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Was Karl von dem deutschen Harpunirer über die Sterne hörte.
Carl kehrte nicht wenig stolz an Bord zurück, wo er von dem Capitaine freundlich und lachend empfangen wurde.
»Nun, das laß ich gelten,« rief Dieser, »das war keine schlechte Braunfischjagd, und Du hast Deinem Lehrmeister im Harpunenwerfen heute alle Ehre gemacht, mein Junge. Aber« – setzte er dann ernster hinzu – »thu' mir das doch lieber nicht wieder. Heute ist's gut gegangen, und Du hast, ob zufällig oder nicht, den Fisch, den wir sonst vielleicht gar nicht bekommen hätten, auf den richtigen Fleck getroffen; den nächsten könnten wir aber auf dieselbe Art verlieren, und wir dürfen nun einmal einen solchen Fang, wegen dessen wir hierhergekommen sind, nicht dem Zufall überlassen. Hatten Sie denn den Spermfisch vorher nicht gesehen, Mr. Barthels?«
»Mit keinem Auge,« vertheidigte sich Dieser, »ich würde sonst den jungen Burschen wahrhaftig nicht zum Werfen nach vorn geschickt haben.«
»Nun, – möglich ist's wol,« sagte der Capitain, – »Sie hatten die Augen Alle vorn auf die Braunfische, als der Spermfisch kaum hundert Schritte hinter Ihrem Boote zum ersten Male aufkam und seine Strahlen ausblies. Doch es ist Alles gut abgelaufen und mag darum sein. Und nun an die Arbeit, Leute, daß wir den Speck an Bord bekommen; ich denke, hier in der Gegend finden wir mehr.«
Die Arbeit des Einschneidens begann jetzt wieder wie bei den vorigen Fischen; der erbeutete Wall war aber wirklich einer der größten, die selbst der Capitain erklärte je gefangen zu haben, und gab hoch in die sechzig Fässer Thran und Wallrath.
Als der letzte Speck an Bord war und die Segel wieder gelöst werden konnten, nahm das Schiff einen Nordwest-Cours an, um gegen die nächsten Süd-Inseln aufzulaufen, in deren Nähe sich die Wallfische gern aufzuhalten scheinen.
Die Luft wurde jetzt am Tage schon drückend heiß, und der Himmel spannte sich so ununterbrochen blau über dem leise wogenden Meere, auf dem sie vor dem regelmäßigen Südost-Passat rasch und leicht dahinglitten, daß keine Wolke seine Heiterkeit trübte. – Carl bekam hier auch treffliche Gelegenheit, den südlichen Himmel zu beobachten. Seit er den wirklichen Matrosen zugetheilt worden, mußte er, wie Diese, regelmäßig seine Wacht gehen, Tag und Nacht. Hier war es Barthels besonders, der gern ein Stündchen bei ihm auf dem Vorcastle sitzen blieb, um mit ihm zu plaudern und den Knaben, der ihm unendlich gern zuhörte, zu belehren.
Das südliche Kreuz nahm dabei vor allen Dingen seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Er hatte schon zu Hause in Reisebeschreibungen viel davon gelesen und von seiner Pracht gehört, fand sich indessen allerdings etwas enttäuscht, als es sich ihm nicht so prachtvoll und regelmäßig zeigte, als er es wol vermuthet haben mochte. Aber er gewann es doch lieb, da es dem Süden dasselbe ist, was unser Nordstern dem Wanderer auf der nördlichen Hälfte der Erdkugel wird, besonders da es außerdem durch sein regelmäßiges Steigen die Stunde der Nacht so deutlich verkündete, daß er bei einiger Aufmerksamkeit und klarem Himmel keine Uhr mehr brauchte, um zu wissen, welche Zeit es war.
Dasselbe gewährt uns allerdings auch der große Bär oder der Wagen, wie das große Siebengestirn genannt wird, das sich ebenfalls in regelmäßiger Schwingung um den Nordstern dreht, nur achten wir zu selten darauf. Wir haben zu viel Zerstreuung, und nehmen uns nicht die Zeit, uns um das zu bekümmern, was »da oben am Himmel« vorgeht. Der einsame Wanderer in ferner Wildniß aber, die Seeleute, die getrennt von Allem leben, was ihnen sonst näher stand, die richten ihre Augen dort hinauf, folgen den Bahnen jener kleinen blitzenden Punkte mit Augen und Gedanken, und lernen sie bei dem Schauen lieb gewinnen.
Es war auch ein solcher Abend, an dem Carl gerade seine Wacht hatte, und der Harpunirer Barthels ebenfalls nach vorn kam, um dem Leuchten der See zuzuschauen, das heute in außergewöhnlicher Pracht sich zeigte. Die ganze See blitzte und funkelte, so weit sich die Wellen hoben, und vorn am Bug, wo das Wasser von dem durchdringenden Schiffe auf und zur Seite geworfen wurde, verbreiteten die dort hell aufleuchtenden Wogen eine solche Helligkeit, daß man recht gut dabei hätte lesen können. Wie Feuerkugeln schwamm es dabei oft einzeln, oft in ganzen Massen, dicht an dem Fahrzeug vorüber, manche davon augenscheinlich an der Oberfläche treibend, manche tief, tief unten in der klaren Fluth, so daß das Auge kaum den lichten Strahl erkannte, und es aussah, als ob nicht allein vom Himmel nieder, nein, auch vom Grunde des Meeres die Sterne ihren Glanz gesandt hätten.
Carl wie Barthels hatten lange schweigend dem Farben- und Lichterspiele zugeschaut. Auf den Knaben besonders machte es einen gar eigenen Eindruck, sich hier gewissermaßen eine fremde, ungeahnte Welt erschließen zu sehen, an deren Pforte sie standen, die ihnen aber doch trotzdem verschlossen blieb.
Das Leuchten der See konnte ihm allerdings nichts Neues sein, denn schon im Atlantischen Ocean, Nord und Süd vom Aequator, war ihm genug Gelegenheit geboten worden, es zu sehen. Selten aber zeigte es sich, wie ihm selbst Barthels bestätigte, in solcher Pracht, denn bis jetzt war es immer nur mehr ein Glühen oder Funkeln der Wellen gewesen, während die ganze See heute Abend eine Masse von Licht und Feuer schien.
»Und sind das wirklich Thiere?« sagte der Knabe endlich, der sich nicht satt sehen konnte an dem fast mit jeder Minute wachsenden Glanze; »wären das wirklich lebende Wesen, die dieses Licht verbreiten? – Großer Gott, wie viel tausend Millionen Geschöpfe müßten dann nur den Raum erfüllen, den wir hier vom Deck aus sehen können! und was für ein schmaler Streifen ist das nur in dem weiten Meer, das wir durchziehen?«
»Ja, mein kleiner Bursche,« sagte da Barthels, still und ernst dabei mit dem Kopfe vor sich hin nickend, »die Welt, was wir kurzsichtigen schwachen Menschen nun einmal mit dem Namen nennen, obgleich wir nur das uns sichtbar Nächste damit meinen können, ist allerdings ein wunderbares, gewaltiges Reich, und wir möchten schwindelig werden, gleichviel ob wir nach oben oder unten schauen. Siehst Du da drüben jenen hellen rothleuchtenden Stern, der in dem flammenden Lichte funkelt wie eine vom Luftzug getroffene Kerze? Dort drüben unter dem Gürtel des Orion steht er – es ist der Sirius, der hellste aller Sterne, und die Astronomen haben berechnet, daß er unendlich viel größer sei als unsere Sonne, und nur durch die so ungeheure Entfernung unseren Augen so klein erscheine. Daß er dort, wo er steht, wieder vielleicht eben so viel und mehr Planeten um sich sammelt, als unsere Sonne, müssen wir als gewiß annehmen. Allen Grund haben wir dabei, zu vermuthen, daß so weit hinter dem Sirius, als wir von ihm hieher zu entfernt sind, noch eben solche Sonnensysteme liegen, die in ihren, über unsere Begriffe reichenden Schwingungen das All durchfluthen und Welten an Welten ketten. – Und sehen wir dann unter uns, nur hier um uns her auf das leuchtende Meer, auf diese Myriaden von lebenden Wesen, die so klein sind, daß man sie nur in einem Mikroskop erkennen kann; erfahren wir, daß auf dem festen Lande ganze Gebirgsflächen nur aus den Ueberresten einer unendlich kleinen Thierart bestehen, von denen Millionen dazu gehören, einen Kubikzoll zu füllen; sehen wir das organische Leben selbst in einem Tropfen Wasser, und die Hand und Macht und Größe des Schöpfers in allen diesen Werken: dann allerdings fühlen wir erst, wenn wir es auch nicht begreifen können, die Allmacht Desselben. Es drückt uns dabei freilich wol das Herz zusammen, in dem großen Schöpfungswerke auch eben nicht mehr zu sein, als ein, dem bloßen Auge kaum sichtbarer Punkt, der eine Zeit lang lebt und athmet, und dann vielleicht wieder verschwindet – bliebe uns nicht die Hoffnung auf ein einstiges besseres Leben. Wie sich das gestalten wird, liegt freilich in der Hand des Höchsten und in seiner Allweisheit, mit der er die ganze weite Welt so aufgerichtet, daß von dem wirbelnden Sonnensystem bis zu dem kleinsten Infusionsthier herab Alles so herrlich, so meisterhaft eingerichtet ist. Mögen wir es aber seiner Huld danken, daß er die Zukunft unserem Glücke so fest verschlossen hat!«
»Aber wie herrlich wäre das doch,« rief Carl seufzend aus, »wenn wir wissen könnten, wie es uns im nächsten Jahre oder im spätern Leben geht? – Was gäbe ich zum Beispiel nicht darum, zu erfahren, ob ich glücklich wieder die Heimath und meine Eltern erreiche, während ich jetzt in Ungewißheit und Angst der Zukunft entgegengehe.«
»Nimm das Beispiel, und Du wirst sehen, daß Du Unrecht hast,« sagte der Harpunirer freundlich, »prophezeihte Dir eine unbekannte Macht den glücklichen Ausgang Deiner Reise, wie leicht wäre es da möglich, daß Du nachlässig und gleichgültig gegen Deine Pflichten und dabei denken würdest, was thut's? ich komme ja doch nach Hause. Aber Deine Vorgesetzten würden eben so wenig als Du selbst mit Dir zufrieden sein. Deine Kameraden würden Dir zürnen, und das Leben selber müßte Dir endlich zur Last werden. Erführest Du dagegen den unglücklichen Ausgang vorher, Deinen Tod vielleicht mit Tag und Stunde, was für ein unglückliches, elendes Leben würdest Du bis dahin führen! Dein Frohsinn und Deine Lust und Liebe zur Arbeit wäre verloren; Deine Gedanken richteten sich nur auf den einen Punkt, und mit jedem Tage, mit jeder Stunde, die Du dem gesteckten Ziele näher rücktest, müßte die Angst auch stärker in Dir werden, und Dich zu Boden drücken. Jede Hoffnung würde Dir ja genommen, und Du könntest gar nicht länger leben. Nein Carl, Gott hat das Alles wohl und weise, lediglich zu unserem eigenen Besten so eingerichtet, daß ein dichter Schleier über unserer Zukunft liegt; wünsche diesen nimmer zu heben, denn nur der muthwillige und jedenfalls nutzlose Versuch setzte Dich sicherlich der Gefahr aus, vor der uns des Ewigen Güte durch das Geheimniß bewahrt hat.«
»Wol mögen Sie Recht haben,« seufzte Carl, »denn wie traurig und unglücklich wäre der sonst immer so muntere, lebensfrohe James gewesen, wenn er sein entsetzliches Ende vorher gewußt hätte! Aber – natürlich ist es doch auch, daß wir uns manchmal wünschen, Etwas voraus zu wissen.«
»Natürlich, ja,« lächelte der Harpunirer, »der Mensch ist nun einmal ein unzufriedenes Wesen, das immer drängt und vorwärts will und keine Ruhe und Rast hat auf der Welt – bis es im stillen Grabe liegt. Aber die Welten wandeln indessen ernst und herrlich ihre weite Bahn, das Rad des Schicksals und der Zeit rollt über uns hinweg, und aus dem Staube blühen neue, junge Geschlechter auf – denselben Kreislauf zu beginnen. – Doch wir sind ganz von dem abgekommen, wovon wir vorher sprachen, von den Sternen. In wenig Tagen, wenn wir diesen Wind behalten, werden wir den Aequator passiren und den Nordstern wiedersehen.«
»Ich habe mich schon lange darnach umgesehen,« sagte Carl, »denn da Sie mir das südliche Kreuz schon im Atlantischen Meere gezeigt haben, ehe wir zum Aequator kamen, glaubte ich, der Nordstern müsse auch auf der südlichen Hälfte der Erdkugel sichtbar sein. Ich kann ihn aber nirgends finden.«
»Das glaub' ich wol,« lachte Barthels, »und aus sehr einfacher Ursache. Der Nord- oder Polarstern steht nämlich fast unmittelbar über dem Nordpol, nur einen Grad von diesem entfernt (den ganzen Himmel von Pol zu Pol in 180 Grade eingetheilt). Das südliche Kreuz ist dagegen 38 Grad vom Südpol entfernt und beschreibt einen weiten Kreis um diesen. Daher kommt es also auch, daß es bei reinem Himmel über 30 Grad nördlich gesehen werden kann. Lebten Menschen am äußersten Nordpol, so würden sie den Nordstern gerade über ihrem Scheitel haben, der dort nur einen ganz unbedeutend kleinen, kaum sichtbaren Kreis beschreibt, während sich die ganze übrige Sternenwelt der nordischen Halbkugel um ihn dreht. Am Südpol hätten aber die dortigen Bewohner, wenn überhaupt Menschen da existiren könnten, das südliche Kreuz keineswegs über sich, sondern es würde nur einen weiten Bogen um sie beschreiben, jedoch nie untergehen, wie auch die nördlichen Sterne den Bewohnern des Nordpols immer sichtbar blieben.«
»Wie wunderbar hell die Milchstraße hier im Süden glänzt!« sagte Carl nach kleiner Pause, in der er schweigend zu dem herrlich gesternten Himmel aufgeschaut hatte. »Was für eine Pracht, was für ein Glanz strömt von da aus!«
»Und jeder, dem bloßen Augen nicht einmal erkennbare Punkt dieses lichtdurchflutheten Raumes,« erwiderte Barthels, »ist ein Stern, eine Erde vielleicht wie die, auf der wir wandeln und die wir armen, kurzsichtigen Menschen schon eine Welt nennen. Welcher riesenhafte leere Raum liegt zwischen ihnen! – Die Astronomen rechnen das freilich Alles nach Meilen, und dem Scharfsinn des Menschen ist es gelungen, die Entfernungen, wie die Bahn der einzelnen Weltkörper mit einer Sicherheit zu bestimmen, die in Erstaunen setzt. Wenn wir freilich diese Millionen und Billionen Meilen nennen hören und unsere Sinne solchem Begriffe anpassen wollen, da schwindelt uns das Hirn, und diese Unendlichkeit ist mehr, als wir uns denken können. Wie die neuere Zeit aber, mit ihren verbesserten Instrumenten, uns so manche Aufschlüsse über das Räthsel der Sternenwelt gebracht, so hat sie auch den Bestand der Milchstraße entdeckt, und gefunden, daß sie aus unzähligen, für uns scheinbar dicht zusammenhängenden Sternen besteht. Heidnische Weise, in früherer Zeit, hielten sie für einen alten Sonnenpfad, der noch einen Theil seines Glanzes sich erhalten habe, und noch jetzt glauben die australischen Stämme, daß es der Rauch der Lagerfeuer ihrer Vorfahren sei, die nach dem Tode dort hinauf versetzt wären. Allerdings vermuthete man schon seit längerer Zeit, daß dieser lichte Theil des Himmels aus Sternen bestehen könne; der Erste aber, der sich Gewißheit darüber verschaffte und mit seinem Riesenteleskop die einzelnen Sterne jener Straße sah und erkannte, war Herschel. Ohne sein Teleskop zu bewegen, und in der Stellung, die es einnahm, zählte er allein zwischen fünf- und sechshundert Sterne, und berechnete, daß sich in einem Raume, nicht mehr als 10 Grad lang und 2½ breit, 258,000 befänden. Und das ist nur ein Theil des uns sichtbaren Sternenhimmels. Wie viel tausend und aber tausend Sternen-Welten mögen außer dem Sehkreis selbst unserer stärksten Teleskope liegen!«