Ludwig Ganghofer
Der hohe Schein
Ludwig Ganghofer

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9

Durch den stillen Morgen ging's hinunter zum Scheidhofer Weiher. Der Jungknecht fing mit halblauter Stimme zu singen an, die beiden anderen brummten mit, und Bonifaz pfiff den Diskant dazu. »Was singen die Leute?« fragte Walter. »Ich kann die Worte nicht verstehen.«

»An alts Liedl:

Nie net därfst rüahwi sein,
Allweil mußt gehn!
Schaugst dir ebbs richtig an,
Allweil is 's schön!

Bald dir ebbs gfallen tut,
Schleun di und sag's!
Bald dir ebbs haben möchst,
Greif dir's und pack's!«

Welch ein merkwürdiger Zusammenklang mit einer Stelle, die Walter im »Werther« gefunden: »Das Zugreifen ist doch der natürlichste Trieb der Menschheit!« Ein trällerndes Volkslied und der gefürstete Menschengeist – alle beide sagen das gleiche!

Sie waren zur Wiese gekommen, die im Tau wie graue Seide glänzte. Am Waldsaum pisperten schon die kleinen Schopfmeisen. »Jetzt aber flink!« sagte Bonifaz. »Gleich wird d' Amsel schlagen.« Der junge Knecht stellte den Henkelkorb unter einen Baum. Dann zogen sie alle die Joppen aus. Auch Walter warf den Rock neben den Korb. An der Ecke der Wiese begannen sie: voraus der Jungknecht, dann die zwei Alten, dann Walter, und Bonifaz als letzter. Der erste Sensenhieb zischte durch das nasse Gras, von dem es aufsprühte wie weißlicher Staub. Die gefallene Schwade war nicht mehr grau wie die Wiese, sondern grün. Und in allen Farben lagen die gemähten Blumen durcheinander.

Bonifaz mähte hinter Walter drein und machte doppelte Arbeit: er mähte den eigenen Gang und kurierte den Schaden, wenn Walter bei einem mißlungenen Hieb den Blumen nur die Köpfe abgeschlagen hatte. Es wurde kein Wort gesprochen. Die Sensen zischten vor den fünf gebeugten Menschen her. Als sie den ersten Gang bis zur Hälfte der Wiese gebracht hatten, schlug im Wald eine Amsel. Walter hätte sich gern aufgerichtet und gelauscht. Er getraute sich nicht, die Sense rasten zu lassen. »Unser fünfe!« Das wollte verdient sein.

Immer heller wurde der junge Tag. Im Dorfe läutete man den Morgengruß. »Jetzt werden die Mähder beten?« dachte Walter. Aber die Knechte unterbrachen die Arbeit nicht, bevor nicht der erste Gang durch die ganze Wiese geschlagen war. Dann wischte jeder mit einem Grasbüschel die Sense ab und wetzte die Klinge mit dem Stein. Gelehrig machte Walter ihnen alles nach – nur eines nicht: wie sie in die Hände spuckten, bevor sie die Sensengriffe wieder faßten. Der zweite Schlag ging über die Wiese zurück. Dabei schienen die drei Knechte den Mähderlehrling ein bißchen hetzen zu wollen. Sie schlugen drauflos, daß Walter Mühe hatte, hinter ihnen nachzukommen. Bonifaz verdarb den Bosnickeln das kichernde Spiel. »Langsam, Leut!« befahl er. »D' Reih muß beieinand bleiben!«

Beim dritten Schlag begann Walter ein unbehagliches Ziehen im Rücken zu verspüren. Auch die Nässe, die ihm durch die Strümpfe gedrungen, wirkte nicht angenehm. Aber der zaubervolle Reiz, mit dem ihn der wachsende Morgen umglänzte, ließ ihn alles vergessen. Der Hohe Schein, hinter dem die Sonne aufging, spielte sein brennendes Wunder aus, und auf den Ketten der Berge begann eine milde Rosenglut alle Gipfel anzuglühen. Ein zarter Duft stieg aus den liegenden Gräsern. Das würzte jeden Atemzug und frischte die ermüdenden Kräfte. Der Tau an den noch stehenden Gräsern begann sich zu silberweißen Tropfen zu sammeln, die manchmal in rotem und gelbem Glanze flimmerten. Und als der vierte Schlag wieder zurückging über die Wiese, so daß die Mähder die steigende Sonne im Rücken hatten, zeigte sich über den schwingenden Sensen ein wundersames Farbenspiel. Sooft die Sense schlug, stäubten von den fallenden Gräsern tausend winzige Tropfen auf, und für die Dauer weniger Augenblicke wölbte sich ein zarter Regenbogen durch den aufsprühenden Tau. Walter konnte sich nicht satt schauen an diesem lieblichen Farbengetändel zwischen der lachenden Sonne und den kühlen Tränen der Nacht. Eifrig schwang er die Sense, um das immer wieder zu sehen: diesen träumenden Schönheitsgedanken der Natur, die sich im klaren Erwachen mit allem Geheimnis der Nacht versöhnte.

Als der vierte Gang zu Ende war, schlug die Kirchturmglocke halb sieben, und Bonifaz sagte: »Gut, Leut! Machen wir Brotzeit!« Freundlich nickte er zu Walter hinüber: »Brav haben S' Ihnen ghalten!« Walter konnte vor Stolz über dieses Lob nicht mehr erröten, sein Gesicht brannte ohnehin wie Scharlach. Man ging zu dem Baum hinüber, bei dem der Brotkorb stand. Aufatmend trocknete Walter den Schweiß vom Gesicht. Die Knechte setzten sich auf ihre Joppen und machten sich über den Korb her. »Herr?« fragte Bonifaz. »Wo haben S' denn Ihr Sach? 's Walperl wird doch draufdenkt haben, daß 's Ihnen zur Brotzeit a Packerl mitgibt?«

»Ja, natürlich, sie hat mir was auf den Tisch gelegt.«

»Drum! 's Walperl vergißt auf nix.«

»Aber ich hab's liegenlassen.«

Bonifaz lachte. »Müssen S' halt bei uns mithalten!« Das ließ sich Walter nicht zweimal sagen. So grob die Kost war, sie schmeckte ihm: Schwarzbrot mit gepfeffertem Speck. Dazu trank man Wasser mit einem Guß Branntwein drin.

Wie schön das Plätzchen war, an dem sie saßen! Zur Rechten der Weiher mit blitzenden Lichtern und gaukelnden Libellen; zur Linken die Wiese, halb gemäht, mit den zwanzig langen Schwaden; in der Ferne der Hohe Schein, seine Wälder von Schattenduft umwoben, sein Gipfel mit der blendenden Sonnenkrone – und im nahen Wald der zärtliche Amselschlag und das Meisengezwitscher. Mit träumenden Augen blickte Walter in den schönen Morgen. Und wie wohl ihm dabei das Rasten tat! Ganz frisch fühlte er sich, als nach einer Viertelstunde die Arbeit wieder begann. Aber schon mitten im ersten Gang mußte er die Faust in den Rücken pressen. »Geben S' net nach, Herr!« sagte Bonifaz. »Dös müssen S' übertauchen! 's erstemal geht's jedem so!«

Walter mähte weiter und blieb auch bis zum Ende des Ganges noch leidlich in der Reihe. In der steigenden Sonne trocknete das Gras und wurde zäh. Walter hatte das Gefühl, als schlüge er mit der Sense in stählerne Drähte. Der Schweiß tropfte ihm vom Gesicht, und die Haut brannte unter dem nassen Hemd. Als die Kirchturmglocke acht Uhr schlug, atmete er auf. »Nur eine Stunde noch!« Er meinte sie nicht mehr übertauchen zu können. Mitten im Gange sagte er atemlos: »Bonifaz, meine Sense hat keine Schneid mehr!«

Die drei Knechte lachten. Bonifaz sagte ernst: »Geben S' her, lassen S' wetzen!« Während er den Stein über die Klinge zischen ließ, flüsterte er: »Lassen S' Ihnen von die Knecht net auslachen! Da wär ich schon z'stolz dazu.«

»Ich kann nimmer.«

»Grad wollen müssen S', nacher können S'!« Bonifaz schmunzelte. »Wegen dem halben Stündl werden S' doch net ausreißen? Da müßten S' Ihnen ja schamen vor'm Fräulen! Die kommt um zehne.« Mit sausenden Sensenschlagen mähte er für Walter den Gang auf, bis die Knechte eingeholt waren. »So!« Und reichte ihm die Sense. »Packen S' wieder an!«

Walter gehorchte und nahm alle Kraft zusammen, die noch in seinem Körper war. Es dauerte nicht lang, da blieb er wieder hinter den Knechten zurück. Die begannen ihn an das spöttische Schnürl zu nehmen. Doch als es der Jungknecht mit seinen Späßen zu bunt machte, rief Bonifaz grob: »Halt 's Maul, du Dreckbub! Der Herr Dokter schafft aus Freud an der Arbeit. Du tust es, weil man dich zahlt dafür.«

»Lassen Sie ihn reden!« sagte Walter. Und plötzlich hatte seine Sense wieder Kraft und Schneid. Er biß die Zähne übereinander und schlug die beiden letzten Gänge so sauber hin, wie er den ganzen Morgen noch keinen Gang gemäht hatte. Um halb zehn Uhr war die Wiese umgeschlagen. Tief atmend legte Walter die Sense fort und trocknete sich die Stirne. Lachend nickte ihm Bonifaz zu: »Respekt, Herr Dokter!«

Auf Walter machte dieses Lob keinen Eindruck. Ihm war es jetzt nur um eines zu tun: wie er seinen brennenden Körper erfrischen könnte. Am Weiher, in einer versteckten Bucht, warf er die Kleider ab und sprang in das kristallene Wasser. Wie mit tausend Nadeln fuhr ihm die Kälte des Quellwassers durch die Haut. Gleich einem Tobsüchtigen schlug er mit den Armen um sich. Ein paar Minuten hielt er es aus, dann mußte er das Ufer suchen, rot wie ein gesottener Krebs. Und jetzt die warme Sonne auf den vor Frost zitternden Körper! Walter warf sich ins Moos und dehnte die Glieder. Das war ein Behagen, wie er es in seinem ganzen Leben noch nie genossen hatte. Er lag, ohne sich zu regen. Und der Schlaf drohte ihn zu überfallen. Da hörte er die Kirchturmglocke zehn Uhr schlagen. Erschrocken sprang er auf. Als er wieder in den Kleidern stak und die Arme streckte, war's ihm zumut, daß er vor Freude am liebsten geschrien hätte.

Beim Baum, in dessen Schatten die Mähder rasteten, hatte sich die Gesellschaft vermehrt. Zwei Mägde waren gekommen und hatten die Rechen gebracht, dazu den Korb für die zweite Brotzeit. Die Knechte hatten ihren Hunger schon gestillt und saßen mit den qualmenden Pfeifen im Schatten. Als Walter sich zu ihnen setzen wollte, sah er Mathild durch den Wald kommen, in ihrem lichten Kleid, den Rollstuhl vor sich herschiebend. in dem ihr Vater saß. Er sprang ihr entgegen. »Guten Morgen, Fräulein! Guten Morgen, Herr Forstmeister!« Sie grüßte mit einem stillen, frohen Blick. Dann sah sie ihn verwundert an, als müßte sie sich in seinem Aussehen erst zurechtfinden. Und der Forstmeister fragte: »Na, Herr Philosoph, wie ist's mit dem Mähen gegangen?«

»Die letzte Stunde ist mir sauer geworden.«

Der Forstmeister lachte. »Jetzt werden Sie Hunger haben! Das Walperl hat uns gesagt, daß Ihr Packerl liegenblieb, und da hat Ihnen mein Mädel was mitgebracht. Kram nur gleich aus, Thilde!«

Als sie zum Baum kamen, standen die Leute auf und grüßten, dann streckten sie sich wieder hin, nur Bonifaz blieb stehen und sagte: »Schad, Fräulen, daß S' net a halbs Stündl früher kommen sind! Der Herr Dokter hat gschafft wie der Beste.«

»Bonifaz!« Walter drohte mit dem Finger. »Sie übertreiben!« Er ließ sich im Schatten nieder und blickte lachend zu Mathild auf. »Seit ich den Bonifaz hinter mir arbeiten sah, kann ich mir ungefähr vorstellen, wie ein Schutzengel für die hilflosen Kinder sorgt.«

Mathild dankte dem Knecht mit einem freundlichen Blick. Dann setzte sie sich neben Walter ins Gras, breitete eine Serviette vor ihm aus und stellte das Frühstück zurecht: ein Fläschchen Rotwein, Weißbrot mit Butter, Schinken und Eier. Walter spielte den Entsetzten: »Das alles soll ich essen?« Dabei hing er mit den Augen an jeder Bewegung Mathilds, als könnte er's nicht erwarten, den ersten Bissen aus ihrer Hand zu empfangen.

Der alte Herr hatte mit Bonifaz zu schwatzen begonnen, von dem er meinte, daß er einen besonders guten Barometer haben müsse, weil er zum Heuen immer den besten Tag erwische. Bonifaz schüttelte den Kopf. »Da brauch ich kein Barometer! Ich schau mir am Abend d' Luft und 's Wasser an, d' Leut und 's Viech, d' Vögel und d' Schnacken. Wann alls auf'n Abend die richtig Freud am Leben hat, nacher weiß ich: es kommt a guter Tag. Und da wird gheut.«

»Bub, du hast Verstand! Aber Glück hast du auch. Was du am Morgen mähst, das führst du am Abend heim.«

»Dös kunnten ander Leut gradso treffen! Die haben den alten Aberglauben, daß 's richtige Heu zwei Sonnen braucht. Net wahr is's! Von zwei Sonnen is eine allweil die schlechter, und 's Heu verliert an der Blum. Packt man den richtigen Tag, so hat er die richtige Sonn, und 's Heu kunnt net besser sein!« Bonifaz lachte, daß ihm unter dem Mehlbärtchen die weißen Zähne blinkten. »Mit'm Heu muß man's halten wie mit der Lieb: zugreifen in der besten Stund und nimmer auslassen! Nacher hat 's Glück auch die richtige Sonn, dö für's Leben langt. Zwei Sonnen? Ah na!« Er winkte den Knechten und Mägden. »An d' Arbeit, Leut! D' Sonn trücknet auf.«

Walter, der eine Schinkensemmel zwischen den Zähnen hatte, sprang aus dem Gras: »Muß ich mit?«

»Na, na! Lassen S' Ihnen d' Rast nur schmecken!« Bonifaz, schmunzelnd, sah das Fräulein an. »D' Herrschaft will auch a bißl Gsellschaft haben! Jetzt breiten wir derweil. Geht nacher 's Wenden an und 's Fräulen tut mit, da müssen S' auch wieder einspringen!« Er ging zu den Leuten hinüber, die schon begonnen hatten, die Schwaden auseinander zu breiten.

Walter sah ihm nach und sagte ernst: »Das ist ein Mensch, den ich beneide.«

Der Forstmeister nickte. »Den hat unser Herrgott in der Freud erschaffen. Was er da vorhin gesagt hat von der einen richtigen Sonn, die für 's gute Heu und für das rechte Glück ausreicht, das ist ein Stück Lebensklugheit, so resolut und dabei so warm –« Er unterbrach sich und sah verwundert seine Tochter an. Mathild hielt das glühende Gesicht geneigt, und während sie für Walter ein Ei schälte, zitterten ihr die feinen, schlanken Finger. »Geiß? Was hast du?«

»Ich?« Mit frohen Augen sah sie zum Vater auf. »Nichts, Papa!« Sie legte das Ei auf einen kleinen Holzteller und schnitt es auseinander.

»Danke, Fräulein!« Walter bot ihr den Teller hin. »Aber jetzt müssen Sie mithalten und ehrlich teilen.«

Lachend nahm sie das halbe Ei. Dann sagte sie zu ihrem Vater: »Vergiß nicht, Papa!«

Der Forstmeister fuhr aus nachdenklicher Stimmung auf: »Richtig, ja! Ich muß mir bei Ihnen Absolution holen, Herr Doktor, für einen Einbruch in Ihre Stube.« Aus einer Ledertasche am Rollstuhl brachte er das dicke Buch hervor, das von den Welträtseln handelte. »Der Zorn der Grillenmahm hat mich neugierig gemacht. Darf ich das Buch ein paar Tage behalten?«

»Solange Sie wollen! Ich fürchte nur, daß ich Ihnen mit diesem Buch kein Teilchen der Freude wettmachen kann, die Sie mir mit dem Goethe gemacht haben.«

»Geiß, das geht an deine Adresse!«

Walter reichte ihr die Hand. Und Mathild fragte erregt: »Haben Sie schon gelesen?«

»Ja. Den Werther.«

Mathild schwieg. Nur ihre Augen fragten.

»Das ist kein Buch. Das ist die Menschheit, das ist Leben, Gott und die Welt! Zwanzig Jahre haben mir nicht gegeben, was mir gestern die paar Stunden gaben: einen Aufruhr, der mich ganz überwältigte, und dann diese schöne, freie Ruhe. Sie haben recht, Fräulein Mathild! Ein Gebetbuch.« Wie ihr die Augen glänzten! Und da grub sich plötzlich eine Furche in seine Stirn. »Fräulein! Gestern, als ich las von Lotte und Albert, da hab ich mir immer denken müssen –« Er wurde verlegen. Dann sagte er's kurz heraus. »Gibt es einen Mann, den Sie liebhaben?«

Erschrocken sah ihn Mathild an und wurde glühend rot über das ganze Gesicht. Der Forstmeister machte zuerst verdutzte Augen, dann lachte er. »Aber! Herr Philosoph! So was fragt man doch ein Mädel nicht!«

»Warum nicht, Papa?« sagte Mathild, ihre Verwirrung überwindend. »Auf jede Frage kann man antworten.« Sie füllte das Weinglas für Walter. »Man braucht nur die Wahrheit zu sagen!« Dann stand sie auf und legte den Arm um ihres Vaters Hals. »Ja, Herr Doktor! Es gibt einen Mann, den ich liebe. Über alles!« Sie küßte den Vater auf die Wange. »Gelt?« Dann lief sie mit leisem Lachen dem Weiher zu.

Der Forstmeister sah ihr nach. Der zärtliche Glanz, der in seinem Blick geleuchtet hatte, erlosch, als Mathild zwischen den Bäumen verschwand. Eine schwere Sorge war auf seine Stirn geschrieben. »Das Mädel glaubt auf Leben, als hätte unseres Herrgotts Woche sieben Feiertage. Was hat sie davon? Daß sie mich alten Krüppel pflegen kann! Dabei verhockt sie ihre liebe, schöne Jugend. Aber wie ich sie kenne, muß ich noch hoffen, daß alles bleibt, wie es ist. Eine böse Sorge steht vor uns. Der Scheidhofer kann jeden Tag die Augen zumachen. Was wird dann mit unserem Haus? Mit meines Mädels Rosen? Mit ihrem Garten? Freilich, das Mädel hat die Kraft, um alles zu überwinden. Sie wird meinen Rollsessel in den neuen Stall hinüberschieben, wird sich plagen und neue Rosen pflanzen. Aber der neue Boden wird mager sein. Und mein Mädel wird nimmer lachen.«

Nachdenklich blickte Walter über die Wiese hinaus, auf der die Scheidhofer Leute bei der Arbeit waren, umwoben vom Glanz der Sonne.

Der Forstmeister fügte die eisernen Stäbchen, die mit Scharnieren an den Armlehnen des Rollsessels befestigt waren, zu einem Lesepult zusammen und schlug das Buch von den Welträtseln auf. »Donnerwetter! Da heißt es beißen, bis ich durchkomm! Aber so dick das Buch ist, es wird mir nicht viel Neues sagen. Wenigstens nicht über das Leben. Das kenn ich. Und weiß, wie schön es sein kann.« Er gewahrte den merkwürdigen Blick, mit dem Walter an ihm hinaufsah, »Freilich, wenn Sie mich anschauen, mein lahmes Untergestell und meine windschiefen Pfoten!« Der alte Herr lachte. »Ich schau mein Mädel an und denk an meine Frau. Dann weiß ich, wieviel das Leben gilt!« Er blätterte im Buche. »Na, jetzt bin ich neugierig, wie viele Rätsel mir diese dicke Weisheit lösen wird?«

»Keines!« sagte Walter in Erregung. »Das Buch ist ein schwerer Sack voll Wissen. Was gewinnen wir dabei? Ich wollte, daß ich so wenig wüßte wie der Bonifaz. Dann wüßte ich das Bessere.«

Der Forstmeister sagte ernst: »Ich begreife den Zorn dieses Wortes. Mein Mädel hat mir manches erzählt, was sie beim Pfarrer von Ihrem Leben hörte. Und doch schießen Sie mit diesem Wort über das Ziel hinaus!«

Walter schüttelte den Kopf.

»Doch, lieber Doktor! Das Wissen ist in unserem Leben, was die Blume im nützlichen Gras ist: sie gibt ihren Duft zum Futter. An sich ist alle Wissenschaft wertlos. Sie gewinnt erst Wert, wenn sie eine nützliche Beziehung auf das Leben findet, unser Dasein reicher und reinlicher macht. Das Zahnpulver und die Seife sind Erfindungen, die wir höher einschätzen müssen als den Luftballon und das Fernrohr. Für das Leben soll die Wissenschaft sorgen. Den Himmel soll sie in Ruhe lassen. Wo das Greifen aufhört, hilft kein Verstand mehr weiter, nur das Herz. Die Erkenntnis Gottes und seiner fernsten Rätsel wird in einem Menschen um so tiefer sein, je stärker in ihm die Freude ist, mit der er an seinem Leben hängt. Wenn ich den Wert meines Lebens klar erkenne, hab ich ein Stück Welt erkannt, und wenn ich Ordnung und frohe Schönheit in mein kleines Dasein bringe, wird mir die ganze Welt zu einem schönen Bild der Ordnung.«

Mit glänzenden Augen nickte Walter vor sich hin. Dann sprang er auf, wie es einen Menschen in die Höhe reißt, in dessen Seele ein Entschluß zur Reise kam.

»Ja Doktor, das ist mein Kredo. Das hat mir noch alle Fragen gelöst. In mir selber ist das nicht gewachsen. Wie ich ein junger Kerl war, hat auch mir die spekulative Neugier durch den Schädel gesummt. Dann hat mich das Glück einen lieben Kaplan finden lassen, der den richtigen Katechismus hatte. Meine Frau! Alles an ihr ist überzeugende Predigt gewesen, ihr Leben, ihr Humor, ihre unverdrossene Güte und ihr ruhiger, lachender Tod!« Die verkrüppelten Hände auf dem Buch, lehnte sich der alte Herr in den Sessel zurück und blickte in den Glanz des Morgens. »Wir wissen nicht, woher wir kommen, und wissen nicht, wohin wir gehen. Was wir zwischen Windel und Grab auf unserem Fleck Erde finden, ist so reich und schön, daß wir zufrieden sein können. Treu ans Leben glauben, das ist von aller Wissenschaft die klügste, von aller Religion die verläßlichste. Nach Kräften sein Dasein froh erfüllen, heißt dem Willen des Schöpfers gehorchen. Von allem Gottesdienst der frömmste ist ein heiteres Lachen an einem Tag wie der heutige.« Er tat einen tiefen Atemzug. »Wie gut dem Bonifaz sein Heu heut wird! Schnuppern Sie ein bißchen, Doktor! Man spürt den Duft.«

Während die beiden über die Wiese hinausblickten, kam Mathild aus dem Wald, legte dem Vater ein Sträußchen von Reseden und Levkojen zwischen die Hände, nahm den Rechen, lief zur Wiese hinüber und trat in die Reihe der Leute, die das gebreitete Heu zu wenden begannen. »He!« rief Bonifaz. »Herr Dokter? Was is denn?«

Lachend packte der Philosoph einen Rechen und sprang. »Das müssen Sie mir erst zeigen, Bonifaz!«

»Lassen S' Ihnen nur vom Fräulen einweisen! Die kann 's Wenden am besten. Der ihre Handerln sind die lüftigsten.«

Nun gab's einen lustigen Unterricht im Rechenschwung. Walter stellte sich ungeschickter, als er war, nur um die Schulzeit zu verlängern. Schließlich merkte Mathild seine Absicht, lief ihm lachend davon und stellte sich als letzte in die Reihe der Heuer. »Nur probieren jetzt!« Er war auch gleich an ihrer Seite und begann die Arbeit. Keinen Schritt blieb er hinter Mathild zurück, die mit ihrem lichten Kleid in der Sonne vor ihm herleuchtete. Je fleißiger er den Rechen schwang, desto frischer schien die erneute Kraft in ihm zu wachsen. Ein lustiges Wort gab das andere, und immer ging das heitere Schwatzen die ganze Reihe der Heuenden hin und her. Walter, nach einer schweigsamen Minute, fragte plötzlich: »Fräulein? Welche Antwort haben Sie sich auf die Frage gegeben: warum Werther sterben muß?«

Überrascht wandte sie das Gesicht. »Ich habe das nie gefragt. Das ist so. Und man glaubt es.«

»Ein schöneres Lob könnten Sie dem Dichter nicht sagen! Aber jetzt müssen sie mir Antwort geben! Warum?«

Mathild hatte die Arbeit wieder aufgenommen und schwieg ein Weilchen. Dann sagte sie: »Ich glaube, weil Werther –«

Da gab's ein lachendes Hallo in der Reihe. Der Jungknecht war – »ganz unschuldiger Weis'«, wie er behauptete – der drallen Magd, die vor ihm herging, mit dem Rechen an die Kleider geraten, und da hatte man zwei blaugezwickelte Strümpfe und noch ein bißchen mehr gesehen. Das Mädel schien nicht übel Lust zu haben, mit dem Rechen auf den Buben loszuschlagen. Schließlich lachte sie selber mit, und über der lustigen Debatte, wie lang man für ein Mädel die Strümpfe stricken müsse – »Drei fingerbreit über 's Nackete auffi!« behauptete der Jungknecht –, blieb die ernste Frage, warum Werther sterben mußte, bis auf weiteres ungelöst.

Gegen ein Uhr, als man mit dem ersten »Umtun« schon nah ans Ende der Wiese kam, trat Mathild aus der Reihe und lief zum Wald hinüber. Walter sah ihr nach. »Warum geht sie denn jetzt?«

»'s Walperl wird 's Essen für d' Herrschaft bracht haben!« sagte Bonifaz. Und richtig, drüben beim Weiher sah man das Walperl mit irgendeiner Sache flink beschäftigt. Walter lächelte. Der Anblick des Mädels erinnerte ihn an die diplomatische Mission, die er übernommen hatte. »Das Walperl!« sagte er. »Ja, das Walperl! Ein braves, liebes, prächtiges Mädel! Hab ich nicht recht. Bonifaz?«

»Jjaaa!« Bonifazius Venantius schien bei diesem Thema jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. »Da laßt sich nix sagen! 's Madl is gsund und fest beinand, fleißig und rechtschaffen, lustig und kuraschiert. Mit der is einer amal aufgricht, wann er zugreifen kann!« Das Gespräch unterbrechend, rief er mit lauter Stimme: »A bißl flinker, Leut! Grad kommt d' Nandl mit'm Essen. In fünf Minuten müssen wir durch sein. Oder unser Hunger kriegt a kalts Vergnügen!« Er trat als erster vor die Reihe, und da ging die Arbeit so hurtig vorwärts, daß Walter bald zurückblieb. Als die anderen schon fertig waren, hatte er noch ein Weilchen nachzuheuen, um seinen Strich ans Ende zu bringen. Bis er hinüberkam zum Waldsaum, hockten die Scheidhofer Leute schon um die große Schüssel her und ließen den Krug umgehen. »Gleich können wir essen.«

Da fing er zu laufen an. »Ich darf mithalten? Muß nicht ins Dorf?«

»Ins Dorf? Was Ihnen einfällt!« Mathild breitete ein Tischtuch über den Rasen, legte die Bestecke auf die hölzernen Teller und stellte die Gläser zurecht. Ein kleines Feuer brannte. An einem eisernen Galgen, der in den Boden gesteckt war, hing über den Flammen eine große Blechbüchse, auf der das schmorende Pichelsteinerfleisch seinen wohlriechenden Dampf durch die Ritzen des Deckels herauspfurrte. Walperl, die das Feuer bewachte, warf einen fragenden Blick auf Walter. Der blinzelte, als wüßte er gute Botschaft. Und da kam über das Walperl eine so blindwütige Geschäftigkeit, daß sie sich beim Schüren des Feuers die Finger verbrannte. Dann gab's eine frohe, behagliche Mahlzeit im kühlen Schatten des weitgeästeten Baumes, rings die glitzernde Sonne, in den fächelnden Lüften der süße Heuduft.

Für den Forstmeister wurde der Teller auf das kleine Tischchen gestellt, in das sich das Lesepult am Rollsessel verwandelt hatte. Walter, Mathild und Walperl lagen um das ausgebreitete Tischtuch her. Als sie zu essen begannen, waren die Scheidhofer Leute mit ihrer Mahlzeit schon fertig; die Mägde streckten sich aus, die Knechte zündeten ihre Pfeifen an. Bis das Heu so weit austrocknete, daß es reif für das zweite »Umtun« wurde, konnte man sich eine Stunde Rast vergönnen. Man schwatzte und lachte, eins ums andere mußte herhalten als Zielscheibe für eine lustige Neckerei. Besonders das Walperl sprudelte von Laune. Je übermütiger das Mädel wurde, desto ruhiger verhielt sich Bonifaz. Plötzlich sprang er auf, ging zur Wiese, hob ein Heubüschel auf und roch daran. »He! Leut! 's Heu is gut zum Umtun!«

Jetzt kamen vier Stunden rastloser Arbeit. Auch das Walperl tat mit, hinter Bonifaz herheuend. Da waren's mit Walter und Mathild ihrer zehne. Ununterbrochen ging die Reihe mit schwingenden Rechen über die Wiese. Das war eine von den Lebensregeln des Bonifaz: »'s beste Heu wird allweil im Flug!«

Mit leidenschaftlichem Eifer war auch Walter bei der Sache. Als es in die dritte Stunde ging, begann ihm die Arbeit sauer zu werden. Das merkte er am bittersten in der Viertelstunde, für welche Mathild aus der Reihe getreten war. Ihr Vater hatte sie gerufen. Als sie kam, wurde der Rechen in Walters Händen wieder leichter.

»Papa wollte mir etwas vorlesen.«

»Aus dem dicken Buch?«

»Ja. Über die Entstehung des Lebens und seine langsame Entwicklung durch Millionen von Jahren.«

»Was sagen Sie dazu?«

»Der gelehrte Herr mag recht haben. Aber ich möchte mir das nicht ausreden lassen, daß ein Mächtiger in Liebe die Menschen bildete, so schön wie sie sind.«

Walter schwieg. Er arbeitete mit dem zähen Willen, mit dem er am Morgen den letzten Gang zu Ende gemäht hatte.

Gegen sechs Uhr, als sich die Glut des Tages zu mildern begann, war das »grüne Gold« so weit, daß es gesammelt werden konnte. Bonifaz und der Jungknecht sprangen zum Scheidhof, um die Gespanne zu holen. Sie waren noch nicht zurück, als die Schober schon fertig zum Verladen standen. Walter und Mathild gingen zum Baum hinüber. Der Forstmeister schmauchte an einer Zigarre, und das dicke Buch lag zugeklappt auf dem Lesepult. »Wie weit sind Sie gekommen?« fragte Walter.

»Nicht weit. Das Lesen hat mich verdrossen. In dem Buch steckt ein gescheiter Kopf. Aber es fehlt der Körper mit Herz und Blut, mit Gefühl und warmen Sinnen.«

Da packte Walter das Buch und warf es mit kräftigem Schwung in den Weiher hinaus. Das gab ein Geplätscher und einen zerrinnenden Wellenkreis, als wäre eine große Forelle aufgesprungen.

»Doktor?« stammelte Mathild. »Was machen Sie denn?«

»Einen Strich unter allen zweifelhaften Gewinn meines vergangenen Lebens.« Die Peitschen knallten, und im Galopp kamen Bonifaz und der Jungknecht mit ihren Gespannen zur Wiese gefahren. »Kommen Sie, Fräulein!« Walters Augen blitzten. »Jetzt soll die schöne Frucht in die Scheuer! Da müssen wir helfen.« Er lief zur Wiese hinüber. Nun kam die heiterste Stunde des ganzen Tages: das Verladen des duftenden Heues. Das war keine Mühe mehr. In der milden Frische des Abends wurde die leichte Arbeit zum Spiel.

Der Jungknecht stand auf dem einen Waagen, Bonifaz auf dem andern, um das Heu, das man ihnen mit der Gabel hinaufreichte, über den Waagen zu verteilen und mit schönen Wänden aufzubauen. Da war's eine lustige Neckerei: das Heu in solcher Menge hinaufzugabeln, daß die Ladbuben beim Festlegen ins Gedränge kamen. Der Jungknecht mußte schreien: »Öha! Langsam! 's Hexen hab ich net glernt.« Beim Bonifaz hieß es: »Gschwinder, Leut! Ös schlafts ja da drunt!« Kaum tauchte eine beladene Gabel zu ihm hinauf, da hatte er das Heubündel schon mit den Armen umspannt und unters Knie gebracht. Nur wenn das Walperl mit der Gabel kam, tat er immer, als wären ihm die Arme zu kurz und ließ das halbe Heu dem Mädel auf die Zöpfe fallen. Kichernd schüttelte sich Walperl aus dem grünen Goldregen heraus und rannte zum Schober, um die Gabel noch voller anzuspießen als das letztemal.

Walter, in seinem Wohlgefallen an diesem heiteren Spiel, konnte der Versuchung nicht widerstehen, das mitzumachen. Er gabelte auf, so viel er lupfen konnte, und ließ das ganze mächtige Heubüschel über Mathild niederregnen. Lachend arbeitete sie sich aus der grünen Lawine heraus. Und ehe sich's Walter versah, bekam er einen halben Schober über den Kopf. Walperl, als sie das Fräulein in Bedrängnis sah, kam mit der beladenen Gabel gesprungen und half dazu, daß die strafende Gerechtigkeit ihr volles Maß erhielt. Nun gab's einen lustigen Kampf. Wie übermütige Kinder wurden sie, tollten rings um den Wagen herum und bewarfen sich mit Heu, bis Bonifaz vom hohen Fuder herunterdrohte: »He! Ös zwei! Tuts mir mein Heu net gar so zurichten!«

Endlich war die letzte blaugrüne Flocke von der Wiese aufgelesen. Über den fertig geladenen Fudern wurden mit dicken Seilen die Wiesbäume festgeschnürt. Die Ladung des Jungknechtes sah ein bißchen windschief aus; das Fuder des Bonifaz glich einem riesenhaften Würfel, die Wände so glatt, als wären sie mit der Säge geschnitten. »So, Herr Dokter! Auffi zu mir! Beim ersten Heu, dös einer gmacht hat, muß er mit heimfahren. Dös bringt Glück.«

»Glück? Dann muß ich hinauf.« Lachend faßte Walter die Seile des Wiesbaumes, um sich in die Höhe zu ziehen. Da fuhr ihm ein stechender Schmerz durch die Schultern. Von droben streckte Bonifaz die Hände herunter, ein Lupf, und Walter lag auf dem Fuder, weichgebettet im Heu. Jetzt spürte er nichts mehr, so lang er ruhig saß; wenn er sich bewegte, kam's wieder. Das hinderte ihn nicht, mit lustigem Gruß den Hut zu schwenken, als er Mathild hinübergehen sah zum Weiher.

Mit gespreizten Beinen auf dem Fuder stehend, hatte Bonifaz die langen Zügel aufgenommen und einen hallenden Peitschenknall getan. Schnaubend zogen die Pferde an, und der schwerbeladene Wagen rollte über die Wiese hinaus. Behaglich hatte Walter sich ins Heu gestreckt. Plötzlich fuhr er mit dem Kopf in die Höhe: »Bonifaz! Schauen Sie doch! Der Hohe Schein!« Dann wurde er still. Mit brennendem Glanze hob sich die Riesenfackel des Berges hinaus über die blaue Dämmerung des Tales, hinaus in den gelb glastenden Himmel. Alle anderen Berge duckten sich in den Schatten und schienen sich klein zu fühlen vor der leuchtenden Schönheit dieses Einsamen.

Die träumende Tiefe hatte noch Teil am Glanz der Höhe, deren Glut die stahlblauen Schatten der Wiesen und Wälder mit violettem Schimmer überhauchte. Am Fuß des brennenden Berges, wo sich das schattende Dunkel hinausschmiegte in den Rosenglanz der höheren Gehänge, konnte Walter jene scharf gezogene Linie wieder entdecken, hoch droben im Walde schon! Der Moosjäger mußte in diesen Tagen wie ein Narr geschanzt haben. »Mein neuer Weg!« flüsterte Walter, seltsam erregt.

Als das Fuder in den dämmergrünen Wald hineinrollte, gab's einen kleinen Aufenthalt. Ein Bernerwägelchen fand keinen Platz mehr, um dem Heuwagen auszuweichen. Der alte Bauer mußte absteigen und das Pferd mit dem Wägelchen, in dem ein junges Mädel saß, über den Straßenrain hinausführen zwischen die Bäume. »Teifi, du!« schalt er zu Bonifaz hinauf; das war ein Zorn, der eher wie Wohlgefallen klang. »Wann du kommst, muß sich alles auf d' Seiten drucken!« Auch das Mädel rief dem Knecht ein paar Worte zu; aus diesem heitertuenden Spott klang deutlich eine gereizte Verdrossenheit. Walter meinte die Stimme zu erkennen. »Bonifaz? War das nicht die Schrottenbacher-Vev mit den Zeugstiefelchen?«

Bonifaz lachte und ließ die Peitsche knallen. »Hat Ihnen leicht 's Walperl ebbes verzählt?«

»Nein. Der Peter vom Wirt hat mir gesagt, daß Sie da nur die Hand auszustrecken brauchen, um Bauer in einem schönen Hof zu werden.«

Bonifaz schwieg.

»Ist das wahr?«

»Ah na! Wie halt d' Leut oft reden.«

»Wenn es aber wahr wäre? Würden Sie zugreifen?«

Wieder lachte Bonifaz. »Ich weiß net recht. Auf an fremden Geldsack auffikraxeln, dös hat seine Mucken. Aber no, gegen d' Vev laßt sich nix sagen. Is a saubers Madl. Aber so a Naserl, dös gar so fein zugspitzt is, wär net mein Gusto.«

»Aber ein Naserl, das so hübsch und rund ist, wie dem Walperl das seine? Gelt, das gefällt Ihnen?«

Bonifaz guckte halb über die Schulter. »Ihnen gfallt's wohl? Weil S' gar so viel reden vom Walperl!« Er schmunzelte. »Freilich, d' Stadtleut haben an guten Gusto. Net 's erstemal, daß ich's merk!«

Walter hatte für den Humor dieses Wortes nicht das richtige Ohr und sagte mißmutig: »Bonifaz, ich bin kein Maler!«

»Weiß schon«, klang die ruhige Antwort, »sonst täten S' net bei mir auf'm Heufuder sitzen, sondern druntliegen im Straßgraben!«

Jetzt merkte Walter seinen Irrtum, merkte aber auch, daß es nicht so leicht war, am »zruckhaltrischen« Herzen des Fazifanzerl den Riegel zu lösen. Einen Versuch wollte er noch wagen. »Haben Sie noch nie auf Heiraten gedacht?«

»Ah ja!« Bonifaz lachte. »Jede Nacht denk ich dran.«

»Warum heiraten Sie dann nicht?«

»Ich? Als Knecht? Ohne Schlupf und Dach? Ah na! Du muß ich schon warten, bis ich mir so viel erspart hab, daß ich a Gütl pachten kann. Fünf, sechs Jahr wird's freilich dauern. An Endstrumm Zeit! Aber die halbeten Sachen mag ich net. Gar 's Glück! Dös muß allweil ganz sein. Fehlt a Bröserl dran, so wird's an Unglück. Die Kerschen muß man reifen lassen. Tappt s' einer an, so lang s' noch grün sind, so haben s' an Fehl und kriegen die richtig Süßen nimmer.«

Da begannen sie im Dorf den Abendsegen zu läuten. Mit der Hand, die den Stiel der Peitsche hielt, nahm Bonifaz den Hut herunter und drückte ihn an die Brust. Auch Walter entblößte den Kopf. Ein Gefühl von Andacht war in ihm, ein Gefühl der Ehrfurcht vor diesem klaren, starken und lebenssicheren Menschen. der das rauhe Hemd eines Knechtes trug.

Ganz finster war es schon im Wald. Ein Leuchtkäferchen, das erste des Abends, taumelte im Dunkel zwischen den Bäumen.


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