Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

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10

Als Sigenot das Haus erreichte, kam Rötli aus der Tür. »Ich hab recht gehabt,« sagte sie, »die Mutter hat nichts wollen.«

»So hab ich mich verhört.« Er lehnte die Angelrute an die Balkenwand, pfiff dem Knecht und übergab ihm das Lägel, damit er die Ferchen verwahre. Während Rötli hinunterging zum Ufer, um das bleichende Hanftuch zu besprengen, trat Sigenot in das Haus. Mutter Mahtilt nickte ihm zu; er ging zu ihrem Stuhl und strich mit der Hand über der Mutter graues Haar. Sie redete mit den bleichen Händen; er verstand die stumme Frage und sagte: »Heut hab ich schlechten Fang gehabt.«

Sie blickte zu ihm auf. »Warum?« fragte dieser Blick.

Er zuckte die Schultern. »Es geht nit einen Tag wie den andern.« Das sagte er mit ruhiger Stimme; doch er wich dem Blick der Mutter aus und trat in seine Kammer.

Mutter Mahtilt faßte einen eisernen Zinken und schlug auf den Herdstein. Heilwig kam gelaufen, deckte für Sigenot den Steintisch und rief ihn zum verspäteten Mahl. Er kam und setzte sich an den Tisch, doch er genoß nur wenige Bissen. Lange saß er mit aufgestützten Armen und sah vor sich hin. Einmal blickte er zur Wand empor, an der seine Waffen hingen, dann hinüber zur Mutter. Wieder saß er in Gedanken versunken. Endlich erhob er sich und nahm mit raschem Griff das Ringhemd von der Wand. Mutter Mahtilt hörte das Klirren und blickte verwundert auf.

»Ich muß die Wehr wieder einmal anschauen,« sagte Sigenot und ging zur Tür, »ich mein', sie rostet.«

Vor dem Haus setzte er sich auf die Bank, nahm das eiserne Hemd über die Knie und begann das dichte Gewirr der Ringe zu mustern. Er fand keine Lücke in dem Gewebe, in den Fugen der Ringe keinen Flecken Rost. Zufrieden nickte er, und während er sich erhob, ging sein Blick hinauf zu Wazemanns Burg. Er umschritt das Haus und schob das Ringhemd durch das offene Fenster in seine Kammer. Als er zurückkehrte, kam Rötli über den Hag heraufgestiegen. Sie blieb vor dem Bruder stehen. »Hast du um die Mittagszeit das Rollen nit gehört? Es ist gewesen, wie wenn's ein Donner wär.«

»Wohl, und ich hab gemeint, ein Wetter käm. Es muß sich wieder verzogen haben.« Er blickte zum Himmel auf.

»Das ist kein Wetter gewesen. Ich weiß, was es war!«

Rötlis Stimme dämpfte sich zum Flüstern. »Drunten in der Seetief muß sich der Bid geärgert haben und hat aufgehaut im Zorn. Wie's gerollt hat, bin ich an der Länd gestanden und hab gesehen, daß ein Zittern über den See gelaufen ist, grad so, wie übers Wasser in einem Schaff, wenn einer dran hinstoßt mit dem Fuß.«

Sinnend blickte Sigenot hinunter auf den stillen See, über den schon die ersten Schatten des Abends fielen.

»Ich hab gleich was getan dafür,« flüsterte Rötli, »ich hab meine Halskett genommen – sie war mir das Liebste, was ich an mir gehabt hab – und hab sie weit hinausgeworfen in das Wasser. Sie muß dem Bid gefallen haben. Gleich hat er Ruh gegeben.« Sie atmete tief und wollte ins Haus treten. Auf der Schwelle wandte sie sich wieder. »Hast du vergessen heut?«

»Was?«

»Daß du eine Kerb in deinen Jahrbaum schneiden mußt.« Lächelnd trat sie auf den Bruder zu und faßte seine Hand. »Heut ist der Tag, an dem dich Frau Hul der Mutter gebracht hat. Schau, ich wünsch dir an Glück und Freuden so viel, als ich Haar auf dem Scheitel hab.«

Sigenot betrachtete das holde Gesicht der Schwester. »Glück und Freuden? Vergelts, Rötli! Aber du hast zu viel gewunschen.« Er gewahrte die Axt, die neben der Tür an der Balkenmauer lehnte, und faßte sie. »Komm, ich schlag die Kerb in meinen Baum.«

»Was willst du mit der Axt?« fragte Rötli verwundert. »Nimm dein Messer!«

»Das hat nit Schneid genug für den heutigen Tag.« Er ging auf seinen Jahrbaum zu, und Rötli folgte ihm. Dreimal umschritt er den Baum, ihn jedesmal berührend mit der Hand. Dazu murmelte er: »Der Baum wachst, der Baum lebt, ist gewachsen und steht, gradschlächtig und stark, gesund im Mark, in der Wurzel fest, mit Laub und Äst. Heb dich und streck dich, hüt dich und deck dich, hast Sonn und Regen, nutz den Segen! Wie die Steiner im Bach, laufen die Jahr einander nach. Eins gewinnst du und eins verlierst. Halt aus, daß du die Kerb nit spürst!« Beim letzten Wort hatte Sigenot die Axt geschwungen, und das blitzende Eisen schlug in den dreißigjährigen Baum, daß der schlanke Stamm erzitterte. »Was tust du?« stammelte Rötli und wollte den Arm des Bruders fassen. Da fiel schon der zweite Hieb, die Rindensplitter und Späne sprühten, und weiß, fast bis ins Mark hinein, klaffte am Baum die Kerbe.

»Du hast dein Bäuml bis hinein ins Leben geschlagen!« jammerte Edelrot, und Tränen traten ihr in die Augen.

Sigenot ließ die Axt sinken, sah die klaffende Kerbe an und murmelte: »Wenn's der Baum verwindet, verwind ich's auch!«

Er wollte gehen; Rötli umklammerte seinen Arm. »Was hast du, Bruder? Man möcht meinen, du wärst seit gestern ein anderer worden! Ist dir was?«

Wortlos schüttelte Sigenot den Kopf, warf die Axt beiseite und umschlang die Schwester. Sie war so erregt, so erfüllt von Sorge, daß sie weinen mußte. »Tu nit weinen, Rötli!« Er streichelte ihr Haar. »Ein andermal vergeß ich nimmer, daß ich dein Bruder bin.«

Sie hob sich auf die Fußspitzen und faßte sein Gesicht mit beiden Händen. »Hast du mich nit heimgeholt aus Wetter und Wasser? Hätt ich nit versinken müssen ohne dich? Wir beide, ich und die Recka?« Sie wollte weiter sprechen, doch er drückte sie an sich, daß ihr der Atem verging, und schloß ihre Lippen mit einem Kuß. Dann schritt er auf das Haus zu und nahm den langen fünfzackigen Näbiger von der Balkenwand.

»Willst du heut noch fort?« fragte Rötli. »Es geht schon auf den Abend zu.«

»Mich leidet's nit in der Ruh, ich muß schaffen!« Er stieg, den Näbiger auf der Schulter, zum See hinunter.

Mit verlorenem Blick sah ihm die Schwester nach. »Wenn ich nur wüßt, was er hat? Ich muß den Ruedlieb fragen.«

Sigenot erreichte das Ufer und löste den Waldschragen; mit dem einen Fuß das kleine aus Schilf und Stangen gefügte Floß betretend, stieß er mit dem andern das leichte Fahrzeug von der Lände ab. Fast lautlos glitt der Schragen über das Wasser hin; mit der Stange des Näbigers trieb ihn der Fischer am Saum des Röhrichts entlang, gegen den Ausfluß der Ache hin, immer langsamer und leiser. Mit scharfem Blick spähte er in die klare Flut, deren nicht allzu tiefer Grund von Moos und Algen wirr überwachsen war; die dürren blaßroten Stengel der Seerosen durchspannen das Wasser gleich den Fäden eines Netzes. Jetzt verhielt Sigenot durch einen Druck der Stange das Fahrzeug. Langsam und lautlos, den straff gespannten Körper kaum bewegend, hob er den Näbiger und drehte die eisernen Widerhaken nach unten, daß ihre scharfen Spitzen fast den Seespiegel berührten. Er zielte und stieß. Das Wasser spritzte auf, und zischend fuhr der Näbiger in die Flut. Mit jähem Ruck riß Sigenot die Stange wieder in die Höhe. Der Stoß war geglückt, am Eisen zappelte ein schwerer Hecht. Mit einem Faustschlag tötete Sigenot den Raubfisch und löste ihn von den Haken. Dann trieb er den Schragen weiter.

Die Schatten wuchsen, und der rote Schimmer des Abends leuchtete über dem Tal. Edelrot hatte das zum Bleichen ausgelegte Hanftuch ins Haus getragen. Nun stand sie vor ihres Bruders Jahrbaum; sie füllte die tiefe Kerbe, die Sigenot geschlagen, mit harzvermischtem Wachs und überband die wunde Stelle mit Bast.

Wicho verließ den Hof, das Lägel auf dem Rücken; er trug die Ferchen davon, die Sigenot am Morgen gefangen; sie waren für den Schönauer bestimmt, als Zahlung für einen Packen Hanf. Noch vor der Dämmerung erreichte Wicho die Schönauer Felder. Da blieb er stehen und lauschte. Ein leiser, sanfter Klang kam aus der Ferne durch die stille Luft geschwommen. – –

Beim Lokistein tönte die Glocke.

Bruder Schweiker zog den Strang und läutete den ersten Feierabend ein. Er trug nicht die Kutte, sondern das Arbeitskleid, den kurzen ärmellosen Leinenjanker. Des Feierabends und der Ruhe schien er bedürftig zu sein. Wie ein Stier, wuchtig und ausdauernd, hatte er geschafft den ganzen langen Tag und mit Hilfe der Knechte ein tüchtiges Stück Arbeit zuwege gebracht. An die dreißig mächtige Fichten lagen am Waldsaum schon gefällt, entästet und zu Balken von jener Länge zerschnitten, wie sie der Klausenbau erforderte. Auch Pater Waldram hatte mitgeholfen bei diesem Werk; seinen von Kasteiung und Fasten entkräfteten Körper hatte, lange schon vor dem Abend, die Erschöpfung befallen; beim Schleifen eines Balkens war er ohnmächtig niedergesunken. Man hatte ihn ins Zelt getragen, aufs Moosbett gelegt und mit Trank und Speise gelabt; dann hatte tiefer Schlummer ihn überkommen, aus dem der Klang der Abendglocke ihn nicht zu wecken vermochte.

Auch Bruder Wampo hatte nicht gefeiert und manch ein Tröpflein frommen Schweißes vergossen; ihm war es zugefallen, die Zelte aufzurichten, die Mooslager zu rüsten, die Reisighütten für die Knechte und Saumtiere zu bauen, die Ballen auszupacken, ihren Inhalt zu bergen und in trockenem Grund eine Grube auszuwerfen, um darin das Fäßl mit dem Meßwein und die Mundvorräte zu verwahren. Diese letzte Pflicht seines Amtes hatte er mit besonderem Eifer erfüllt. Nun stand er zwischen den Zelten beim flackernden Feuer und kochte den Imbiß für den Abend, ein mageres Mahl: Sterz mit Bohnenmus; doppelt mager, denn der Sterz war mit Wasser angerührt. Bruder Wampo hatte es sich und den Seinen wohl besser vermeint; doch als er mit der Kanne durch den Wald davonspringen wollte, hatte Eberwein ihn angerufen: »Wohin, Bruder?«

»Vom Hang dort oben hab ich eine Bauernhub gesehen, die nit gar weit liegt. Ich will hinüberspringen.«

»Weshalb?«

»Um für Gottes Dank ein Känndl Milch zu begehren. Wir haben Sterz auf den Abend.«

»Bleib nur! Wir alle sind müd und hungrig von der Arbeit. Da wird uns der Sterz auch mit Wasser schmecken.«

»Mit Milch ist er besser.«

»Mit Wasser gesünder. Ich will nicht, daß die Leute im Gaden sagen sollen: Heut sind sie gekommen, man merkt's, denn sie verlangen schon. Wir wollen geben, Bruder, nicht nehmen.«

Wampo blies die Backen auf und ging mit der Kanne zur Quelle, um Wasser zu schöpfen. »Geben?« brummte er. »Möcht wissen, von was?« Er warf einen Sorgenblick zu der Grube hinüber, in der die Vorräte geborgen lagen. »Zwei kurze Wochen, und wir haben selber nichts mehr. Dann werden wir nehmen müssen, oder die heilige Zeit geht an!« Als er mit der gefüllten Kanne zu den Zelten zurückkehrte, schien plötzlich auch er, der kurz zuvor noch so hurtig gesprungen war, die Müdigkeit zu spüren; er ließ das runde Köpfl hängen und schlurfte mit den Füßen. Den Blick zur Seite gewandt, ging er an dem Pater vorüber, der die unterbrochene Arbeit wieder aufgenommen hatte.

Auch Eberwein hatte die Kutte mit dem kurzen Wams vertauscht. Die erste Arbeit, die er nach der Messe vorgenommen hatte, stand schon vollendet: über dem zum Altar geweihten Heidenstein erhob sich das weiße Kreuz, in welches Eberwein den halb verbrannten Baum mit der Axt verwandelte. Dann hatte er, Richtscheit und Meßschnur führend, den Grundriß der Klause und des Kirchleins abgesteckt und mit dem Spaten die Mauerfurchen ausgehoben; schwarz zogen sich die breiten Streifen durch den grünen Rasen und zeigten die Einteilung, die der Klausenbau erhalten sollte: einen größeren Mittelraum und ihm zur Rechten und Linken zwei kleinere Kammern; an die Rückwand der Klause sollte das Kirchlein sich anlehnen, mit seinen Balkenmauern den zum Altar geweihten Heidenstein und das Kreuz umschließend.

Als der letzte Spatenstich getan war, hatte Eberwein im Wald einen jungen Ahornstamm gefällt und aus ihm ein mannslanges Stück herausgeschlagen mit zwei kreuzförmig stehenden Aststümpfen. Auf der Schulter hatte er das schwere Holz zu den Zelten getragen und begonnen, es mit Hammer und Meißel zu behauen. Als jetzt der Abend dämmerte und Bruder Schweizer die Glocke zog, trat aus dem weißen Holze schon in rauhen Formen das entstehende Bildnis hervor, das Abbild des Gekreuzigten. Beim ersten Glockenton legte Eberwein Hammer und Meißel nieder und faltete die Hände im Schoß. Seine Augen streiften die schwarzen Furchen, die er gezogen, und das Gewirr der gefällten Bäume am Waldsaum, von dem die Knechte mit geschulterten Beilen einherkamen. Den Blick zu dem vom letzten Sonnenglanz umflossenen Himmel erhebend, betete er lächelnd: »Nisi Dominus aedificaverit domum, in vanum laboraverunt, qui aedificant eam»Wo der Herr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die daran bauen.«

Die Glocke schwieg. Eberwein erhob sich und trug das begonnene Schnitzwerk unter das Zelt. Als er mit den Brüdern den Imbiß genommen hatte, ordnete er für den kommenden Morgen die Arbeit an und begab sich zur Ruhe. Die Knechte schlüpften unter die Reisighütten. Schweizer und Wampo standen noch beim erlöschenden Feuer und spülten die Geschirre.

Die graue Dämmerung kam; am Waldsaum verstummten die letzten Vogelstimmen, und ein zarter Nebel dampfte aus dem Weiher; nahe seinem Ufer trat ein Reh unter den Bäumen hervor. Es stutzte beim Anblick der weißleuchtenden Zelte und des roten Feuerscheines; laut schreckend verschwand es im dunkeln Wald.

»Was war das?« fragte Wampo.

»Ein Reh.«

»Das ist aber auch alles, was heut gekommen ist.«

»Gelt? Nit ein einziger hat sich schauen lassen. Wie man die Raitenbucher Klaus gezimmert hat, da war ich auch dabei, und da sind sie aufs erste Läuten haufenweis gekommen, Männer, Weiberleut und Kinder. Und heut keine Seel!«

»Eine schieche Gegend! Was man da noch erleben wird!« Unmutig packte Wampo eine hölzerne Schüssel und scheuerte mit dem nassen Grasbüschel, als hätte er die böse Gegend unter seinen Händen. »Sterz mit Wasser, gleich am ersten Tag!«

Schweiker überhörte die letzten Worte: sinnend sah er in die Kohlen. »Vielleicht hausen die Leut so weit auseinander, daß sie das Glöckl nit hören können.«

»Das Glöckl ruft eine Stund weit. Es hat halt keiner kommen mögen. Die Heidenschüppel, die unchristlichen!«

Schweiker schüttelte den Kopf. »Wie die andern sind, das weiß ich nit. Aber eine – wenn die das Glöckl gehört hätt, die wär gekommen.«

Da lauschten sie. Ferne Stimmen klangen im Wald; es waren Wazemanns Söhne, die sich anriefen zum Heimritt. »Es müssen doch Leut in der Näh sein!« murmelte Schweiker.

Während sie noch lauschten, tauchte hinter den schwarzen Bergen die fast volle Scheibe des Mondes empor und warf einen blassen Schimmer über die Lichtung. »Bruder!« stotterte Wampo und deutete mit dem Arm. »Dort rührt sich was. Und schleichen tut's wie ein Wolf!«

Schweiker packte rasch die Axt und rannte in den Mondschein. Am Waldsaum sah er einen Schatten gleiten. Er schwang die Art zum Wurfe, doch mitten im Schwung hielt er inne, wie versteinert. Hinzula stand vor ihm. »So, schön! Wenn ich jetzt geworfen hätt! Wie kommst denn du daher?«

»Hast ja geläutet!« lispelte das feine Stimmlein.

»Warum bist du nit am Tag gekommen?«

»Da hab ich nit dürfen. Ich hab warten müssen, bis es nächtet.«

»Die Nacht ist keine Zeit, bei der ein Kindl, will sagen: ein Mädel wie du, noch umlauft im wüsten Wald.« Er trat zur Seite, denn sein Schatten fiel schwarz über Hinzulas schmächtige Gestalt; doch auch im vollen Mondschein wurde ihr Gesicht nicht heller; wie ein dunkler Kohlklumpen war es anzusehen, nur die Augen glänzten. Eine Weile standen sie stumm voreinander; dann sagte er: »Geh heim, Mädel! Es ziemet sich nit für mich, daß wir da beieinander stehen in mondscheiniger Zeit – wenn auch die guten Heiligen vom Himmel herunterschauen dürften auf uns beide. Geh heim! Und komm bei Tag!«

»Tust du morgen wieder läuten?«

»Wohl!«

»Dann komm ich!« fuhr es mit flinkem Wort über ihre Lippen. »Ich fürcht mich nit, und ich find schon einen Weg.«

Diese Worte waren anders gemeint, als Schweiker sie deutete. »Brav, Mädel! Gottes Weg darfst du allweil gehen ohne Furcht. Komm nur! Dann will ich einmal scharf nachschauen, wie's bestellt ist mit deinem Seelgerät.«

»Mit was?« stotterte Hinzula.

»Mit deinem Seelgerät!« wiederholte er ernst. »Daß du's nur weißt: heut nacht hab ich geträumt von dir.«

»Ich von dir auch.«

»So? Aber mein Traum wird wohl der bessere gewesen sein! Gott, der liebe Herr, ist mir erschienen und hat mir aufgegeben als gutes Werk, daß ich dich weißwaschen soll.«

»Das hab ich heut schon selber tun wollen,« sagte sie, »aber die Mutter hat mich weggerissen vom Brunnen und hat gesagt, sie haut mir alle Knochen im Leib auseinander, wenn ich's tu.«

Schweiker schlug entsetzt die Hände zusammen. »Mädel! Wenn deine Mutter den Teufel fürchten möcht, wie sie den Dreck lieb hat, müßt sie eine gute Christin sein!« Er nahm die Axt und ging davon; nach einigen Schritten rief er über die Schulter: »Mach, daß du heimkommst, solang dir der Mond noch auf den Weg scheint!« Den Zelten entgegenschreitend, murmelte er vor sich hin: »So eine Mutter! Alle Knochen im Leib! Ist das auch noch eine Mutter?«

Hinzula stand regungslos und sah ihm nach.

Als Schweiker die Feuerstatt erreichte, auf der nur wenige Kohlen noch in der Asche glosteten, schlüpfte Bruder Wampo aus dem Zelt, in das er sich geflüchtet hatte. »Es muß doch kein Wolf gewesen sein? Ich hab dich reden hören. Wer war das?«

»Mein Saubartele.«

»Das Bartele?« rief Bruder Wampo, als hätte er eine freudige Botschaft vernommen. »Warum hast du mich da nit gleich gerufen?« Hurtig suchte er auf dem dunklen Rasen umher, und als er einen Span erwischte, stieß er ihn in die Kohlen und blies in die Glut.

»Was tust du?« fragte Schweiker.

Der Bruder gab keine Antwort; er blies, bis eine kleine Flamme aufzuckte und knisternd den Span ergriff. Mit der flackernden Leuchte rannte er davon und verschwand im Schatten des Waldsaumes. Wie ein Irrlicht gaukelte das Spanfeuer zwischen den Bäumen, und des Bruders rufende Stimme klang: »He! Dirnlein!« Nach einer Weile kam er wieder, kichernd, vergnügt die Hände reibend.

»Was hast du wollen von dem Kind?« brummte Schweiker.

»Das wirst du morgen auf Mittag merken, wenn ich die Milchsupp auftrag und die Butternocken.«

»Geh, du Bettelsack! Weißt du denn, ob dem Kindl seine Leut gern was geben?«

»Um so lieber gibt das Dirnlein. Das muß ich sagen: gut stehst du angeschrieben bei deinem Bartele. Wie ich gesagt hab, daß ich Hunger leiden muß, das ist bei ihr nit tief gegangen. Sie hat nur gefragt: ›Der ander nit?‹ Aber wie ich gesagt hab: ›Wohl, bei dem schreien auch schon die Frösch im Magen‹ –«

»Das ist eine Lug gewesen!« fuhr Schweiker auf.

»Aber eine fromme, Bruder! Und du hättest nur sehen sollen, wie sie gewirkt hat.«

Die Art dieser Wirkung schien in Schweiker keine Neugier zu erwecken. »Laß mich in Ruh!« brummte er, streifte den Bruder mit einem zürnenden Blick und verschwand im Zelt.


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