Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

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8

Nach der finsteren Sturmnacht war ein heller Morgen aufgeblüht, schimmernd in sommerlicher Schönheit: der Himmel wolkenlos, die Lüfte frisch und ohne Hauch, alle Farben tief, jeder Zweig und jedes Gras behängt mit funkelnden Tropfen, die Berge von blauen Schatten überschleiert oder leuchtend im Frühschein, überragt vom König Eismann, dessen steile, von ewigem Schnee umgossene Zinne glänzte gleich einer riesigen Silberstufe. Schräge Lichter fielen zwischen die Wipfel des dichten Waldes, in dem der Zug der Saumtiere sich langsam fortbewegte. Waldram und Bruder Wampo hielten den gleichen Weg mit den Knechten. Eberwein und Schwerer waren nach verschiedener Richtung in den Wald gezogen, um die Feuerstätte der vergangenen Nacht zu suchen.

Zwischen den Urwaldbäumen schritt Eberwein dahin, mit seinem Stab die Stauden teilend, die seinen Weg versperrten. Da klang in der Nähe das Wiehern eines Pferdes. Eberwein blickte auf, und eine Furche des Unmutes grub sich in seine Stirne. »Soll ihr Weg denn immer meine Straße kreuzen?« Er nahm eine andere Richtung. Hinter seinem Rücken ließ sich ein Lachen hören. Aber das war eine Männerstimme. Eberwein gewahrte einen Reiter, der zwischen den Bäumen flüchtig auftauchte und auf trabendem Pferd verschwand. »Wer war das? Einer von ihren Brüdern?« Eberwein fand nicht Zeit, dieser Frage nachzudenken, denn durch den Wald her tönte Schweikers langgezogener Ruf: »Hoidoooh! Hoidoooh!« Er mußte die Feuerstatt gefunden haben.

Eberwein schritt einer Lichtung zu, die zwischen den Bäumen schimmerte. Da kam Schweiker ihm entgegen, mit lachendem Gesicht. »Komm, Herr, und schau, was ich gefunden hab! Der feurige Weiser hat uns gut gewiesen!« Eberwein führend, eilte er voran, und bald erreichten sie den Waldsaum. Eine weite, von hohen Bäumen umstandene Blöße lag vor ihnen, fast eben, mit Moos und Heidekraut überwachsen: eine stille, freundliche Insel inmitten des dunklen Wäldermeeres. Über der Lichtung drüben stieg gegen den Untersberg ein bewaldeter Hang empor, über den eine blitzende Quelle niederrieselte in einen kleinen schimmernden Teich; zu beiden Seiten des Hanges erhoben sich zwei graue Felszinnen. Inmitten der Lichtung stand der vom Feuer halb verzehrte Baum, einsam, gleich einer schwarzen Säule; nur die Stümpfe der beiden untersten Äste hafteten noch an dem verkohlten Stamm und ragten seitwärts wie die Arme eines Kreuzes. Asche und Kohlenreste bedeckten den Felsblock, der zwischen den Wurzeln des verbrannten Baumes sich erhob.

»Schau, Herr,« sagte Schweiker, »ein behauener Block! Ein Heidenstein!«

Raschen Ganges überschritten sie die Lichtung und standen vor dem Felsblock. Mit roher Arbeit war der vorderen Fläche des Steines das Zeichen einer Flamme eingemeißelt. »Ein Stein des Loki!« sagte Eberwein in tiefer Bewegung. »Hier loderte die Flamme, hier floß den falschen Göttern das Blut der Opfer. Hier wollen wir die lautere Flamme des wahren Glaubens entzünden und dem Himmel opfern, auf den wir hoffen. Rufe die Brüder, Schweiker, ich will die Messe lesen auf diesem Stein!«

Noch ehe Schweiker den Waldsaum erreichte, kamen ihm Waldram und Wampo mit den Knechten und Saumtieren entgegen. Nun standen sie alle vor dem Stein; dann wanderten sie auf der Lichtung umher; bei der Quelle kosteten sie das Wasser; es schmeckte frisch und erquickend; Eberwein wies den Trunk zurück und sagte: »Nach der Messe.«

Mit zwinkernden Augen stand Bruder Wampo vor dem kleinen, von Blumen umblühten Teich. »Lieb schaut sich das Wasser an,« meinte er, »es fehlen nur die Ferchen drin, die Karpfen und Hecht.«

»Geh!« brummte Schweiker. »Mußt du allweil an die Schüssel denken?«

Man nahm den Saumtieren die Ladung ab, und während Eberwein, Waldram und Wampo mit dem Öffnen der Ballen beschäftigt waren, säuberte Schweiker den Stein und räumte die Asche fort; zwei Knechte halfen ihm; neben dem Stein errichtete er aus Stangen ein Gerüst für die kleine Glocke, die eines der Saumtiere getragen hatte.

Stunde um Stunde verging in reger Arbeit. Die Sonne stand schon nahe der Mittagshöhe, als Eberwein, bekleidet mit Chorhemd und Stola, den Heidenstein zum Altar Gottes weihte. Dann las er die stille Messe, bei welcher Schweiker ministrierte. Waldram saß auf einer Wurzel des halbverkohlten Baumes; Bruder Wampo und die Knechte knieten an seiner Seite. Lautlose Stille lag über der sonnigen Lichtung, nur manchmal zwitscherte ein Vogel am Waldsaum, und gedämpft klang aus dem Tal herauf das Rauschen der Ache. Als Eberwein zur Wandlung den Kelch erhob, zog Schweiker die Glocke. Hell schwebten ihre Klänge durch die stille Luft und fanden ein Echo im Wald. Kleine Vögel kamen herbeigeflogen, als hätte der Klang sie neugierig gemacht, und mit erregtem Gezwitscher umflatterten sie den verkohlten Baum. Am Waldsaum erschien ein Reiter; einen kurzen Blick nur warf er über die Lichtung, dann riß er das Pferd herum und verschwand wieder.

Die Glocke läutete. Ihre Klänge schwammen über das Tal der Ache hinweg und klangen empor über die Gehänge des Göhl. Auf steiniger Halde saß Hinzula und hütete die Geißen; der Bock lag neben ihr im Gras und scheuerte das Gehörn am Stecken der Hirtin. Hell klang die Glocke. Hinzula sprang auf und lauschte. Alle Geißen hoben die Köpfe und äugten über das Tal hinweg. »Hörst du, Zottli?« stammelte das Bartele. »Er läutet schon!« Lachend sprang die Hirtin über die steile Halde hinunter, den rufenden Klängen entgegen; hinter ihr hopsten die Geißen; nur der Bock schüttelte den Kopf und ließ sich in seiner Ruhe nicht stören.

Als Hinzula die Ache erreichte, suchte sie nicht erst eine seichte Stelle. Sicheren Fußes sprang sie über die Steine weg, die aus dem schäumenden Wasser hervorragten. Die Geißen wagten ihr nicht zu folgen, blieben am Ufer stehen und streckten die Köpfe gegen das Wasser; eine begann zu weiden, und nun machten es ihr die andern nach. Hinzula schlüpfte durch die dichten Büsche, kletterte über einen Hang empor und gewann die Höhe des Waldes. Da tauchte zwischen den Bäumen ein Reiter auf, Henning, Wazemanns Ältester. Hinzula duckte sich hinter einen Baum, aber Henning hatte sie schon erspäht. Er kam auf sie zugeritten, hielt das Pferd an und fuchtelte mit der Gerte: »Was machst du da?«

Die Hirtin brachte kein Wort heraus; zitternd starrte sie an dem Reiter hinauf.

»Wirst du reden, du Mistfink! Oder soll ich dir die Zung lösen? Wohin willst du?«

»Dort hin, Herr,« stotterte die Hirtin, »wo er geläutet hat.«

»Wer!«

Hinzula wußte keine Antwort.

»Was geht dich das Läuten an?« schrie Henning. »Mach, daß du heimkommst! Hier ist Bannwald von heut ab.« Die Hirtin rührte sich nicht. »Wart, du Schmieramper,« lachte Henning, »dir mach ich Füß!« Ein pfeifender Gertenschlag fiel über Hinzulas Schulter. Sie zuckte zusammen, aber kein Laut glitt über ihre Lippen. Mit einem Blick noch suchte sie die Tiefe des Waldes, dann wandte sie sich ab und schlich davon. Als sie das Tal erreicht und die Ache überschritten hatte, kamen ihr die Geißen zugelaufen. Vom Lokistein herüber klang die Glocke. Hinzula lauschte. Ein schluchzender Laut erschütterte ihre Brust, sie sank ins Gras, bewegte unter dem Kittel die schmerzende Schulter und brach in Weinen aus.

Die Glocke läutete. Ihr Klang schwoll hin über den Hang des Untersberges und widerhallte im Wald. Vor einer Rindenhütte, inmitten eines Ringes von dorrendem Astwerk gefällter Bäume standen drei rauchende Kohlmeiler. Zwischen ihnen ging Eigel hin und her, in der Hand eine hölzerne, von Ruß geschwärzte Schaufel. Stieg aus einem Meiler ein Rauchfaden an unrechter Stelle auf, so faßte Eigel von der mit Kohlenstaub gemischten Erde die Schaufel voll und sperrte der ausbrechenden Glut die Luft. Da hörte er die Glocke läuten, ließ die Schaufel sinken und lauschte; ein paar Schritte tat er, als zöge ihn der Hall; aber mit sorgendem Blick betrachtete er die Meiler, aus denen die Rauchstrahlen hervorbrachen. »Meinetwegen, mögen sie hin sein alle drei!« Der Alte warf die Schaufel fort. »Ich muß hinunter!« Er ging auf die Rindenhütte zu, faßte das Grießbeil und verließ die Kohlstätte.

Auf ausgetretenem Pfad durchschritt er den Wald. Als er einer Stelle nahe kam, an der zwei Fußwege sich kreuzten, blieb er betroffen stehen. An der Wegscheide saß Rimiger auf einem Steinblock, den Zügel seines Pferdes um den Arm geschlungen, und spähte über den seitwärts führenden Pfad hinaus.

»Dem geh ich lieber aus dem Weg!« meinte der Kohlmann und schlich, gedeckt durch die Büsche, zwischen den Bäumen davon. In weitem Bogen schritt er durch den Wald. »Ich mein', es müßt beim Lokstein gewesen sein!« Da hörte er hinter sich gedämpften Hufschlag, und als er sich umblickte, hielt Sindel vor ihm das Pferd an.

»Was hast du da zu schaffen im Wald?«

»Meiner Arbeit geh ich nach.«

»Welcher Arbeit?«

»Gestern auf den Abend hab ich Wurzen gegraben, beim Lokstein drüben. Alle hab ich nit schleppen können, und drum hol ich jetzt das Binkel, das ich gestern hab liegen lassen.«

Sindel maß den Alten mißtrauisch. »Hol dir Wurzen, wo du magst, aber nit beim Lokistein. Heut nit. Und nimmer!«

Ein kaum merkliches Lächeln zuckte um Eigels graubärtigen Mund. »Ihr habt wohl beim Lokstein einen Saufang gestellt oder eine Bärengrub ausgeworfen?«

»Was kümmert's dich? Mach, daß du weiter kommst!« Mit einem Schenkeldruck trieb Sindel das Pferd an und ritt auf den Kohlmann zu.

Eigel wich zur Seite. »Ich geh schon. Und gutes Gejaid, Herr!« Ohne sich noch einmal umzublicken, schritt er in der dem Lokistein entgegengesetzten Richtung durch den Wald davon. Der Weg, den er einschlug, war nicht der Weg nach seiner Kohlstatt.

Die Glocke läutete.

Ihr Hall schwamm über die stillen Baumwipfel hinaus in das weite Tal, gegen den Untersteiner Forst und gegen die Schönau hin.

Auf weiter Rodung, zwischen Wiesen und Feldern, umgeben von nachbarlichen Gelten, erhob sich hier das Haus des Schönauers, von hohem Hag umzogen. Das war unter allen Huben der Au die stattlichste, nur ein niederes Blockhaus mit altersmürbem Strohdach, aber umringt von Ställen und Scheunen, von fruchtschweren Obstbäumen und volkreichen Immenständen. Zwei zottige Hunde lagen vor der offenen Haustür in der Sonne. Hühner und Enten belebten den Hof, und aus einer Scheune klang die singende Stimme einer Magd.

Vor der hölzernen Hausbank stand Ruedlieb; neben ihm sein Vater, eine breitschulterige Mannsgestalt; schwere Arbeit hatte den wuchtigen Rücken gekrümmt; lange graue Haarsträhne hingen um ein furchiges Gesicht mit kurzgeschorenem Bart, mit schmalen Lippen und kleinen ruhigen Augen, die von buschigen Brauen überschattet waren. Vor den beiden stand auf der Bank eine hölzerne Kraxe; sie war beladen mit Brotwecken und Käslaiben, mit einem irdenen Honigtopf, mit Rauchfleisch und einem kleinen Metfaß. Ruedlieb schnürte ein Hanfseil um die Ladung, und der Schönauer prüfte jede Schlinge auf ihre Festigkeit. Da hörten sie die Glocke, gedämpft durch die Ferne, hörten sie nur wie einen klingenden Hauch in den Lüften. Sie lauschten und sahen sich an.

»Von der Ramsau herüber hört man das Glöckl nit,« sagte Ruedlieb, »das müssen sie sein, Vater!«

Der Schönauer nickte. »Jetzt brauchst du nimmer lang nach ihnen suchen, Bub. Geh nur auf den Lokstein zu, und du bist nimmer weit von ihnen.«

Schweigend lauschten sie, bis der leise Hall in den sonnigen Lüften verzitterte. »Jetzt nimm die Krax, Bub! Und sag: das schickt ihnen der Schönauer. Und sag's ihnen grad heraus: wenn sie's gut meinen mit dem Gaden, sollen sie einen treuen Mann an mir haben.«

»Und an mir keinen schlechten!« lachte Ruedlieb. Er wollte die Kraxe fassen, um sie auf den Rücken zu schwingen. Da trat ein Bauer in den Hof, eine hagere Gestalt. Das war der Kaganhart. Er fuchtelte mit den Armen und schrie: »Hast du gehört, Schönauer, hast du das Glöckl gehört?«

Kaum hatte er ausgesprochen, da kam ein zweiter, ein dritter; einer nach dem andern kamen sie gelaufen, alle die Anrainer der Schönau, alte und junge Männer, grobgefügte, wetterharte Gestalten, äußerlich einander gleichend in den rauhen Hanftuchkitteln und im grauen Loden: der Kirngasser, der Köppelecker, die beiden Brüder vom Winkler Wesen, der Waldhauser, der Schwaiger und Grünsteiner, die Hanetzerbuben, der Kinill und der Urstaller, der Bärenlochner und zuletzt der alte Gobl. Sie hatten die Glocke gehört, sie wußten, was ihr klingender Ruf bedeutete. Ging doch die Rede von der Schenkung, die Frau Adelheid in ihrer Sterbstunde getan, schon seit dem Frühjahr im ganzen Tal von Hütte zu Hütte. Da hatte man keinen Heimgart gehalten, bei dem nicht von den Klosterleuten gesprochen wurde, bald in Zweifel und Sorge, bald in scheuer Hoffnung auf bessere Zeiten. Nun waren sie gekommen.

»Hast du gehört, Schönauer, hast du das Glöckl gehört?«

Das war die Rede eines jeden, der gelaufen kam. Sie standen um den Schönauer her; die einen machten bedenkliche Gesichter und krauten sich hinter den Ohren; die andern schwatzten erregt durcheinander, bis der Schönauer die Hand erhob: »Leut! Leut! So lärmet doch nit so!«

Da verstummten die meisten; doch der Waldhauser rief: »Das Maul sollen wir uns auch noch verbieten lassen, wo's hergeht bei uns um Haut und Haar?«

»Wohl! Recht hat er!« fielen mehrere Stimmen ein. Und der ältere der Hanetzerbuben schrie: »Die droben in Wazemanns Haus müssen wir füttern. Jetzt kämen die auch noch und möchten schöpfen und abrahmen. Was bleibt denn für uns?« Diese Rede fiel in die erregten Gemüter wie Feuer ins Stroh.

»Aber Leut!« mahnte der Schönauer und drängte sich zwischen die Schreier. »Denket doch ein lützel weiter als in die Gurgel hinein. Es weiß doch ein jeder von euch, was die Ramsauer haben von ihrem Gottesmann.«

»Wohl!« fiel der Urstaller ein. »Und bei denen, die zu uns kommen, soll einer sein, der den Fried auf der Zung hat und die Güt im Aug. Gestern auf die Nacht noch ist der Eigel zu mir gekommen. Der ist dabei gewesen, wie der Gottesmann geredet hat mit der Wazemannstochter.«

Von allen Lippen schwirrten die Fragen, und der Urstaller erzählte, was der Kohlmann ihm berichtet hatte. »Die Händ haben dem Eigel gezittert vor lauter Freud, völlig lichtscheinig sind ihm die Augen gewesen, und keine andere Red schier hat er gehabt als allweil die einzig: die bringen uns die gute Zeit! Die gute Zeit!«

Lautlose Stille folgte diesen Worten. Nur der alte Gobl, das weißbärtige Kinn auf den Stab gestützt, schüttelte den Kopf. »Die gute Zeit? Wo sollt denn die herkommen auf einmal? Da müßt sich erst was rühren im Berg.« Die halb erloschenen Augen des Greises glitten über das Tal hinweg und suchten den Untersberg.

Noch immer schwiegen die anderen. Ruedlieb, der die Kraxe wieder niedergestellt hatte, trat zu den Leuten; sein Gesicht brannte, und seine Stimme bebte. »Die Klosterleut sind gegen die Wazemannsbuben, hat der Eigel gesagt. Ich mein', wir müßten den Wald ausschlagen, daß sie freien Weg haben überall im Tal.«

Da nickten sie alle, und der Köppelecker rief: »Keiner von uns Mannerleut hat die richtige Red gefunden, ein Bub hat sie finden müssen.«

Ruedlieb wollte sprechen; der Vater schob ihn zurück. »Sei still, Liebli, du hast noch allweil nit die Jahr zum Mitreden.«

»Aber die Fäust hätt ich zum Dreinschlagen, und dazu wär's schon lang an der Zeit gewesen!« Ruedlieb wandte sich ab und ließ sich neben der Kraxe auf die Hausbank nieder. Die Leute erschraken über diese Rede, und der Kinill blickte mit scheuen Augen im Hof umher und gegen das Hagtor, ob nicht ein unberufenes Ohr in der Nähe wäre. Der Waldhauser trat vor den Schönauer hin und sagte: »Du bist der Richtmann im Gaden. Sag uns, was wir tun sollen!«

»Was wir tun sollen, das wird ausgeredet in der Thingnacht. Ich für mein Teil schick den Buben hin mit Brot und Käs, mit Honig und Met, und laß ihnen guten Einstand wünschen im Gaden.«

»Natürlich, nur gleich zinsen am ersten Tag!« schrie der ältere Hanetzer mit rotem Gesicht. »Daß sie nur gleich draufkommen, wie's schmeckt!« Die einen nickten zu dieser Rede, die anderen schüttelten die Köpfe.

»Wir können mehr von ihnen haben, als sie von uns!« sagte der Schönauer. »Und wer Milch ziehen will von der Kuh, der muß ihr zuerst das Futter legen.«

»Wohl! Aber eine Kuh ist was anders! Bei der Kuh weiß ich, wie ich dran bin. Aber wer die Herrenleut melken möcht, der braucht keinen großen Milchamper.« Der Hanetzer schob die Hände unter den Kittel und ging davon. Die einen lachten, und die anderen schalten: das wär keine Sache, die man abtäte mit einem spöttischen Wort.

»Laß den Buben eine Weil noch warten, Schönauer,« sagte der Köppelecker, »ich spring heim und leg dazu, was ich geben kann!« Er eilte davon.

»Ich gäb auch gern, wenn ich nur was hätt!« sagte der Urstaller. »Aber eh mein Bub nit abtragt von der Alben, hab ich selber schier kein Brösel mehr im Haus.«

»Brauchst du was?« fragte der Schönauer. »Ich hilf dir aus.«

Der Urstaller schüttelte den Kopf. »Morgen muß der Bub kommen.« Dann ging er; und mit ihm ging der Grünsteiner, der kein Wort zu reden wußte, und der jüngere Hanetzer, der ein bißchen verlegen war.

»Ich hab ein Stück Fleisch daheim,« sagte der Kirngasser, »und auf ein paar süße Käs kommt's mir auch nimmer an.«

»Ich geh heim und red mit meinem Weib,« stotterte der Bärenlochner, »sie wird schon ein lützel was hergeben.«

»Die deinig schon,« brummte Kaganhart und verdrehte die Augen, »aber die meinig wird ein schieches Gesicht machen.«

»Sag ihr halt, sie soll ihre Zähn scheren!« lachte einer der Winkler Buben. »Da fallen so viel Haar ab, daß die Klosterleut ein Gewand davon kriegen.« Er wandte sich zum Schönauer. »Ich bring von meiner Mutter ein Stückl Hanftuch.«

Nun gingen sie alle; der Schwaiger wollte ein Mäßlein Honig bringen, der Waldhauser Eier und Schmalz.

»Da krieg ich die Krax so voll, daß ich gut zu tragen hab,« meinte Ruedlieb, »aber es dürft so schwer wiegen wie ein Kalb, ich schlepp alles hin.« Er begann an der Kraxe den Strick zu lösen, um noch aufpacken zu können, was die andere bringen würden.

»Und du, Gobl?« wandte sich der Schönauer an den Greis, der, das Kinn auf den Stab gestützt, mit halbgeschlossenen Augen den Gehenden nachblickte. »Warum hast du nit geredt?«

Der Alte hob langsam das Gesicht. »Weil ich kein Wörtl gewußt hab, das der Müh wert gewesen wär.«

»Willst du nit was dazu geben?«

Ein müdes Lächeln glitt über die dürren Lippen des Greises. »Geben? Warum denn geben?« Er schüttelte den Kopf. »Wer was will, der kommt und nimmt. Ich hab mein Weib nit geben brauchen, der Krank hat sie genommen. Ich hab meine Buben nit geben brauchen. Den einen hat Herr Waze erschlagen, den andern hat die Lahn verschüttet, den letzten haben die Wölf zerrissen. Ich hab meine Heilka nit geben brauchen, meine liebe Dirn. Die Windach hat sie verschluckt. Warum noch geben? Und was denn? Gestern ist meine letzte Geiß verreckt. Mein Hüttl mag keiner, da wandern schon die Mäus und Ratzen aus. Ich bin noch übrig. Und der mich nimmt, der kommt schon, wenn ich auch lang auf ihn warten muß. Der tut einen Segeschlag, und ich lach dazu und sag: jetzt hab ich Ruh!« Er schritt dem Hagtor zu.

Der Schönauer ging ihm nach und hielt ihn am Arm zurück. »Gobl! Wie du, so sollt doch ein Mensch nit reden!«

»Warum nit?« Der Alte hob die roten Lider und sah mit seinen müden Augen dem andern ins Gesicht.

»Schau, Gobl, dir selber blüht wohl nimmer auf, was faulen hat müssen. Aber denk an die anderen, Gobl! Verschlag ihnen den Mut nit mit deinen Reden! Ich erhoff uns viel vom gestrigen Tag, der die Klosterleut gebracht hat. Sie kommen als Herren ins Tal, und das wird denen in Wazemanns Haus droben in die Nas steigen. Gib acht, zwischen denen hebt ein Raufen und Raiten an. Frißt Herr Waze die Klosterleut auf, so kann's nit schlechter kommen, als wie's gewesen ist. Ducken die Klosterleut den Waze, so kann's nur besser kommen, und die gute Zeit steht ein.«

»Gute Zeit? Da müßt sich erst was rühren im Berg.« Der alte Gobl schüttelte den Kopf. »Wir, Schönauer, wir erleben's nimmer. Die Zeit steht in der Halbscheid. Das Alte ist halb, und das Neue ist halb. Mein Stall ist abgebronnen, da hat kein Heilbuschen geholfen. Und vom Ramsauer Kirchl hat der Blitz das Kreuz geworfen. Die Heilbuschen sind dürr, und das Kirchenkraut hat steinigen Boden. Herr Wute schlaft im Gestein, und der ander im Gewölk. Bis einer aufwacht, müssen die Berg sich rühren.«

»Das ist müdes Gered, Gobl!«

»Hast recht! Drum laß mich heimgehen. Wie einer auch redet, so oder so, es hat kein Wörtl einen Sinn. Die nimmer reden können, die wissen das Beste. Das ist mir eingefallen unter dem Apfelbaum.« Mit tastendem Stabe schritt der Greis dem Hagtor zu.

Da erschien ein junger Bauer im Tor, erregt, das Gesicht vom raschen Lauf gerötet. Es war der Schapbacher, dessen Hube zwischen der Schönau und Ramsau tief im Walde lag. Der alte Gobl blickte auf die Seite, als der Bauer an ihm vorüberlief.

»Schapbacher! Was bringst du?« fragte der Richter.

»Ich such einen guten Rat. Meine Albendirn ist heimgekommen von der Ödhütt, ganz verweint. Der Geißbub geht ab seit gestern mittag.«

»Der Huze?«

Unter dem Tor blieb der alte Gobl stehen; er wandte das Gesicht nicht, doch er lauschte.

»Ein paar Geißen müssen sich verstiegen haben,« sagte der Schapbacher, »die ist er suchen gegangen und ist nimmer heimgekommen. Die Dirn hat nit den Mut gehabt, daß sie ihm nachsteigt.«

»Warum nit?«

»Der Bub ist hinaufgestiegen unter die Eismann-Wand.«

»In Wazemanns Bannberg!« fiel der Schönauer erschrocken ein. Der alte Gobl wollte den Hof verlassen; der Schönauer lief ihm nach und faßte den Greis am Arm. »Hörst du nit, Gobl? Es geht um deiner Heilka ihren Buben her!«

In dem starren Gesicht des Alten rührte sich kein Zug; seine Stimme klang heiser. »Was geht mich der Bankert an? Weswegen redest du mit mir von ihm? Geh hinauf in Wazemanns Haus! Red mit dem Henning!« Er riß sich los und verließ den Hag.

»Gobl! Gobl!« mahnte der Schönauer. Der Alte hörte nicht mehr; und der junge Schapbacher sagte: »Laß ihn, Richtmann! Da ist jedes Wort umsonst geredt. Sag lieber: was kann geschehen für den Buben? Man muß ihn doch suchen. Auf dem Bannberg umsteigen, das ist eine schieche Sach. Meinst du nit, ich soll hinauf in Wazemanns Haus und Anfrag halten?«

Der Schönauer schüttelte den Kopf. »Das wird nichts helfen. Geh heim und richt ein paar Kienlichter her! Und auf den Abend halt dich fertig, wir suchen die Nacht durch. Bei der Windach wart auf mich, wenn die Sonn weg ist.«

»Soll die Dirn auch mit?«

»Die laß daheim, die kann das Maul nit halten.«

»Geht dein Bub mit?«

»Mein Bub? Das könnt mir einfallen! Nein, Schapbacher, mein Liebli soll mir bei so was aus dem Spiel bleiben. Ich nehm den Knecht, und der Köppelecker geht wohl auch mit. Unser vier, das reicht schon. So geh halt heim derweil! Und Zeit lassen!«

»Zeit lassen!« Der Schapbacher verließ den Hof. Draußen vor dem Hag blieb er stehen, blickte über das Feld hinaus, und hastig sich duckend, als sollten die hohen Ähren ihn verbergen, schlich er davon. »Was hat er denn?« murmelte der Schönauer und trat unter das Hagtor. Quer durch die Felder sah er einen Reiter dahersprengen. Es war Herr Waze. Der Schönauer erbleichte. Dieser Besuch galt seinem Hof. Und der Richtmann wußte aus Erfahrung, was solche Besuche brachten.


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