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8. Capitel

Was Carl über die Seevögel und ihre Brütungsplätze sah und hörte.


An dem Tage wurde Carl, wie ihm vom Capitain versprochen worden war, noch zu keiner Beschäftigung angehalten; er sollte sich erst ordentlich erholen und an Bord umsehen, damit er nachher Bescheid wüßte. Am nächsten Morgen begann aber sein Amt, zuerst schon vor Tage den wachthabenden Offizieren an Deck ihren Morgenkaffee zu bringen, und dann beim Frühstück, wie später beim Mittagessen und Abendbrod, in der Kajüte an dem Tische, wo der Capitain mit den Harpunirern und dem Navigator aß, aufzuwarten, wie nach den Mahlzeiten das Kajütsgeschirr aufzuwaschen und wegzupacken. Das erforderte allerdings eine ganz besondere Aufmerksamkeit, denn bei der fortwährenden und unregelmäßigen, oft sehr starken, dann wieder schwächern Bewegung des Schiffes durfte er auch nicht ein Stück locker aus der Hand stellen, oder er mußte gewärtig sein, daß es ihm im Nu herunterrutschte und in Stücken ging. Es geschah ihm das gleich beim ersten Male mit ein paar Tellern und Bechertassen. Nach und nach fand er sich aber doch hinein, und wenn er sich früher das Seeleben freilich anders gedacht hatte, als eben Teller und Schüsseln zu waschen, so sah er doch ein, daß ihm keine Wahl blieb, als sich dem zu fügen, was eben über ihn verhängt wurde. Was hätte er denn auch auf dem großen Schiffe, wo ihm noch Alles unbekannt und fremd war, sonst helfen wollen? Er mußte froh sein, nur Etwas gefunden zu haben, wodurch er sich nützlich machen konnte.

Ein günstiger und steter Nord-Ostwind trieb indeß das Schiff rasch und mit vollgeblähten Segeln gen Süden hinunter, und als sie nur erst einmal aus der Nähe der stürmischen Biscayasee waren und weiter und weiter in das offene Meer kamen, wurde die Luft auch milder, die Brise regelmäßiger und fester, und an den Segeln brauchten die Leute jetzt fast gar Nichts mehr zu ändern oder zu stellen. Tag und Nacht blieben sie, wie sie waren, denn der Wind blies genau und unveränderlich von der einen Richtung her mehrere Wochen lang.

Die Passatwinde beginnen in diesen Regionen; das sind, wie mein junger Leser vielleicht noch nicht weiß, vollkommen regelmäßige, das ganze Jahr hindurch auf eine bestimmte Strecke nach einer Richtung hin wehende Winde.

Der Mann, dessen Segel zuerst diese Winde blähten, war Christoph Columbus, und ihre Entdeckung allein würde seinen Namen unsterblich gemacht haben. So unternehmend auch die damaligen Schiffer – wenn man die Unvollkommenheit ihrer Instrumente bedenkt – sein mochten, hatten sie sich doch auf ihren Fahrten immer in der Nähe der Küste, also auch unter dem Einflusse der Land- und Seewinde gehalten, die an solchen Stellen wehen und durch die warme Ausdünstung des Landes, wie durch die spätere Erkältung der Luft in regelmäßiger Abwechselung hervorgerufen werden. Columbus, mit dem Bewußtsein eines fern im Westen liegenden Landes vor sich, verließ zuerst die Nähe des Landes, und segelte keck und kühn mitten hinein in jene Wasserwüste, seinem Gott vertrauend, daß er ihn bei einem der großartigsten Unternehmen, das die Welt bisher gesehen hatte, schützen würde. Wie erstaunt mochte er da sein, als er in diesen regelmäßigen, gleichförmigen Luftstrom gerieth, der ihn mit leicht geschwellten Segeln gen Westen trug.

Dort hinüber weht dieser Wind bis fast dicht an die Küste an, während er in der Nähe des Landes sonst, wie schon oben erwähnt, durch die Einflüsse desselben gestört wird. Die Richtung des Passatwindes ist nördlich vom Aequator Nordost, südlich aber Südost, und die Erklärung desselben findet sich leicht in dem Umschwunge der Erde selber, der am Aequator die von den kalten Polen zu jenem niederströmenden Luftschichten mit sich fortreißt, so daß sie also, statt von Nord und Süd nach der Mitte hin zu schießen, in schräger Richtung nach Westen mit fortgerissen werden. In der Mitte, also in der Nähe des Aequators, bildet sich dann ein von beiden Passaten unberührter Strich, in dem nur manchmal von Gewittern unterbrochene Windstillen vorherrschen. Nördlich und südlich aber von den Passaten, im Norden etwa mit dem 26. bis 28. Breitegrad, im Süden nicht so weit hinunter, beginnt die Region der »veränderlichen Winde«, die meist wieder eine westliche Strömung, wenn auch nicht regelmäßig, haben, und es den Schiffen, die z. B. mit dem Passat nach Mittel- oder Süd-Amerika fahren, erleichtern, nach Europa zurückzukehren.

Diese Passatwinde wehen aber nicht in allen Meeren, sondern nur da, wo die große, mächtige Wasserfläche nicht vom Lande beengt ist. Im indischen und chinesischen Meere z. B. haben die Winde allerdings auch einen ganz regelmäßigen Charakter, aber sie wechseln ab. Dort heißen sie Monsuhn, ein Name, der von dem Persischen musum oder dem Malayischen mussin (eine Jahreszeit) abstammt. Vom April bis October wehen sie ganz fest und bestimmt, mit nur einer kurzen unregelmäßigen Zwischenzeit zwischen dem Wechsel, von Süd-West nach Nord-Ost, wo dann der Wind umspringt, und gerade wieder seine Bahn zurückläuft. Diese Monsuhns (engl. monsoon) nehmen die Backen dabei manchmal entsetzlich voll, und haben besonders schon in Indien und im ostindischen Archipel viel Unglück und arge Verwüstungen angerichtet.

Carl verstand übrigens von diesen Winden und ihrem Einfluß noch entsetzlich wenig, ja er achtete kaum darauf. Er fühlte nur, daß sie ihn weiter und weiter von der Heimath forttrugen, und seine letzte Hoffnung bestand noch darin, bald einmal ein Schiff anzusprechen, dem er einen Brief nach Hause mitgeben konnte, oder, wenn das nicht möglich war, später doch wenigstens irgend eine Küste anzulaufen, von der aus er den Seinigen Nachricht von sich geben durfte. Wenn sie nur erst einmal wußten, daß er noch lebte, so trösteten sie sich leicht über die längere Trennung, und war er selber nicht schon hart genug durch die gezwungene Reise gestraft?

Ja und Nein – manchmal kam es ihm vor, als ob ihm hier zwischen den fremden Menschen und in der ihm keineswegs recht zusagenden Beschäftigung das Herz brechen müßte, und dann wieder war es ihm auch, als ob er wie neugeboren wäre auf der weiten wogenden See, und wenn er hinaussah, auf die tiefblauen, tanzenden Wogen, aus die lustig geschwellten Segel, da hätte er laut aufjubeln mögen in Wonne und Seligkeit. War denn das nicht der Traum seiner Jugendzeit, der sich hier endlich verwirklichte? führte ihn das wackere Schiff nicht wie im Triumphe jenen Scenen und Ländern zu, die sein Herz bis dahin mit solch heißer, brennender Sehnsucht erfüllt hatten?

Wenn ihm solche Gedanken kamen, so ging er selbst ganz freudig an das ihm sonst fatale Tellerwaschen, und wie ihn das Schiff immer weiter und weiter fort vom Vaterland trug, war es auch wirklich, als ob die Sehnsucht dorthin schwächer und schwächer würde. Er schaute mehr vor sich aus, nicht mehr so viel zurück, und wenn er in der ersten Zeit Nachts von den weinenden Aeltern geträumt, die an Helgolands Küste das zertrümmerte Boot gefunden, sah er sich jetzt im Traume kämpfend mit Eisbären und Wallfischen, hörte die Palmen rauschen und die Brandung über die Korallenriffe schlagen, und wurde zuletzt selbst ungeduldig, daß sie so gar entsetzlich lange immer in schnurgerader Richtung auf dem Wasser fortfuhren, ohne ein einziges Mal die ersehnten Länder zu erreichen.

Den Aequator hatten sie indeß gekreuzt und liefen, mit nur wenigen Tagen Unterbrechung, wo sie durch eine Windstille aufgehalten wurden, nach Südwest hinunter, der Richtung der süd-amerikanischen Küste folgend, der sie jedoch nicht in Sicht kamen. Der Capitain wollte eine Zeit lang in der Nähe der Falklands-Inseln kreuzen, an der sich die Wallfische nicht selten aufhalten, um dort vielleicht seine erste Jagd zu machen. Als sie in deren Nähe angekommen waren, wurden die leichten Segel eingenommen und die Tops der Masten »bemannt«, das heißt, auf die oberen Raaen steigen mit Tagesanbruch zwei der Bootsteuerer hinauf, um von da aus die Oberfläche der See nach allen Richtungen hin beobachten zu können, ob sie nicht die von den Wallfischen beim Athmen ausgeworfenen Wasserstrahlen irgendwo entdeckten. Nach dem Strahle läßt sich dann auch beurtheilen, was für ein Fisch es ist, und ob es der Mühe lohnt, darauf Jagd zu machen, da nicht alle Wallfische leicht zu verfolgen oder zu fangen sind. Viele dieses Geschlechts haben auch nicht Thran genug bei sich, daß es der Mühe werth wäre, mit ihnen viel Zeit zu versäumen, und hauptsächlich sind es nur die »rechten Wallfische«, wie sie von den Seeleuten genannt werden, die sich am Nord- und Süd-Pol und in den daran grenzenden Meeren aufhalten, wie der Spermwallfisch oder Spermacetifisch (Pottfisch), der seinen Aufenthalt in der Nähe des Aequators oder innerhalb der Tropen hat. Selten geschieht es, daß beide Fische, der letztere in einem kalten, der erstere in einem warmen Meere gefunden werden, dagegen trifft man weit eher und häufiger den rechten Wallfisch »im warmen Wasser«, als den Spermfisch im kalten.

Der »rechte Wallfisch«, von dem wir den gewöhnlichen Thran zum Brennen, und besonders das sogenannte Fischbein bekommen, wirft zwei starke Wasserstrahlen beim Athmen aus, der Spermacetifisch dagegen nur einen Strahl, da sich seine beiden Nasenlöcher in einer einzigen etwas nach vorn gerichteten Oeffnung vereinigen. Diese sitzt an der Seite des Kopfes, und zwar sonderbarer Weise manchmal an der rechten, manchmal an der linken Seite desselben.

Carl hatte nun allerdings geglaubt, daß sie, als nun die Leute zum Aufpassen in die Masten stiegen, auch gleich Fische finden und ihre Jagd beginnen würden; darin aber sah er sich getäuscht, denn Wochen lang kreuzten sie dort herum, und von Wallfischen war auch nicht die Spur anzutreffen. Kein Ruf wurde laut, und da in dieser Zeit auch die jenen Meeren eigenthümlichen Stürme, die sogenannten Pamperos, begannen, so beschloß Capitain Holly seine Zeit nicht länger hier unnützer Weise zu versäumen, und das Cap Horn zu umschiffen, um auf der andern Seite desselben im stillen Meere und zwischen den dort liegenden zahlreichen Inselgruppen bessere Jagdgründe zu finden.

Die »Ausgucks« wurden zwar noch oben in den Masten gelassen, so lange die See ruhig genug war, Boote auszusetzen, um eine mögliche Gelegenheit, Fische anzutreffen und zu erlegen, nicht zu versäumen, aber man setzte doch auch wieder die leichteren Segel, um soviel Fortgang als möglich zu machen, und der Kamehameha sah wieder einmal aus, als ob es ihm Ernst sei, vorwärts zu kommen.

Am dritten Tage sichteten sie die steilen zerrissenen Küsten der Falklands-Inseln, auf denen jetzt allerdings keine Menschen wohnen, da sie zwar früher einmal die Engländer, dann die Süd-Amerikaner im Besitz hatten, aber um ihres unfruchtbaren Bodens, wie ihrer ungünstigen Lage willen auch wieder aufgaben. Förmlich belebt aber waren sie dafür von einer Unmasse der verschiedensten Seevögel, und die Luft sah an manchen Stellen ordentlich schwarz davon aus, während sie ganze Strecken im Meere Meilen weit bedeckten.

Carl konnte sich nicht satt an ihnen sehen, und wie er die riesige Größe des mächtigen weißen Albatroß bewunderte, der sich bis dahin nur einzeln bei ihrem Schiffe eingefunden, aber jetzt in ganzen Schwärmen und mit langsamem Flügelschlage über das Wasser strich, so gefielen ihm besonders auch die zierlichen Captauben mit ihrem blau und weißen Gefieder, die in wirklich zahllosen Zügen das Schiff umkreisten, und zu Hunderten hinter dem Spiegel desselben drein flogen und schwammen. Ueber Bord geworfene Leckerbissen, besonders Speck, den sie leidenschaftlich lieben, fingen sie geschickt auf, und schossen dann wieder fort, einem andern Spiel- und Tummelplatz zu.

»'s ist jetzt noch etwas zu früh in der Jahreszeit,« sagte Barthels, der deutsche Harpunirer, der zu Carl trat und mit über Bord sah, als sie das Land der Falklands-Inseln gerade zu Starbord, an ihrer rechten Seite hatten, »wenn's aber weiter im Sommer ist, wenn die Vögel da drüben zu brüten anfangen, wär's schon einmal der Mühe werth zu landen, und sich ihr Wirthschaften und ihre häusliche Einrichtung am Lande mit anzusehen.«

»Waren Sie drüben?« fragte ihn Carl rasch und gespannt.

»Vor ein paar Jahren, ja, und zwar länger, als mir lieb war«, sagte der Mann. »Ein Pampero, der von der süd-amerikanischen Küste mit furchtbarer Wuth und Kraft herüberkam, faßte das Schiff, – einen deutschen Wallfischfänger, an dessen Bord ich mich damals befand – – so unerwartet rasch, daß uns, ehe wir nur die Segel bergen konnten, alle drei Masten über Bord geworfen wurden und wir mit dem Wrack hier herunter trieben. Wir mußten auch nachher richtig bis Rio Janeiro Der Haupthafen Brasiliens. zurücklaufen, um unser Schiff wieder seetüchtig und neue Masten hineinzubekommen, und waren nur froh, als wir unter dem Schutze der Küste da drüben ankerten, daß wir den ärgsten Sturm austoben lassen konnten, nicht gar auf den Strand gesetzt zu werden.«

»Und haben Sie damals die Insel besucht?« fragte ihn Carl.

»Ei gewiß,« lachte der Mann, »wir fuhren mit den Booten hinüber und legten uns einen Vorrath von frischen Eiern ein, an denen wir Monate lang vortrefflich zu zehren hatten.«

»Und waren dort so viele Nester?« fragte der junge Bursche weiter, den das ganz besonders interessirte.

»Nester!« sagte der Harpunirer, »ordentlich regelmäßige Brütungsplätze haben sie da drüben, die mit einer Berechnung und Umsicht angelegt sind, daß man den Vögeln wirklich Verstand zusprechen möchte, denn das, was wir da drüben fanden, ist fast mehr als Instinct. Wir blieben fast vierzehn Tage hier liegen, um unser Schiff nur wieder so weit in Stand zu setzen, daß es zurücklaufen konnte. Dazu mußten wir Nothmasten errichten und selbst unser Steuer ausbessern, das ebenfalls beschädigt war; wir hatten also Zeit und Gelegenheit genug, sie zu beobachten.«

»In der Zeit, wo sie ihre Eier legen und das Brüten beginnen, versammeln sie sich sowol hier an diesen Inseln, die ein Lieblingsplatz für sie zu sein scheinen, wie auch an den südlichen unzugänglichen Küsten des Festlandes in ungeheuren Massen, und gehen nun mit großem Fleiß und ordentlicher Umsicht an die Anlage ihrer Brütungsplätze.«

»Wenn eine hinreichende Zahl beisammen ist, so scheinen sie sich erst zu berathen, denn sie fliegen und flattern durch einander und am Ufer auf und ab, und schreien und kreischen und schlagen mit den Flügeln, ohne daß sich jedoch die verschiedenen Gattungen unter einander streiten, vielmehr sind sie allem Anscheine nach völlig einig und einverstanden mit einander. Hierbei wählen sie sich irgend einen ihnen passenden Platz am Ufer aus, womöglich denselben, den sie schon im vorigen Jahre inne gehabt, welcher hinlänglichen Umfang gewährt und oft vier bis fünf Acker umschließt. Sie vermeiden dabei solche Stellen, die zu steinig sind, so daß sie ihren Eiern gefährlich werden würden. Der Platz, ein längliches Viereck, liegt stets mit der einen Seite so nahe als möglich am Seeufer, aber immer weit genug davon entfernt, um nicht von der Brandung erreicht zu werden; an dieser Seite hat er einen regelmäßigen freigelassenen Ein- und Ausgang; die anderen drei Seiten sind verschieden geordnet. Diese fleißigen gefiederten Arbeiter gehen dann vor allen Dingen daran, den innern Raum von allen störenden Hindernissen zu befreien; sie heben die Steine mit ihren Schnäbeln auf und tragen sie an die schon vorher bestimmten Grenzen, so daß sie oft eine ordentliche kleine Mauer aufwerfen, die drei Seiten ihres Brütungsplatzes umschließt. Innerhalb dieses Walles von Steinen und Wurzelwerk stellen sie einen vollkommen glatten und ebenen, sechs bis acht Fuß breiten Fußweg her, den sie am Tage zu einem öffentlichen Spaziergang, Nachts aber zum Auf- und Abmarschiren ihrer Schildwachen zu benutzen scheinen.«

»Auf solche Art mit den Außenwerken in Ordnung, legen sie den übrigen innern Raum in kleine Vierecke von gleichem Umfang aus, welche durch schmale, aber ebenfalls vollkommen ebene Fußwege oder Grenzpfade von einander getrennt werden. Jedesmal, wo sie sich kreuzen, baut ein Albatroß sein Nest, während in dem Mittelpunkt jedes kleinen Vierecks ein Penguin das seinige baut, so daß jedes Albatroß von vier Penguins umgeben ist, und jeder Penguin nach vier Richtungen hin ein Albatroß zum Nachbar hat. Auf solche regelmäßige Art ist der ganze Platz in Beschlag genommen, und nur in beliebigen Entfernungen werden für andere Seevögel, wie den grünen Cormorant und die sogenannte Nelly, freigelassen.

»Da scheinen ja Albatroß und Penguin die besten Freunde zu sein,« lachte Carl, dessen Augen vor Freude leuchteten, und der jetzt gar so gern einmal an den starren Küsten der nicht mehr so fernen Insel gelandet wäre, um sich das mit anzusehen.

»Ja allerdings,« sagte Barthels, »aber dennoch bauen sie nicht allein ihre Nester auf sehr verschiedene Weise, sondern der listige Penguin bestiehlt auch seines Freundes Nest, sobald er nur irgend Gelegenheit dazu bekommt. Des Penguins Nest ist nämlich nur eine einfache Aushöhlung in der Erde, gerade tief genug, um sein einzelnes Ei am Hinausrollen zu verhindern, während das Albatroß einen kleinen Hügel von Erde, Gras und Muscheln wohl acht bis zehn Zoll hoch und von dem Umfange eines Wassereimers baut, auf dessen Gipfel es sein Nest bildet, von wo es auf seinen nächsten Nachbar und Freund hinab sieht.

Keines dieser Nester in dem ganzen Brütungsplatze wird dabei auch nur auf einen einzigen Augenblick leer gelassen, bis die Eier ausgebrütet und die Jungen alt genug sind, um auf sich selber Acht zu geben. Wenn das Männchen z. B. auf die See nach Beute ausgeflogen ist, seinen Hunger gestillt hat und rasch zurückkehrt, um das Weibchen abzulösen, wissen sie es, selbst während sie die Plätze wechseln, so einzurichten, daß sie ihre Eier auch nicht einen Moment unbeschützt gegen die kalte Luft lassen. Der zurückkehrende Vogel huschelt sich nämlich so dicht bei seinem Weibchen nieder, und drängt dieses so lange vorsichtig zur Seite, bis er die Eier vollständig mit seinen eigenen Federn bedeckt. Das hat aber nicht allein seinen Grund darin, daß sie das Erkalten der Eier fürchten, sondern sie wollen und können sich nur auf diese Art dagegen wehren, daß ihnen die Eier nicht von den andern Nachbarweibchen, die ehrgeizig genug sind eine große Familie erziehen zu wollen, gestohlen werden, und jede Gelegenheit benutzen, eines der Nachbareier, wenn das unbemerkt geschehen kann, zu entwenden. Der königliche Penguin ist bei derlei Betrügereien immer der Erste und versäumt gewiß keine Nachlässigkeit seines etwas plumpern Nachbars, und so geschieht es denn nicht selten, daß die Brut dieser Thiere, wenn sie endlich heranwächst, aus verschiedenen Geschlechtern besteht, was dann allerdings kein Zeugniß für die Ehrlichkeit der Aeltern ist.«

»Nicht allein interessant ist es dabei, in kleiner Entfernung von diesen Brütungsplätzen das Leben und Treiben der Vögel zu beobachten, sondern auch belehrend, ja rührend, wie sorgsam die Thiere auf ihre junge Brut achten, und sich bei nahender Gefahr gegenseitig warnen. Du kannst dann die Vögel auf dem äußeren Pfade, oder der öffentlichen Promenade ordentlich zu Paaren, und manchmal drei, vier Paar zusammen spazieren gehen sehen, ernsthaft und ehrbar wie Menschen, theils in tiefen Gedanken versunken und die Köpfe zurückgebogen, theils in eifrigem Geschnatter mit einander, die Neuigkeiten der kleinen Ansiedelung besprechend. Zugleich ist der ganze Brütungsplatz, wie sich das leicht denken läßt, in fortwährender Bewegung. Ein Theil der Penguins kehrt von seinem Ausfluge zurück, und watschelt rasch durch die schmalen Gänge, sein Nest aufzusuchen und sein Weibchen oder Männchen nach der kurzen Trennung wieder zu begrüßen; ein anderer Theil steigt eben auf, Nahrung für sich zu suchen, oder Beute einzubringen, während zugleich die Luft durch eine Wolke von Albatrossen ordentlich verdunkelt wird, die fortwährend über dem Brütungsplatze schweben und theils von ihren Streifzügen zurückkommen, theils sich eben erhoben haben, sie anzutreten. Man kann den Vögeln Stunden lang zuschauen, und wird nicht müde, ihr geselliges, regelmäßiges Leben zu betrachten, zu beobachten, zu bewundern.«

»O, wenn ich doch das auch einmal sehen könnte!« rief Carl, dem die lebendige Beschreibung des Mannes gar so wohl gefiel; »da sollte man ja wahrhaftig meinen, daß die Thiere ordentlich Verstand besäßen.«

»Die Leute am Ufer«, meinte Barthels, »nennen das freilich alles Instinct, und wenn man das Wort Instinct eben nur für eine andere Bedeutung des Wortes Verstand annimmt, will ich's auch gelten lassen, wie man ja vom Menschen essen, vom Thiere aber fressen sagt, während sich die Sache doch selber gleich bleibt. Sonst aber wird Jeder, der draußen in der Natur das Leben und Treiben der Thierwelt genau beobachten konnte, und sich eben nicht blos aus Büchern seine Meinung, die er nachher Thatsache nennt, zusammenstellt, meiner Ansicht sein, daß die Thiere in sehr vielen Fällen nach etwas Anderem handeln als nach bloßem Instinct, und daß sie ihre Sprachen und Zeichen haben, so gut wie wir Menschen. Weil wir das nun nicht verstehen, fertigen wir die Geschichte kurz ab, und nennen es Instinct; damit meinen wir dann am Leichtesten im Klaren zu sein.«

»Und glauben Sie wirklich, daß die Thiere Verstand haben?« fragte Carl lächelnd.

»Gewiß glaub' ich das,« bestätigte Barthels, »und wenn wir von diesen Vögeln ganz absehen, die ihre Nester und Brütungsplätze nach gewissen bestimmten Gesetzen anlegen, ausgestellte Posten und Wachen haben, und einander die Eier stehlen, um eine größere Familie heranzuziehen, so sollte uns nicht allein die Gelehrigkeit, sondern auch die Leidenschaft anderer Thiere als starker Beweis für meine Behauptung dienen.«

»Die Leidenschaft?« fragte Carl erstaunt.

»Beim Jagdhund z. B.,« sagte Barthels. »Will der nicht, ohne selber irgend einen Nutzen davon zu ziehen, nur das Wild gefunden und geschossen haben? Ich selber mache mir nicht viel aus der Landjagd, denn seit ich den ersten Fisch geworfen habe, will mir die nicht mehr schmecken; mein Vater dagegen war ein leidenschaftlicher Jäger, der nur fortwährend mit der Flinte draußen im Feld und Walde lag und selber ausgezeichnet schoß. Der hatte einen alten Jagdhund, von dem ich Sachen weiß, die bei mir nicht den geringsten Zweifel ließen, daß das Thier Verstand besitze. So treu der Hund nämlich meinem Vater war, und so wenig er aus freiem Antriebe von seiner Seite gewichen wäre, so ging er doch mit jedem Schützen, dem er zugetheilt wurde; mein Vater brauchte dann blos zu sagen: »Turbo, mit dem Herrn da jagst du heute – guten Morgen, Turbo!« und dann nahm er die Mütze gegen ihn ab. Von dem Augenblicke an blieb Turbo, so ungern er das sonst thun mochte, bei seinem neuen Herrn bis ihm mein Vater wieder auf eigenthümliche Art pfiff und ihn wieder begrüßte. Er suchte indessen Jenem das Wild auf, stellte und apportirte es, und folgte ihm aufs Wort – jedoch nur unter einer Bedingung: er mußte auch Etwas treffen können. Mit einem schlechten Schützen gab er sich unter keiner Bedingung ab. So lange ich nun zu Hause war, hatten wir mehrere Beispiele, daß er einem solchen zugegeben wurde, und auch ruhig mit ihm hinaus ins Feld ging und sein Tagewerk begann. Er suchte und fand ein Volk Rebhühner, stand davor, bis der Schütze hinankam, und sprang auf Befehl ein, plautz – plautz gingen die Schüsse dann hinter den aufstiebenden Hühnern her – und keins fiel. Einmal ließ er sich das gefallen, das konnte passiren – auch zweimal, wenn es aber zum dritten oder vierten Male vorfiel, und er sah, der Schütze konnte Nichts treffen, dann drehte er sich gewöhnlich ganz ruhig ab, schnoperte die Luft nach allen Seiten und ging, ohne auf Pfeifen oder Rufen des bestürzten Jägers auch nur im Mindesten zu achten, mit hoch und stolz gehobenem Kopfe zu seinem Herrn zurück, der nachher schon wußte, was geschehen war, und seinen Hund gewähren ließ – er hatte selber seinen Spaß daran. Das ist also doch kein Instinct mehr, denn wo hörte da der Instinct auf, und wo finge der Verstand an? – Der Hund hat noch Stoff zu hundert ähnlichen Anekdoten geliefert, und was thun andere Thiere, die ebenfalls in Colonien, wie die Vögel drüben auf jenen Inseln, zusammen leben, z. B. die Affen auf Java, die wirklich in Ordnung gehaltene Familien und jedenfalls auch unter sich festgestellte Gesetze haben, deren äußere Wirkung wir dann wol sehen, deren innere Beweggründe wir aber natürlich nicht begreifen können.«

»Waren Sie auf Java?« fragte Carl rasch den Harpunirer.

»Ein reichliches halbes Jahr,« erwiederte Dieser.

»Ach, wenn Sie mir einmal von dort erzählen wollten,« sagte der Knabe.

»Vielleicht später einmal,« lächelte Barthels – »jetzt aber sieht sich dort der Steward nach Dir um; Du wirst wol gebraucht, und hast hier schon zu lange gestanden.«

Carl wurde in diesem Augenblicke wirklich gerufen, das indeß versäumte Geschirr aufzuwaschen, das er nachher wieder in die Kajüte hinuntertragen und fortstellen mußte. Als er an Deck zurückkam, und damit beschäftigt war, das Tischtuch aufzuhängen, das der Steward am Nachmittag gewaschen hatte, sah er, wie Barthels mit dem zweiten Harpunirer neben dem Steuer hinten an der Reiling stand, und nach Etwas zu fischen schien. Sie hatten lange Leinen ausgeworfen, an denen, wie er nachher fand, mit Speck besteckte Fischhaken befestigt waren, und Albatrosse sowol als Captauben, und eine andere große braune Mövenart stießen eifrig darnach. Die Captauben besonders, wenn sie ein Stück Speck schwimmen sahen, warfen sich kreischend darauf, schwammen in einem ganzen Schwarm darum her, und jagten eine die andere fort, während sie gierig darnach schnappten. Da aber das Schiff zu gleicher Zeit noch raschen Fortgang machte, wurde ihnen der Bissen gewöhnlich wieder unter dem Schnabel fortgerissen, bis ein mächtiges Albatroß dann zwischen die Schaar hineinstieß und das kleinere Zeug in respectvolle Entfernung zurücktrieb. Nach und nach wurden sie indessen auch klüger oder gieriger, und jetzt hatte eine Captaube das Stück im Flug erwischt und verschlungen, und wurde rasch an Bord gezogen. Fast in demselben Augenblick packte auch ein Albatroß einen andern Haken, und war ebenfalls gefangen, aber es kostete Mühe, den großen Vogel, der ängstlich mit den Flügeln schlug, an Deck zu bekommen. Die Leine war übrigens stark genug, der Haken hielt ebenfalls, und wenige Secunden später watschelte der sich da draußen so leicht und gefällig bewegende Vogel, schwerfällig und unbehülflich, mit der eben so ungeschickten Captaube auf den glatten Planken des Verdecks umher. Haken und Leine war ihnen dabei abgenommen, trotzdem konnten sie sich doch nicht über die vier Fuß hohe Reiling, die das Verdeck rings umgab, ja nicht einmal vom Boden heben, da ihnen der Raum fehlte, einen Anlauf zu nehmen und aufzufliegen. Allerdings zeigten sich diese großen Vögel auch draußen auf dem Wasser, wenn sie aufsteigen wollten, höchst unbehülflich und ungeschickt; sie schlugen und peitschten erst das Wasser eine ganze Weile mit ihren riesigen Flügeln, und traten und strampelten dazu mit den breiten Füßen die Oberfläche, bis sie sich hoch genug emporgearbeitet hatten, um mit den Schwingen ordentlich und unbehindert die Luft fangen zu können. Dann aber freilich hoben sie sich auch rasch empor und strichen mit erstaunlicher Leichtigkeit über die Wogen hin, dann und wann dabei wie spielend mit der äußersten Flügelspitze die nach ihnen züngelnden Wellen berührend.

Die Captaube hob sich draußen schon leichter, mußte aber doch auch erst eine kleine Strecke über das Wasser laufen.

Die Seeleute behaupten, daß Seevögel, sobald sie ihrem Element entnommen und auf einen festen Gegenstand, an Land, oder auf ein Schiff gebracht werden, seekrank würden. Allerdings gaben diese, wie sämmtlich später gefangene, wenn sie eine kurze Zeit ihrem Elemente entnommen waren, eine weiße, ölige, ekelhafte Flüssigkeit von sich, und, vorausgesetzt, daß der Ausdruck im Gesicht eines Vogels etwas Aehnliches anzeigen kann, so schien ihnen in der That unwohl zu sein. Dabei lief sich das Albatroß wunderbarer Weise, wahrscheinlich in dem steten und vergeblichen Versuche, von dem glatten Deck aufzusteigen, schon nach wenigen Minuten die Füße wund, während sich die Captaube weit besser dabei zu befinden schien; sie wurde von dem Harpunirer vor der Hand in einen der leeren Hühnerverschläge gesperrt.

Hier hatte Carl übrigens Gelegenheit, das Albatroß, den größten lebenden Vogel, den er bis jetzt gesehen, genauer zu betrachten. Es war, wie selbst die Harpunirer bestätigten, eines der größten Exemplare, das sie bis jetzt noch gefangen hatten, und maß von Flügelspitze zu Flügelspitze dreizehn Fuß. Desto mehr erstaunte Carl aber, als er den Körper später gerupft sah, da sich die Bootsteuerer die Federn sammelten, daß er ihn in Verhältniß zu der sonstigen Größe des Vogels selbst ziemlich klein fand. Die Flügel haben nur eine so außerordentliche Länge, und legen sich fast wie ungeschickt an den Körper an, dessen kurzen Schwanz sie, wenn der Vogel aufrecht steht, vollständig bedecken. Die Füße sind natürlich mit starken Schwimmhäuten versehen; die furchtbare Waffe des Thieres aber ist der starke, wol fünf Zoll lange und vorn niedergekrümmte scharfe Schnabel, mit dem es gar tüchtig einhauen kann.

Von den Captauben wurden ebenfalls an dem Nachmittage noch eine große Zahl gefangen, und wenn gleich die am Haken festsitzenden vor den Augen der übrigen flatternd an Deck gezogen wurden, so ließen sich die anderen doch dadurch nicht im Mindesten abschrecken; sie fuhren nur mit noch größerer Gier über den aufs Neue ausgeworfenen Speck her, der den tückischen Haken barg, um – ebenfalls gefangen zu werden.

Sind aber wir Menschen nicht eben so? – rings um uns, wenn wir nur die Augen öffnen und um uns schauen wollen, sehen wir die Opfer der Gier, des Leichtsinnes, des Ungehorsames fallen und verderben, und wieder und wieder folgen wir trotzdem unbekümmert unseren eigenen Leidenschaften, folgen wir der Verführung, wo sie uns lockt, dünken uns selber klug genug, eine etwa darunter verborgene Gefahr leicht vermeiden zu können, bis wir ihr – eben so wie die Anderen – unterliegen. Sehr selten aber hilft dann die Reue, das Begangene wieder gut zu machen. Gute Vorsätze müssen auch gehalten werden, wenn sie einmal gefaßt wurden, oder es sind nur eben so viele Lügen, mit denen wir andere Menschen und uns selbst getäuscht haben.

Die Captauben mußten schwer für ihren Leichtsinn büßen, denn sie wurden gefangen, getödtet, gerupft, und – gegessen. Sie schmeckten gar nicht etwa so schlecht, ja sie konnten nach der langen Salzkost an Bord recht gut für einen Leckerbissen gelten. Auch junge Albatrosse wurden gegessen.

Die Captaube ist übrigens nicht etwa eine Taubenart, sondern sie gehört zum Mövengeschlecht; den Namen aber hat sie von ihrer Aehnlichkeit mit der Taube in Größe und Gestalt. Sie ist sehr zierlich blau und weiß gefleckt, trägt aber natürlich Schwimmhäute zwischen den Zehen.

So große Mühe sich übrigens die nicht auf Wacht befindlichen Matrosen vorn am Bug, und die Offiziere am hintern Deck gaben, Albatrosse und Captauben zu fangen, so unbelästigt ließen sie eine andere, und wol die kleinste existirende Mövenart, die leicht und keck, selbst unter den riesigen Schwingen der ersteren, dahinglitten, mit den kleinen, zierlichen, ebenfalls mit Schwimmhäuten versehenen Füßchen, von den ausgespannten Flügeln dabei unterstützt, über die unruhige See liefen, wieder aufstiegen, rasche, weite Kreise zogen, und blitzesschnell dann nach kleinen versinkenden Stücken Speck, die als Lockspeise ausgeworfen worden, oft aus Sicht tief in die klare Fluth untertauchten. Wenige Secunden später stiegen sie wieder auf, und hoben sich so leicht und trocken empor, als ob sie das Wasser gar nicht berührt hätten, so dicht und ölig ist die Flügeldecke dieser kleinen Thiere. In Form, Gestalt und Größe gleichen diese winzigen Bewohner des Oceans fast unserer europäischen Hausschwalbe, ja selbst der Schwanz ist, wenn auch nur ganz wenig, geschweift. Ihre Farbe ist braun, mit einer weißen Zeichnung über dem Schwanz und schwarzen Punkten und Streifen aus dem übrigen Gefieder.

Diese kleine »Seeschwalbe,« wie sie solcher Aehnlichkeit wegen auch genannt ist, scheint einer der wenigen Vögel zu sein, die das Land, die Brütungszeit vielleicht ausgenommen, ganz entbehren können, und welche ihre eigentliche Heimath, in Sturm und schönem Wetter, auf dem weiten Meere haben. Zu zweien manchmal, oft auch in Schwärmen von zwanzig und dreißig, folgen sie den Schiffen aus ihrer langen Bahn, von einem Welttheil zum andern, manchmal vielleicht zurückbleibend und von andern ersetzt, die das Auge des Schiffers nicht von den früheren Begleitern zu unterscheiden weiß, aber immer ihre Stellvertreter, heute mehr, heute weniger, dem rasch dahinsegelnden Schiffe liefernd. Es mag dabei so rasch es will die Wogen durchschneiden, und zehn und zwölf Seemeilen die Wacht (vier Stunden) durchlaufen, die Seeschwalbe spielt so leicht und behaglich darum her, als ob es, von einer Windstille gefesselt, ruhig auf seiner Stelle liegen bliebe. Jetzt hinter, jetzt vor dem Schiffe, Minuten lang von den Wellen geschaukelt, auf denen sie schwimmen, oder von denen sie sich, wenn fast schon aus Sicht, wieder leicht erheben, und ohne anscheinend sich irgend anzustrengen, holen sie rasch das indessen weit vorausgeeilte Schiff wieder ein, streichen herüber und hinüber, um wenige Minuten später vorn am Bug dasselbe Spiel von Neuem zu beginnen. In allen Meeren, unter allen Breiten- und Längengraden findet sich die Seeschwalbe, von den Engländern auch der Sturmvogel oder »Mutter Carey's Küchelchen« genannt, und die ödesten, abgelegensten Stellen der Weltmeere, wo der Schiffer selten eine Möve findet, die ein paar Stunden bei seinem Fahrzeuge weilt, und dann weiter zieht, belebt dieser kleine, regsame, gesellige Vogel, der uns dabei doppelt lieb wird, weil er mit seiner Schwalbenähnlichkeit die Erinnerung an die alte Heimath wieder und immer wieder wach ruft.

Sturmvogel heißt er bei den Schiffern übrigens eines alten Glaubens oder Aberglaubens wegen, daß sein plötzliches Erscheinen in größerer Zahl einen nahenden Sturm verkünde, bei dem sich dann der kleine Vogel in die Nähe eines Schiffes, gewissermaßen Schutz suchend, flüchte. Wer aber das Thierchen beobachtet hat, wie es im grimmigsten, schwersten Wetter unbekümmert über die bäumenden Wogen fliegt und tanzt, und sich darauf niedersenkt und von den überstürzenden schaukeln läßt, der wird, wenn er nicht eben dem Vorurtheil nachsprechen will, wol kaum glauben, daß es in dieser Hinsicht ein Sturmesbote sei. Für die kleine Möve selber ist das Vorurtheil aber ein sehr günstiges, denn die Matrosen haben eine abergläubische Furcht, sie zu tödten oder zu fangen, weil sie behaupten, daß es nicht allein Dem, der die kleinen Sturmwarner belästige, sondern sogar dem ganzen Schiffe Unglück bringe.

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