Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen
1. Buch 3. Kapitel
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

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Das erste Kapitel

Gründlicher und notwendiger Vorbericht,
wem zu Liebe und Gefallen
und aus was dringenden Ursachen
die alte Erzbetrügerin Landstörzerin
und Zigeunerin Courasche ihren wundernswürdigen
und recht seltsamen Lebenslauf erzählet
und der ganzen Welt vor die Augen stellet.

Ja! – werdet ihr sagen, ihr Herren – wer sollte wohl gemeint haben, daß sich die alte Schell einmal unterstehen würde, dem künftigen Zorn Gottes zu entrinnen? Aber was wollt darvor sein! Sie muß wohl; denn das Gumpen ihrer Jugend hat sich geendigt, ihr Mutwill und Vorwitz hat sich gelegt, ihr beschwertes und geängstigtes Gewissen ist aufgewacht, und das verdrossene Alter hat sich bei ihr eingestellt, welches sich schämet ihre vorigen überhäuften Torheiten länger zu treiben und die begangenen Stück länger im Herzen verschlossen zu tragen ein Ekel und Abscheu hat. Das alte Rabenaas fähet einmal an zu sehen und zu fühlen, daß der gewisse Tod nächstens bei ihr anklopfen werde, ihr den letzten Abdruck abzunötigen, vermittelst dessen sie unumgänglich in ein andere Welt verreisen und von allem ihrem hiesigen Tun und Lassen genaue Rechenschaft geben muß. Darum beginnet sie im Angesicht der ganzen Welt ihren alten Esel von überhäufter Last seiner Beschwerden zu entladen, ob sie vielleicht sich um so viel erleichtern möchte, daß sie Hoffnung schöpfen könnte, noch endlich die himmlische Barmherzigkeit zu erlangen.

Ja, ihr liebe Herren, das werdet ihr sagen. Andere aber werden gedenken: Sollte sich die Courasche wohl einbilden dörfen, ihre alte zusammengerumpelte Haut wieder weiß zu machen, die sie in der Jugend mit französischer Grindsalb, folgends mit allerhand italian- und spanischer Schminke und endlich mit egyptischer Läussalben und vielem Gänsschmalz geschmieret, beim Feuer schwarz geräuchert und so oft eine andere Farbe anzunehmen gezwungen? Sollte sie wohl vermeinen, sie werde die eingewurzelten Runzeln ihrer lasterhaften Stirn austilgen und sie wiederum in den glatten Stand ihrer ersten Unschuld bringen, wann sie dergestalt ihre Bubenstück und begangenen Laster berichtsweis daher erzählet, um sie von ihrem Herzen zu räumen? Sollte wohl diese alte Vettel jetzt, da sie alle beide Füße bereits im Grab hat, wann sie anders würdig ist eines Grabs teilhaftig zu werden, diese Alte – werdet ihr sagen –, die sich ihr Lebtag in allerhand Schand und Lastern umgewälzt und mit mehrern Missetaten als Jahren, mit mehrern Hurenstücken als Monaten, mit mehrern Diebsgriffen als Wochen, mit mehrern Todsünden als Tagen und mit mehrern gemeinen Sünden als Stunden beladen, der, so alt sie auch ist, noch niemal keine Bekehrung in Sinn kommen, sollte die sich unterstehen, sich mit Gott zu versöhnen? Vermeinet sie wohl, anjetzo noch zurecht zu kommen, da sie allbereit in ihrem Gewissen anfähet mehr höllische Pein und Marter auszustehen, als sie ihre Tage Wollüste genossen und empfunden? Ja, wann diese unnütze abgelebte Last der Erden neben solchen Wollüsten sich nicht auch in andern allerhand Erzlastern herum gewälzt, ja gar in der Bosheit allertiefsten Abgrund begeben und versenkt hätte, so möchte sie noch wohl ein wenig Hoffnung zu fassen die Gnad haben können.

Ja, ihr Herren, das werdet ihr sagen, das werdet ihr gedenken, und also werdet ihr euch über mich verwundern, wann euch die Zeitung von dieser meiner Haupt- oder Generalbeicht zu Ohren kommt. Und wann ich solches erfahre, so werde ich meines Altern vergessen und mich entweder wieder jung oder gar zu Stücken lachen.

Warum das, Courasche? Warum wirst du also lachen?

Darum, daß ihr vermeinet, ein altes Weib, die des Lebens so lange Zeit wohl gewohnet und die sich einbildet, die Seele seie ihr gleichsam angewachsen, gedenke an das Sterben; eine solche, wie ihr wisset, daß ich bin und mein Lebtag gewesen, gedenke an die Bekehrung, und diejenige, so ihren ganzen Lebenslauf, wie mir die Pfaffen zusprechen, der Höllen zugerichtet, gedenke nun erst an den Himmel! Ich bekenne unverhohlen, daß ich mich auf solche Hinreis, wie mich die Pfaffen überreden wollen, nicht rüsten, noch dem, was mich ihrem Vorgeben nach verhindert, völlig zu resigniern hab entschließen können, als worzu ich ein Stück zu wenig, hingegen aber etlicher, vornehmlich aber zweier zu viel habe. Das, so mir manglet, ist die Reu, und was mir manglen sollte, ist der Geiz und der Neid. Wann ich aber meinen Klumpen Gold, den ich mit Gefahr Leib und Lebens, ja, wie mir gesagt wird, mit Verlust der Seligkeit zusammen geraspelt, so sehr haßte, als ich meinen Nebenmenschen neide, und meinen Nebenmenschen so hoch liebte als mein Geld, so möchte vielleicht die himmlische Gabe der Reue auch folgen. Ich weiß die Art der unterschiedlichen Alter eines jeden Weibsbilds und bestätige mit meinem Exempel, daß alte Hund schwerlich bändig zu machen. Die Cholera hat sich mit den Jahren bei mir vermehrt, und ich kann die Gall nicht herausnehmen, solche, wie der Metzger einen Säu-Magen, umzukehren und auszuputzen. Wie wollte ich dann dem Zorn widerstehen mögen? Wer will mir dies überhäufte Phlegma evacuirn und mich also von der Trägheit curiren? Wer benimmt mir die melancholische Feuchtigkeit und mit derselbigen die Neigung zum Neid? Wer wird mich überreden können, die Ducaten zu hassen, da ich doch aus langer Erfahrung weiß, daß sie aus Nöten erretten und der einzige Trost meines Alters sein können? Damal, damal, ihr Herrn Geistliche, wars Zeit, mich auf denjenigen Weg zu weisen, den ich euerm Rat nach jetzt erst antreten soll, als ich noch in der Blüt meiner Jugend und in dem Stand meiner Unschuld lebte; denn obgleich damals die gefährliche Zeit der kützelhaften Anfechtung anging, so wäre mir doch leichter gewesen, dem sanguinischen Antrieb, als jetzunter dem gewaltsamen Anlauf der übrigen drei ärgsten Feuchtigkeiten zu gleich zu widerstehen. Darum gehet hin zu solcher Jugend deren Herzen noch nicht, wie der Courasche, mit andern Bildnissen befleckt ist, und lehret, ermahnet, bittet, ja beschwöret sie, daß sie es aus Unbesonnenheit nimmermehr so weit soll kommen lassen, als die arme Courasche getan!

Aber höre, Courasche, wann du noch nicht im Sinn hast, dich zu bekehren, warum willst du dann deinen Lebenslauf beichtweis erzählen und aller Welt deine Laster offenbarn?

Das tue ich dem Simplicissimo zu Trutz, weil ich mich anderer Gestalt nicht an ihm rächen kann; denn nachdem dieser schlimme Vocativus mich im Saurbrunnen geschwängert (scilicet) und hernach durch einen spöttlichen Possen von sich geschafft, gehet er erst hin und ruft meine und seine eigne Schand vermittelst seiner schönen Lebensbeschreibung vor aller Welt aus. Aber ich will ihm jetzunter hingegen erzählen, mit was für einem ehrbarn Zobelchen er zu schaffen gehabt, damit er wisse, wessen er sich gerühmt, und vielleicht wünschet, daß er von unserer Histori allerdings still geschwiegen hätte; woraus aber die ganze ehrbare Welt abzunehmen, daß gemeiniglich Gaul als Gurr, Hurn und Buben eins Gelichters und keins um ein Haar besser als das ander sei.

Gleich und gleich gesellt sich gern, sprach der Teufel zum Kohler; und die Sünden und Sünder werden wiederum gemeiniglich durch Sünden und Sünder abgestraft.


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