötig ist für Euren Papierkram …«

Ich verabschiedete mich auf dieses Versprechen hin.

Es war um die Nachmittagsstunde, Marthe André, der ich die Geschichte erzählte, beglückwünschte mich:

»Trochère, der ist ein alter Scheinheiliger, ein alter Betrüger. Du hast daran gut getan, ihm ein paar Wahrheiten ins Gesicht zu speien … Ich weiß mehr, als wie ich dir sagen will, was auf seine Rechnung kommt. Was aber die armen Leute anbetrifft, wenn du dein Teil dazu tun kannst, sie glücklicher zu machen, dann muß dir deine Mühe nicht leid tun. Das kann ich dir versichern, die sind es sicherlich nicht, die die guten Stücke Fleisch aus der Schlachterei wegholen; für sie sind selbst die Würstchen schon ein großer Luxus … Manches Mal kommen welche zu uns, ehrliche alte Leutchen, die dem Alten ein paar Schweine anbieten wollen, oder ihr Geld abholen für diejenigen, die sie ihm verkauft haben, und dann kommen sie ins Erzählen über ihr Elend, das ist dann oft traurig zum Weinen! … Hab du nur Mut, mein Lieber! Das ist schon schön, was du da tust … Und eines Tages wird man dein Verdienst anerkennen. Stolz bin ich auf dich, du, weißt du, das bin ich wirklich, als deine ältere Schwester, nicht du? … Und wenn sich mir da einer erlaubt, dich zu bekritteln oder leichthin von deinem Werk zu sprechen, wenn du das wüßtest, wie ich dich dann verteidige!«

Die Worte, die mir Marthe sagte, waren mir teuer.


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