Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen
1. Buch 3. Kapitel
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

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Das zehnte Kapitel

Courasche erfährt, wer ihre Eltern gewesen, und freiet wieder
einen andern Hauptmann.

Aber ich hätte lang harren müssen, bis mir etwas Rechts angebissen, denn die guten Geschlechter verblieben bei Ihresgleichen, und was sonst reich war, konnte auch reiche und schöne und vornehmlich (welches man damals noch in etwas beobachtete) auch ehrliche Jungfrauen zu Weibern haben, also daß sie nicht bedorften, sich an eine verlassene Soldatenhur zu henken. Hingegen waren etliche, die entweder Banquerot gemacht hatten oder bald zu machen gedachten; die wollten zwar mein Geld, ich wollte aber darum sie nicht. Die Handwerksleut waren mir ohnedas zu schlecht. Und damit blieb ich ein ganz Jahr sitzen, welches mir länger zu gedulden gar schwer und ganz wider die Natur war, sintemal ich von den guten Sachen, die ich genoß, ganz kützelig wurde. Denn ich brauchte mein Geld, so ich hie und dort in den großen Städten hatte, um den Kauf- und Wechselherren zuzeiten beizuschießen, daraus ich so ein ehrlich Gewinnchen erhielt, daß ich ziemlich gute Tag davon haben konnte und nichts von der Hauptsumma verzehren dorfte. Weil es mir dann an einem andern Ort mangelte und meine schwachen Beine diese gute Sache nicht mehr ertragen konnten oder wollten, machte ich mein Geld per Wechsel auf Prag, mich selbst aber mit etlichen Kaufherren hernach und suchte Zuflucht bei meiner Kostfrauen zu Bragoditz, ob mir vielleicht alldorten ein besser Glück anstehen möchte. Dieselbe fand ich gar arm, ärmer weder ich sie verlassen, denn der Krieg hatte sie nit allein sehr verderbt, sondern sie hatte auch allbereit vor dem Krieg mit mir, und nit ich mit ihr gezehret. Sie freuete sich meiner Ankunft gar sehr, vornehmlich als sie sah, daß ich nicht mit leerer Hand angestochen kam; ihr erstes Willkommenheißen aber war doch lauter Weinen; und indem sie mich küßte, nennete sie mich zugleich ein unglückseliges Fräulin, welches schwerlich würde sein Leben und Stand seinem Herkommen gemäß führen mögen, mit fernerem Anhang, daß sie mir fürderhin nit mehr wie vor diesem zu helfen, zu raten und vorzustehen wisse, weil meine besten Freund und Verwandten entweder verjagt oder gar tot wären.

Und überdas sagte sie, würde ich mich schwerlich vor den Kaiserlichen dörfen sehen lassen, wann sie meinen Ursprung wissen wollten.

Und damit heulete sie immer fort, also daß ich mich in ihre Rede nicht richten, noch begreifen konnte, ob es gehauen oder gestochen, gebrannt oder gebohrt wäre. Da ich sie aber mit Essen und Trinken (denn die gute Tröpfin mußte den jämmerlichen Schmalhansen in ihrem Quartier beherbergen) wiederum gelabt und also zurecht gebracht, daß sie schier ein Tummel hatte, erzählte sie mir mein Herkommen gar offenherzig und sagte, daß mein natürlicher Vatter ein Graf und vor wenig Jahren der gewaltigste Herr im ganzen Königreich gewesen, nunmehr aber wegen seiner Rebellion wider den Kaiser des Lands vertrieben worden und, wie die Zeitungen mitgebracht, jetzunder an der türkischen Pforten sei, allda er auch sogar seine christliche Religion in die türkische verändert haben solle. Meine Mutter, sagte sie, sei zwar von ehrlichem Geschlecht geboren, aber ebenso arm als schön gewesen. Sie hätte sich bei des gedachten Grafen Gemahlin als Staatsjungfer aufgehalten, und indem sie der Gräfin aufgewartet, wäre der Graf selbst ihr Leibeigener worden und hätte solche Dienste getrieben, bis er sie auf einen adeligen Sitz verschafft, da sie mit mir niederkommen sei; und weil eben damals sie, meine Kostfrau, auch einen jungen Sohn entwöhnet, den sie mit desselbigen Schlosses Edelmann erzeugt, hätte sie meine Säugamme werden und mich folgends zu Bragoditz adelig auferziehen müssen, worzu dann beides Vatter und Mutter genugsame Mittel und Unterhaltung hergaben. »Ihr seid zwar, liebes Fräulin«, sagte sie ferner, »einem tapferen Edelmann von euerem Vatter versprochen worden, derselbe ist aber bei Eroberung von Pilsen gefangen und als ein Meineidiger neben andern mehr durch die Kaiserlichen aufgehenkt worden.«

Also erfuhr ich, was ich vorlängst zu wissen gewünscht, und wünschte doch nunmehr, daß ichs niemal erfahren hätte; sintemal ich so schlechten Nutzen von meiner hohen Geburt zu hoffen. Und weil ich keinen andern und bessern Rat wußte, so machte ich einen Accord mit meiner Säugamm, daß sie hinfort meine Mutter und ich ihre Tochter sein solle. Sie war viel schlauer als ich, derowegen zog ich auch auf ihren Rat mit ihr von Bragoditz auf Prag; nicht allein zwar, daß wir den Bekannten aus den Augen kämen, sondern zu sehen, ob uns vielleicht alldorten ein anders Glück anscheinen möchte. Im übrigen so waren wir recht für einander, nicht daß sie hätte kupplen und ich huren sollen, sondern weil sie eine Ernährerin, ich aber eine getreue Person bedorfte, gleichwie diese eine gewesen, der ich Ehr und Gut vertrauen konnte. Ich hatte ohne Kleider und Geschmuck bei 3000 Reichstaler baar Geld beieinander und dannenhero damals keine Ursach, durch schändlichen Gewinn meine Nahrung zu suchen. Meine neue Mutter kleidete ich wie eine ehrbare alte Matron, hielt sie selbst in großen Ehren und erzeigte ihr vor den Leuten allen Gehorsam. Wir gaben uns für Leute aus, die auf der teutschen Grenz durch den Krieg vertrieben worden wären, suchten unseren Gewinn mit Nähen, auch Gold- Silber- und Seidensticken, und hielten uns im übrigen gar still und eingezogen, meine Batzen genau zusammen haltend, weil man solche zu vertun pflegt, ehe mans vermeint, und deren keine anderen kann gewinnen, wenn man gern wollte.

Nun, dies wäre ein feines Leben gewest, das wir führten, ja gleichsam ein klösterliches, wann uns nur die Beständigkeit nicht abgegangen wäre. Ich bekam bald Buhler; etliche suchten mich wie das Frauenzimmer im Bordell, und andere Tropfen, die mir meine Ehre nit zu bezahlen getrauten, sagten mir viel vom Heuraten; beide Teile aber wollten mich bereden, sie würden durch die grausame Liebe, die sie zu mir trügen, zu ihren Begierden angespornet. Ich hätte aber keinem geglaubt, wann ich selbst ein keusche Ader in mir gehabt. Es ging halt nach dem alten Sprichwort: Gleich und gleich gesellt sich gern; denn gleich wie man sagt, das Stroh in den Schuhen, eine Spindel im Sack und eine Hur im Haus läßt sich nicht verbergen, also wurde ich auch gleich bekannt und wegen meiner Schönheit überall berühmt. Dannenhero bekamen wir viel zu stricken, und unter anderem von einem Hauptmann ein Wehrgehenk, welcher vorgab, daß er vor Liebe in den letzten Zügen läge. Hingegen wußte ich ihm von der Keuschheit so einen Haufen aufzuschneiden, daß er sich stellte, als wolle er gar verzweifeln; denn ich ermaß die Beschaffenheit und das Vermögen meiner Kunden nach der Regul meines Wirts zum Goldenen Löwen zu N. Dieser sagte: »Wann mir ein Gast kommt und gar zu unmäßig viel höflicher Complimenten macht, so ist das ein gewisse Anzeigung, daß er entweder nicht viel zum besten, oder sonst nicht im Sinn hat, viel zu vergeben; kommt aber einer mit Trutzen und nimmt die Einkehr bei mir gleichsam mit Pochen und einer herrischen Botmäßigkeit, so gedenke ich: holla, diesem Kerl ist der Beutel geschwollen, den mußt du schröpfen! Also traktiere ich die Höflichen mit Gegenhöflichkeit, damit sie mich und meine Herberg anderwärts loben, die Schnarcher aber mit allem, das sie begehren, damit ich Ursach habe, ihren Beutel rechtschaffen zu actioniren.« Indem ich nun diesen meinen Hauptmann hielt wie dieser Wirt seine höflichen Gäst, als hielt er mich hingegen, wo nicht gar für einen halben Engel, jedoch wenigst für ein Muster und Ebenbild der Keuschheit, ja schier für die Frommheit selbsten. In Summa er kam so weit, daß er von der Verehlichung mit mir anfing zu schwätzen, und ließ auch nicht nach, bis er das Jawort erhielt. Die Heuratspunkte waren diese, daß ich ihm 1000 Reichstaler bar Geld zubringen, er aber hingegen mich in Teutschland in seiner Heimat um dieselbigen versichern solle, damit, wann er vor mir ohne Erben sterben sollte, ich deren wieder habhaft werden könnte; die übrigen 2000 Reichstaler, die ich noch hätte, sollten an ein gewiß Ort auf Zins gelegt und in stehender Ehe die Zins von meinem Hauptmann genossen werden, das Capital aber ohnverändert bleiben, bis wir Erben hätten; auch sollte ich Macht haben, wann ich ohne Erben stürbe, mein ganz Vermögen, darunter auch die 1000 Reichstaler verstanden, die ich ihm zugebracht, hin zu vertestieren wohin ich wollte etc. Demnach wurde die Hochzeit gehalten, und als wir vermeinten, so lang der Krieg währete, zu Prag bei einander in der Guarnison gleich wie im Frieden in Ruhe zu leben, siehe, da kam Ordre, daß wir nach Holstein in den Dänemärkischen Krieg marschiern müßten.


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