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24. Kapitel

Aus entfernten Provinzen, und selbst von Paris, bekam ich hin und wieder Briefe. Und das nicht nur Geschäftsschreiben von Maklern oder Großkaufleuten, die mir ihre Waren anboten, sondern auch von Leuten, die schon unser Versuch, allein eine Genossenschaft zu gründen, von deren Vorhandensein sie durch einen Zufall erfahren hatten, neugierig gemacht hatte. Sie wünschten aufs genaueste durch Belege unterrichtet zu werden.

Ich empfing Briefe von Männern der Politik sowie von Arbeitern, die eine Kampfpropaganda führten, von Volkswirtschaftlern, Journalisten, und selbst von einem Lizentiat der Rechte, dem daran gelegen war, einen besonders eigenartigen Stoff für sein Doktorreferat zu finden.

Und ihr kamet mir alle recht, ihr vielen kleinen Briefe, die ihr von weit her zu mir, in mein bescheidenes Bauernhaus, in mein einfaches Haus der Arbeit, den Weg fandet; aber ich öffnete euch ungeachtet dessen doch nicht ohne ein Gefühl der Erregung, und diese Erregung ging in gelinde Verwirrung und ein Gefühl ängstlichen Respektes über, wenn der Briefschreiber sich als einer erwies, dessen Namen man in den Zeitungen vorfindet und dessen unbekannte Persönlichkeit dadurch, unter dem Nimbus eines solchen Glanzes, einen besonderen Ausdruck erhält. Ihr waret mir willkommen, denn meistenteils brachtet ihr mir freundliche Vorschläge, Glückwünsche, Bekräftigungen, aber ihr kamet mir dennoch ungelegen …

Recht ungelegen sogar, weil ihr mir Fragen stelltet, auf die es nicht immer leicht war zu antworten. Ihr verlangtet von mir genaue Angaben über das Syndikat, wolltet die Aussichten für seine Zukunft und Einzelheiten über das wirtschaftliche Leben des Kreises haben. Und ich hatte meine Felder zu bestellen, meine Wiesen instand zu halten, meinen Garten zu besäen, mein Vieh zu besorgen, und ich hatte im Hause meine kränkliche Frau, und mein Kind noch in der Wiege, und die Alltagssorgen lasteten auf dem Werk, dessen Führer ich war. Ich lebte nicht von meinem Apostelamt wie der Priester vom Ertrag des Altares, ich lebte wie die Kameraden, von der Arbeit meiner Hände, und das Apostelamt kam noch hinzu …

Ich hielt trotz allem darauf, eine gewissenhafte Antwort zu geben und mich des Bildes würdig zu zeigen, das ihr euch in Gedanken von mir gemacht hattet, meine werten Briefschreiber.

Aber wie fühlte ich mich unbeholfen, gegenüber euch, so erfahrenen und geschickten Leuten. Als Grundlage hatten meine sieben armseligen Volksschuljahre recht wenig zu bedeuten; und ungeachtet der seitdem erworbenen Erfahrungen, ungeachtet meiner Zeitungsaufsätze und meiner Broschüren fühlte ich mich, wenn es sich darum handelte etwas aufzusetzen, unbeholfen und niemals meiner selbst so sicher, um mich auf mich selbst verlassen zu können. Im Zweifel über die Rechtschreibung eines Wortes oder über die Konjugation eines Verbums, zog ich jeden Augenblick das Wörterbuch und die Grammatik zu Rat, und oft strich ich noch manches aus, aus Angst, einen falschen Satz oder eine zweifelhafte Redewendung gelassen zu haben.

Es war überhaupt meist schon Abend, wenn ich mich an die Arbeit setzte. Die Arbeit eines langen Frühlingstages lastete auf meinem Körper, und das Gehirn war schwerfällig wie meine Glieder. Mehr wie einmal mußte ich, um gegen die Schläfrigkeit anzugehen, mich in die Backe, in den Nacken, in die Lenden oder in die Handfläche kneifen, auch meine träge gewordene Stirne mit Wasser begießen.

Aber ich bin euch darum doch nicht gram, all ihr lieben Briefe aus Paris und von anderswo, ich fluche euch nicht wegen der Anstrengungen, die ihr mir gekostet habt, wegen der Schlummerstunden, die so nötig für mich waren, und die zu verlieren ihr mich zwangt; denn trotz alledem habt ihr in mir ein großes Freudegefühl geweckt. Es gibt aber welche, die euch gründlich hassen. Zuerst meine Frau, dann der Briefträger Mejasson, der dadurch gezwungen war, jeden Tag nach la Fayt hinauszukommen, und der darüber knurrte, weil dadurch sein gewohnter Rundgang in Unordnung gebracht wurde. Alles, was enger oder entfernter mit dem Syndikat in Verbindung stand, erbitterte Jeanne. Und dieses Gefühl steigerte sich noch, wenn sie mit ihrer Mutter oder einem der Ihren darüber sprach. Sie trug mir meine erzwungene Sonntagsabwesenheit nach und die Stunden, die ich über meiner Zeitung an den Abenden der Woche verbrachte. Sie grollte mir wegen dieser Stunden, die ich mir von der Zeit der täglichen Arbeit und den Stunden der Erholung raubte. Sie war immer müde und zart, sicherlich auch etwas bleichsüchtig und neurasthenisch. Seit dem Weggang der Schwester hatte sie viel Mühe, den ganzen Tag lang ohne Unterlaß damit beschäftigt zu sein, auf das Kind zu passen und sich den nötigen Arbeiten zu unterziehen. Und am Abend, wenn Maurice, der eingeschlafen war, sie nicht mehr brauchte, blieben ihr immer noch eine ganze Menge Dinge zu tun übrig. Sie sagte dann:

»Ich bin müde, so müde, daß ich nicht mehr die Glieder rühren kann und vergehe fast vor Schläfrigkeit. Aber ich habe wohl noch gut zwei Stunden zu flicken. Die Nachbarin, die Mutter Duplessis, hat mir neulich erzählt, daß ihr Mann, als die Kinder ganz klein waren, ihr viel im Hausstand geholfen hätte; aber du … wenn du nur an deine Herren in Paris schreiben kannst …«

Und, meine werten Briefempfänger, ihr werdet euch nie diesen Ton höchster Verachtung vorstellen können, den sie in diese Worte hineinlegte …

Sie sagte dann noch:

»Weißt du, was ich da der Mutter Duplessis geantwortet habe? Nun, da habt ihr eben Glück gehabt, der Meine schreibt wie ein Notar, aber was er da schreibt, hat nicht so viel Wert, wie das Gekritzel der Notare. Er bekommt nicht einen Pfennig dafür bezahlt, aber das beschäftigt ihn, da hat er denn auch keine Zeit, mir zu helfen. Im Gegenteil, er schiebt mir Arbeit zu so viel er kann, und oft kommen noch die einen und die anderen, um ihn zu sehen, alles das nimmt ihm die Zeit weg und stört! Die Nachbarin findet, daß ich sehr zu bedauern bin. Was mich tröstet ist, daß ich nicht mehr lange zu leben habe: ich bin erschöpft, und bei dem ewigen Ärger, den ich mir jeden Tag zuziehen muß, halt ich es nicht mehr lange aus!«

Als ob ich danach noch hätte froh sein können …


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