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18. Capitel

Eisberge. Robbenschlagen. Welchen Dienst Jacobs seinem Lebensretter leistet.


In diesen Tagen trafen sie auf die ersten Eisberge, deren Nähe der Capitain schon längst vermuthet, da sich das Seewasser sowol als die Luft auffällig abgekühlt hatte. Carl, der nach oben geschickt war, um einen der Bootsteuerer im Ausguck abzulösen, entdeckte sie zuerst und schrie den gewöhnlichen Ruf »Land – ho!« hinunter an Deck, weil er nicht anders glaubte, als daß sie sich einer mit Schnee bedeckten Inselgruppe näherten. Das aber, was er für festes Ufer gehalten, wies sich bald als schwimmendes Eis aus, und ungeheure Massen lagen, als sie noch ein paar Stunden darauf zugesegelt waren, in ihrem Wege.

Diese Eisberge sind merkwürdige Gebilde der Natur, eine Art Spielzeug, das sich der Winter baut und zum Schwimmen, wie Knaben kleine Schiffe aus Nußschalen herrichten, auf die See setzt. Riesiges Spielzeug freilich, wenn man bedenkt, daß diese Eisberge oft mehrere hundert Fuß über die Oberfläche der See, und doch nur zu ihrem siebenten Theil emporragen. Je weiter sie dabei südlich kommen, oder je wärmer das Wetter wird und je mehr Thau und Wärme ihren Einfluß auf sie ausüben, desto wunderlichere Formen nehmen sie an, in Spitzen und Kuppen, in Höhlen, Spalten, Schluchten und überhängenden Massen, oft durch ihr Gewicht berstend oder zusammenstürzend, oft auch, wenn das Eis unter Wasser so weit wegschmilzt, um den obern Theil schwerer zu machen, sich mit furchtbarer Gewalt überschlagend. Immer aber sind das, so schön und großartig sie mit ihren schillernden Farben und ihrer durchsichtigen Krystallmasse aussehen, gefährliche Nachbarn für die Schiffe, denen sie schon oft den Untergang gebracht haben. Selbst sehr häufig unterwegs, wenn sie nicht am Lande festsitzen, treiben sie mit ziemlicher Schnelligkeit vorwärts, und ein in dunkler Nacht ansegelndes Schiff wäre verloren, wenn es nicht gute Wacht an Deck hielte und gegen einen solchen Koloß anrennte.

Noch gefährlicher fast für die, jene Meere befahrenden Schiffe sind die schwimmenden Eisfelder, weite Strecken losgethauten Eises, die oft eine große Meeresbreite einnehmen und, von verschiedenen Strömungen getrieben, gar nicht so selten etwa, mit furchtbarem Prasseln und Gekrach zusammenstoßen. Das unglückliche Fahrzeug, das in einem solchen Falle zwischen zwei derartige Eismassen geräth, ist rettungslos verloren und manche Mannschaft schon darüber zu Grunde gegangen.

Was aber wagt das kecke Menschenvolk nicht, den Elementen gegenüber, um seinen Willen durchzusetzen! So haben denn auch in den letzten Jahrzehnten kühne Männer diese Eismeere durchschifft, nicht um Wallfische zu fangen und Schätze anzusammeln, sondern allein der Wissenschaft wegen, um zu erfahren, ob das gewaltige amerikanische Festland im Norden mit Europa und Asien verbunden wäre und eine wirklich feste Masse bildete, oder ob ein Canal dazwischen existirte, der den Schiffen eine Durchfahrt aus dem Atlantischen in das Stille Meer gestattete, ohne sie zu zwingen, viele tausend Meilen südlich herum um Cap Horn zu segeln. Es ist dies die sogenannte »nordwestliche Durchfahrt,« nach der geforscht wurde, wo der unerschrockene Capitain Franklin bei dem Versuche erst vor wenigen Jahren mit seinen Schiffen dort verloren gegangen und umgekommen ist.

Einen weitern Zweck würde diese nordwestliche Durchfahrt übrigens gar nicht haben, obgleich durch neuere Reisen ziemlich fest bestätigt scheint, daß sie wirklich existirt, als eben nur zu bestimmen, daß Amerika von der alten Welt getrennt liegt, da die Passage der großen Eismassen und der höchst unsichern Fahrt wegen doch nie benutzt werden könnte.

Die Eisberge waren für Carl etwas ganz Neues. Er konnte sich kaum satt sehen an den wildmalerischen und kühnen Formen derselben, wie sie mit ihren geheimnißvollen Schluchten und Gängen, in der Sonne blitzend und alle Regenbogenfarben spielend, da vor ihm lagen, und er hätte viel darum gegeben, einen besteigen zu dürfen. Dazu aber war, für jetzt wenigstens, keine Aussicht, denn das Schiff that sein Möglichstes, um von ihnen fern zu bleiben. Wallfische wurden auch wieder ein paar Mal signalisirt, verschwanden aber, sobald die Boote Jagd auf sie machten.

Bitter kalt wurde indeß das Wetter, und obgleich mit dem Mai auch hier oben der Frühling beginnt, so zeigte sich die Jahreszeit doch keineswegs schon so weit vorgerückt, um Etwas von einer wärmeren Witterung zu spüren. Einige leichte Wolken, die im Westen heraufzogen, warfen ihnen sogar eine dünne Schicht Schnee aufs Verdeck.

Am nächsten Morgen wurde schon mit Sonnenaufgang der Ruf laut: »there she blows! – there she blows!« und zwar nach zwei verschiedenen Richtungen hin, und Land tauchte ebenfalls gerade vor ihnen auf, von dem die Leute meinten, daß es die Insel St. Lorenz sei. Die Boote wurden ohne Säumen nach den verschiedenen Richtungen hin abgesandt; Barthels' Boot wie das des vierten Harpunirers hatten ein gemeinsames Ziel, als ein anderer Fisch nicht weit von ihnen seinen Strahl ausblies und der Letztere lenkte scharf dorthin ab, um diesen verfolgen.

Das Boot, in dem sich unser junger Freund mit Jacobs und noch zwei anderen Matrosen, dem Harpunirer Barthels und dem Bootsteuerer Bill befand, hielt indessen seine Richtung ruhig dem zuerst gesichteten Wallfisch zu, dessen dunklen Körper sie noch immer dann und wann mit der Schwellung der See steigen und fallen sehen konnten.

»Bei Gott!« rief da Barthels endlich, der hinten einen erhöhten Stand und dadurch einen weitern Ueberblick über das vor ihnen liegende Wasser hatte, »ich glaube wahrhaftig, der Bursche schwimmt da todt herum und will uns um das Vergnügen der Jagd prellen.«

»Liegt er noch immer ruhig?« fragte der Bootsteuerer, der jetzt auch vorn auf die Back des Bootes getreten war.

»Wie ein Stück Holz,« sagte der Harpunirer; »rudert zu, meine Burschen, das ist diesmal leichte Arbeit, und ein anderes Schiff hat uns die Mühe erspart, hinter dem schwarzen Gesell lange her zu hetzen.«

Die Leute legten sich mit gutem Willen in die Ruder und erreichten bald die Stelle, wo in der That ein geworfener und verendeter, ziemlich großer Wallfisch auf dem Wasser schwamm, der von dem Boote als gute Beute in Besitz genommen wurde. Es gilt das als ein stillschweigendes Gesetz unter den Wallfischfängern, daß ein getödteter Fisch, wenn er nicht eine kleine Flagge oder ein sonstiges Zeichen des Schiffes, dessen Mannschaft ihn erlegt hat, an sich trägt, dem Finder gehört, selbst wenn später das Fahrzeug, von dem aus er geworfen worden, dazu kommen sollte. Um ihn aber nicht wieder zu verlieren, so beschloß Barthels, da der Kamehameha den anderen Booten nachgesegelt war, mit seinem Boote so lange bei dem Fisch oder wenigstens in unmittelbarer Nähe desselben zu bleiben, bis sie abgeholt würden. Sie stießen deshalb die kleine mitgebrachte Flagge in die Haut des schwarzen fetten Körpers, nahmen die Riemen oder Ruder ein und lehnten, nach bester Bequemlichkeit, im Boote umher, die Zeit zu erwarten, in der das Schiff sie von ihrer Wacht ablösen würde.

Unfern von ihnen lag oder trieb ein breites Eisfeld, das einen ziemlich hohen Eisberg mit flachem, tafelförmigem Gipfel umschlossen zu haben schien, und eine Anzahl Robben oder Seehunde, die sich darauf sonnten und faul und lässig umhertrieben, konnte die Bootsmannschaft mit bloßen Augen erkennen. Barthels hatte ein kleines Teleskop bei sich und betrachtete sich eine ganze Weile die schläfrigen Burschen, und Carl wäre gar so gern hinübergegangen, das Eisfeld zu besuchen und zu sehen, wie es sich einmal wieder auf einer Art festem Grund und Boden, und wenn es nur Eis wäre, marschirte. Der Harpunirer wollte aber den Fisch nicht gern verlassen, da das Schiff immer und immer noch nicht nach ihnen zu hielt, ja sich eher noch weiter von ihnen entfernte. Da wurde ihm das Warten doch auch zu langweilig. Nun geben die Robben nicht allein eine Kleinigkeit Thran, sondern ihre Felle sind auch gut und werthvoll, und da die Leute doch weiter Nichts zu thun als eben nur zu warten hatten, so beschloß der Harpunirer, dem keine fünfhundert Schritt von ihnen entfernten Eisfeld zuzurudern, von wo aus sie den todten Wallfisch fortwährend im Auge behalten konnten, und sich indessen da drüben, so gut es eben gehen wollte, zu amusiren.

Den Leuten kam der Befehl ebenfalls erwünscht genug, denn das langweilige Daliegen hatten sie satt. Jeder suchte sich jetzt eine Wehr zu verschaffen, um die in Sicht gekommene Beute zu erlegen, und Barthels zog den schweren eichenen Stiel aus einer der Harpunen, um ihn als Keule gegen die Robben zu gebrauchen, während die übrigen Matrosen sich ebenfalls theils mit den beiden Beilen, theils mit den andern Harpunenstielen bewaffneten, die Seehunde auf die Nase zu schlagen, und dadurch am leichtesten zu tödten. Carl blieb weiter Nichts übrig, als, wenn er sich ebenfalls bewaffnen wollte, eine der Wallfischlanzen mitzunehmen, denn ohne Etwas in der Hand zu haben, womit er sich vertheidigen oder angreifen konnte, mochte er das weite Eisfeld nicht betreten.

Dies lag übrigens weiter entfernt, als sie im Anfang geglaubt hatten, denn die Entfernung auf dem Wasser trügt ungemein. Sie mußten bis zu den ersten Eisklippen eine gute Viertelstunde rudern. Hier nun wurde Einer der Leute bei dem Boot und mit dem bestimmten Auftrag zurückgelassen, den Wallfisch ebenfalls nicht aus den Augen zu verlieren, während die Uebrigen ausgingen, Robben zu schlagen.

Die Robben hatten indessen ruhig die Ankunft der ihnen so gefährlichen Feinde erwartet und einzelne sich nur auf ihren langen Flossen emporgehoben, um mit den dummen Gesichtern und großen Augen nach dem sonderbaren Besuch hinüberzusehen, bis sie denn Barthels belehrte, daß es jedenfalls vorteilhafter für sie gewesen wäre, heute Nachmittag einmal nicht zu schlafen, indem er dem ersten, der sich gegen ihn aufrichtete und ihn anknurrte, mit seinem Harpunenstiele einen so gut gezielten und tödtlichen Hieb über die Nase versetzte, daß er ihn leblos zu Boden streckte. Die anderen Matrosen fielen jetzt ebenfalls über die armen Thiere her, von denen ein Theil etwas spät daran dachte, lieber ins Wasser zu gehen, als sich hier auf solche Art behandeln zu lassen, schnitten ihnen den Rückzug ab und erlegten einige zwanzig Stück, ehe die übrigen entkamen.

Carl tödtete ein paar mit seiner Lanze, aber die armen Thiere, die ihnen so ganz wehrlos entgegenstanden, thaten ihm leid. Er sah zuletzt lieber dem Schlachten zu, statt selber wieder mit Hand anzulegen, und rettete dadurch vielleicht vier oder fünf von ihnen das Leben.

Etwa zwei oder dreihundert Schritt von ihnen entfernt, erhob sich, mitten aus dem Eisfeld heraus, und von diesem vollkommen eingeschlossen, der schon vorerwähnte Eisberg vielleicht hundert und fünfzig Fuß über der Meeresfläche. Während Barthels jetzt unten bei den Leuten blieb, um das Abstreifen der getödteten Robben zu überwachen, deren Felle sie in ihrem Boote mitnehmen wollten, schickte er Carl und Jacobs auf den Gipfel des mit Schnee bedeckten Eisberges, um von da aus nach dem Schiffe und den übrigen Booten auszusehen und wo möglich ein Zeichen zu geben, daß sie sich in dieser Gegend befänden.

Jacobs hatte seit jenem letzten Fluchtversuch kein Wort wieder mit Carl gewechselt und ihm nur, als er an Bord zurückgebracht wurde, einen so finstern, boshaften und drohenden Blick zugeworfen, daß der Knabe wol fühlte, woran er mit dem bösen Menschen war. Sich aber nichts Böses bewußt und seine Pflicht erfüllend, so viel das in seinen Kräften stand, kümmerte er sich auch, nicht weiter um ihn. Wollte der Mann so undankbar für das gerettete Leben sein, gut, dann mochte er das mit sich selber ausmachen. Jede andere Begleitung wäre ihm hier auf diesem Marsche deshalb freilich lieber gewesen. Der Bursche war ihm aber einmal zugegeben, und die Beiden wanderten schweigend neben einander hin.

Der Eisberg war gerade von dieser Seite nicht besonders schwer zu erklettern, da er leise aufdachend bis zum Gipfel hinauslief und mit einer vielleicht sechs Zoll dicken Schneeschicht dem Fuße festen Halt bot. Die einzige Schwierigkeit boten schmale, hineingerissene Spalten, über die sie wegspringen mußten, und die, dunkel gähnend zu einer häßlichen Tiefe führend, unter ihnen lagen. Sie waren aber nicht breit, und der gerissene Schnee verrieth die Stellen immer zeitig genug. Da diese überall an den Rändern sich auszackten, so wurde den Wanderern bis dahin noch immer die Aussicht nach der Gegend, in der sie das Schiff wußten, versperrt, bis sie den höchsten Punkt des Berges, eine kleine Fläche von vielleicht dreißig Schritten im Durchmesser, erreichten, von wo sie nicht allein den Kamehameha deutlich erkennen konnten, der seinen Cours nach ihnen zu hielt, sondern auch eines von ihren Booten sahen, das auf der andern Seite des Eisbergs Jagd auf einen Wal machte.

Carl stand viele Minuten lang in den Anblick versunken, und ein lebendigeres, wilderes Bild ließ sich auch nicht denken, als ihm der Berg hier bot. Links die mit dem Abstreifen der Robben beschäftigten Leute, weit voraus das Schiff, welches alle Segel gesetzt hatte und durch eine Zahl schwimmender Eisberge seine Bahn zu ihnen herüber suchte, rechts wieder die Jagd des Bootes hinter dem schnaubenden, schäumenden Koloß her, und zu seinen Füßen, wo der Eisberg in schräger, wol vierzig Fuß hoher Wand ziemlich abschüssig niederlief, die krystallene Fläche, auf der die Abendsonne ihre tausend und abertausend Lichter wiederspiegelte.

»Wie wunderschön das hier aussieht!« rief Carl, dem das Herz zu voll war von dem herrlichen Anblick, um es so ganz lautlos empfinden zu können. »Welche Pracht und Größe in Gottes Schöpfung, selbst in den starren Eismassen, die uns so nackt und kahl erst vorkamen!«

»Hol' der Teufel die Schönheit!« brummte Jacobs als Antwort zurück, »denn jetzt geht die Schinderei mit dem Einschneiden wieder los, daß Einem die Finger fast wegfrieren bei der Kälte. Das ist ein Leben! den ganzen Tag und die ganze Nacht mit dem stinkigen Speck zu wirthschaften, wo man jetzt könnte – Höll' und Verdammniß! mir läuft die Galle noch über, wenn ich daran zurückdenke.« –

Carl wußte recht gut, was er meinte, mochte aber den Punkt nicht weiter berühren und trat etwas näher an den Abhang hinan, um dort hinunterzusehen.

»Was ist das?« rief er da plötzlich mit leiser, unterdrückter Stimme, niederdeutend, wo sich ein schmutzig weißer Körper, dessen Umrisse er nicht recht klar unterscheiden konnte, erkennen ließ – »was ist das drunten, Jacobs – – sehen Sie dort?«

»Alle Wetter!« brummte der Matrose leise vor sich hin, und warf einen raschen, scheuen Blick umher, sich erst einmal davon zu überzeugen, daß man vom Boote unten nicht sehen konnte, was sie hier oben machten, »das ist ein Eisbär, so wahr ich Jacobs heiße, und der Bursche hat sich dort in die Sonne zum Trocknen gelegt.

»Ein Eisbär?« rief Carl, bei dem die Jagdlust stärker als je erwachte, und der keine Ahnung hatte, was für ein fürchterlicher Feind ein solcher Bursche sein kann, wenn er gerade hungrig ist oder gereizt wird – »oh! wenn man da hinunter kommen könnte!«

»Nimm Dich in Acht, daß Du nicht fällst,« rief da Jacobs plötzlich, die Hand nach der Schulter des Knaben ausstreckend, und ehe sich Carl halten konnte, fühlte er, wie ihn die Faust des Buben von der schlüpfrigen Stelle, auf der er stand, hinunterstieß, dem Abgrunde zu. Er wollte sich stützen, aber die scharfen, glatten Eiszacken, nach denen er mit den Fingern griff, boten ihm keinen Halt. Er ließ die Lanze fallen, die ihm mit der kurzen Wurfleine am Handgelenk befestigt hing, und stürzte, einen Angstschrei ausstoßend, indem er an den glatten Eismassen mit fürchterlicher Schnelle niederschoß, hinab in die Tiefe.

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