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Das Leben an Bord eines Wallfischfängers.
Wie das Schiff doch jetzt so ruhig seine weite, pfadlose Bahn dahinglitt! Von einem steten Passat getrieben, die Segel von gleicher Brise gebläht, waren die Schiffer nicht einmal genöthigt, irgend etwas Wesentliches an der Stellung der Raaen zu verändern, und an dem scharfen, kupferbeschlagenen Bug vorn warf es den silberblitzenden Schaum auf und weit hinaus, so daß die spritzenden Tropfen in der Sonne bunte, schillernde Regenbogen bildeten.
Und wie das lebte in der See! – Ganze Schaaren von fliegenden Fischen stiegen oft, wie ein Volk Rebhühner, vor ihnen auf, strichen eine Strecke mit den dünnen, florartigen Flügeln über die züngelnden Wogen hin, und plumpten nach kurzer Zeit mit schwerem Fall in ihr eigentliches Element zurück. Hier und da schoß auch ein buntschillernder Delphin mit dem schlanken, gewandten Körper vor dem Bug herüber und hinüber, blitzschnell seine Beute ersehend und fassend. Schaaren von munteren, rothschimmernden Bonitos (karpfenähnliche Fische von ein bis drei Pfund Schwere) folgten theils dem Schiffe, theils sprangen sie dem Bug voraus, um Jagd auf die fliegenden Fische und andere kleinere, harmlose Bewohner des Meeres zu machen, während sie ihrerseits wieder stets auf der Wacht sein mußten, nicht von ihren größeren Kameraden in gleicher Weise gefaßt und verzehrt zu werden.
So ist das ein ewiges Jagen und Verfolgen in der Welt, der Stärkere hinter dem Schwächern drein, und Jener wieder von dem Stärkern verfolgt. Wie der Löwe und Tiger in ihrer Wildniß selbst den Büffel zu Boden schlagen und zerreißen, und was ihnen von den kleineren Raubthieren in den Weg kommt, vernichten, so zieht der weit kleinere Schakal eben so wieder auf Beute aus und ist gieriger vielleicht als der Löwe. Gleichen Wirkungskreis in Blut und Verfolgung hat der Fuchs, der Iltis, das zierliche Wiesel, das selbst den erwachsenen Hasen anspringt; sich ihm in den Nacken krallt und ihm die Halsadern durchbeißt, bis er todt zu Boden stürzt. Das kleine, kaum fingerlange Feldwiesel würgt Mäuse und rottet ganze Familien aus, und kommen wir erst zu den Vögeln, so geht der Verfolgungs- und Vertilgungskrieg vom Lämmergeier an bis zur Nachtigall hinab, die der Ameisen junge Brut zerstört und ihre Heimath aus einander scharrt.
Wie der Adler auf den Raben stößt, so giebt es kein gierigeres Raubthier als diesen; der kleine Neuntödter fängt Käfer und spießt sie auf Zweige, die freundliche Schwalbe lebt nur von Insecten, die sie, in der Luft spielend, fängt; der gemüthliche Storch ist der Schrecken der furchtsamen Frösche, und diese wieder ihrerseits fangen eben so Insecten und Wasserthiere. Was für ein tückisches Raubthier ist die kleine, grausame Spinne, ja selbst in einem Wassertropfen, den uns das Sonnenmikroskop zeigt, sehen wir, wie die Infusionsthiere einander verfolgen und verschlingen.
Eben so schlimm, ja schlimmer noch fast ist es mit den Fischen. Die Wallfische leben von kleinen Thieren, die sie millionenweise verschlucken; der Hai faßt und verzehrt, was ihm vorkommt, und der größere Fisch überhaupt den kleinern, wo er ihn greisen kann; bis zu den kleinsten hinunter ist Raub und Verfolgung.
Das größte Raubthier aber ist – der Mensch. Denn ob groß oder klein, ob im Wasser, in der Luft oder auf der Erde, ihm gilt es gleich, er verfolgt Alles und – kann Alles gebrauchen. Von den Thieren, die er nicht verzehrt, benutzt er die Haut, die Knochen, die Eingeweide; mit seinen Waffen erlegt er die stärksten Geschöpfe des Erdballs, mit seinem Geist überlistet, bewältigt und zähmt er sogar einen Theil derselben, sie sich dienstbar zu machen. Gleich gefürchtet von Allen, schreitet er stolz auf seiner Erde hin, sich selber den Herrn der Schöpfung nennend – und ist doch selber nur ein Punkt im Ganzen, einen Sonnenstaub in dem unendlichen System, dessen Leben eben wieder von dem Tropfen im Zahn einer Schlange, von dem Stich eines Dornes, von dem Saft einer Pflanze abhängig ist.
Das aber bildet das Leben – ein ewiges Haschen und Drängen und Treiben und Jagen, herüber und hinüber; – während es stirbt, gebiert es sich neu, und aus dem Moder selber wuchert es jung und frisch und blühend wieder auf.
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Als das Verdeck von dem letzten Auskochen gereinigt worden, und der Böttcher die ausgehitzten und frischangetrieben Oelfässer in den untern Raum befördert hatte, war es ein Zeitvertreib für die Leute, nach Delphinen und Bonitos zu fischen. Vorn am Bug des Schiffes bot sich dazu der beste Platz, da sich hier die Bonitos am liebsten aufhielten. An starken Bindfäden ausgehangene Stücken rothen und weißen Tuches, mit einem Haken darin verborgen, dienten als Köder.
Nur Barthels hatte von einer frühern Südseefahrt einen echt indianischen Bonitohaken mitgebracht, und fing auch mit diesem die meisten Fische. Derselbe bestand aus einem wol zollstarken Stück Perlmutter, unten breit geschnitten, daß die blitzende Fläche desselben dem hellen Bauch eines fliegenden Fisches glich, während er, vorn zugespitzt, durch das Anziehen des Seils, an dem er befestigt hing, oder auch nur stillgehalten, durch den Fortgang, den das Schiff im Wasser machte, mit der unstäten Bewegung eines wirklichen Fisches herüber und hinüber fuhr. Hinten dran war ebenfalls von Perlmutter ein ziemlich großer Haken angebracht, den der gierige Fisch verschluckte, worauf er rettungslos festsaß. Sie fingen Massen daran, wie auch einzelne Delphine, die aber schon weit scheuer sind und nicht gern an den Haken gehen.
Diesen wußte man auf andere Art beizukommen. Wenn sich einzelne von ihnen in der Nähe des Schiffes zeigten, so stellte sich einer der Harpunirer mit einem Elker (einer fünfzinkigen Harpune, zum Fang der kleineren Fische bestimmt) über Bord, während ein Anderer einen silbernen oder Argentan-Löffel, fest an ein Seil gebunden, in das Wasser hielt und damit umherfuhr. Der Delphin ist neugierig und liebt besonders Alles, was blitzt und schimmert. So, durch das Funkeln des Metalles herbeigezogen, kam oft Einer nach oben, das fremdartige Schimmern in der Nähe zu sehen, und wurde, sobald er sich in Wurfsnähe wagte, von der sichern Hand des Harpunirers getroffen und an Deck gezogen.
An Arbeit fehlte es aber gleichfalls nicht an Bord, wenn sie auch keine Fische fingen. Die Böttcher waren unablässig beschäftigt, auseinandergenommene Fässer wieder in Stand zu bringen, die eisernen Reifen herzurichten und alte Dauben auszubessern oder durch neue zu ersetzen. Die Zimmerleute hatten unterdessen mit den Booten zu thun, auch im Innern des Schiffes Verschiedenes zu repariren und zu verändern. Der Schmied richtete die Eisen (Harpunen), Lanzen und Spaten vor. Der Segelmacher arbeitete, von ein paar jungen Burschen unterstützt, emsig daran, alte Segel zu flicken und neue anzufertigen, und die Leute selber hatten Arbeit vollauf im Takelwerk und an Deck.
Ein Theil von ihnen spannte die Pardunen und Wanten fester und sah die Wevelien (die Querbänder der Strickleitern) nach. Ein anderer mußte das stehende Tauwerk frisch theeren. Wieder Andere zupften Werg und drehten grobes Schiemanns-Garn, die stärkeren Taue, wo diese eine Reibung auszuhalten hatten, zu umwinden. Die Bootsteuerer mußten ihre Boote nachsehen und in Stand setzen, ihre Lanzen und Harpunen schleifen und frisch einölen, ihre Lauftaue und die Wasserfässer nachsehen, neue Stiele vielleicht in die Harpunen, oder einzelne wenigstens vorräthig machen, und ihre kleinen Bootssegel, wenn das nöthig war, dem Segelmacher zum Ausbessern übergeben.
Carl war einer nichts weniger als angenehmen Beschäftigung zugetheilt worden – nämlich Denen, die den Auftrag bekommen hatten, das Takelwerk zu theeren. Mit einer Theerpütze um den Nacken mußte er ganz oben in den Mast hinauf und von dort anzustreichen beginnen, bis herunter. Natürlich blieb ein nicht unbeträchtlicher Theil der schmierigen und klebrigen Masse an seinen eigenen Händen und Kleidern hängen. Arme und Beine fühlte er kaum, als er Abends sein Tagewerk vollendet hatte, denn er war den ganzen Tag gezwungen gewesen, sich in ungewohnten und oft schmerzhaften Stellungen anzuklammern, um von der Höhe nicht hinabzustürzen. Die Sonne brannte ihm dazu gerade auf den Scheitel und der Kopf schmerzte ihm, als ob er von einander bersten wollte.
Das mochte aber noch Alles angehen; der Arbeit hätte er sich schon gern unterziehen wollen; lieber Gott, es war ja sein eigener Wille gewesen, und wenn er sich den Wallfischfang auch früher wol anders gedacht, als solche Arbeiten zu verrichten, so ließ sich das jetzt doch nicht ändern. Durch Erfahrung wurde er jedenfalls klüger. Nur Eines schmerzte ihn, und machte ihm den Aufenthalt an Bord fast unerträglich, und das war der Umgang, das gezwungene enge Zusammenleben mit den Matrosen, von denen die Meisten auf der niedrigsten Stufe menschlicher Bildung standen, und nur durch Rohheit und Rücksichtslosigkeit eine Art Uebergewicht über ihre Kameraden zu erhalten suchten, welches sie auf keine andere Art gewinnen konnten.
Auf Wallfischfängern wird von den Capitainen, die nur sehr selten genug ordentliche Matrosen zu einer solchen langen Reise bekommen können, und sehr viel Mannschaft brauchen, meist Alles angenommen, was sich meldet. Rudern lernen die Leute dann schon, und wenn nur einige gute Matrosen zwischen ihnen sind, die mit dem Schiff und dessen Leitung umzugehen wissen, so gebraucht man die andere Masse eben zu den gröberen Arbeiten und hauptsächlich zum Einschneiden und Auskochen des Specks. Zusammengelaufene Handwerksburschen, Vagabunden, die an Land nicht gut thun wollen und sich, in sehr irriger Meinung, an Bord eines solchen Schiffes ein Leben mit vielen Abenteuern und wenig Arbeit denken, nicht selten Gesindel, das selbst nicht einmal mehr einen ehrlichen Namen zu verlieren hat, füllt die Reihen der Mannschaft, und der Gute und Ordentliche zwischen ihnen kann sich da nicht wohl fühlen und sehnt den Zeitpunkt wieder herbei, der ihn von den selber auf sich genommenen Fesseln löst und befreit. Daß eine solche Mischung von Leuten auch von dem Capitain mit unnachsichtlicher Strenge regiert werden muß, so weit es die Schiffs-Subordination betrifft, versteht sich von selbst. Ihr Zusammenleben unter sich läßt sich aber natürlich nicht weiter überwachen; im Logis vorn, wenn nicht auf Wacht, treiben sie, was sie wollen, und Jeder, der nicht in ihren rohen Ton eingeht und eingehen kann, wird das Opfer.
Nicht auf Wallfischfängern allein, auch schon auf gewöhnlichen Kauffahrteischiffen hat besonders der gebildete junge Mann, der als Volontair oder leichter Matrose seine erste Reise macht, um den Dienst zu lernen und sich später zum Steuermann und Capitain auszubilden, viel von dieser Gesellschaft zu leiden, und zieht er sich von dem rohen Leben zurück, das ihm, da er an andern Umgang gewöhnt ist, widerstehen muß, so wird er als stolz verschrieen und erst recht gemißhandelt. Ein energischer Charakter und ein kräftiger Körper gehört dazu, sich bei den Leuten in Respect, wo möglich in Furcht zu setzen; wer Beides nicht hat, sollte sich wol bedenken, ehe er den Plan faßt, zur See zu gehen.
Carl hatte besonders viel von den gemeinen Matrosen zu leiden, besonders hatte er nie zu Hause das rohe Schimpfen und Fluchen gehört, wie es hier selbst von der gewöhnlichsten Umgangssprache ganz unzertrennlich schien. Die ihm am meisten gewogen waren, quälten ihn sogar fast noch mehr mit ihren derben, rohen Scherzen, als Die, welche es ärgerte, daß Jemand gescheidter sein sollte, als sie selber waren, und übergegossene Eimer Wasser, Striche mit dem warmen Theerquast durch das Gesicht u. s. w. gehörten noch zu den sanftesten Zeichen guter Laune Einzelner unter ihnen.
Was Carl aber am meisten kränkte, war das völlig umgewandelte Wesen des Mannes, der, wenn irgend Jemand auf der Welt, Ursache gehabt hätte, dankbar gegen ihn zu sein, nämlich Jacobs. Der Bursche schien ganz vergessen zu haben, daß Carl ihn einst aus dem Wasser geholt und so sein Leben gerettet hatte, und war rauher, unfreundlicher gegen ihn, als irgend Einer der anderen Leute. Leider findet sich das nur zu häufig in der Welt, daß schlechte Menschen, unter dem Gefühl einer Verpflichtung gegen einen ihrer Nebenmenschen, dieses nach und nach lästig und drückend finden, abschütteln, und nun in das Extrem eines Hasses fallen, zu dem sie keinen andern Grund als ihr eigenes undankbares Herz haben.
Carl schmerzte das um so mehr, da ihm gerade die Erinnerung an jene That, die erste gute, die er selbstständig ausgeführt, immer eine liebe, und in seinem jetzigen, halbgezwungenen Leben sogar eine tröstliche gewesen war. Wenn ihn Alle als Fremde betrachteten und gleichgültig behandelten, Jacobs hätte das nicht gedurft, und daß er nun gar mit Spott und häßlichen Zornesreden bei dem kleinsten Versehen, beim geringsten Vergessen den Knaben anfuhr und mit rauhen Worten mißhandelte, kränkte ihn um so tiefer. Aendern konnte er's aber nicht, er that seine Pflicht und hoffte auf die Zeit, wo dieses Leben auch wieder einmal ein Ende nehmen würde.
» Hoffte auf die Zeit?« gern gestehen mochte er sich's im Anfang nicht, aber zuletzt konnte er es auch nicht einmal vor sich selber mehr verheimlichen, daß er sich das Leben an Bord eines Wallfischfängers doch eigentlich anders gedacht. Das Interesse der Jagd war allerdings da; aber wie lange dauerte das? eine Stunde vielleicht, oder zwei, und dann folgten wieder Monate voll einförmiger, ermüdender, geisttödtender Arbeit; mit Niemandem fast konnte er ein trauliches Wort wechseln, mit keiner Seele, die wirklichen Antheil an ihm nahm. Und seine Aeltern, seine armen Aeltern indessen, in welcher Sorge, in welchem Kummer betrauerten sie in dieser Zeit das für sie gestorbene Kind! Arme Mutter! armer Vater! – und der Ungehorsam des Sohnes, der jetzt freilich schwer dafür büßen mußte, hatte all' das Herzeleid über sie gebracht – über sie, die Nichts verschuldet und immer nur gesorgt und darauf gedacht hatten, das Glück des Kindes zu gründen. Was halfen ihm jetzt alle seine guten Vorsätze? An Bord der Schiffe, weit draußen in See und von den blauen Wogen umtanzt, sind die schon oft gefaßt worden, und manches trübe Auge hat schwer von Thränen dahin zurückgesehen, wo die Heimath unerreichbar fern von ihm lag.
Unbekümmert um Schmerz oder Freude, Glück oder Elend, die es trug, verfolgte indessen das wackere Schiff rasch seine Bahn. Die Ausgucks stiegen allerdings Morgens in ihre Tops, wurden über Tag ein paar Mal abgelöst und kamen Abends wieder herunter, aber nie, zwei oder drei Mal einen falschen Lärm abgerechnet, signalisirten sie einen Fisch, da diese von der Oberfläche der See verschwunden zu sein schienen.
Was für ein einförmiges, langweiliges Leben war das an Bord! – harte Arbeit und schlechte Kost und weiter, immer weiter von der Heimath fort, dem fernen Norden zu. Wie trübe und traurig lag da die nächste Zukunft vor dem jungen Burschen, der sich schon nicht einmal mehr auf die Jagd freute und einen argen schlimmen Feind in der eigenen Brust zu allem übrigen Leid erwachen fühlte – das Heimweh