Ludwig Ganghofer
Die Martinsklause
Ludwig Ganghofer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5

Die Sonne tauchte hinter die Berge, alle Lüfte mit gelbem Schimmer füllend und das ziehende Gewölk verbrämend mit grellem Glanz. Ein langer Schatten schlich von den Gehängen herunter und glitt über Hügel und Täler, bis er den Schönsee erreichte und zusammenschmolz mit dem Schatten des Falkensteins, über dem sich Wazemanns Haus erhob. Die kahle Felswand schob sich weit hinein in den See, sein Inneres verhüllend und von ihm einen kreisförmigen Weiher abschneidend gleich einem bescheidenen Vorgemach vor dem großen Prunksaal. Glatt und mit blaßgrünem Schimmer, die Felswand und über ihr das steile Dach von Wazemanns Haus und seine plumpe Ringmauer spiegelnd, lag die durchsichtige Flut über seichtem und sandigem Grunde. Von allen Seiten trat der Wald bis an das Ufer heran und ließ nur eine schmale Lände frei. Auf Steinwurfweite zog sich dichtes Schilf in den Weiher, und dunkles Röhricht umschloß auch die kleine Insel, die, der Falkenwand zu Füßen, den Eingang in den See verschloß. Träumende Schattenstille lag über dem Weiher. Eintönig rauschte die zwischen dünnerem Schilf dem See entströmende Ache, und zuweilen klang, von Wazemanns Haus herunter, ein gellender Pfauenschrei oder das heisere Gekläff der Hunde.

In der Ecke zwischen See und Ache erhob sich aus dem Waldgrund ein freier Hügel, der rings von einem hohen Hag umzogen war. Nur wenige Bäume standen auf dem Hügel, aller übrige Grund war blumige Wiese; hier schwang ein Knecht die Sense, und eine Magd raffte das gefallene Gras in ein Stück Netz und trug es auf dem Kopf in den niederen Stall. Zwischen Stall und Wohnhaus lag ein ebener Platz, auf dem die zum Hechtfang dienende »Langwaad« und das große doppelwandige Netz für den Ferchenfang, die »Hochsäg«, unter einem langgestreckten Dächlein an Stangen hingen.

Das Wohnhaus war aus mächtigen, vor Alter schon grau gewordenen Balken gefügt, plump und schmucklos; es hatte ein weit vorspringendes Moosdach und darüber noch ein kleineres Oberdach, unter dem sich bläulicher Rauch hervorkräuselte; jede Seite des Hauses zeigte zwei kleine Fenster, deren Luken von innen durch vorgeschobene Läden verschlossen waren. Nach der Seeseite blickte die offene Tür; vor ihr war ein breiter Gang mit groben Felsplatten gepflastert, und ihr zu beiden Seiten zogen sich schwer gezimmerte Bänke an der Wand entlang. Über der Tür, in einer Runse des Gebälks, staken dürre Kräuter und Stäudlein nebeneinander, die »Heilbuschen«: ein Haselzweig, der das Haus vor Blitz und Donnerkeilen schützte, ein Eschenzweig, der die giftigen Nattern von der Schwelle jagte, Bibernell wider alle Seuchen, Holunder gegen Feuersnot, Beifuß, der die bösen Geister verscheuchte, und Himmelbrand, der die guten rief.

Unter den Bänken lagen die aus Weidenruten geflochtenen Burden, neben der Türe lehnten Ruder von verschiedener Art und Größe an der Wand, und über den Holznägeln, die in die Blockwand eingetrieben waren, lagen die drei- bis siebenfach gezackten Näbiger mit langen Schäften, die Angelgerten und die hölzernen Haspel für die Legschnüre. Über diesem Gerät waren zwei Fischgeier mit ausgespannten Flügeln und eine lange Reihe eingeschrumpfter Otterköpfe an die Wand genagelt.

Nah vor der Türe war der Brunnen gegraben; ein Flechtwerk umzog den offenen Schacht, und unter einem Dächlein war die Winde angebracht, mit der die Eimer an dickem Hanfseil gesenkt und gehoben wurden. Neben dem Brunnen erhob sich der Immenstand mit seinen umschwärmten Körben, und nicht weit davon, wo der Hügel sich gegen die Lände senkte, stand eine Gruppe von sieben Eichen; die größte, zwischen deren knorrigen Wurzeln ein eckig behauener Stein hervorragte, mochte wohl zweihundert Jahre zählen, während die jüngste nur erst ein kleines Bäumchen war, kaum über die fünfzehn Jahr alt. Von den Eichen hinweg führte ein aus Balken und knorrigen Ästen gefügtes Gerüst über den Abfall des Hügels hinüber zur Höhe des Hags, ein luftiger Altan mit einem Tisch und zwei Bänken. Das war ein freundliches Plätzchen, gleich einer Laube vom niederhängenden Geäst der Eichen überwölbt und hinausgebaut über die offene Seelände, bei der ein schwerer Einbaum und ein leichter Gransen an das Ufer gezogen lagen, während der lange Waldschragen, durch ein Weidenseil gehalten, im Wasser schwamm.

Auf diesem Lugaus saß ein junges Mädchen, kaum dem Kindesalter entwachsen, ein schlankes, zartes Figürchen mit schüchtern knospenden Formen. Ein blau gefärbtes Röckl aus körnigem Hanftuch floß bis auf die Knöchel nieder und ließ die mit zierlichem Geschick aus Bast geflochtenen Schuhe frei. Um die junge Brust spannte sich ein Miederchen aus braunem Hirschleder, locker genestelt mit dünnen Riemschnüren, zwischen denen das weißgebleichte Hemd mit kleinen Puffen hervorlugte. Eine Schnur aus blinkenden Otterzähnen schmiegte sich als Schmuck um den schlanken Hals, und an den rosigen Ohrläppchen baumelten zwei bräunlich glänzende Beinringe, jeder gefügt aus den zwei krummen Nagezähnen eines Murmeltiers. Das war Edelrot, Sigenots Schwester; sie glich dem Bruder wie ein junger Trieb dem Baum, wie eine Quelle dem Bergbach. Ein Gesichtchen wie von Milch und Blut, mit träumerischen Kinderaugen und einem schwellenden Mund; in Locken fiel das lichtbraune Haar um die Schultern, und mit den schimmernden Strähnen spielte der laue Windhauch, den der nahende Abend vor sich herschickte.

Edelrot saß über ihre Arbeit gebeugt; aus feinen hanfenen Fäden flocht sie eine Angelschnur; in ihrem fleißigen Eifer gewahrte sie nicht, daß drüben am Waldsaum ein junger Bursch unter den Bäumen hervorkam; er war ein Freier, denn das schwarze glänzende Haar war ungeschnitten und reichte bis zur Schulter; und der Sohn eines Bauern mußte er sein, denn er trug den grauen Spenser aus zottigem Loden, den Ledergurt mit Messer und Maserlöffel in hölzerner Scheide, die kurze Berghose und die schweren Schuhe, deren Holzsohlen klumpig benagelt waren. Ein Sträußl von Almrosen schmückte die mit weißem Lammfell umsäumte Kappe, und ein dicker Rosenstrauß war oben an den Schaft des langen Grießbeils angebunden.

Hastig eilte der Bursch über die Lände hinweg, der weiche Sand dämpfte seine Schritte, und als er den Hag erreichte, duckte er sich und löste flink die Almrosen vom Grießbeil. Rasch sich aufrichtend warf er sie mit beiden Händen in die Höhe, daß die Blumen, auseinanderfallend, wie ein blühender Regen über Edelrots Köpfchen niedergingen. Erschrocken sprang sie auf und guckte verwundert über den Zaun.

»Ruedlieb! Du! Hab mir's aber doch gleich gedacht!«

Lachend gab sich der Bursch einen Schwung, haschte den Ranft des Hages, und hui! saß er auf dem Lugaus und ließ die Füße über den Zaun herunterbaumeln. Da lachte auch das Mädchen. »Bei dir geht's flink! Gut, daß du kein Wolf bist. Für dich wär der Hag noch allweil nit hoch genug.«

Seine Antwort war ein Lachen. Leuchtend hingen seine Augen an dem Gesicht des Mädchens und folgten jedem Griff der kleinen Hände, welche die zerstreuten Blumen zusammenlasen. Als sie alle auf dem Tisch lagen, eilte Edelrot zu den Eichen hinüber, pflückte ein paar lange Schmelen und begann die Rosen mit diesen Halmen aneinander zu winden.

»Gelt, die sind schön!« sagte Ruedlieb, und als Edelrot nickte, streckte er ihr die Hand hin. »Krieg ich kein Vergelts dafür?«

»Wohl!« Sie legte ihre Hand in die seinige. »Vergelts!« Er hielt fest und drückte; aber sie sagte: »Laß aus, ich muß flechten!« Sie befreite ihre Hand und griff nach einer Rose. »Wie so was Schöns nur wachsen kann aus der schwarzen Erd!«

»Meinst wegen der Farb? Weißt, die Albenros ist halt ein Blutblümel.«

Sie blickte fragend zu ihm auf. »Ein Blutblümel?«

»Ja. Weißt du nit, wo die Röserln herkommen?«

»Sie wachsen halt.«

»Jetzt, freilich, weil jedes wieder Samen tragt. Aber einmal, da hat's eine Zeit gegeben, wo noch kein Albenröserl geblüht hat. Und selbigsmal, da hat eine junge Dirn gelebt, eine arme Wittib ist ihre Mutter gewesen, und das Dirndl war gut wie ein Täuberl und so lieb zum Anschauen, wie – ich weiß nit, wie!« Ruedlieb fand keinen Vergleich, obwohl seine Augen an Edelrots Zügen hingen.

»Wie hat's denn geheißen, das Dirndl?«

»Das weiß ich nit. Aber ich mein' halt, sie hat Rösli geheißen, weil die Blümerln da den Namen von ihr haben. Ja, und wie das Dirndl achtzehn Jahr geworden ist, da hätt sie einen Buben heuern sollen. Den hat sie lieb gehabt, und der Bub das Dirndl auch, treu und fest. Und kein Glück hat's noch auf der Welt gegeben, wie die zwei eins gehabt haben. Aber selbigsmal, da hat ein Jäger gelebt, ein Herrischer, der hat Unfürm geheißen und hat ein Aug auf das Dirndl geworfen.«

»Das muß aber einer gewesen sein! Recht ein schiecher!«

»Ja, Rötli, so einer, wie –« Ruedlieb verstummte und blickte langsam über die Schulter zu Wazemanns Haus empor. »Auf Schritt und Tritt ist er dem Dirndl nachgegangen, aber sie hat von ihm nichts wissen mögen. Da hat die Mutter gefürchtet, ihr Dirndl möcht nimmer sicher sein, und hat es hinausgeschickt auf die Alben. Aber der Unfürm hat zwei Hund gehabt, der eine hat Sucht geheißen und der ander Gier. Die haben das Dirndl aufgespürt, und der Unfürm ist hinaufgestiegen auf die Alben. Das Dirndl, wie's ihn kommen sieht, hat geschrien vor Angst, aber kein Mensch ist in der Näh gewesen, und so hat sie zu laufen angefangen und ist allweil zugelaufen. Und weil sie so arm gewesen ist, daß sie keine Schuh gehabt hat, so haben ihr die Stein und Stauden die Fuß zerrissen. Das helle Blut ist davon getropft, und wo ein Tröpfl hingefallen ist, hat der Boden das unschuldig Blut getrunken, und ein Blümerl ist gewachsen, wie Blut so rot. Und seit der Zeit sind die Albenröserln in der Welt.«

»Aber das Dirndl?« stammelte Edelrot.

»Die Hund sind flink gewesen. Hinter ihr der Unfürm und vor ihr die berghohen Seewänd. Da hat das Dirndl nimmer gewußt, wo aus und ein. Die richtige Treu geht bis zum Tod. Und so ist das Dirndl hinuntergesprungen in den See. Kein Mensch mehr hat von dem Dirndl was gehört.«

Edelrots Augen waren mit Tränen gefüllt. »Und der Bub? Hat sich der denn gar nit gerührt, daß er dem armen Dirndl geholfen hätt?«

»Gelt, ja? Das hab ich auch gefragt, wie mir der alte Eigel die Geschicht erzählt hat.« Ruedliebs Augen blitzten, und seine Wangen wurden heiß. »Wär nur ich der Bub gewesen, der Unfürm hätt was zu spüren gekriegt zwischen Ripp und Fleisch!« Seine Hand zuckte nach dem Messer.

»Ruedlieb!« stammelte Edelrot erschrocken und haschte die Hand des Buben. Dann lächelte sie verlegen. »Geh! Du bist ja selber ein rechter Unfürm!« Sie griff nach den Blumen und begann an dem Kränzl weiterzuflechten. Eine Weile war Stille. Endlich fragte das Mädchen: »Hast du die Röserln weit hergebracht?«

»Von meiner Alben. Da droben ist harte Sorg. Der Bär hat uns schon wieder ein Kalb gerissen, und eins dem Kaganhart, und deinem Nachbar Marderecker zwei Geißen. Ich hab dem Untier einen Riegel geschoben und hab ihm in der Regenwand eine Grub gestellt.«

Edelrot blickte scheu zu ihm auf. »Ruedlieb! Wenn sie das merken, die in Wazemanns Haus!«

»Sie merken's nit. Der Bär wechselt durch eine schieche Wand auf die Alben ein. Ich hab die Grub in der Wand drin aufgerissen. Da steigt von Wazemanns Buben keiner hinein, das lassen sie bleiben!« Edelrot schüttelte das Köpfchen und seufzte. »Ich hab' s für die armen Leut getan!« sagte der Bub mit ruhigem Ernst. »Sie sollen nimmer Schaden leiden von dem Untier. Mein Vater ist der Richter im Gaden, und ich leid kein Unrecht. Warum hat Herr Waze den Bären nit gejagt! Die Leut haben ihn drum angegangen. Er hat sie angeschrien: ›Ich hetz den Bären, wenn's mir paßt, nit, wenn's euch taugt!‹ Jetzt soll er hetzen! Über eine Woch, dann suchen seine Hund umsonst!«

»Wenn's nur nit aufkommt, Ruedlieb!«

Er strich mit der Hand über ihre zitternden Finger. »Hab keine Sorg! Ich fürcht mich nit. Vor denen da droben so wenig wie vor Berg und Wasser.«

»Bered das Wasser nit!« flüsterte das Mädchen erschrocken. »Der BidEine Wassergottheit der baiwarischen Gebirgsstämme, zu deuten als eine Verkörperung der zerstörenden Naturgewalt. Der Stamm »bid« hat sich im bayerischen Dialekt bis heute erhalten: bidmen (zittern) und Erdbidem (Erdbeben). könnt's hören!«

Mit unsicherem Blick streifte der Bub den See. »Meinst, er liegt heroben?«

»Freilich, schau nur hinüber zu seiner Insel! Siehst du im Röhricht die Gasserln? Da steigt er aus und ein, wenn er sich warmen will in der Sonn. Und wird er in seiner Ruh gestört, so springt er zornig in den See hinunter, daß alles Wasser weiß wird vor lauter Schaum.«

»Hast du ihn schon einmal gesehen?«

»Aber Ruedlieb!« Mit scheuen Augen blickte das Mädchen auf. »Wer den Bid gesehen hat, muß hinunter zu ihm, eh der Mond wieder voll wird.« Erschrocken streckte der Bub die Hände, als möchte er Edelrots Augen bedecken; sie verstand ihn und lächelte; wortlos flocht sie an dem Kränzl weiter, und Ruedlieb schaute ihr schweigend zu. Als das Gewinde vollendet war, sagte das Mädchen: »Schau nur, wie lieb das Kränzl geworden ist!«

»Wie gewachsen für dein Köpfl!« Ruedlieb nahm die Blumen und wollte mit ihnen die Stirne des Mädchens schmücken. Edelrot wehrte: »Laß! Ich mag das Kränzl nimmer tragen, seit ich die Geschicht von dem armen Dirndl gehört hab. Das müßt ja sein, als hätt ich ihr unschuldigs Blut im Haar.«

»Rötli!« Alle Farbe wich aus dem Gesicht des Buben. »Das mögen die guten Stern verhüten!«

»Was meinst du?« fragte sie verwundert. »Was hast du auf einmal? Bist ja ganz weiß im Gesicht! Hab ich was Unsinnigs geredt?«

Er schüttelte wortlos den Kopf.

»Komm, gib das Kränzl her!« Sie nahm das blühende Gewinde aus seinen Händen, eilte auf die kleinste der sieben Eichen zu und hob die Arme.

Mit bebender Stimme rief der Bub: »Tu's nit, Rötli, tu's nit! Häng die Blumen nit an dein Bäuml!« Doch eh er ausgesprochen hatte, hing das Kränzl schon zwischen den Ästen der jungen Eiche.

»Was hast du?« fragte Edelrot. »Warum soll's da nit hängen? Schau nur, wie gut die Blumen meinem Bäuml stehen! Warum denn nit?«

»Weil –« Ruedlieb brachte die Antwort nicht heraus.

Da klang ein schrilles Gelächter aus dem Innern des Hauses.

»Hörst? Die Mutter hat gelacht!« flüsterte das Mädchen. »Sie will was, ich muß hinein.« Einen Augenblick zögerte sie noch, als wär es ihr unlieb, jetzt zu gehen. »Ich muß, die Mutter braucht mich!« Sie eilte davon.

»Rötli! So laß dir doch sagen –« Ruedlieb streckte die Hände. Doch Edelrot war schon im Haus verschwunden. Der Bub fuhr mit der Hand über die Stirne; er blickte hinauf zu Wazemanns Haus und starrte wieder das Kränzl an; wie Blutschimmer hing es an Edelrots Bäumchen, dessen junger Stamm in handbreiten Zwischenräumen siebzehn Kerbschnitte zeigte; sie waren vernarbt und schon wieder von Rinde überwachsen, bis auf einen, der noch frisch und weiß war; vor wenigen Wochen erst, an dem Tag, an dem sich die Geburt der Schwester jährte, hatte Sigenot diese Kerbe in den Baum geschnitten. »Ich weiß nit, wie mir so was einfallen kann!« murmelte Ruedlieb. »Hätt ich die Blumen nur nie gebracht!« Da fühlte er einen leichten Gertenschlag an seinem Arm; als er aufblickte, stand Sigenot unter dem Hag, mit Angelrute und Lägel.

Der Bub wurde rot und ließ sich zu Boden gleiten.

»Zeit lassen!« grüßte der Fischer. »Was treibst du da?«

»Mit dem Rötli hab ich ein Weil geplauscht.«

»Was denn? Unsinniges Zeug?«

Ruedlieb schüttelte den Kopf und schielte nach der jungen Eiche.

Sigenots Brauen furchten sich. »Warum schaust du auf die Seit? Schau mir ins Gesicht!« Der Bub hob die Augen; je länger der Fischer in dieses offene Gesicht blickte, desto freundlicher wurden seine Züge. »Bist von der Alben gekommen?«

»Wohl, zwei Tag und zwei Nächt bin ich droben gewesen!«

»So geh heim jetzt! Ich hab eine Botschaft für deinen Vater. Sag ihm: heut sind sie gekommen, und draußen beim Albenbach haben sie auf Mittag Rast gehalten.«

»Wer?«

»Dein Vater weiß schon, wen ich mein'. Geh nur!«

Der Bub faßte sein Grießbeil. »Zeit lassen, Fischer!«

»Zeit lassen auch!«

Sigenot blickte dem Burschen nach, der rasch davonging. Ein freundliches Lächeln glitt über seine Züge. »Der Bub möcht mir taugen für das Rötli wie keiner! Aber das hat noch Weil!« Er trat in den Hag. »Höi, Wicho!« rief er mit lauter Stimme.

Der Knecht kam aus dem Stall gelaufen. »Was schaffst?«

»Nimm das Lägel und trag die Ferchen hinauf in Wazemanns Haus!«

»Wohl!« Der Knecht nahm das triefende Lägel auf die Schulter.

»Aber halt dich nit auf und laß dich nit ein mit den Burgknechten! Sonst kommst du am End wieder heim mit blutigem Kopf wie das letztemal, und ich müßt dir wieder unrecht geben. Wer Streit sucht, muß Hieb leiden.«

»Streit suchen! Wer hat denn Streit gesucht?« brummte der Knecht. »Hätt ich ruhig stehen sollen wie die Knecht gespöttelt haben: du wärst nur ein Freier, solang ihr Herr ein Aug zudrückt?«

»Laß die Knecht reden, was sie mögen! Tut einmal Herr Waze oder einer von seinen Buben eine solche Red, so will ich ihm schon die richtig Antwort geben.«

Murrend verließ der Knecht den Hag. Draußen nahm er das Lägel ab und öffnete den Deckel; Sigenot hatte seit Mittag fleißigen Fang gehalten, es wimmelte im Lägel von Forellen. Wicho warf einen mißmutigen Blick hinauf nach Wazemanns Haus. »Und die soll er all wieder haben? Tät ihm nur eine Grät im Hals steckenbleiben!«

Sigenot hatte die Angelrute an das Brunnendach gelehnt. Da hörte er vom Waldhang des Jennar herüber das Läuten zweier Jagdhunde. Ein Schatten flog über sein Gesicht. »Mir scheint, sie ist schon wieder um den Weg!« Er lauschte gespannt. Die Hunde schienen ein wundes Tier zu jagen; bald gaben sie Standlaut, dann wieder näherte sich die Jagd unter hetzendem Gekläff, wandte sich bald zur Rechten, bald zur Linken, nun klang das Geläut der Hunde schon im Talwald, und immer näher kam es dem See. Unter den Bäumen stolperte ein Hirsch auf die freie Lände hervor, das Wasser suchend, taumelnd und keuchend, mit pumpenden Flanken und hängendem Lecker; aus seiner Schulter ragte ein Pfeilschaft, in Fetzen hing zerrissenes Schlingwerk an dem mächtigen Geweih, und vom Äser tropfte die helle »Roten«. Das Tier streckte das Haupt nach dem See und schwankte vorwärts, aber schon waren die Hunde hinter ihm her, sprangen ihm an die Kehle und suchten den Hirsch in den Sand zu reißen.

Sigenot stand mit finsterem Gesicht, und seine Hand zuckte nach dem Messer; ihn erbarmte das Tier, dem nur eine einzige Wohltat noch zu spenden war: der Gnadenstoß. Aber er hatte noch keinen Schritt getan, da hörte er Hufschlag im Wald. Auf ihrem schäumenden Rappen sprengte Recka auf die Lichtung hervor. Mit jauchzendem Laut sprang sie aus dem Sattel, und während das wohlgeschulte Pferd keinen Huf mehr von der Stelle rührte, riß sie den blinkenden Genicker aus der Scheide und durchschnitt mit raschem Streich dem Hirsche die Sprungsehnen der Hinterläufe; stöhnend setzte sich das Tier, und da fuhr ihm der wohlgezielte Stoß ins Herz. Lachend sprang Recka zurück, um dem schlagenden Geweih zu entrinnen. Noch ein kurzer Kampf des erlöschenden Lebens, dann stürzte der Hirsch lautlos in den rotgefleckten Sand. Die Hunde ließen von ihm ab, gaben Standlaut, und von Wazemanns Haus herunter antwortete die Meute im Zwinger.

Recka schnitt dem Hirsch die Granen aus dem Äser und verwahrte sie hinter dem Gürtel. Aufatmend warf sie das Haar zurück. Dann wieder trat sie auf ihre Beute zu, legte die Hand auf die klaffende Wunde des Hirsches und berührte mit den rotgefärbten Fingern die Lippe. »Heil zum Gejaid!« Es war alter Jägerbrauch, den sie übte: sie »trank die Roten«. Nun blickte sie am Waldsaum entlang, die Büsche musternd; sie schien nicht zu finden, was sie suchte; nach allen Seiten spähte sie und gewahrte die über den Hag des Fischerhauses niederhängenden Äste der Eichen. Einen Augenblick zögerte sie, dann ging sie rasch auf das Hagtor zu und streckte die Hand aus. Aber da trat Sigenot hinter dem Hag hervor und faßte ihren Arm. »Rühr den Baum nit an!«

Dunkle Röte flog über Reckas Gesicht. »Laß meine Hand!« Mit zornigem Ruck befreite sie den Arm. »Dort liegt der Hirsch, den ich geworfen, ich will meinen Eichbruch haben nach Weidgesetz!«

»Brich ihn, wo du magst, aber nit von dem Baum da! Das ist meines Vaters Jahrbaum.«

Während der Fischer sprach, war Edelrot aus dem Haus getreten und herbeigekommen. Schüchtern legte sie die Hand auf ihres Bruders Arm. »Sigenot!«

»Sie will einen Zweig brechen von Vaters Baum,« sagte er, »und das leid ich nit.«

Recka zögerte mit der Antwort; Edelrots Anblick schien das heftige Wort zu beschwichtigen, das schon auf ihrer Zunge lag. »Du bist dem Baum ein guter Hüter, das muß ich sagen; aber das wird deinem Vater wohl nimmer viel helfen!«

»Laß die Toten in Ruh!« sagte der Fischer mit finsterem Ernst. »Keiner soll einen Zweig brechen von dem Baum oder nur ein einzigs Blatt davon abstreifen und meines Vaters Schlafruh stören. Wenn du deinen Bruch schon haben mußt, und der Weg in den Wald ist dir zu weit – dort steht mein Baum, reiß dir einen Zweig von ihm, und wär's der letzt, ich will's nit wehren.«

Ein spottendes Lächeln zuckte um Reckas Mund. »Dein Baum hat Ruh vor mir! Bist ein Fischer und mußt all Morgen auf sein vor Tag. Es müßt dir schaden am Gesund, wenn ich dir die Schlafruh stören möcht!« Lachend wandte sie sich ab.

»Recka!« stammelte Edelrot, eilte auf ihr Bäumchen zu und brach einen Zweig; sie bemerkte nicht, daß das Almrosenkränzl aus dem Geäst herunterfiel und über den Hügel niederrollte zwischen die Balken, die den Lugaus trugen. Unter dem Hagtor holte sie Recka ein und reichte ihr den Zweig. »Nimm, da hast du einen Bruch!«

»Ich danke dir!« sagte Recka, und freundlich streifte sie mit der Hand über Rötlis Lockenkopf.

Schweigend kehrte Sigenot sich ab und schritt dem Hause zu.

»Mußt ihm nit harb sein!« flüsterte Rötli. »Viel Jahr sind schon vergangen, seit der Vater im See versunken ist, und noch allweil hängt der Bruder an ihm mit heißer Lieb. Wie du an deiner toten Mutter. Mußt ihm nit harb sein! Schau, ich verrat dir was dafür.«

»Und was?« fragte Recka lächelnd.

»Ich weiß ein Völkl Enten, dort im Weiher!«

»Das hör ich gern. Die wollen wir heut noch jagen, Rötli!«

»Heut noch? Aber schau, es schattet schon, und Gewölk zieht auf!«

Recka blickte zum Himmel. »Grob Wetter wird kommen zur Nacht. Aber es hat noch Zeit, wir fahren vor Nacht den See ohne Müh noch auf und nieder. Wart auf mich, ich hol meine Falken!« Sie ging auf ihre Beute zu, streifte den Eichenbruch über die Wunde und steckte ihn hinter die Reiherfedern auf ihrer Kappe. Bellend sprangen die beiden Hunde um sie her. »An die Wach!« befahl ihnen Recka. Da verstummten die Bracken und legten sich vor dem Hirsch in den Sand. Mit einem leisen Laut rief Recka das Pferd herbei. Leicht schwang sie sich in den Sattel und trabte davon.

Wicho kam mit dem leeren Lägel von Wazemanns Haus zurück. Als er den Hirsch liegen sah, wollte er näher treten; die Hunde fletschten die Zähne; erschrocken wich er zurück und brummte: »Hui, hui! Das sind die richtigen Wazemannshund!«

Unter der Türe kam Sigenot ihm entgegen. Wicho schob das Lägel unter die Hausbank. »Herr Waze laßt dir Vergelts für die Ferchen sagen, und du sollst heut noch hinaufkommen zu ihm.«

Betroffen blickte der Fischer auf. »Was will er?«

Der Knecht zuckte die Achseln. »Ich weiß nit. Was Guts, mein' ich, wird's schwerlich sein. Er hat so freundlich getan. Sag ihm, er tät mir einen Gefallen, hat er gesagt, sag ihm, es wär mir lieb, wenn er heut noch käm, hat er gesagt.«

Sigenot lächelte. »Da bin ich neugierig, was er will.« Ruhig fragte er den Knecht: »Ist das Gras schon eingetan?«

»Wohl!«

»Dann Feierabend für heut.« Sigenot wollte gehen.

»Willst du dein Eisen nit umhängen?« fragte der Knecht.

»Das braucht's nit. Ich hab meine Fäust bei mir.«

Zwei wilde Schwäne kamen über das Fischerhaus einhergestrichen. Sigenot hörte ihren rauschenden Flügelschlag und blickte zur Höhe. »Die bringen Sturm!« Er folgte mit den Augen den weißschimmernden Vögeln, sah sie über dem Seeweiher kreisen und niederfallen ins Röhricht. Dann machte er sich raschen Ganges auf den Weg. Vor dem Hag begegneten ihm zwei Wazemannsknechte mit einem Karren, um den erlegten Hirsch zu holen.

Zwischen dem schilfigen Ufer und dem vom Hag umschlossenen Hügel zog sich ein schmaler Waldstreif hin. Sigenot durchschritt ihn und kam zum Ausfluß der Ache; eine aus vier breiten Balken gefügte Brücke überspannte das rauschende Wasser. Drüben nahm wieder der Wald ihn auf. Ein breit ausgehauener Reitweg führte in weitem Bogen zu Wazemanns Haus empor; aber diesem Wege folgte der Fischer nicht, sondern einem schmalen Fußpfad, der am Seeufer hinlief und unter dem Falkenstein auf einer Lichtung mündete; ein Steig lenkte über die Wand hinauf, mit schmalen, in die Felsen eingehauenen Stufen und einem dicken Seil als Halt und Stütze. Über der Felswand hob sich die plumpe Ringmauer aus wirrem Gestrüpp hervor, und ein niederes Türchen führte in den Burghof.

Der Fischer wollte emporsteigen. Da öffnete sich droben die kleine Pforte und Recka betrat die Felsentreppe; sie hatte das Reitgewand abgelegt und trug ein kurzes Unterkleid mit braunem Überwurf, dessen Säume mit dem gelblichen Rauchwerk von der Kehle des Edelmarders verbrämt waren; ein Netz umschloß das aufgeknotete Haar, so daß sich der schöne stolze Kopf frei aus den Schultern hob; auf ihrer rechten Hand saß ein Habicht mit der Falkenhaube und ein zweiter auf ihrer linken Schulter; rasch kam sie, ohne das Seil zu berühren, über den steilen Pfad herabgestiegen. Sigenot trat zur Seite. Kaum merklich neigte sie den Kopf, als sie an ihm vorüberschritt.

Der Fischer betrat den Felsensteig; schon auf der ersten Stufe wandte er sich. »Recka!« Sie drehte das Gesicht und sah ihn verwundert an. »Du willst auf die Beizjagd?« fragte er. »Heut noch?«

»Was kümmert's dich?«

»Grob Wetter steht am Himmel.«

Sie warf einen raschen Blick empor zu dem ziehenden Gewölk, dessen Säume blutrot schimmerten. »Ich fürcht es nit.«

»Es könnt schneller da sein, als du meinst!«

»Dann schau nur, daß du bald unter Dach kommst!« Lachend drehte Recka dem Fischer den Rücken und schritt davon. Raschen Ganges gelangte sie zur Lände am See. Edelrot hatte sie schon gewahrt und kam mit einem Ruder aus dem Hagtor hervorgeschlüpft. »Ich hab eine Stang mitgebracht!« flüsterte sie. »Aber ich mein', wir sollten nimmer fahren. Horch nur, wie's im Röhricht zischelt! Das ist kein gutes Zeichen!« Scheu blickte sie zum Himmel. »Der König Eismann hat schon die Haub.«

Recka lächelte. »Hast du Furcht?«

Edelrot schüttelte das Köpfchen. »Furcht nit, aber der Bruder wird schelten.«

»So laß ihn schelten! Komm!« Mit dem Knie schob Recka den leichten Gransen ins Wasser und bestieg den Nachen. Bei der schwankenden Bewegung schlugen die Habichte mit den Schwingen, um den Halt auf Reckas Hand und Schulter nicht zu verlieren. Edelrot folgte, und während sie im Spiegel des Nachens das Ruder in den Weidenring schob, setzte Recka sich auf das Schnabelbrett, legte das Federspiel mit den weißen Taubenflügeln, das sie in lederner Tasche getragen hatte, vor sich hin, nahm die unruhig gewordenen Beizvögel auf ihren Schoß und streichelte ihnen mit einer langen Feder Hals und Rücken.

»Gelt,« fragte Rötli, »da ist dein Schätzel nit dabei?«

Recka lachte. »Schau doch, du kannst ja schon den Stockfalk unterscheiden vom Edelfalk! Gib acht, du wirst noch was lernen! Mein Schätzel sitzt daheim. Ich hab die groben Stößer mitgenommen, die taugen besser auf das Wasser und machen flinke Arbeit.«

Stehend führte Edelrot das Ruder, gleichmäßig und geschickt. Mit leisem Plätschern glitt das Schiff hinaus über die glatte, schattenstille Flut. Auf dem Wasser webte der violette Schimmer des entschlummernden Tages, und auf der Zinne des Jennar leuchtete noch ein letzter Anflug helleren Lichtes. Doch zwischen dem hochtreibenden Gewölk, dessen wallende Säume alle Farben spielten von brennendem Rot bis zu dunklem Purpur, lag es schon wie kommende Nacht. Eine finstere Wolkenhaube hatte sich über den Schneegipfel des König Eismann gestülpt. Dort oben quollen und wirbelten die Nebelmassen durcheinander wie Dampf über einem Kessel; im Tal und auf dem Wasser rührte sich noch kein Lufthauch. Nicht die leiseste Welle kräuselte den See; nur im Röhricht zitterten die Spitzen der schlanken Blätter, als stiege der schwüle Brodem, den die heiße Sonne des Tages unter dem Schilfdach ausgebrütet, nun langsam zwischen den Halmen empor in die Lüfte.

Es raschelte im Röhricht, und leises Geschnatter ließ sich vernehmen.

»Da drinnen sind sie!« flüsterte Rötli.

»Die Enten? Die lassen wir heut in Ruh. Ich weiß mir bessere Jagd! Ein Elbißpaar ist eingestrichen in den See, von meinem Fenster hab ich's erschaut. Fahre hinüber in die Ecke, wo aus der Tiefe der kalte Brunnen aufsteigt. Dort liegen sie im Schilf!«

»Recka!« stammelte Edelrot, den Gransen verhaltend. »Du wirst doch nit die Elbiß beizen?«

»Was soll mich hindern?«

»Die Leut sagen: wo der Elbiß rauscht, da ist der Bid nit weit.«

»Ich fürcht ihn nit!« entgegnete die Wazemannstochter lächelnd. »Fahr zu!« Rötli zögerte. »Fahr zu!« wiederholte Recka ungeduldig. Rötli tauchte das Ruder ein und schob den Gransen. Nahe bei der Insel kamen sie vorüber, und Edelrot lugte scheu in das Röhricht. »Dort schau hin! Siehst du die kleinen Weglein im Geröhr? Da steigt er aus und ein, der Bid.«

Recka lachte. »Närrlein, das sind Ottersteige. Fahr weiter!«

Rötli trieb den Nachen. Das Wasser wurde tief und schwarz. Da erwachte in Edelrot ein Gedanke, der sie erblassen machte. »Recka! Wenn es keine richtigen Elbiß wären, sondern –«

»Was?«

»Elbißdirnen!« Das Wort klang wie ein Hauch.

»Narretei!« lachte Recka. »Fahr weiter!«

Zögernd gehorchte Rötli. Der Nachen glitt über eine Stelle des Wassers, an der sich auf dem Spiegel kleine wallende Kreise zeigten; hier stiegen die kalten Quellen auf. Immer näher glitt das Schiff dem Röhricht. Recka hatte sich erhoben und setzte die Stößer auf den rechten Arm; durch die Schleifen der Falkenhauben hatte sie eine Schnur gezogen, um die Kappen lösen zu können mit einem Ruck. »Mach Lärm mit dem Ruder!« flüsterte sie. Rötli war bleich und zitterte; aber sie folgte der Weisung. Es rauschte im Röhricht, klatschende Flügelschläge ließen sich hören, und die beiden Schwäne hoben sich schweren Fluges über das Schilf, mit offenen Schnäbeln fauchend, die Hälse langgestreckt. Schneeweiß leuchtete ihr Gefieder in der dämmernden Luft. Rasch löste Recka die Falkenhauben und hob den Arm. Die Stößer streckten die Köpfe, und ihre gelben Augen funkelten – jetzt wurden sie starr, das Gefieder sträubte sich – sie hatten die Schwäne eräugt. In diesem Augenblick schwang Recka unter jauchzendem Ruf die Vögel. Pfeilschnell schossen die Stößer den Schwänen nach. Schon hatten sie ihnen die Höhe abgewonnen, da fiel ein dumpfer Windstoß aus den Lüften und rauschte an der Falkenwand entlang. Die Stößer gaukelten mit wehenden Schwingen, doch nur einen Augenblick, dann fanden sie wieder festen Flug und stießen nieder.

Mit klagendem Laut teilten die Schwäne ihren Weg, der eine suchte das Land, den tieferen See der andere. Diesen hatten die Stößer zu ihrem Opfer gewählt, und schlagend fielen sie ihm an den Hals. Im Fluge trug sie der klagende Schwan und tauchte mit ihnen um die Ecke der Falkenwand.

»Er fällt in den Weitsee!« schrie Recka in Erregung. »Gib mir das Ruder, wir müssen nach, oder der Schwan ist verloren und meine Vögel dazu!« Sie hörte nicht auf Rötlis Bitten, griff nach dem Ruder und schlug das Wasser, daß vor dem Schnabel des Nachens eine weiße Welle aufrauschte. Wieder fiel ein Windstoß aus den Lüften, dumpf und brausend, und über das Wasser ging ein Zittern.

Hinter der Insel Bidlieger verschwand das Schiff mit den beiden Mädchen.

Im Röhricht erwachte ein Glucksen und Plätschern, aller Glanz war von der Flut gewichen, grau und finster lag das Wasser, überwirbelt von kleinen stoßenden Wellen. Und weit aus dem Tal herein, plötzlich, hörte man das Rauschen der Ache.

Es kam der Sturm.


 << zurück weiter >>