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Es war später Abend geworden, als das Wägelchen, in welchem Walter seinen Koffer brachte, von Mitterwalchen heraufgefahren kam. Wo der Fußweg nach dem Teich begann, stieg Walter ab. Er wollte gehen, weil der Abend so friedlich war. Während er durch den schweigenden Wald dahinschritt, hörte er vom Scheidhof herunter ein klingendes Gehämmer. Dort oben dengelten die Knechte ihre Sensen. Als er zum Weiher kam, fand er die Bank und ließ sich nieder. Viel zu schauen gab es nicht mehr. Der Waldsaum schwarz, nur der Himmel darüber noch hell, und der ganze Teich ein einziges stilles Grau. Je dunkler es wurde, desto zahlreicher flogen die Leuchtkäfer. Wie schön und geheimnisvoll das anzusehen war: solch ein bläuliches Fünklein, schwimmend in der dunklen Luft! Walter konnte sich nicht satt schauen am Flug dieses lebenden Feuers. Dabei machte er eine Beobachtung, die er nicht verstand. Es waren zweierlei Funken, die er sah. Ganz kleine. Das waren die fliegenden. Und größere, die unbeweglich im Grase schimmerten; manchmal erloschen sie, und dann leuchteten sie wieder auf.
Da sah er, ganz nahe vor sich, wie ein fliegendes Fünklein eine rasche Wendung machte und zu einem größeren niederschwebte auf die Erde. Dann erloschen die beiden Lichtlein. Nun verstand er dieses kleine und doch so große Rätsel der Natur. Das suchende Verlangen und die lockende Sehnsucht! Sie fanden sich. Und das winzige Glück löschte sein Feuerlein aus, um sich zu bergen in der Nacht. »Auch das ist Leben! Das seine Freude hat und seinen Tod. Vielleicht auch mehr. Wir wissen es nur nicht. Solch ein winziges Tier, das einige Nächte liebt und leidet? Oder ein Mensch, der in Freude und Schmerz den Inhalt von achtzig Jahren ausschöpft? Wo ist da der Unterschied? Laß einen Stern auf sie herunterschauen, und er sieht keinen. Unterschiede machen, das ist die Quelle für alles Mißverständnis des Lebens. Alles ist klein, und alles ist groß, alles ein Gleiches!« Er sah hinaus in die Nacht. Zu Hunderten flogen die Funken, zu Hunderten leuchteten sie im Gras. Und Myriaden waren es, die er nicht mit den Augen, doch in Gedanken sah. Dieses Bild der zahllosen leuchtenden Freuden in der Nacht? Oder jenes Bild der endlosen Höhle mit den zitternden Hasen? Welches von den beiden war das richtige für das Leben? Keines? Und jedes! »Freude! Auch du bist das Allgegenwärtige im Leben! Freude und Schmerz, alles ein Gleiches!«
Da leuchtete neben seiner Fußspitze solch ein größeres Fünklein. Achtsam nahm er es auf die Hand. Ein ungeflügelter Käfer, mit dem brennenden Laternchen unter dem Herzen. Und das machte aus Walters Handfläche einen smaragdenen Lichtschein rings um das schwarze Insekt. Nun waren es plötzlich zwei. Ein kleineres Fünklein war hinzugeschwirrt. Und die beiden Laternchen erloschen. »Ein Glück in meiner Hand! Wenn ich jetzt die Faust schließe, sind zwei Leben und ein Glück zerstört. Ob dann die beiden zuckenden Herzen wohl auch die Frage schreien: Gott? Gott?« Er lachte vor sich hin. »Ich glaube, sie sind klüger als wir Menschen. Sie freuen sich und sterben. Und finden das eine so selbstverständlich wie das andre.« Walter schüttelte die Hand ein wenig. Die beiden Tierchen fielen lautlos ins Gras und fingen wieder zu leuchten an.
Noch lange blieb er stehen. Als er im Dunkel den Weg suchte, nahm er den Hut ab und strich mit der Hand über die Stirn. Etwas Schwüles und Beklemmendes war in ihm. Da hörte er ein Geräusch, und vor dem Grau des Wasserspiegels sah er schwarz die Gestalt eines Mannes auftauchen, der sich über das Ufer beugte, als möchte er im Wasser eine Stelle suchen, tief genug für einen Sprung aus dem Leben. Deutlich war vor dem lichteren Spiegel des Weihers die scharfe Silhouette des Gesichtes zu erkennen. »Der Moosjäger!« Mit einem Satz war Walter an der Seite des Burschen und faßte ihn am Arm. »Mensch! Was machen Sie da?«
Auch der andere erkannte ihn. »In Ruh lassen S' mich! Heut brauch ich kein' Mantel.«
Walter hielt fest. »Was suchen Sie da?«
Der Moosjäger zerrte an seinem Arm. »Kreuzteufel! Was haben denn Sie für a Recht –«
»Das Recht eines Menschen, der mit einem Mitmenschen Erbarmen hat.« Der andere schwieg; und ein Leuchtkäferchen flog ihm an die Brust. »Ich mein' es gut mit Ihnen!« sagte Walter. »Jetzt reden Sie ein ehrliches Wort! Was wollen Sie da?«
Der Moosjäger schnaufte wie ein Mensch, der einen steilen Berg hinauf muß und nicht mag. »Sagen wir halt: ich hätt mir gern an Fisch derschlagen. Weil ich Hunger hab.«
»Hunger? Warum nahmen Sie im Wirtshaus nicht, was Sie haben konnten?«
»Gschenkter mag ich nix. Vergeltsgott! Na!«
»Ganz schön, das! Aber ist das Gestohlene besser?«
Wieder schwieg der Moosjäger. Dann machten seine Gedanken einen Sprung. »Als ob ich net arbeiten hätt mögen!« Fast schreiend klang seine Stimme. »Gleich vom Wirtshaus weg bin ich umanand glaufen bei die Bauern.« Er schüttelte sich. »Dös mach ich kein zweitsmal nimmer durch!« Heiser lachend stieß er einen dürren Ast vor seinen Füßen weg. »Menschen! Menschen! Is bloß der einzig Unterschied, daß man a paar davon ins Zuchthaus sperrt und die andern net derwischt. Die Dummen lassen sich fangen, die ärgsten Gauner treiben's heimlich und gscheit. Und begegnest eim, daß dir denken möchst: Herrgott, is dös a Prachtmensch! – dös is der Oberlump unter alle.«
»Nein, Moosjäger, so sind die Menschen nicht. Aus Ihnen redet die Bitterkeit eines zerbrochenen Lebens und die Enttäuschung nach einem guten Vorsatz. Das hätten Sie sich voraussagen können, daß Sie sich beim Arbeitsuchen schwer tun würden, gerade hier!«
»Wo man weiß, was ich für einer bin! Gelt!« Das Lachen, mit dem der Moosjäger das sagte, hallte im stillen Wald. »Freilich, hundert Stund von da wär's besser für mich!«
»Warum sind Sie dann gekommen?«
»Ich will Ihnen was sagen, Herr! Als Bub amal, da hab ich eim Baumfalk 's Nest mitsamt die Jungen derschlagen. Was der für Schrei gmacht hat in die Lüft droben! Und im Frühjahr drauf, da hat dös dumme Luder 's Nest auf'n gleichen Baum auffibaut! Warum denn? Fragen S' ihn halt, wann S' ihn fliegen sehen! Und jetzt lassen S' mir mein' Fried! Gut Nacht!«
Mit beiden Händen faßte Walter den Burschen am Arm. »Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir da her auf die Bank! Haben Sie Vertrauen! Vielleicht kann ich Ihnen helfen, daß Sie wieder auf leichteren Weg kommen.«
»Ah was! Dös hat kein' Verstand!« brummte der Moosjäger. Doch ließ er sich zur Bank ziehen; dabei fiel das Leuchtkäferchen, das an seinem Kittel gehangen, ins Gras hinunter.
»Ich mein' es gut mit Ihnen. Aber da müssen Sie mithelfen und müssen mir alles von Ihrem Leben sagen, offen und ehrlich!«
»In Ruh lassen S' mich! Beichtvater brauch ich kein'. Absolvieren kann ich mich selber. Und Enker stadtische Neugier hilft mir kein Schrittl net weiter. Da muß ich schon selber schauen, wie ich durchkomm.«
»Wenn Sie wüßten, wie Sie das machen sollten, hätt ich Sie jetzt nicht gefunden – hier am Wasser. An den Fisch, den Sie totschlagen wollten, glaub ich nicht.«
»So?«
»Nein! Aber machen wir die Sache kurz. Ich will Ihnen einen Rat geben. Hier in meiner Tasche hab ich tausend Mark. Im Dorf bin ich fremd, da wird kein Mensch nach mir fragen. Das Wasser da ist tief, und morgen brauchen Sie nicht mehr zu hungern. Tausend Mark, das gibt noch einen größeren Rausch als gestern die paar Groschen, die Sie aus dem Zuchthaus mitgebracht haben. Also! Suchen Sie doch einen Prügel! Oder sind Sie so stark, daß Sie's mit der Faust allein fertigbringen?«
Der Moosjäger machte einen Ruck ans Ende der Bank. »Kerl, wer bist du denn? Bist narrisch? Oder bist der Tuifi, der ein' versuchen will?«
»Ich? Der Teufel?« Walter lachte. »Aber narrisch? Ja, das bin ich wohl. Weil ich ein Mensch bin.« Er schien auf ein Wort des anderen zu warten. Der Moosjäger blieb stumm.
»Verstehen Sie nicht, warum ich Ihnen diesen Rat gegeben habe?«
Kleinlaut kam die Antwort: »Na, Herr, da bin ich z'dumm dazu. Mar' und Josef! Wie können S' ein Menschen denn so was sagen?«
»Weil ich wußte, daß ich von Ihnen nichts zu fürchten brauche. Man hat mir nicht viel Gutes von Ihnen gesagt. Und doch hab ich das Gefühl, daß Sie kein schlechter Mensch sind.«
»Jesus!« stotterte der Moosjäger. »Laßt sich schimpfen von mir! Und gibt mir sein' Mantel! Und sagt mir –« Die dunkle Gestalt des Burschen krümmte sich zusammen.
Ganz finster war es im Wald geworden. Nur noch selten sah man eines von den blauen Fünklein schweben, das die glimmende Sehnsucht seines kleinen Lebens nicht hatte stillen können, weil es einsam geblieben. Nach einer Weile fragte Walter: »Sie sind Jäger gewesen?«
»Ich? Gott bewahr!«
»Aber Ihr Name?«
»Den hab ich vom Vater. Moosjäger, wissen S', dös is bloß mein Vulgo, wie 's beim Gricht allweil schreiben. Heißen tu ich Mertl Troll.«
»Mertl? Das bedeutet wohl Martin?«
»Na. Da heißt's Martl. Mertl heißt Mamertus.«
»Oh? Mamertus?«
»Ja. Und Holzknecht bin ich gwesen. Aber der Vater selig hat gjagert. Beim Herzog, wie er d' Langentaler Jagd noch ghabt hat, is er angstellt gwesen. Und hat sich beim Gamstreiben derfallen. Ja. Bei derselbigen Treibjagd hat der Herzog vierzehn Gamsböck gschossen. Für d' Mutter is dös hart gwesen. Drei Jahr verheirat und so an Unglück! Wie a Bildstöckl hab ich s' allweil sitzen sehen hinterm Ofen.«
»Das kann doch nicht Ihre eigene Erinnerung sein?«
»Ah ja! Da bsinn ich mich ganz gut noch drauf. Mit sechs Jahr bleibt eim schon, was man derlebt! 's Lustige, und 's Traurige noch viel besser, ja! Und heut noch, sooft ich an d' Mutter denk, allweil is der Ofen dabei, der weiße Ofen und 's weiße Gsichtl von der Mutter. Die gröbste Sorg is ihr derspart blieben. Zwanzg Mark Pension im Monat! Is net viel, aber der Sack hat doch an Boden. Dös kleine Häusl hinter die Wiesen draußt – haben Sie's net gsehen heut in der Fruh?«
»Nein.«
»Da is d' Mutter in der Loschie gwesen. Gstrickt und gsponnen hat s' für d' Leut. Und Tagwerk gemacht. Wie ich noch in der Schul war, hab ich auch schon a bißl ebbes verdient. Mit sechzehn Jahr hab ich d' Holzarbeit angfangt. Da bin ich in der guten Zeit auf zwei Mark im Tag kommen. Nobel haben wir's ghabt. Und alles wär gut gwesen, wann's bei der Mutter net a bißl gfehlt hätt mit'm Gsund. Der Bader hat nix gfunden. Aber d' Mutter is allweil minder worden. Und auslöschen hat s' müssen wie a Lichtl, wann's Inschlet gar is. Z'erst, wie s' so daglegen is hinterm weißen Ofen, ganz weiß, da hab ich mich vor lauter Heulen gar net recht auskennt. Aber wie sie s' aussitragen haben und d' Stuben is so leer worden – Mar' und Josef!«
Als die Mutter tot war und der Mertl so einsam, hatte sein hungerndes Herz das Suchen begonnen. In der Nacht seines Lebens war das blaue Fünklein geflogen. Und da war ein kleines Mädel. Das hatte er schon immer gut leiden können, schon seit der Schulzeit her. Ein Jahr nach seiner Mutter Tod, im Frühling einmal, als er am Samstag abends nach der Wochenarbeit mit seiner Axt durch den Wald heruntergestiegen, hatte er plötzlich jauchzen müssen, weil er drunten im Tal das Dach gesehen, unter dem sie wohnte. Und da hatte er's plötzlich gewußt: die Zenz, oder keine! Sie hatte so lachende Augen. Und am Sonntag, wenn er vor der Kirchentür stand, schwatzte sie gern ein Weilchen mit ihm und nahm die Blumen, die er vom Hohen Schein mit herunterbrachte.
»Aber gredt hab ich nix. Sie is ja schier halber noch a Kindl gwesen. Fufzehn Jahr! Da mußt dein' Verstand beinandhalten, hab ich mir denkt!« Der Moosjäger lachte, hart und bitter. »Hätt ich's gmacht wie die andern, die zugreifen, solang 's Pfanndl überm Fuier hängt, ich hätt mir 's Glück und 's Leben net versaut. Is schon wahr, Herr, mit der Lumperei kommst weiter als mit der Gutigkeit. Da bist allweil hint dran. Weil d' Schlechtigkeit die gschwindern Füß hat!«
Dann hatten sie den Mamertus Troll, vulgo Moosjäger, in die Stadt geholt, zur »blauen Montur«. Nach einem Jahr hatte er als Lohn für gute Führung den ersten Urlaub bekommen, acht Tage. Da hatte die Zenz marod im Bett gelegen. Beim Bügeln war ihr der glühende Stahl auf den Fuß gefallen. Durchs offene Stubenfenster sah er sie liegen »im Schachterl«, warf ihr ein Sträußl hinein und konnte hören, wie sie lachte. Dann wieder Stadt und Kaserne. Im Sommer, als die »Reserver« zu den Manövern einberufen wurden, war auch der Stockwieser dabei. Und ein anderer klatschte es dem Moosjäger, daß die Zenz mit dem Stockwieser ginge. Der Mertl glaubte das nicht, doch er ging herum wie ein Kranker und wurde nachlässig im Dienst. Die vielen Briefe, die der Stockwieser bekam – in vier Monaten waren es drei –, die machten den Mertl so viel »wißgieret«, daß er an einem Sonntag nachmittag den Koffer des Stockwieser aufsprengte. Dabei erwischten sie ihn. »A halbs Jahr haben s' mich eingnaht. Und wie ich heimkommen bin – no ja, der Mensch meint halt allweil, es müßt a bißl Gerechtigkeit geben –, da bin ich gleich am ersten Abend mit'm Stockwieser zamm gwachsen. Is a bißl grob ausgfallen, dö Sach! Und gleich haben s' mich wieder ghabt. Hab 's Madl gar net gsehen! Dreiviertel Jahr haben s' mir geben. An eim Sonntag bin ich wieder heim kommen, in der Heuzeit. Und die Burschen im Wirtshaus haben grad an lustigen Spitakel ghabt und haben Trutzliedln gsungen.«
»Auf Sie?« fragte Walter, weil der Moosjäger nicht weitersprach.
»Na! Auf'n Stockwieser.«
»Weshalb?«
»Derwischt haben s' ihn ghabt in eim Heustadl, mit –« Der Moosjäger schluckte. »Wörtln gibt's, dö sich einspreißen! Gar net aussibringt man s'!«
»Mit der Zenz?«
Es dauerte eine Weile, bis der Moosjäger wieder zu sprechen begann: »Gleich haben s' mir alls derzählt, die guten Freund! ›So, so?‹ hab ich gsagt. Sonst nix. Und bin aussi zur Stuben. Und aussi ins Holz. In der Fruh bin ich gwesen, ich weiß net wo. An halben Tag lang hab ich braucht, bis ich wieder heim gfunden hab. Und selbigsmal, da haben s' grad an Wald gschlagen, und weil man die guten Leut beim Heuen braucht hat, haben s' mich als Holzknecht eindingt, um's halbe Geld. No ja, mein' Fraß hab ich mir verdient. Aber der Platz hat mir net taugt. Sooft ich aufgschaut hab von der Arbeit, hab ich drunt den Heustadl gsehen. Und an jedem Samstag auf'n Abend, wann ich heim bin, hab ich vorbei müssen dran. Dös hat sich so eini gfressen in mich, ich weiß net wie! Und in der Nacht amal, wie ich durch d' Finstern heim bin mit'm Kienbrand und der Stadl steht mir wieder zwerch über'n Weg, da is mir a Fluch aus der Seel gfahren, und der Kienbrand is einigflogen zur Dachluken! ›Brenn zu, brenn zu!‹ hab ich gschrien. Und greut hat 's mich noch in keiner Stund!«
Der Moosjäger sprang auf und streckte sich. Und ließ sich wieder auf die Bank fallen.
»Wie d' Leut über d' Wiesen ummigloffen sind, bin ich noch allweil dagstanden und hab mei' Freud dran ghabt.« Er lachte. »Der Wind hat's anders gmeint als ich. Der hat 's Flugfuier vertragen. Drei Bauernhöf sind niederbrennt. Brandstiftung hat's gheißen, mit boshafter Schadensabsicht. Zweimal vorbestraft, erschwerende Umständ! Dös hat druckt. Und den Staatsanwalt hätten S' hören müssen! Der hätt's Ihnen gsagt, was für a Haderlump der vulgo Moosjäger is! Hundertmal hat er's in d' Red bracht: ›die erbarmenswierdichen Abchebrannten!‹ Da hat er die drei Bauern gmeint. Von denen hat sich jeder hintnach vor Freud an Rausch angsoffen. So hoch sind s' in der Assekuranz gwesen! Die schönsten neuen Häuser haben s' kriegt, zweistöcket, mit eim Ziegeldach, und jeds um's doppelt besser, als wie 's alte gwesen is! Und mir haben s' fünf Jahr geben! Fünf Jahr, Herr! Fünf Jahr! Gestern bin ich heimkommen. Und hab zum saufen angfangen, daß mir kei' Zeit net bleibt zum – zum fragen!«
Ein Leuchtkäfer, von allen der letzte, flog um die Bank her, auf der die beiden saßen. Und draußen auf dem Weiher plätscherten leis die kleinen Wellen.
»Moosjäger!«
»Was, Herr?«
»Ich möchte Ihnen ein Wort sagen, das Ihnen den Lebensmut aufrichten soll. Aber das wird mir nicht gelingen, wenn Sie nicht ruhig über Ihr Leben nachdenken. Sehen Sie, Moosjäger, ein Nebeneinanderleben der Menschen ist nicht möglich, wenn man nicht Grenzen zieht und Zäune baut. Die darf man nicht verrücken. Einen Koffer darf man nicht aufbrechen, einen Menschen, den man haßt, darf man nicht niederschlagen, einen Heustadel darf man nicht in Brand stecken. Dafür mußten Sie gestraft werden. Und doch ist keine Schuld an Ihrem Leben, keine, die mich verhindern würde, Ihnen die Hand zu drücken. Geben Sie her, Moosjäger, und glauben Sie mir, daß ich so fest noch niemals eine Hand gedrückt habe wie die Ihrige. Ich bin nicht Ihr Richter, ich brauche nicht zu urteilen über Ihre Tat, ich kann mich an das menschliche Gefühl halten, auf dem Ihnen das Unglück Ihres Lebens herausgewachsen ist. Und darf –« Walter suchte mit leisem Schmerzenslaut seine Hand zu befreien.
»Mar' und Josef!« sagte der Moosjäger erschrocken. »Hab ich a bißl grob zudruckt?«
Walter lachte. »Das macht nichts!« Eine Weile schwieg er. »Sehen Sie, Moosjäger, was Ihnen den Arm zum Wurf mit der Fackel geschwungen hat, das war nichts anderes, als was Ihrer armen Mutter hinter dem weißen Ofen das Gesicht so weiß gemacht hat: die zerbrochene Freude des Lebens. Das ist hart zu tragen. Aber glauben Sie denn, daß Sie der einzige auf der Welt sind, dem so weh geschieht? Wenn da jeder gleich Mord und Brand stiften würde? Denken Sie nur, Moosjäger, was für ein Leben das wäre!«
»Ja! Da tät's schiech ausschauen auf der Welt!«
»Nicht wahr? Und schauen Sie, Moosjäger, die großen starken Bäume, die sind doch auch einmal jung und schwach gewesen, und im Winter hat sie der schwere Schnee beinah erdrückt. Aber sie haben sich doch immer wieder aufgerichtet. Und Sie, Moosjäger? So ein langer, starker Mensch? Sie wollen schwächer sein als solch ein dünnes Bäumchen?«
»So a Bäuml tut sich leicht. Soll der Schnee druckt haben, wie er mag. Für so a Bäuml kommt allweil wieder a Fruhjahr!«
»Auch für den Menschen.«
»Na, Herr! Mir is der Glauben vergangen! Und mit die Bäumln stimmt's auch net allweil. Solang der Herzkern gsund is, ah ja, da steht a jeds wieder auf. Aber hat der Herzkern an Bruch, so is 's Bäuml halt hin. Und bei mir hat der Herzkern an Schaden kriegt.«
»Sie können jenes Mädchen nicht vergessen?«
»Mit der lassen S' mich aus!« fuhr der Moosjäger auf. »Ah na! Schlecht gnug haben s' mich gmacht! Aber daß ich mich kümmern tät um so eine? Na! Da bin ich mir noch allweil z'gut dafür!«
»Wenn das überwunden ist, sollten Sie doch den Rückweg ins Leben noch leichter finden. Und ich will Ihnen helfen dazu.«
»Lassen S' es gut sein! Ihr Geld können S' bhalten. Hab Ihnen eh schon gsagt, daß ich Gschenkter nix nimm.«
»Es fällt mir gar nicht ein, Ihnen Geld zu schenken. Sie brauchen was Besseres!«
»So? Was denn?«
»Arbeit, die Ihren Tag füllt, die Ihnen Ruhe gibt und ein Gefühl der Sicherheit für das neue Leben. Wenn Sie die erste Mark verdient haben und Ihr eigenes Brot essen, wird Ihnen der Bissen auch wieder schmecken. Wie ich Ihnen Arbeit schaffen soll, weiß ich noch nicht. Es wird mir über Nacht schon was einfallen. Und jetzt kommen Sie mit mir ins Wirtshaus!«
Da wurde der Moosjäger grob. »Ich mag net! Haben S' an Arbeit für mich, meintwegen, so komm ich halt morgen. Aber d' Nacht ghört mir. Unter die Bäum is mir's am liebsten. Und schauen S', daß S' heimkommen! Sonst fallen S' in der Finstern noch auf d' Nasen!«
Walter, dem das Lachen näher war als der Ernst, suchte in der Dunkelheit die Hand des anderen. »Versprechen Sie mir, daß Sie morgen auch wirklich kommen?«
»Wann ich ebbes sag, so gilt's.« Der Moosjäger schnaufte. »In Gottsnamen! Aber wann's krumm geht, dö Sach, und Sö pumpern Ihnen 's Köpfl a bißl an mit Ihrer narrischen Nächstenlieb, da machen S' mir kein' Fürwurf nacher!«
»Es wird nicht krumm gehen! Und können Sie unter den Bäumen da nicht gleich einschlafen, so denken Sie ein bißchen über alles nach, was ich Ihnen gesagt habe. Auch über die Menschen. Die sind nicht so, wie Sie vorhin gesagt haben. Sehen Sie nur: da stehen gleich zwei beisammen, die gar nicht so schlecht sind: Sie und ich. Oder wollen Sie mich nicht mitzählen?«
»Sakra! Hätt dös an andrer gsagt, der krieget eine! Und die tät grob ausfallen!«
Jetzt lachte Walter. »Na also, sehen Sie! Kann einer gut sein, so können es hundert sein. Und das ist auch nicht wahr, daß der Gute immer im Nachteil ist. Das Bewußtsein seiner Redlichkeit macht ihn aller Gefahr gegenüber stark und gibt seinem Herzen Flügel, die besser tragen als die kurzen Zappelbeine eines Haderlumpen, der seinem kleinen Vorteil nachläuft. Glauben Sie nicht, daß ich recht habe? Warum sprechen Sie nicht? Haben Sie mich nicht verstanden?«
»A bißl gschwollen haben S' freilich dahergredt«, sagte der Moosjäger langsam, »aber verstanden hab ich!« Er schnaufte wieder. »Herr, an Ihnen is a Pfarr verlorengangen! – Was haben S' denn?«
»Ich?«
»Weil S' so an Fahrer gmacht haben mit der Hand. Hab ich wieder a bißl druckt?«
Walter schwieg.
Der andere wartete ein Weilchen. Dann sagte er kleinlaut: »Die halbere Nachtruh haben S' vertandelt wegen meiner. Jetzt schauen S' aber, daß S' heimkommen!«
»Gute Nacht, Moosjäger!« Walter suchte den Weg. Seine Stubenaugen waren in der ungewohnten Finsternis wie blind. Schon nach den ersten Schritten stolperte er und fuhr mit der Stirne gegen einen Baum.
»Mar' und Josef!« rief der Moosjäger erschrocken, stand schon neben Walter und faßte seine Hand. »Kommen S', lassen S' Ihnen führen, Sö gspaßiger Heiland! Wo wollen S' denn hin?«
»Zum Fußweg über den Scheidhof hinüber.«
Der Moosjäger ging voran und zog den anderen hinter sich her, so rasch und sicher, als läge heller Tag vor ihren Füßen. »So, da haben wir den Zaun! Und d' Stern haben wir auch schon! Aber sagen S' mir, Herr, wie heißen S' denn eigentlich?«
»Walter.«
Mit langsamer Zunge sprach der Moosjäger den Namen nach. »Walter? So? Und Vergeltsgott halt!«
Nach wenigen Schritten kam Walter auf die offene Wiese. Mit ruhigem Gefunkel leuchteten zahllose Sterne über ihm. Von der Villa schimmerte noch der rötliche Lichtschein eines Fensters. Walter drückte die Hände auf die Brust und atmete auf wie einer, der erquickt aus einem stärkenden Bade stieg.
Im Wirtshaus gab's ein paar heitere Stunden. Junge Touristen waren da, die am Morgen auf den Hohen Schein wollten; man spielte Gitarre und Zither, man sang und tanzte. Walter konnte dabei eine neue Lebenserfahrung machen: daß das Tanzen gelernt sein muß, so leicht es sich ansieht! Der Walzer, zu dem er die Kellnerin aufforderte, fiel so komisch aus, daß die ganze Gesellschaft in Gelächter ausbrach. »Aber Mensch«, rief die Kellnerin, »Sö haben ja fünf linke Füß! Und mit viere tappt er eim allweil auf die Zehen umanand!« Walter lachte mit und ließ sich in die Schule nehmen. Je heller ihm das Licht des Walzerschrittes aufging, desto mehr umdämmerte ihm der rote Spezial das Oberstübchen. So viel Klarheit behielt er aber immer noch, um die drohende Gefahr zu erkennen und sich rechtzeitig in seine Stube zu retten. Beim Suchen nach dem Feuerzeug stolperte er über etwas Schweres, das sich vor dem Fußtritt, den es bekommen, mit Geraschel unter den Tisch flüchtete. Es war der Rucksack mit dem dicken Buch, das von den Welträtseln handelte.
So laut es drunten in der Wirtsstube zuging, Walter schlief schon, kaum daß er in den Federn lag. Und die Arbeit, die er dem Moosjäger schaffen wollte, war auch schon gefunden. Die Touristen, die auf den Hohen Schein wollten, hatten ihn auf einen guten Gedanken gebracht. Der gefiel ihm noch immer, als er am Morgen gegen sieben Uhr mit hellem Kopf erwachte. Beim Frühstück erkundigte er sich nach dem Haus des Bürgermeisters. Das lag nicht weit, gleich hinter der Kirche, ein stattliches Gehöft mit einem hübschen Hans, dem es anzusehen war, daß unter seinem Dach ein reinliches Glück wohnte. Zwei gesunde Kinder spielten vor dem Obstgarten, in dem eine kräftige Frau das Gras zwischen den Bäumen ausmähte. Sooft sie die Sense schwang, blitzte die nasse Klinge in der Sonne.
Walter trat in die Stube. Da saß an dem mit Schreibereien bedeckten Tisch jener schöne Mensch, den Walter im Scheidhof gesehen, und den der alte Herr mit dem Namen »Sonnweber« angerufen hatte. In Walters Augen glänzte das Wohlgefallen. Sonnweber! Auch wieder so ein Name, der das Beste sagte! Dieses Haus, der trauliche Frieden dieser schmucken Stube, die Morgensonne, die ihr Goldgespinst hereinwob durch die Fenster, und mitten drinn dieser herrliche Mensch! In Walter regte sich etwas, warm und andächtig, wie Ehrfurcht vor der Schönheit des Lebens.
Der Bürgermeister hatte seinen Gast mit einem forschenden Blick gemustert und fragte mit seiner Glockenstimme: »Was schaffen S', Herr?«
Walter setzte sich und trug sein Anliegen vor: ob die Gemeinde etwas dagegen einzuwenden hätte, wenn er auf seine Kosten den schlechten Steig nach dem Hohen Schein zu einem guten Weg umbauen ließe?
Ein bißchen verwundert betrachtete der Bürgermeister seinen Gast. Dann lächelte er. »Wann Ihnen 's Geld net reut? Die Gmeind is froh, wann s' an guten Weg kriegt.«
»Wollen Sie mir die Bewilligung schriftlich geben?«
»Dös können wir gleich machen.« Sonnweber legte einen Bogen Papier zurecht und begann zu schreiben, mit jenem ernsten Gesichtsausdruck, den der Bauer immer annimmt, wenn er die Feder eintaucht. »Wie heißen S'?«
»Doktor Walter Horhammer.«
»Und was für a Stand?«
»Ich habe keinen Stand!«
»Ah so! Geld haben S'!« Sonnweber nickte. »Is von allem Stand der beste, dös! Und wohnhaft als Sommerfrischler in Langental? Wahrscheinlich im Wirtshaus, gelt?«
»In der Scheidhofer Villa.«
Der Bürgermeister blickte langsam auf. »So? Haben S' die zwei Stüberln aufgnommen? Da haben Sie's gut troffen. Der Forstmeister is a kreuzbraver Herr, und 's Fräulein is a liebs Gschöpferl! Da wird's Ihnen gfallen. Wie's eim halt allweil wohl is unter ordentliche Leut!« Er begann wieder zu schreiben, setzte unter seinen Namen einen Schnörkel und drückte das Gemeindesiegel auf das Blatt.
»Ich danke!« Walter schob das Blatt in die Rocktasche. »Was bekommt hier ein Taglöhner für die Arbeit?«
Der Bürgermeister zögerte mit der Antwort. »Da kommen S' unter drei Mark net weg.«
»Und wieviel Zeit wird die Arbeit Ihrer Meinung nach in Anspruch nehmen?«
»Wird der Weg ordentlich gmacht, so haben vier Leut den halben Sommer Arbeit.«
»Für einen gibt es also Verdienst bis spät in den Winter hinein?«
Der Bürgermeister zog die schwarzen Brauen hoch. »Bloß ein' wollen S' anstellen? Geht a bißl langsam, dös. Aber da kunnt ich dem Herrn an ganz verlässigen Menschen rekommandieren.«
»Den Arbeiter hab ich schon.«
»Ah so? Die Sach geht auf a guts Werk aussi? Brav, lieber Herr! Und rechtschaffene Leut, die a bißl an Beisprung brauchen kunnten, haben wir gnug in der Gmeind! Was wär's denn für einer?«
»Der Moosjäger.«
Sonnweber machte mit dem Kopf eine lauschende Bewegung, als hätte er den Namen irgendwoher aus weiter Ferne gehört. Dann heftete er seinen ruhigen Blick auf Walters Gesicht und sagte ernst: »Lieber Herr! Wissen S' denn, was dös für einer is?«
»Alles weiß ich. Aber ich glaube, daß ein guter Kern in diesem Menschen steckt. Drum will ich ihm helfen.«
Der Bürgermeister stand auf und ging durch die Stube, als gäbe ihm die Sache zu denken. »Ja, ja! Is alles schön und gut!« Er blieb vor Walter stehen. »Mei' Unterschrift haben S'. Die kann ich nimmer zrucknehmen. Hätt ich gwußt, für wen ich mein' Nam da herschreib, so hätt ich mich bsonnen. Daß man so an Menschen wieder in die Gmeind einizügelt, na, lieber Herr, dös gfallt mir net.«
»Wird der Moosjäger wieder ein ordentlicher Mensch, so hat die Gemeinde nur Nutzen«, sagte Walter erregt, »ich glaube in das Herz dieses Mannes einen Blick getan zu haben, der mich nicht täuscht.«
»Keiner hat a Fensterl zwischen die Rippen.«
»Für den Moosjäger verbürg' ich mich.«
»Deswegen brauchen S' Ihnen net aufregen!« sagte der Bürgermeister mit gewinnender Herzlichkeit. »Ich hab Ihnen ehrlich gsagt, daß mir dö Sach a bißl bedenklich is. Wann Sie's fertigbringen, daß der Moosjäger wieder guttut, bin ich der erste, der sich drüber freut.« Er lächelte wieder. »Wer weiß, für was 's gut is, wann der Moosjäger bleibt. Unser Herrgott macht heimliche Weg. Vielleicht verplauscht sich der Moosjäger amal, daß man ihm hinter ebbes anders auch noch kommt.«
Betroffen erhob sich Walter. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Nix, Herr! Es is mir lieber, Sie haben nix ghört. Beweisen kann man ihm nix. Und der Verdacht hat allweil krumme Füß. Zeigt der Moosjäger, daß er besser is, als er acht Jahr lang ausgschaut hat, so bin ich der erst, der ihm d' Hand hinstreckt. Pfüe Gott, Herr!«
Die ernste vorsichtige Mahnung des ruhigen und lebensklugen Mannes war nicht ohne Eindruck auf Walter geblieben und gab ihm unbehagliche Dinge zu denken. Hatte der Moosjäger bei seiner Beichte, die so ehrlich geklungen, eine unverbüßte Schuld verschwiegen? Und gelogen? Nein! Oder es lügt alles, was aus Menschen redet.
Als Walter zum Wirtshaus kam, saß Mertl Troll auf der Hausbank. Es war ein Bild, das ein bißchen komisch wirkte, denn der Moosjäger hatte Toilette gemacht. Er hatte sein Hemd gewaschen, das trotz der warmen Morgensonne noch nicht Zeit gefunden hatte, völlig zu trocknen. Der rote Bart war mit dem Kamm der Finger struppig nach zwei Seiten auseinandergestrählt, und das nasse Schwarzhaar lag so glatt über dem Kopf, als wär' es mit dicker Pomade angeklebt. Das Gesicht war übernächtig und bleich, doch ruhig. In den Augen brannte ein scheues Bangen, als er seinen »gspaßigen Heiland« kommen sah. »Guten Morgen, Herr Walter!« sagte er und stand auf.
»Guten Tag, Mertl! Kommen Sie mit mir in mein Zimmer!«
Noch auf der Treppe zog der Moosjäger ein großes Amtskuvert aus der Joppe und nahm ein paar gefaltete Blätter heraus, so achtsam, als wäre das Papier eine zerbrechliche Sache. Droben im Zimmer legte er die Blätter auf den Tisch. »Ich bitt schön, Herr Walter, wann S' meine Zeugnis lesen täten?«
»Zeugnisse?«
»Über die fünf Jahr halt.«
Während Walter las, bückte sich der Moosjäger, zog den Rucksack mit dem dicken Buch von den Welträtseln unter dem Tisch hervor und legte ihn auf einen Sessel. Walter nickte, als er gelesen hatte. »Da wird Ihrer Führung und Ihrem Fleiß das Allerbeste nachgesagt. Und jetzt hören Sie, was ich für Sie habe!« Er setzte ihm die Sache mit dem Weg auf den Hohen Schein auseinander. »Paßt Ihnen das?«
»Mir paßt alles!« Schwer atmend rieb sich der Moosjäger den Hinterkopf. »Aber a Hakerl is dabei. Kein' Plunder hab ich.«
»Plunder? Was heißt das?«
»Was man zur Arbeit braucht, Axt, Pickel, Schaufel, Steinschlögl und Sack.«
»Wieviel kostet das?«
»Der Plunder muß gut sein, oder du richtest bei der Arbeit nix aus.« Die Stimme des Moosjägers wurde kleinlaut. »Vierezwanzg Mark. Dös wird's mindest sein.«
»Das Geld geb ich Ihnen. Haben Sie sich was erspart, so können Sie mir das zurückbezahlen.«
»Vergeltsgott, ja!« Mertl atmete aus.
»Und den Wochenlohn bezahle ich Ihnen voraus, damit Sie doch was in der Hand haben. Für die Tagschicht bekommen Sie drei Mark.«
Dem Moosjäger fuhr das Blut ins Gesicht. »Sakra! Herr! Dös is a bißl z'viel.«
»Wenn Sie finden, daß das gut bezahlt ist, müssen Sie eben zusehen, daß die Arbeit dem Preis entspricht.« Walter zählte das Geld auf den Tisch. »So! Und ist die Woche vorbei, so kommen Sie wieder, um Ihren Lohn zu holen. Jetzt noch eine Frage, Moosjäger! Und ich rate Ihnen, daß Sie mir ehrlich die Wahrheit bekennen.«
»Ja.«
»Haben Sie mir heute nacht was verschwiegen?«
»Na, Herr, nix!«
»Sie haben von Ihrem Leben alles gesagt?«
»Alls!«
»Da kann jetzt keiner kommen und sagen: das oder das hat er auch noch angestellt?«
Dem Moosjäger blitzten die Augen. »Soll's einer probieren!« Dabei machte er mit der Faust eine Bewegung.
Walter lächelte. »Ich glaube Ihrem Blick, nicht Ihrer Faust.«
Mertl öffnete langsam die Finger. »Jetzt hab ich wieder vergessen. Zuschlagen darf man nicht!« Das sagte er hochdeutsch. »Diemal muß man halt an Unrecht leiden. Sonst kommt man net durch. Is schon wahr!«
»Hier, Mertl, nehmen Sie Ihr Geld!« Walters Stimme hatte plötzlich einen anderen Klang. So wie jetzt, so hatte sie in der Nacht geklungen, am Scheidhofer Weiher.
»In Gottsnamen halt!« Der Moosjäger guckte scharf das Geld an und schob einen Taler zurück. »Da haben S' Ihnen verrechnet. Für an Schichtmann hat d' Wochen sechs Täg. Der Sonntag wird net zahlt.« Er behielt das Geld, das er eingestrichen, in der linken Faust. »Jetzt packen wir's an! Gleich auf der Stell.«
»Gehen Sie vor allem hinunter in die Wirtsstube und sehen Sie zu, daß Sie ordentlich zu essen bekommen. Dazu geb ich Ihnen den Taler da.«
»Schmeißen S' net gar so umanand mit'm Geld! Alles, was recht is! Hungern tut mich net. Heut in der Fruh hab ich Saurampfern gessen. Am Weiher wachsen s' gnug. A halbs Stündl brauch ich, bis ich mein' Plunder beinand hab, in anderthalb Stund bin ich drunt, wo der Weg anfangt, und auf d' Nacht, wann ich Feierabend mach und hab die halbe Schicht verdient, kann ich allweil noch bei eim Bauern mein Brot kaufen.«
»Sie müssen sich doch um eine Unterkunft umsehen?«
»Da will ich gschwind eine haben. Wo ich 's Arbeiten aufhör, wird a Daxenhüttl baut. Da schlaf ich nobel drin, bin schön allein und hab mei' Ruh vor –« Mertl schüttelte den Kopf. »Jetzt hätt ich schiergar wieder über d' Menschen rässanniert! Und Sie sind doch auch einer!« Mertl streckte die Rechte. »Vergeltsgott halt!« Diesmal drückte der Moosjäger nicht. Seine Hand war schwach und zitterte. Als er über die Treppe hinunterrumpelte, verriet er wenigstens in den Beinen keine Schwäche. Auf der Straße marschierte er mit langen Schritten dem Haus des Krämers zu. Der, als er den Zuchthäusler so schneidig eintreten sah, retirierte mit rascher Vorsicht hinter die Ladenbudel und legte für alle Fälle den dicken Meterstab zurecht. »Was schafft?«
»An Plunder brauch ich.«
»Au Plunder? Du? Zu was denn?«
»Arbeit hab ich.«
Der Krämer riß die Augen auf. »Arbeit hast?«
»Ja. Und gute! Die beste Axt gib her, den besten Pickel, die beste Schaufel und von die Steinschlögl such mir den schwersten aus! Und an Sack brauch ich. Da kannst mir den billigsten geben. Der Sack is für mich, 's ander is für d' Arbeit.«
»Viel Sach, viel Sach! Aber wie schaut's denn mit der Zahlung aus?«
Ein Blitz der Freude zuckte um Mertls Augen, während er zwischen den gehöhlten Händen mit den Geldstücken schepperte. »So schaut's aus!« Da war der Krämer mit dem Bedienen flink zur Hand. Während er das Zeug zusammensuchte, betrachtete Mertl die Tabakspfeifen, die an der Wand hingen. Eine kleine, auf Birkenmaser, gefiel ihm. Er untersuchte sie genau und probierte den Zug. »Was tät s' denn kosten, die?«
»Zwei Mark.«
»Die hebst mir auf!« Mertl hängte die Pfeife wieder an die Wand. »Die kauf ich mir in vierzehn Täg.« Dann unterzog er das Arbeitsgerät einer eingehenden Prüfung. Die Rechnung machte siebenundzwanzig Mark. Der Moosjäger bezahlte, ohne zu feilschen. »A Packl Seifen mußt mir dreingeben!« Das tat der Krämer. Und Mertl packte ein. Steinhammer, Axt und Seife gab er in den Rucksack, Pickel und Schaufel nahm er über die Schulter. Als er hinaustrat in die Sonne, klammerte er die Faust um die beiden hölzernen Stiele, so fest, daß ihm die Knöchel weiß wurden. Was seine Hand da faßte, war eine gute Waffe gegen den Zorn des Lebens.
Mit langen Schritten ging er durch das Dorf hinunter und trat in den Gottesacker. Da hatte er zwei Gräber. Sie waren ungepflegt, dick überwachsen mit langen Grasschmehlen. Mertl blieb vor ihnen, mit dem Hut an der Brust, so lang in der heißen Sonne stehen, bis er einen roten Kopf bekam. Das war eine Farbe, die keine lange Dauer hatte. Denn als der Moosjäger auf seinem Weg zur Arbeit an den Ställen des Wirtshauses vorüberging, führte der alte Kutscher gerade den Schimmel ins Freie. Da flog dem Mamertus Troll ein jähes Erblassen über das Gesicht. Er drehte den Kopf auf die Seite und ging mit hastigem Schritt vorüber.
Der Alte sah ihm nach, nickte vor sich hin und murmelte: »Alles kunnt anders sein! Anders und gut! Wann halt 's dreckete Aber net wär!« Dann faßte er den Schimmel am Ohr, wie man einen guten Kameraden am Läppchen zupft. »Hab ich net recht?«