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Auf beschwerlichem Pfade wanderte Eberwein, von Mätzel geführt, durch schattendunklen Fichtenwald. Er hörte das dumpfe Brausen nicht, das ihm entgegenscholl, und blickte erst auf, als er den aus einem mächtigen Baumstamm gebildeten Steg erreichte, der die Schlucht der Windach überspannte. Ein kalter Luftstrom fuhr ihm entgegen und peitschte sein Gewand. Unter seinen Fußen zitterte und schwankte der Steg wie ein Mühlbrett über den Mahlsteinen. Steil und wirrgeklüftet stürzten die Felsen niederwärts, Wasser rann und sickerte über das Gestein; in mächtigen Fetzen, noch von Wurzeln durchflochten, hing die zerrissene Erde über die Kanten der Felsen; auf allen Seiten bröckelte und kollerte das Erdreich. Gewaltige Felsblöcke hingen eingekeilt zwischen den Wänden der Schlucht, in deren grauem Zwielicht der weißschäumende Wildbach hauste wie ein gefesselter, in seinen Banden tobender Riese. Aus dem Rauschen klang noch das dumpfe Poltern des Gesteins, das der Bach auf seinem Grunde wälzte und zerrieb, und bis zur Höhe des Steges sprühte der kalte Wasserstaub, Eberweins Wangen anhauchend wie eisiger Atem der Vernichtung.
Mätzel deutete unter kreischenden Worten in die Schlucht. So laut die Magd auch schrie, Eberwein verstand sie nicht; das Brausen, das aus der Tiefe quoll, verschlang den Hall ihrer Stimme. Dennoch schien er zu wissen, was sie ihm sagen wollte. Seine Hand griff nach dem schwankenden Geländer, als befiele ein Grauen seine Sinne. »Aus diesem Höllenrachen hat ihn Gott gehoben mit barmherziger Hand! Und ich soll ihn stürzen in Jammer, der noch tiefer ist? Was Eid und Pflicht mir gebieten? Ist es nicht wider Gott?« Als könnte er den Anblick der finsteren Tiefe nicht länger ertragen, eilte er mit so jagendem Schritt davon, daß die Magd ihm kaum zu folgen vermochte.
In seinem Gesichte spiegelte sich der Kampf, der seine Seele erfüllte. Zum erstenmal geriet sein Herz in schreienden Widerspruch mit den Gesetzen der Kirche, deren treuester Sohn er gewesen. Immer hatte er im Wort der Kirche das Wort des Himmels gehört, und freudigen Herzens hatte er stets gestritten für der Kirche Macht. Jeder Fußbreit Weges, den er erobern half, war ihm erschienen wie geheiligtes Land, auf welchem Gottes Größe sich erweisen, Gottes Liebe sich betätigen würde. Und nun war alles wankend geworden, was fest und unerschütterlich in seinem Herzen gewohnt hatte. Zwiespalt war jeder Gedanke, den er dachte; Pein war jede Regung, die er empfand. Wie sollte er sich lösen aus diesem Streit? Wie das Rechte finden? Was tun, um nicht untreu seinem Herzen zu werden, das heiß für diese beiden Menschen sprach, und auch nicht untreu seinem Eid und seiner Pflicht?
Es erwachte in ihm die Erinnerung an jene Zeit, da er als junggeweihter Priester noch das Ende jener Kämpfe mit angesehen, welche die Kirche siegreich wider die »irdische Lust« der Laienpriester ausgefochten. Zu hundertmalen hatte auch er in frommer Begeisterung nachgesprochen, was Papst Gregor mit mächtigem Hall in die Welt gerufen: Non liberari potest ecclesia a servitute laicorum, nisi liberantur clerici ab uxoribus! Der lauteren Seele des jungen, in strenger Klosterzucht erzogenen Mönches war diese Begeisterung um so leichter geworden, als er auf der Seite der Gegner das Laster sah, Verworfenheit der Gemüter und Verderbnis aller Sitten. Hier aber waren zwei Menschen ihm entgegengetreten, Mann und Weib, zwei Körper und doch eine Seele nur, und diese Seele rein und fromm, gläubig, ein Wohlgefallen für Gottes Augen! Wie zwei treue Gärtner des Himmels waren sie Hand in Hand gewandert durch ein langes Leben. Kein Tag war ihnen vergangen, an dem sie nicht den Samen des Guten ausgestreut, nicht einen Fleck des steinigen Grundes gewandelt hatten in fruchtbares Erdreich! Welche Ehe ward im Himmel geschlossen, wenn nicht diese? Mußte sie ihm nicht erscheinen wie reiner Gottesdienst? Bei diesem Gedanken wurde in ihm die Empfindung wieder lebendig, mit der er das Haus des frommen Greises betreten. Seine Seele war mutlos gewesen, und er hatte Trost und Vertrauen gefunden. Die Luft dieser stillen Mauern hatte ihn angeweht, warm und erquickend wie ein Hauch der ewigen Liebe. Und zum Danke sollte er in dieses Haus den Jammer tragen, das Weh und die Verzweiflung? Nein, nein, tausendmal nein!
Aber sein Eid? Seine Pflicht?
Er stürmte weiter, willenlos den Weisungen der Magd gehorchend, die, wenn er auf falschen Pfad geriet, bald wehrend den dürren Stecken vorstreckte, bald wieder den Irrenden am Kuttenärmel faßte und ihn zurückzog auf den rechten Weg.
Nur im Sturm seiner Seele sah er keinen Pfad. Streng und unerbittlich lautete das Gesetz der Kirche, das er beschworen bei seiner Weihe und zum anderenmal bei seinem Auszug nach dem Lande, in dem er walten und richten sollte als Kirchenfürst. Daß diese Ehe rein war, fromm und heilig? Solche Ausnahme kannte das Gesetz nicht. Daß diese beiden Menschen nach einem fast vollendeten Leben nicht mehr zu zählen waren als Mann und Weib, nur noch als Greis und Greisin, als Bruder und Schwester im weißen Haar? Solche Ausnahme kannte das Gesetz nicht. Ehern lautete sein Gebot: jeder beweibte Priester ist verlustig seines Amtes und seiner Pfründe; jeder beweibte Priester, der die Sakramente spendet, jeder Laie, der aus eines solchen Priesters Hand das Sakrament empfängt, verfällt dem Bann und ewiger Verdammnis!
»Das Gesetz ist wider mein Herz! Wie soll ich wählen? Wer weiset mich?«
Da ging der Wald zu Ende. Vor Eberweins verstörtem Blick lag ein hügeliges Weideland, eine Halde der Schönau. Von der Höhe eines Hügels tönte eine freundlich klingende Stimme: ein junger Hirte lockte seine Schafe, griff in die Ledertasche und bot den Tieren, die ihn umdrängten, mit vollen Händen das Mied. Der Hirt verschwand mit seiner kleinen Herde. Doch vor Eberweins Augen blieb ein Bild. Die dunklen Wälder erschienen ihm wie ein weites Meer, der niedere Hügel wurde zu ragendem Berg; Tausende von Männern, Weibern und Kindern waren auf dem Hang gelagert, und auf der Höhe des Berges predigte der »Mildeste der Menschen« im Kreise seiner Jünger, umflossen vom Schimmer der Verklärung: »Ich sage euch, wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist, als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.« Wie Erleuchtung drang die Mahnung dieser Worte in Eberweins Seele. Lächelnd, erlöst von allem Sturm seines Herzens, blickte er hinaus in das sonnige Tal. Rings um seine Füße standen die Heideblumen noch in später Blüte, und das silberige Laub einer einsamen Birke flüsterte im leisen Wind. Vom Stamm des Baumes löste Eberwein ein Stück der Rinde und ritzte auf das weiße Blatt mit spitzem Stein die Worte: »Was Gott zusammenfügte, soll der Mensch nicht scheiden!«
Er pflückte von den Heideblüten, wickelte das Birkenblatt um die Stiele, band es fest mit langer Schmehle, reichte der Magd die Blumen und sagte: »Bringe sie deiner guten Herrin und sag ihr, daß ich mich nach der Stunde sehne, in der ich wieder weilen darf an ihrem freundlichen Herd. Ich komme, wenn die Woche vergangen ist – nein, gute Mätzel, morgen, schon morgen!«
Die Magd verstand nur halb; aber sie fühlte: es war gute Botschaft, die sie tragen durfte. Wie ein Falk seine Beute greift, haschte sie den kleinen Strauß und rannte davon. Eberwein sah ihr nach, bis sie im Wald verschwunden war. Dann wanderte er über die Halden und erreichte auf bewaldetem Hügel einen halb zerfallenen Hag. Erschrocken verhielt er den Fuß, als er die traurige Verwüstung gewahrte, die der morsche Zaun umschloß: die Reste einer niedergebrannten Scheune, die Trümmer eines gestürzten Hauses und den von Unkraut überwucherten Garten. Im Schatten eines Apfelbaumes lag ein schlafender Greis auf der Erde, und ein Fliegenschwarm umsumste eine halbverweste Ziege, deren Aasgeruch die Luft verpestete. Unter dem Gerümpel, das im Unkraut umherlag, gewahrte Eberwein einen Spaten. Er hob ihn auf, und seinen Ekel überwindend, schaufelte er in der Hofreut eine Grube und versenkte den Leichnam des Tieres. Während er die Grube wieder mit Erde füllte, erschien ein Mädchen von neun Jahren im Tor; das Kind hatte verweinte Augen, und zögernd schlich es zum Apfelbaum. »Gobl-Ähni!« Das lispelnde Stimmchen weckte den Schläfer nicht. »Gobl-Ähni!« Schüchtern griff das Kind nach dem Schlummernden. Da erwachte der Greis: »Was willst du?«
»Ich such den Huzebuben!« stotterte das Mädchen. »Hast du ihn nit gesehen?«
»Was geht der Bub mich an!« murrte der Alte. »Lauf hinauf in Wazemanns Haus und frag! Mich laß schlafen!« Er streckte sich wieder hin.
Eine Weile noch stand das Kind, stumm und zitternd, dann verließ es die Hofreut. Seufzend drehte sich der Greis auf die Seite und sah den Mönch.
»Dein Haar ist weiß, und beim Alter sollte die Milde wohnen,« sagte Eberwein, »aber dein Herz ist hart. Du hast übel geredet mit diesem Kind. Fürchtest du nicht, daß dich einer straft, der die Tränen der Kinder zählt?«
»Fürchten?« lächelte Gobl. »Es gibt keinen, den ich fürcht, nur einen noch, auf den ich wart! Zu mir kommt er heut oder morgen, zu dir ein andermal. Zu allen kommt er und hat sie lieb wie der gute Hirt seine Geißen. Laß sie laufen, wohin sie mögen, einer jeden steigt er nach, einer jeden bringt er das Mied zum guten Heimweg in den kühlen Stall!«
Eberwein beugte sich nieder und faßte die Hand des Greises. »Du rufst den Tod? Ich will dich zu jenem führen, der das Leben ist.«
»Den kenn ich nit. Und wüßt ich, wo er hauset, ich tät keinen Schritt. Das Leben noch suchen? Ich wart auf das Stündl, das mich erlöst von ihm.«
»Mensch, wie redest du? Glimmt in deinem Herzen kein Funke der Liebe mehr? Denkst du nicht deiner Kinder?«
Die halb erloschenen Augen des Greises richteten sich auf Eberwein. »Schau mein Haus an, dort liegt's! Such meine Kinder – wo sie liegen, weiß ich nit. Drei Buben hab ich gehabt, gewachsen wie Bäum. Den einen hat die Lahn geschlungen, den anderen haben die Wölf gefressen, den letzten hat der Teufel geholt, der Wazemann heißt. Eine Dirn hab ich gehabt, lichtscheinig und gut.« Gobl ballte die Fäuste. »Frag beim Henning an, wo meine Heilka geblieben ist! Einen Bankert hat sie gebracht von ihm und ist zur Windach gelaufen. Heimgekommen ist sie nimmer.« Zitternd an allen Gliedern hob der Greis sich auf die Füße. »Wo haust der Deinige, der das Leben ist? Sag mir's! Oder ich könnt den Weg verfehlen, der ihm ausweicht!«
In die Stille, die diesen Worten folgte, klang vom Hagtor her das Schluchzen des Kindes. Eberwein ging dem Greise nach bis zu den Trümmern des Hauses. »Schwere Not hast du erfahren, Unheil und Unrecht sind über dein Herz gefallen wie Wölfe über das Lamm. Und ich sage dir doch –«
Gobl unterbrach ihn: »Hörst du nit? Da draußen weint das Kind! Mein Herz wär hart? Hast recht! Aber das deinige ist härter noch. Mich laß in Ruh, mir hilft nur der einzige, auf den ich wart. Aber dem Kind da draußen kannst du einen Trost sagen. Tu's! Das wär gescheiter, als daß du mich um den Schlaf bringst, in dem ich ein leichteres Warten hab!« Der Greis wandte sich ab, zog aus dem Wust der Trümmer ein zerschmettertes Stück des Hausrates hervor, betrachtete es aufmerksam und ließ es wieder fallen.
Eberwein stand in schwerem Kampfe. Erbarmen hielt ihn fest an der Seite des Greises, Mitleid trieb ihn zu dem Kinde. Wer war der Hilfe bedürftiger? Dieser sinkende Stamm, oder jenes zitternde Stäudlein, dem der erste Schmerz an die Wurzel seines jungen Lebens rührte? Er sah dem Alten nach, der unter dem Apfelbaum sich niederstreckte in das Kraut und das Gesicht in den Armen barg. »Schlafe nur! Einer wird kommen und dich wecken. Noch lebst du. Und wie die Schmerzen des Lebens nimmer enden, so enden auch seine Freuden nicht. Ich seh es kommen, daß du den Tod, den du heiß gerufen, mit Zähren bitten wirst: warte noch ein Weilchen, laß mir nur dieses letzte Stündlein noch! Dann wirst du jenen suchen, der das Leben ist!«
Der alte Gobl lachte, ohne das Gesicht zu heben.
Eberwein hatte nicht weit zu gehen; nah vor dem Hagtor, im Schatten eines Dornstrauches, fand er das weinende Kind. Er setzte sich an die Seite des Mädchens und umschlang es. »Sag mir, Kind, warum weinst du?«
»Um meinen Huzebuben tu ich weinen.«
»Wer ist das, dein Huzebub?«
»So ein lieber, guter Bub! Meinem Vater hat er die Geißen gehütet hinter dem Eismann droben. Allweil hab ich mich gefreut, bis er heimgekommen ist. Blümlein hat er mir gebracht. Und auf den Abend ist er bei mir gesessen, hat mir Lieder gesungen und hat gehäuselt mit mir.« Die Worte des Kindes erstickten in Schluchzen.
Eberwein hob das Mädchen auf seinen Schoß und stellte Frage um Frage. Als er hörte, welch einer grausamen Strafe der Bub verfallen war, stieg ihm der Zorn in die Stirne. Das Kind zur Erde stellend, sprang er auf, und seine blitzenden Augen suchten in der Ferne den Falkenstein. »Herr Waze! Das soll deiner Sünden Abend sein!« Er beugte sich nieder und streichelte dem Kinde das Haar. »Mußt nimmer weinen, Dirnlein, ich bring dir deinen Huzebuben.«
»Bald?« Es ging wie Sonnenschein über das Gesicht des Kindes. »Und tust du ihn grüßen von mir?«
»Ja, mein Dirnlein, das will ich nicht vergessen.« Eberwein küßte das Kind und wanderte seewärts.
Als er die Achenbrücke erreichte, kam auf dem Reitweg einer von Wazemanns Knechten herabgestiegen; die Erinnerung an Bruder Wampo machte ihn beim Anblick des Mönches lachen, aber das Lachen verging ihm vor Eberweins Augen. An der Kleidung erkannte Eberwein den Troßknecht. »Führt dieser Weg zu deines Herren Haus?«
»Wohl!« sagte der Knecht und griff nach der Kappe. Scheu blickte er dem Mönche nach und tat, als Eberwein zwischen den Bäumen verschwand, einen leisen Pfiff vor sich hin. Hastig rannte er quer durch den Wald, dem nahen Felsenpfad entgegen, und hetzte über die steilen Stufen empor. Mit der Faust schlug er an die kleine Pforte. »Wo ist der Herr?« Ohne die Antwort abzuwarten, rannte er über den Hof, an dem erlegten Wild vorüber, das Herr Waze und seine Buben von glücklicher Jagd nach Hause gebracht. »Herr, Herr!« schrie der Knecht noch auf der Freitreppe und stolperte über die Schwelle. Ulla und zwei Mägde deckten in der Stube den Tisch, und Herr Waze saß auf seinem Spanbett, halb nackt; die Gegenwart der Mägde hinderte ihn nicht, das Gewand zu wechseln. Draußen in der Kammer hörte man die Buben lärmen.
»Herr, Herr!«
»Was schreist du wie ein Jochgeier?«
»Einer kommt, einer von den Kuttenleuten,« keuchte der Knecht, »und es muß der Oberste von ihnen sein. Er hat mich angeschaut mit Herrenaugen. Der bringt nichts Gutes!«
Herr Waze wurde blaß und rot. »Hol ihn der Teufel!« Er fuhr in die Strumpfhosen. Dann sprang er zornig gegen den Knecht. »Das hab ich jetzt von dem heillosen Unsinn, den ihr getrieben habt am Morgen!« Er hob die Faust, doch er schlug nicht, sondern sprang auf das Spanbett zu und griff mit der einen Hand nach dem Gürtel, mit der anderen nach dem ledernen Wams. »Das Kreuz? Wo ist das Kreuz, das über Frau Frideruns Bett gehangen?«
»Keiner hat's haben mögen,« sagte die alte Magd. »so hab ich's in meine Kammer gehängt.«
»Her in die Stub damit!« kreischte Herr Waze und fuhr mit den Füßen in die Schuhe. »Neben dem Ofen soll es hängen. Da sieht er es gleich.« Die Mägde liefen aus der Stube. »Und du, hinaus in die Kammer! Die Buben sollen Ruh halten, und keiner soll sich blicken lassen.« Der Knecht rannte davon.
Mit beiden Händen griff Herr Waze an seinen Kopf. »Wär nur der Rimiger schon daheim von der Salzburg, so wüßt ich doch, wie ich dran bin!« Da hörte er das Knarren der Fallbrücke. Im Zwinger schlugen die Hunde an; nur kurz, dann verstummten sie wieder. Herr Waze stand wie befallen von abergläubischem Schreck. »Die Hunde schweigen? Als käm einer, der zum Haus gehört, oder einer, den sie fürchten?« lallte er vor sich hin. »Fürchten? Fürchten? Wen soll ich fürchten in meinem Haus, mitten unter meinen Knechten?« Er wollte lachen, doch das Lachen gelang ihm nicht. Seine Augen sahen ins Leere, und er drückte die Hände über die Ohren. Ihm war, als klänge von irgendwo eine gellende Weiberstimme: »Hab acht, du! Einer wird kommen über dich. Der soll vergelten, was du an mir getan!«
Herr Waze wehrte mit der Hand; aber das Bild, das aus vergangenen Zeiten vor ihm aufgestiegen, wollte nimmer weichen. Ihm war, als stünde er im Hof, lachend, im vollen Haar noch und schwarzgebartet, und vor ihm die Salmued, mit gefesselten Händen, Verzweiflung in den Augen und Schaum auf den verzerrten Lippen, welche schrien: »Hab acht, du! Einer wird kommen über dich. Der soll vergelten, was du an mir getan!« – »Wirf sie auf deinen Karren!« rief Herr Waze dem fahrenden Händler zu. »Hundert Denar hast du genommen: einen für jede Wegstund, die du legen sollst zwischen mich und die Narrendirn! Fort mit ihr!« Der Händler und die Knechte griffen zu; mit der Kraft der Verzweiflung wehrte sich die Gefesselte, und ihr gellendes Geschrei erfüllte den Hof: »Eigel, Eigel! Hilf, mein Bub! Hilf mir! Hilf!« – »Gebt ihr den Knebel!« rief Herr Waze; da streiften seine Augen das offene Tor, und Blässe flog über sein Gesicht. Unter dem Tor stand Frau Friderun, mit ihren beiden Knaben, dem vierjährigen Henning und dem dreijährigen Sindel. Früher, als Herr Waze erwartet hatte, war sie heimgekehrt aus dem Fischerhaus, in dem sie mit der jungen Frau Mahtilt, dem Weib des Gelfrat, zu plaudern liebte. Ihre Augen erweiterten sich, als sie das gefesselte Mädchen sah; ein paar wankende Schritte tat sie, dann blieb sie stehen wie ein steinernes Bild, die Gesichter der Knaben in ihren Schoß drückend, den Blick auf ihren Mann gerichtet, der an der Lippe nagte und mit der Ferse trommelte. Es klirrte vor ihren Füßen; unter der wilden Kraft, mit der die Gefesselte sich wehrte und im Ringen alle Muskeln spannte, war der beinerne Reif zersprungen, den sie am nackten Arm getragen; wie eine Klammer haftete die eine Hälfte noch an den geschwellten Muskeln, die andere Hälfte war klirrend über die Steine gehüpft, bis vor die Füße des bleichen Weibes. Der kleine Henning hob das Bein von der Erde; seine Mutter riß es ihm aus der Hand. Und die Stimme der Salmued gellte: »Halt es fest oder nit, es soll nimmer lassen von dir! Hör meinen Fluch –« Der Knebel erstickte ihre Stimme. Frau Friderun ging auf ihren Gatten zu. Sie sprach kein Wort, sie hielt ihm nur das zersprungene Bein vor die Augen; dann barg sie das böse Erbe der Salmued an ihrer Brust, faßte die Hände der Knaben und schritt ins Haus. »Macht ein Ende!« schrie Herr Waze den Knechten zu und stampfte mit dem Fuß. Als die Gefesselte auf den Karren gehoben wurde, schossen ihre Augen noch einen Blick, bei dessen stummer Sprache Herr Waze ein kaltes Grauen empfand. Er atmete auf, als der Händler mit der Peitsche auf seine Mähre losschlug und der Karren, den vier Knechte geleiteten, sich in Bewegung setzte. Knarrend hob sich die Fallbrücke und schloß das Tor. –
Das Bild der Vergangenheit zerrann vor Wazemanns Augen. »Narretei, Narretei!« lallte er. »Soll ein Weiberfluch mich schrecken?« Wieder sah er ein Bild: eine steile Felswand über dem See, und der Wand zu Füßen, auf blutigem Geröll, lag Frau Friderun mit zerschmettertem Haupt, die Augen noch offen im Tod. –
Als flösse ihm das eine Bild in das andere, so hörte er wieder das Knarren der Fallbrücke. Nein, er hörte ihr Ächzen wirklich und wahrhaftig. Es schloß sich die Brücke nicht hinter dem Karren, der die Salmued davonführte. Sie hob sich hinter Eberwein, der den Hof betreten hatte. Herr Waze lauschte. Aus dem stillen Hof klang eine hallende Stimme: »Führt mich zu eurem Herrn!«
Da faßte er mit beiden Fäusten die eigene Brust, als müßte er seine taumelnden Sinne aufrütteln zu wachem Leben. Er ging zum Tisch, auf dem schon die Metkrüge standen, und tat einen langen Trunk. »So, jetzt komm nur!« murmelte er, richtete sich lächelnd auf und schritt hinaus in die Halle. Noch eh er die Freitreppe erreichte, klangen Hammerschläge hinter ihm in der Stube. Das Kreuz, das die greise Magd gebracht hatte, wurde neben dem Ofen an die weiße Wand genagelt.
Im Burghof waren die Knechte und Mägde zusammengelaufen; sie lachten und schrien nicht wie am Morgen bei Bruder Wampos Ankunft; flüsternd standen sie, mit scheuen Augen aufblickend zu der hohen Gestalt des Mönches, der, von einem Knechte geführt, auf die Freitreppe zuschritt. Noch hatte er die Stufen nicht erreicht, als Herr Waze in der Halle erschien. Wie in freudigem Staunen breitete der Spisar die Arme: »Täuschen mich meine Augen, oder seh ich recht? Ein Gottesmann!« Er humpelte über die Treppe herab. »Seid mir gegrüßt, frommer Vater, gegrüßt in meinem Haus! Es hat in der Nacht die Erd gebidmet, und Unheil hat mir geschwant. Aber schau: da kommt eine Gottesfreud zu meinem Dach!« Aus Eberweins Augen traf ihn ein flammender Blick. Herr Waze stutzte. Wo hatte er diese Augen schon gesehen? Diesen Blick? Wo nur, wo? Diese Frage flog ihm durch die Sinne. Aber seine süßlichen Worte stockten nicht. »Es hat die Erd gebidmet, und der große Lärm hat große Freud verkündet! Kommt, frommer Vater, kommt! Zu guter Stunde seid Ihr eingekehrt, es steht die Tafel gedeckt, als hätt sie Euch erwartet.«
Eberweins Stimme klang wie Hammerschlag: »Ich komme nicht zum Mahl, ich suche nicht Trank und Speise in deinem Haus. Knecht Waze! Ich komme, mit dir zu rechten als dein Herr.«
Heiß schoß es über Wazes Gesicht. »Du? Mein Herr?« fuhr es ihm über die Lippen. Dann verstummte er wieder. Er hatte die Maske verloren und suchte mühsam seine Fassung zu gewinnen. Da sah er die Knechte und Mägde stehen. »Was gafft ihr?« Das Gesinde stob auseinander wie ein Hühnerschwarm, in den der Fuchs gefahren. Der Hof war leer und still. Nur im Zwinger winselten die Hunde, und im Stangenkäfig trabten die gefangenen Raubtiere hinter dem Gitter auf und nieder. Herr Waze wandte sich zu Eberwein mit gekränkter Miene: »Frommer Vater, Ihr bietet mir üblen Gruß!«
»Den Gruß, den du verdientest. Du hast gewaltet in meinem Lande als ein schlechter Knecht.«
Herr Waze nickte und lächelte. »Schlecht und niedrig, niedrig vor Euch! Ich hab es gleich aus Eurem Aug gelesen, daß Ihr es sein müßt, dem der Gaden in die Herrenhand gelegt ist. So müßt Ihr Eberwein heißen. Euer Nam ist hergegangen vor Euch wie Schein vor dem Feuer. Keinem Besseren, hat es geheißen, könnt das Ländlein übergeben sein, das Frau Adelheid zu frommer Stiftung an die Kirch gegeben. So grüß ich Euch, der Knecht den Herrn!« Das klang so ehrlich, daß Eberwein um sich blickte, als müßte er sich überzeugen, ob er wirklich in dem Hause sich befände, das er im Zorn gesucht. Herr Waze beugte das Knie und griff nach dem Ärmel der Kutte, um ihn zu küssen. Eberwein trat mit gefurchter Stirne zurück: »Ich höre dich blöken wie ein Lamm und weiß doch: du bist der Wolf. Rühre nicht an den Saum meines Kleides! Nach deinem Gruß verlangt mich nicht. Du warst nicht eilig, ihn zu bieten. Eine Woche schon bin ich in meinem Land. Du hörtest die Botschaft, daß ich gekommen. Dein übles Gewissen hat mein Auge gemieden.«
»Frommer Vater! Was denket Ihr von mir!« Herr Waze schien von diesem Vorwurf tief gekränkt in seinem schuldlosen Herzen. Wie ein Bächlein sprudelte ihm die Rede. Mit Freude hätte er die Botschaft begrüßt, die Recka, sein gutes Kind, ihm gebracht; er hätte ein Mahl gerüstet, hätte gewartet auf die willkommenen Gäste. Und als sie zu seinem Staunen nicht erschienen wären, hätte er Tag um Tag mit Söhnen und Knechten das Tal durchsucht. »Umsonst! Ich hab Euch nicht gefunden und hab schon gefürchtet, Ihr hättet wieder das Land verlassen. Das wär mir leid gewesen, frommer Vater! Wir brauchen Euch im Tal wie das liebe Brot. Die Leut im Gaden sind dicke Heidenschädel. Es wird eine Weile dauern, bis Euer frommes Wort offene Ohren findet und Euer Fuß auch überall ein offenes Tor.«
Diese letzten Worte hatte Herr Waze gut gewählt; sie weckten in Eberwein die Erinnerung dessen, was er beim Auszug am Morgen hatte erleben müssen.
Scharf erspähte Herr Waze den verwandelten Ausdruck in Eberweins Zügen und benutzte diese Stimmung, um seinen Gast unter freundlichen Worten über die Freitreppe emporzuführen. In der Halle erwachte Eberwein wie aus einem Traum. Seine Stimme bebte. »Ich will die Wahrheit nicht suchen in deinen Worten. Magst du ehrlich reden oder falsch, ich kam nicht, um deine Gesinnung wider mich zu erkunden. Sei mir Feind, es soll mich nicht betrüben. Immer ist es die Art des Wolfes, daß er wider den Hirten steht. Mich hat anderes zu dir geführt!« Seine Stimme wurde fest, seine Augen brannten. »Seit ich mein Land betreten, hab ich keinen Schritt getan, ohne Blut zu finden, das du vergossen, ohne auf die Asche eines Lebens zu stoßen, das du vernichtet, ohne Tränen fließen zu sehen, die du erpreßt! Waze! Wie hast du gewaltet in diesem Land!«
»Ich? Ich? Hör ich denn recht?« Herr Waze schlug erschrocken die Hände zusammen. »Und Ihr, frommer Vater, Ihr glaubet von mir –« Er faßte Eberweins Arm. »Aber tretet doch in die Stub, ich bitt Euch! Wie mögt Ihr so böse Worte wider mich rufen unter freiem Himmel, vor meinem lauschenden Gesind!«
Eberwein löste den Arm. »Mag das Gesinde lauschen! Es hört nichts Neues. Was du getan, ist ausgeschrien zwischen allen Bergen.«
»Nein, nein, man muß mich verlästert haben bei Euch! Hat es der Fischer getan, so glaubet ihm nit. Er ist mir widersässig –«
»Kein Wort der Klage kam über Sigenots Lippen. Wider dich schreien die Steine!«
»Was denn? Redet doch, frommer Vater! Bei Eurem mächtigen Heiligen, ich bin mir keiner Schuld bewußt. Sollt ich wider Wissen gefehlt haben, so will ich mein Unrecht einsehen und zum guten wenden.«
»Kannst du Tote wieder lebendig machen, vergossenes Blut zurückgießen in die leeren Pulse? Verzweiflung in Freude wandeln und Schmach in Ehre? Mich faßt Erbarmen, wenn ich denke, wie du stehen wirst vor dem ewigen Richter! Noch lebst du. Und ich komme, dein Herr, und sage dir: jeden Halm sollst du mir wieder aufrichten, den deine Faust nur gebeugt hat, noch nicht gebrochen! Gib mir den Knaben heraus, den du grausam straftest um geringe Schuld!«
Staunend fragte Herr Waze: »Welchen Knaben?« Er lachte. »Ihr meint doch nit den Huze, frommer Vater, den Geißhirt?«
»Gib mir den Knaben!«
»Wie soll ich ihn geben? Der Bub ist lang schon wieder über alle Berg. Gegen mein Gebot ist er eingestiegen in meinen Bannberg. So hab ich ihn, weil Ordnung sein muß, eine Nacht ins Loch gesteckt und hab ihn am andern Morgen wieder laufen lassen.«
»Der Knabe ist nicht heimgekehrt.«
»Nit heimgekehrt?« Herr Waze machte verblüffte Augen. »So wird er wohl auf dem Berg bei seinen Geißen sein. Wo sonst? Nein, die Leut, die Leut! Nur gleich über den Herrn schimpfen! Eine Schwalb laß ich fliegen, und da heißt es am anderen Tag im ganzen Tal: ich hätt einen Geier streichen lassen. Und bis der Geier hinausfliegt zum Untersberg, ist schon ein Drach aus ihm geworden. So reden die Leut, wenn es wider den Spisar geht, dem sie die Steuer legen müssen. Aber der Fischer, ja! Er ist mir widersässig. Aber ich muß sagen von ihm: er hat eine redliche Zung. Hätt er eine Klag gefunden wider mich, er hätt sie getan!« Herr Waze blickte zu Eberwein auf. »Und noch allweil seh ich Unglauben in Eurem Aug? So kommt in die Stub mit mir! Dort hängt das liebe Kreuz, vor dem ich bete jeden Morgen und Abend. Ich leg zum Eidschwur die Hand darauf. Und wollt Ihr noch allweil nit glauben, ich ruf meine Knecht als Zeugen und Eidhelfer!« Er wollte zur Treppe.
»Laß das, Waze! Du hast beim Kreuz geschworen. Da muß ich glauben. Nach dem Anblick deiner Knechte bin ich nicht lüstern, die das fromme Haus des Hiltischalk zur Schänke machten und sich vergriffen am Meßwein!«
»Wildes Volk, frommer Vater! Und Jagdselde! Der alte Brauch ist ihnen nit auszutreiben. Aber ich will sie lehren, Wasser saufen! Und jeden jag ich aus dem Haus –«
»Verjage die schlechten und wirb dir gute Knechte,« unterbrach ihn Eberwein, »das böse Beispiel deiner Söhne wird sie verderben. Rufe mir deinen Ältesten, welcher Henning heißt!«
Es zuckte über Wazemanns Gesicht. »Der weilt noch im Gejaid.« Jammernd hob er die Hände. »Hätt ich den Buben nur jetzt daheim, frommer Vater, daß Ihr ihm ins Gewissen reden möchtet! Ach, dieser Bub! Ist schier ein Mann an die vierzig Jahr, und ich muß mich noch sorgen mit ihm wie mit einem zahnenden Kind. Jeder Tag bringt einen neuen Streich. Und nit viel besser sind die andern. Es wär ein Wunder! Vor fünfzehn Jahren, kaum daß der Jüngste geboren war, haben sie die gute Mutter verloren und sind aufgewachsen wie die Wildling im Wald. Schauet hinüber, frommer Vater,« Herr Waze deutete über den See und ließ die Stimme zittern, »dort auf der Rabenwand ist ihre Mutter Friderun über die Felsen gestürzt. Noch heut weiß keiner, wie das Unglück hat geschehen können. Jetzt denket: sieben Buben und keine Mutter!«
»Keine Mutter!« Leise klangen die beiden Worte. Eberwein richtete sich auf und strich mit der Hand über die Augen, als müßte er sich gewaltsam der weichen Regung erwehren. »Schweres Los ist deinen Söhnen gefallen, da sie die Mutter verloren. Es wär ihnen die üble Zucht und der wilde Mut zu verzeihen. Nicht das Laster und das schreiende Unrecht. Henning, dein ältester Sohn, soll stehen unter meinem Gericht. Blutschuld hat er auf sich geladen.«
Die Demut begann Herrn Waze schwer zu werden. Seine Augen schossen einen Blitz. Um die Wallung zu verbergen, neigte er das Gesicht. Als er wieder aufblickte, zeigte er eine betrübte Miene. »Blutschuld? Ja, frommer Vater, ich weiß, wen Ihr meint: die Dirn des Greinwalders? Ich selber bin erschrocken. Wohl hat sie lästerlich geredet wider meinen Buben. Es wär auch der Streich nit so grob gemessen, als er ausgefallen. Aber Blut ist Blut. Es soll geschehen nach Eurem Willen.«
»Nicht nach meinem Willen. Nach dem Recht. Dein Sohn wird Buße leiden. Vor meinen Augen soll er bittend die Hand auf die Stirne legen, die er blutig schlug. Und dem Vater des Mädchens wirst du Wergeld zahlen nach dem Gesetz!«
Herr Waze zögerte mit der Antwort. »Ja, frommer Vater! Der Bauer soll verlangen. Es wär nit das erste Pflaster, das ich auf Wunden leg, die der wilde Bub geschlagen.«
»Was legtest du auf die Wunden der Heilka, die den Weg zur Windach ging?«
Da verlor Herr Waze die Geduld. »Meine Söhn sind gewachsene Buben. Gebt ihnen Land und Haus, so können sie adelig heuern und brauchen nit in die Fenster der Dirnen zu steigen. Ich kann doch die Buben in der Nacht nit an die Bettlad binden. Da wär ein Sack voll Flöh noch leichter zu hüten, als meine sieben –« Herr Waze verschluckte ein Wort. »Und geht so ein heimlicher Weg schief aus, natürlich, so muß der Vater leiden, und ein Geschrei geht an.«
»Waze!« klang Eberweins Stimme in Empörung. »Das erste, was ich an dir begreife: daß du dem Laster deiner Söhne zuliebe redest, du, der dem Eigel die Salmued nahm. Was ist geworden aus ihr? Steigt nicht der Schatten dieses Mädchens vor dir auf? Sieht dich ihr Auge nicht an mit drohendem Blick?«
Herr Waze schien nicht zu hören, starrte nur in Eberweins Augen. Dieser Blick des Mönches! Wo hatte er diesen Blick nur schon gesehen? Wo nur? Wo?
»Zitterst du, weil einer kam, der Rechenschaft von dir begehrt? Ich will meine Herde erlösen von dem reißenden Wolf. Du bist der Spisar in diesem Land gewesen!«
Herr Waze streckte die Fäuste, als wollte er dem Mönch an die Kehle springen; doch jäh verwandelte sich der Ausdruck seiner fahlen Züge. Er fuhr sich mit den Händen in die dünnen Haare und schrie: »Ja, Herr, ich hab gesündigt, hundertmal in jedem Tag! Einschichtig bin ich gestanden in meiner Öd, ohne Freund und frommen Rat, ohne Mahnung und geistlichen Zuspruch. Da ist der Teufel stärker worden in mir als mein himmlisch Teil. Und jetzt, wo die Reu mich packt vor meinem nahen End, jetzt wollt Ihr mich niederstoßen ins höllische Feuer?« Er stürzte auf die Knie und umklammerte Eberweins Schoß. »Kann Euch meine Reu nit rühren? Wer soll mich lösen, wenn Ihr mich verdammt? Wer soll mir helfen zum ewigen Heil, wenn Ihr mich verlaßt?« Verstummend drückte er das Gesicht in die Kutte des Mönches und schluchzte.
Bleich stand Eberwein, erschüttert von diesem wilden Ausbruch. Tränen wogen ihm schwer. Er hörte das Schluchzen des Greises. Und das gläubige Kinderherz in diesem dreißigjährigen Manne schmolz wie Wachs. Er glaubte an die Reue, die er schreien hörte zu seinen Füßen. Reue war ihm heilig. Sein Zorn wich dem Erbarmen. Und da war auch sein Mitleid schon geschäftig, alles Schwarze in milderes Grau zu wandeln. Einsam hatte dieser Sünder gestanden, seinem wilden Blut überlassen, ohne Freund und Rat, ohne Mahnung und Zuspruch. Er hatte schwere Schuld auf sich geladen. Aber manche seiner Sünden wäre verhütet worden, wenn ein Warner sich gefunden hätte zu guter Stunde. Vielleicht hatte der Haunsperger die Wahrheit gesprochen, als er sagte: Herr Waze ist nicht schlechter, als die anderen sind. Und Eberwein hatte diese anderen kennengelernt, überall im Land, zumeist am Hofe des Herzogs: diese kleinen, dienenden Herren, hart gegen die Niedrigen, unterwürfig vor dem Größeren, ränkevoll und zügellos und doch mit einem Funken unter der Asche, mit einer weichen Faser im rauhen Wesen. Bei manchem von ihnen hatte er diesen Funken angeblasen, die Faser bewegt. Sollte ihm ein Gleiches nicht auch hier gelingen? Durfte er von dem Sinkenden sich wenden, den Reuigen verstoßen, der aus seiner Tiefe die Arme streckte nach der ewigen Güte?
Eberwein legte die Hand auf den Scheitel des Knienden. »Ihr sollt zu Gottes Liebe nicht umsonst gerufen haben. Doch stehet auf, Herr Waze, hier ist der Ort nicht, daß ich den Mittler mache zwischen Euch und dem Himmel. Morgen, in meiner stillen Kirche –« Er verstummte.
Mit dumpfem Gerassel war am Tor die Fallbrücke niedergegangen und Recka trabte auf ihrem Rappen in den Hof.