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Sigenot überschritt auf dem Heimweg die Achenbrücke. Das Wasser rauschte im wogenden Schilf, und der Sturmwind trieb den weißen Schaum über das Ufer. Kein Regen fiel, aber ohne Unterlaß rollte der Donner, und in schneller Folge zuckten die Blitze über das Gewölk. Tal und Berge leuchteten auf, um jählings wieder in tiefes Dunkel zu versinken. Zwischen den Bäumen, welche ächzten unter der Wucht des Sturmes, lag, wenn die blendende Blitzhelle erlosch, so schwarze Finsternis, daß Sigenot den Weg nur tastend fand. Als er das Hagtor seines Hauses erreichte, hörte er aus der Nähe des Stalles die kreischende Stimme der Magd: »Wicho! Wicho!« Und aus dem Innern des Hauses klang Mutter Mahtilts schrilles Gelächter.
Sigenot erschrak, denn er kannte die Sprache dieses Lachens, und eilte über den Hügel empor. Matter Feuerschein leuchtete aus der offenen Haustür. Der Fischer trat in eine weite Halle, welche Flur, Wohnstube und Küche in einem war. Die Balken der Decke waren berußt, und quer unter dem offenen Rauchfang hing das große Eisenblech, das durch einen Kettenzug geschlossen werden konnte, um die Wärme im Raume zurückzuhalten oder dem Eindringen des Windes zu wehren. Eine Türe führte in Sigenots Kammer, eine zweite in die Schlafstube seiner Mutter und Schwester. Die Balkenwände waren mit dünnen Stangen verschalt, an den Fensterluken die Läden vorgeschoben; an der Wand hingen Rahmen für Pfannen und Kochgeschirre, für die hölzernen Teller, Schüsseln und Becher. Hier ein mächtiger Schrank, dort eine plumpe Truhe; in einer Ecke standen drei Spinnrocken, in deren zottigen Hanfwuckeln die halbübersponnenen Spindeln staken; in einer zweiten Ecke war der Webstuhl angebracht; um die dritte Ecke zog sich eine Holzbank, und vor ihr stand ein Tisch, dessen runde Steinplatte von einem dicken Baumstrunk getragen wurde; dieser Stamm war in den mit Lehm beschlagenen Boden eingewachsen, und seine nach allen Seiten greifenden, knorrigen Wurzeln waren abgewetzt vom Eisenbeschlag der Schuhe. Über der Bank hingen an der Wand eine Eisenhaube, ein Ringhemd, ein gebuckelter Schild und das lange Schwert in lederner Scheide. Zwischen den beiden Türen war der niedere offene Herd an die Balkenwand angebaut; über ihm, auf schmalem, schwarz berußtem Gesims standen die den Herd beschützenden Alraunen und geschnitzten Feuermännlein. Auf der Herdstatt flackerte, den dampfenden Dreifuß umzüngelnd, eine rauchlose Flamme. Ihr Schein beleuchtete Sigenots Mutter, die neben dem Herd in dem mit einem Wolfsfell überhängten Lehnstuhl saß. Das Kleid aus gelblichem Hanftuch und die regungslose Ruhe der gelähmten Füße gaben ihrem Körper den Anschein eines steinernen Bildes. Die Arme waren dem Sohn entgegengestreckt, Angst und Jammer sprachen aus dem Gesicht, über dessen Wangen vier straff geflochtene graue Zöpfe niederhingen auf die Brust; Tränen glitzerten in den weit offenen Augen, und die schwere Zunge lallte. In jener Unglücksnacht, in der das Wasser den Vater Sigenots verschlang, hatte Mutter Mahtilt die Sprache verloren; nur Lachen und Weinen waren ihr noch geblieben, das Weinen für die Freude, das Lachen für Wunsch und Angst.
»Mutter?« stammelte Sigenot. »Was ist geschehen?« Das Weib lachte und lallte. Er schien zu verstehen und blickte um sich. »Das Rötli? Wo ist das Rötli?«
Mutter Mahtilt deutete mit den Armen, während ein Windstoß unter dröhnendem Donner das Haus umfuhr. Da erblaßte Sigenot. »Draußen? Auf dem See?« Er stürzte zur Türe. Auf der Schwelle blieb er stehen, kehrte zurück, faßte die Hände der Mutter und sagte: »Mußt keine Angst haben, ich bring dir das Kind!« Mutter Mahtilt klammerte die Finger um seine Hände, blickte zu ihm auf und nickte; ihre Hände zitterten, und glänzende Zähren rollten über ihre Wangen.
Sigenot lächelte und ging zur Tür. Kaum aber war er hinausgetreten ins Freie, in den tobenden Sturm, da überfiel ihn die Unruh; mit raschen Händen griff er nach einem Ruder. »Wicho! Wicho!« schrie er.
Aber es kam nur die Magd gerannt. »Der Knecht muß im Heimgart sein, ich weiß nit, wo!«
Sigenot schwang das Ruder über die Schulter und rannte über den Hügel hinunter, dem Hagtor zu; hinter ihm her die Magd. Als sie die Lände erreichten, über die jede anrauschende Welle einen schäumenden Wasserguß herausspülte, zuckte ein greller Blitz. In der brennenden Helle sah Sigenot den Einbaum am Ufer liegen. »Ach du meine Not,« stammelte er, »sie hat nur den leichten Gransen!« Er warf das Ruder in den Einbaum und stemmte, auf die Knie gebückt, von Wasserschaum umflattert, die Schulter gegen das schwere Boot. Die Magd wollte ihm helfen, aber ehe sie noch die Hände streckte, schwankte der Nachen schon auf den Wellen, und Sigenot stand darin und zerrte das Ruder durch den Weidenring. Mit wuchtigen Schlägen trieb er den Einbaum, dessen Schnabel auf die ansteigenden Wellen klatschte. Blitz um Blitz erhellte die Finsternis, Sigenot spähte hinaus über den Seeweiher und sah nur das Gewirbel des weißen Wassers.
»Rötli! Rötli!« schrie er mit hallender Stimme; sein Ruf erstickte im Brausen des Sturmes, und keine Antwort klang; nur droben in Wazemanns Haus heulten und kläfften die Hunde.
»Rötli! Rötli!« schrie Sigenot und holte mit dem Ruder aus, daß die Stange knirschte. Jeder neue Wellenschlag erschütterte den Einbaum und machte ihn steigen und sinken; aber das Boot hielt feste Fahrt. Nun fuhr er knirschend durch Geröhr, rauschte vorüber an der Insel Bidlieger, und vor Sigenot öffnete sich der Weitsee. Brausen, Rauschen, Dunkel, Donner und Echo füllten den gewaltigen Felsenkessel. Es flammte ein Blitz. Sigenot sah nur die weißschäumenden Wellen und die grauen Nebelschwaden, die der Sturmwind herunterpeitschte über die steilen Berggehänge.
»Rötli! Rötli!«
Da klang von der Falkenwand herüber ein Schrei.
»Ich komm, Rötli!« jauchzte Sigenot und warf sich mit dem ganzen Körper auf die Ruderstange. Jeder Schlag trieb den Einbaum über sprühende Wellenkämme, und immer näher rückte die schwarze Wand. Ein Blitz fuhr nieder über die Berge, und in dem Feuerschein, der über das kochende Wasser floß, sah Sigenot den Gransen an der senkrecht aus dem Wasser steigenden Felswand hängen und anschlagen wider das Gestein. Und zwei Gestalten trug der Nachen. Vier Arme hingen angeklammert an das dürftige Gestrüpp, das in den Runsen der Felswand wurzelte. Ein heißer Schreck durchzuckte Sigenots Herz. Da lag schon wieder die Finsternis um ihn her. Der klatschende Einbaum schoß der Felswand zu, die Ruderstange ächzte, und der Schaum der Wellen, vom Sturm getrieben, übersprühte Schiff und Schiffer. Wieder flammte ein Blitz. Dicht neben dem weißumbrandeten Gransen glitt der Einbaum vorüber. Sigenot ließ das Ruder sinken, griff mit beiden Armen zu, faßte die Tochter Wazes um die Hüften und schwang sie herüber in das Boot. Recka taumelte, ihre Arme klammerten sich um den Hals des Fischers, und schwer hing sie an seiner Brust. Sigenot hielt die Gerettete umschlungen. Er fühlte ihren bebenden Körper, den Schlag ihres Herzens, den heißen Hauch ihres Mundes. Da klang durch das Rauschen und Stürmen, in schreiender Angst, die Stimme der Schwester: »Ich sink! Ich sink!«
Sigenot erwachte. »Rötli!« Seine Arme ließen von Recka, die wortlos niederstürzte auf den Boden des Einbaums. »Rötli! Ich komm!«
»Sigenot!« Hart neben dem Einbaum klang der gellende Ruf, nicht mehr an der Felswand, sondern zu Sigenots Füßen, zwischen den Wellen.
Mit heiserem Schrei warf sich der Fischer auf die Knie und griff in der Finsternis mit beiden Händen hinaus über den Einbaum; seine Finger stießen noch an den Rand des sinkenden Gransens. Da kreischte Recka: »Hilf mir, ich hab sie gehascht!«
»Rötli!« Sigenots Hände tauchten in eine steigende Welle, er fühlte einen schlagenden Arm und griff ihn. Ein keuchender Laut, dann stand er aufrecht im Boot, hob die Schwester mit zitternden Armen empor und ließ sie niedergleiten in Reckas Schoß. Er sprach kein Wort, nur ein Stöhnen rang sich aus seiner schwer kämpfenden Brust.
Krachend stieß der Spiegel des Schiffes an die Felswand. Sigenot wankte, aber seine Hände hatten schon das Ruder gefaßt; er stieß sich von der Felswand ab, und mit wuchtigen Schlägen trieb er das schwankende Boot durch Sturm und Wellen. Floß die Feuerhelle eines Blitzes über das Wasser, so sah er vor sich im Einbaum Wazemanns Tochter sitzen, mit blassem, steinernem Gesicht, das die vom Sturm gelösten Haare umringelten gleich roten Flammen; und vor ihr lag Edelrot auf dem Boden des Einbaums, Reckas Leib umklammernd, das Gesicht in ihren Schoß gedrückt, mit ersticktem Schluchzen, umschwankt von dem Wasser, das die Wellen in den Kahn geworfen.
Im Röhricht, das die Insel Bidlieger umzog, stockte der Einbaum; ein Stoß der Ruderstange befreite ihn wieder; und nun wies in der Finsternis die rotleuchtende Tür des Fischerhauses den Weg zur Lände. Die Magd am Ufer, als sie den Nachen klatschen hörte, stieß einen hellen Schrei aus und rannte dem Hause zu.
Knirschend fuhr der Einbaum in den Sand, und eine Welle überschlug ihn. Sigenot sprang an das Ufer; stammelnd beugte er sich über Edelrot, umschlang sie und hob die Schwester, deren Gewand vor Nässe troff, empor an seine Brust. Wazes Tochter sprang aus dem Kahn und starrte hinaus über den tobenden See. Grell leuchtete ein Blitz.
»Recka?« stammelte Sigenot. »Hast du Schmerzen? Ist dir was geschehen?«
»Mir? Nein!« klang ihre harte Stimme. »Meine Stößer hab ich verloren. Um die ist mir leider, als mir um mich gewesen wär!« Sie wandte sich ab, und unter rollendem Donner schritt sie den im Sturmwind rauschenden Bäumen zu.
»Recka!« rief ihr der Fischer nach. »Willst du nit warten, bis ich mit einer Fackel komm?«
»Ich find meinen Weg allein.«
Enger klammerten sich Sigenots Arme um die zitternde Schwester, und raschen Ganges trug er sie in das Haus. »Mutter!« lachte Edelrot, als der Bruder sie in der Stube niedergleiten ließ; sie sank vor der Mutter auf die Knie und schmiegte sich an ihre Brust, tief atmend, als fühlte sie sich jetzt erst sicher und gerettet. Mahtilt umschlang ihr Kind und weinte in Freude.
Sigenot sah stumm die beiden an; Blässe lag auf seinem Gesicht, und seine Augen brannten. Da faßte die Mutter seine Hand. Er zog die Hand zurück und schüttelte den Kopf. »Ich hab dir das Kind nur heimgetragen. Geholfen hat ihm Wazemanns Tochter.« Langsam griff er nach einer Kienfackel, die in einer Ecke lehnte, steckte sie am Herdfeuer in Brand und verließ die Stube. Er mußte die Fackel weit von sich halten, damit ihm der wirbelnde Sturm nicht die lodernde Pechflamme ins Gesicht wehte. Als er den finstern Wald betrat, sah er beim Schein der Fackel die Tochter Wazes zwischen den Bäumen schreiten, auf dem Pfad, der hinüberführte zum Felsensteig. Er holte sie ein. »Recka,« sagte er, »über die Wand hinauf, das ist kein Weg für solch eine Nacht!«
»Ich geh, wo ich will.«
»Ein andermal, heut nit!« Er faßte ihre Hand.
Da hob sie das Gesicht, und es zuckte um ihren Mund; sie machte einen Versuch, ihre Hand zu lösen; Sigenot hielt fest. Zwischen den Bäumen zog er sie mit sich fort, dem breiten Reitweg zu. Als er fühlte, daß Recka sich nicht länger sträubte, gab er ihre Hand frei. Mit erhobener Fackel schritt er an ihrer Seite. Sie sprachen kein Wort. Die rauchende Pechflamme loderte, und ihr greller Schein gaukelte zwischen den finsteren Bäumen. Immer brausender wehte der Sturm, immer tiefer sank das treibende Gewölk, doch immer noch wollte der Regen nicht fallen, der die Wucht des Unwetters gebrochen hätte. Reckas Gewand flatterte, und die wehenden Haare züngelten ihr um Hals und Wangen. Häufig wankte sie im Gang, vom Sturm gestoßen und getrieben. Dann hob der Fischer die Hand, als wolle er sie stützen; doch Recka raffte ihr Gewand an sich und kämpfte sich weiter.
Auf der Höhe des Weges tauchte in der Blitzhelle schon die Mauer von Wazemanns Haus empor. Nun hörte Sigenot das Rasseln der fallenden Zugbrücke. Männer mit Fackeln kamen aus dem Tor: Reckas Brüder mit den Knechten; allen anderen voran eilte Henning den Weg einher.
»Ich komme!« rief ihm Recka entgegen.
Geschrei und Gelächter war die Antwort; die Brüder kehrten in das Tor zurück, und Henning schrie: »Wo bleibst du so lang? Der Vater flucht schon eine Weil. Wo warst du?«
»Auf dem Weitsee.«
»Jetzt? Im Sturm?« Da erkannte Henning im Fackelträger seiner Schwester den Fischer. »Was will denn der bei dir?« Recka schwieg. »Hat der dich herausgeholt?«
»Ja!« Recka schritt am Bruder vorüber.
Sigenot hatte schon den Rückweg angetreten; er hörte noch Hennings Lachen und seine höhnenden Worte: »Schäm dich, Schwester! Bist Blut von Wazes Blut und mußt dir helfen lassen von einem solchen!«
Sigenots Faust krampfte sich um den Schaft der Fackel. Immer rascher wurde sein Gang. Äste, die der Sturm von den Bäumen brach, fielen ihm vor die Füße. Als er die Achenbrücke erreichte, war die Fackel niedergebrannt; er warf den erlöschenden Stumpf in das Gewirbel des Baches, überschritt in der Finsternis die Brücke, erreichte seinen Hag und verschloß das Tor mit dem Balken.
Die Stube fand er leer. Mutter und Schwester lagen schon im Schlummer. Ein Häuflein Kohlen glostete noch auf dem Herd, und auf dem Steintisch brannte die Butterlampe mit züngelndem Flämmchen. Neben die Lampe hatten sie ihm das Nachtmahl hingestellt. Sigenot sah es nicht; er ließ sich auf den Herdrand niedersinken und starrte in den roten Schein der Kohlen.
Durch die Spalten der geschlossenen Türe, durch die Ritzen der Fensterläden leuchtete der weiße Feuerschein der Blitze.
Draußen tobte das Unwetter.
Gleich einer Heerschar finsterer Gestalten jagten die Wetterwolken aus dem See hervor und flogen über das weite Tal hin gegen den Untersberg.
In den Lüften heulte der Sturm, in der Höhe des Waldes brausten die Bäume, doch in die tiefgesenkte, von dichtem Gestrüpp umhegte Mulde, in der die Mönche auf Schweikers Rat die Zelte für die Nachtrast aufgeschlagen, drang der Wind nur mit gebrochener Macht, und selten geschah es, daß ein stärkerer Stoß aus den Lüften niederfuhr und an den beiden Zelten rüttelte. In dem einen teilte sich Schweiker mit Bruder Wampo in den schmalen Raum. Von der Gabelung der Zelthölzer hing eine schwankende Lampe herunter und warf ihre trübe Helle über das auf einer Stangenbritsche gebettete Mooslager. Lang ausgestreckt, den Arm als Kissen unter dem Kopf, lag Schweiker in gesundem Schlaf; ihn weckte kein Donner, kein Brausen des Sturmes. Bruder Wampo konnte kein Auge schließen. Er saß auf dem Moosbett, die Knie an den Leib gezogen, die Arme um die Beine geschlungen. Zuweilen tat er im beginnenden Halbschlaf einen kleinen Nicker mit dem Kopf, doch wenn der Donner krachte, riß er die Augen wieder auf und brummte vor sich hin: »So ein Wetter! Ist das ein Wetter!« In Neid betrachtete er den schlafenden Bruder. Als Schweiker im Traume halblaut zu lachen begann, versetzte ihm Wampo einen Stoß in die Hüfte.
»Holla! Ich komm schon. Geht's zur Mett?« stotterte Schweiker im Erwachen, setzte sich auf und rieb die Augen. Da merkte er, wo er sich befand. »Warum hast du mich geweckt?«
»Weil ich Langweil hab.«
»So schlaf halt auch!«
»Wie soll man schlafen können bei so einem Krachen und Rumpeln!«
»Das wirst du gleich sehen!« Schweiker streckte sich wieder.
Wampo zupfte ihn am Kuttenärmel. »Du! Was hast du geträumt? Das muß was Lustigs gewesen sein!«
Schweiker zog die Brauen in die Höhe. »Ja, du!« Er hob den Kopf und stützte ihn mit der Hand. »Mir ist gewesen im Traum, als hätt ich eine schwere Sünd begangen. Was es war, das weiß ich nimmer. Es muß was Schieches gewesen sein, denn vor lauter Schreck bin ich umgefallen und maustot gewesen auf der Stell. Und da hat's einen Knaller getan wie ein Donnerkeil, und die Brust ist mir aufgesprungen, als wär's ein Brotwecken im Backofen, und aus dem Loch heraus ist meine Seel in die Höh gefludert. Wie eine weiße Taub hat sie ausgeschaut, aber einen grauslichen schwarzen Fleck hat sie gehabt. Weißt, von der Sünd! Und allweil höher ist sie geflogen, mitten durchs Wettergewölk, und auf einmal bin ich im Himmel gewesen.«
»Wie hat's da ausgeschaut?«
»Schön! Wie soll's denn im Himmel anders ausschauen?«
»Freilich! Freilich!« Bruder Wampo legte die Hände auf das Bäuchlein und trommelte mit den Fingern. Jetzt hatte er, was er wollte: einen gemütlichen Heimgart. »Weiter! Was weiter?«
»Schön war's, ja! Der liebe Gott aber hat mich angeschaut, daß meine arme Seel gezittert hat bis in alle Federspitzeln. Und wie der Donner ist seine Stimm gewesen! ›Du Erdenwurm‹, hat er gesagt, ›du sollst nit selig werden und kein Bröserl sollst du haben von meinem Himmelsbrot, eh du nit Buß getan hast für deine schieche Sünd!‹ Bruder, da ist mir angst und bang geworden. Ich hab die Hand aufgehoben und hab geschrien: ›Ach, Herre Gott, was muß ich denn schaffen zur Buß?‹ Und da hat er gesagt –« Schweiker schüttelte den Kopf und lachte. »Wie man nur so was träumen kann!«
»So red doch, was hat er gesagt?«
»Er hat gesagt: ›Zur Buß für deine Sünd sollst du das Saubartele weißwaschen!‹«
Da lachte auch Wampo; er wußte schon, wer mit diesem grauen Ehrennamen gemeint war.
»Und da kommt der heilige Petrus auf mich zu und gibt mir einen Renner, daß ich in einem Sauser hinausflieg aus dem Himmelreich. Da bin ich aufgewacht.«
»Mit dem Renner, Bruder, das stimmt! Den hast du richtig gespürt.«
»So ein Traum muß was bedeuten!« Schweiker grübelte. »Weißwaschen? Der liebe Gott kann doch das Auswendige nit gemeint haben? Der meint doch allweil nur das Einwendige. Freilich, in dem Bartele seinem Köpfl wird's grauslich ausschauen vor lauter Unglauben und Heidenzeug!« Seufzend drückte er den Kopf ins Moos.
»Was pappelst du allweil? Red laut!« sagte Wampo; ein dumpfer Donnerschlag erstickte seine Worte.
Es raschelte am Zelttuch. Schweiker hob den Kopf und lauschte. »Was ist da?« rief er.
Einer der Knechte trat in das Zelt, mit einem Span in der Hand, den er über das Lampenlicht hielt, um ihn anzubrennen. »Wir müssen Feuer machen, die Saumtier schlagen und schnaufen, Raubzeug muß in der Näh sein. Brennt ein Feuer, so haben wir Ruh.« Mit dem flackernden Spanlicht ging der Knecht davon.
»So, schön!« stotterte Wampo. »Da laufen die wilden Tier umeinander wie die Hasen im Krautacker. Du mein lieber Herrgott, ist das eine Gegend!« Ein Donner krachte, und das polternde Echo rollte über die Berge. »Und hör nur das Wetter an! Das will kein End nimmer haben.«
»Weil's ein trockenes ist. Tät ein Regen fallen, so wär's bald aus.«
»So eine Gegend! Nit einmal regnen mag's da!« Wampo seufzte tief. »Ganz ahnd wird mir im Gemüt, wenn ich heimdenk an den Tegernsee!« Sehnsüchtig blickten seine Augen ins Leere, und mit halblauter Stimme sang er vor sich hin:
»Valles florent undique Montium in Tegrinsee Roseis fulgoribus Liliis fragrantibus Tellus herbifera Genera plurima Produxit bladorum.«
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Nach dem letzten Worte nickte er trübselig mit dem Kahlkopf, auf dem ein Widerschein der Lampe schimmerte, spitzte die Lippen und pfiff die Weise.
»Ein schönes Lied! Wer hat's gesungen?« fragte Schweiker.
»Der Froumund, sagen sie.«
»Ein Fahrender, gelt?«
»Aber Schweiker!« Bruder Wampo machte große Augen. »Hast du vom Froumund noch nichts gehört? Freilich, er ist lang schon gestorben. Das war ein Gottesmann, berühmt Land ein und aus. Ich hab ihn noch gekannt, wie ich Laufbub gewesen bin in der Klosterküch zu Tegernsee. Der hat alles können: predigen und disputieren, dichten und singen, schreiben und malen, Glocken hat er gegossen und die farbigen Fenster gemacht, das Beinschneiden hat er verstanden und hat die Chorstühl in der Kirch geschnitzt. Und so gut und freundlich ist er gewesen, blauäugig und flachsbartet –«
»Wie Pater Eberwein?«
»Hast recht! Wenn ich den anschau, fallt mir oft der Froumund ein. Unser Herr kann auch alles: schaffen und gut sein! Das wird einmal ein rechter und schlichter Kirchenherr, kein solcher wie der Salzburger, der die seidenen Schleppen und das kostbare Pelzwerk umfegt auf der Erd.«
»Horch, ich mein', er betet noch.«
Wampo lauschte und schüttelte den Kopf. »Das ist der ander. Der Herr wird schlafen. Der Tag muß ihn müd gemacht habend
Der Bruder hatte falsch geraten. Vor dem andern Zelt, aus dessen Innerem der monotone Laut einer psalmierenden Stimme klang, saß Eberwein auf einer Fichtenwurzel, mit dem Rücken an den Stamm gelehnt, die Hände im Schoß gefaltet, regungslos, fast wie in Schlummer versunken. Überfloß ihn die Helle eines Blitzes, so erleuchtete sie ein ruhig lächelndes Gesicht und stille Augen, die traumverloren hinausblickten in das Stürmen und Toben.
Die Bilder des vergangenen Tages waren an seinem Geist vorübergezogen, und schwere Sorge hatte ihn bedrückt. Was er an diesem Tag erleben mußte, mit Sigenot, mit Waldram und mit dem Haunsperger, das hatte nach der Freude, die er auf der steilen Felsenzinne dort oben empfunden, geendet mit Verstimmung und Mißklang. Und war nicht der erste Weg schon, den er mit den Brüdern gegangen, ein Weg in die Irre gewesen? Wie sollte nun alles weiterkommen? Würde er, ein Fremdling in diesem unwirtbaren Bergtal, den Fleck Erde zu finden und zu wählen wissen, der die junge Klause am besten trüge? Und wenn die Klause stünde? Würde in dem schweren Kampf, der unausbleiblich schien, die Kraft und der hoffende Mut ihn nie verlassen, bis die Sendung sich erfüllte, die er übernommen? Aber stand er denn allein und ohne Hilfe? War mit ihm und seiner heiligen Sache nicht Einer, der mit einem Wimperzucken die Welten lenkt, mit einem Hauch den Sturm erregt und ihn wieder geschweigt mit einem Lächeln? »Ach über mich Furchtsamen und Kleinmütigen, der ich nur die Augen schließen darf und meines Führers harren!« Mit diesen Worten war die Ruhe über ihn gekommen, und je länger er hinausblickte in die sturmvolle Nacht, desto heller und stiller wurde es ihm in Herz und Seele.
Wieder dachte er an alles, was dieser Tag gebracht. Und alles gewann ein anderes Gesicht. War sein Weg denn wirklich in die Irre gegangen? Der Weg, der ihn und die Brüder hierhergeführt an diesen stillen, vor der Wut des Sturmes geschützten Ort? Und Friedrich von Haunsperg? Wie durfte er diesem Manne zürnen? Ein Kriegsmann, der die Worte nicht wog, von derber Art, aus hartem Holz geschnitten, ein treuer Diener, der seines Herren Vorteil zu wahren sucht! Und Waldram? Floß denn seine zornige Strenge nicht aus heißem Eifer für Gottes Sache? Wie sollte sich, was aus Gutem kam, nicht wieder zum Guten wenden lassen? Und Sigenot, der Fischer? War Eberwein ihm nicht entgegengetreten, unerwartet, ein Fremder dem Fremden? Wachsen Freundschaft und Vertrauen aus dem ersten Wort, aus dem ersten Blick? Eberwein lächelte. War nicht alles, was dieser Tag gebracht, natürlich und selbstverständlich? Wo lag ein Mißerfolg, der ihn verstimmen durfte, mit Sorgen bedrücken und kleinmütig machen?
In den Lüften heulte ein Windstoß, und im Innern des Gewölkes flammte ein Blitz; in einer Wolkenkluft, auf finsterem Grund, beleuchtete die aufzuckende Flammenhelle ein seltsam geformtes, vom Sturm gejagtes Nebelgebild. »Wie ein Roß und eine Reiterin mit wehendem Rothaar!« flüsterte Eberwein.
Da lag schon wieder tiefes Dunkel um ihn her, und über die Wolken rollte der Donner hin. Eberwein erhob sich. »Ich habe zu lange gewacht. Meine Augen sehen, was nicht ist.«
Er ging dem Zelte zu, aus dem noch immer Waldrams betende Stimme klang. Da blendete ein grelles Licht seine Augen. Über den waldigen Hügel, der jenseits der Ache lag, fuhr ein Blitzstrahl nieder und stand in der Luft gleich einem brennenden Riesenbaum, der in den Wolken gipfelte und mit flammenden Ästen nach allen Seiten griff. Himmel und Erde, Berge, Tal und Wälder, alles schien in Feuer zu schwimmen. Und ein Donner rasselte, als wäre der Gipfel eines Berges eingestürzt und hätte seine springenden Trümmer niedergeschüttet über brechende Bäume.
»Da hat's eingeschlagen, nit weit von uns!« schrie Schweiker in seinem Zelt und kam hervorgestürzt. Bruder Wampo folgte ihm, stotternd, und die beiden rannten nach dem andern Zelt.
In der Finsternis, die auf die blendende Helle folgte, trat ihnen Eberwein entgegen. »Wen sucht ihr?«
»Gott sei Dank! Weil ich nur deine Stimme hör!« rief Schweiker. »Ich hab schon gemeint, es müßt was geschehen sein!«
Aus dem Walde klang das Schreien der Knechte; eines der Saumtiere war scheu geworden und hatte sich losgerissen. Schweiker wollte zum Lager der Knechte eilen, aber schon nach wenigen Schritten stand er wieder. »Schau, Herr,« rief er und deutete über die Ache hinüber nach der Höhe des finsteren Waldhügels, »der Blitz muß in einen dürren Baum geschlagen und gezündet haben!«
Nahe den beiden Felszacken, die schwarz aufstiegen aus dem Wald, breitete sich eine rötliche Helle über die Wipfel, und es währte nicht lang, so stieg eine schlanke Feuergarbe in die Nacht empor, schwankend und lodernd im wehenden Sturm.
»Ein Zeichen des Himmels!« stammelte Eberwein. »Gott rodet den Wald für sein heiliges Haus. Wo jene Flamme brennt, soll unsere Klause stehen!«
Da klang hinter ihm die Stimme Waldrams. »Ja! Ein Zeichen des Himmels, das ich erflehte in brünstigem Gebet. Gott erhörte meine Bitte. Was stehet ihr noch und staunet das Wunder an? Nieder auf die Knie und preiset den Herrn!« Mit ausgebreiteten Armen sank er zu Boden und begann mit hallender Stimme den Ambrosianischen Lobgesang. Die Brüder knieten nieder und fielen ein; nur Eberwein stand unbeweglich und blickte schweigend empor in die Nacht der Wolken. Als der Gesang verstummte, sagte er: »Nun wollen wir ruhen und schlummern, bis der Morgen graut, denn der kommende Tag will uns bei Kräften finden.«
Sie traten in die Zelte. Schwere Tropfen begannen zu fallen, es dämpfte sich der Sturm, und in rauschendem Regen löste sich das Ungewitter.