Ludwig Ganghofer
Der hohe Schein
Ludwig Ganghofer

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Ein Fahrweg führte über den Hügel hinauf, gegen das bäuerliche Gehöft; nach der rechten Seite bog ein Kiesweg ab, von Fliederbüschen und Blumenrabatten eingefaßt. Diesem Pfade folgend, erreichte Walter den grünen Staketenzaun eines großen, sorgsam gepflegten Blumen- und Gemüsegartens und gewahrte zwischen Bäumen die grün umsponnene Holzveranda jenes villenartigen Gebäudes. Die Stimme eines jungen Mannes klang ihm entgegen, heiter und laut: »Adieu, Vater! Nach dem Essen schick ich dir die Rosl mit dem Buben herauf. Da hast du einen lustigen Zeitvertreib bis zum Abend. Über den Buben kannst du dich krank lachen. Der hat für seine drei Jahr Verstand wie ein Alter. Weißt du, was er vorgestern wieder gesagt hat, wie das grobe Wetter war?« Ein frohes Lachen unterbrach das hurtige Schwatzen. »Wie's auf dem Hohen Schein droben eingeschlagen hat und der Donner fangt zu rumpeln an, als täten die Berg einfallen, da patscht der Bub vor Schreck die Handerln zusammen und pappelt –« Die kräftige Männerstimme verwandelte sich in ein piepsendes Kinderstimmchen: »Nein, bitt schön, nein, zum Donnern bin ich noch zu klein!« Wieder das glückliche Lachen des jungen Vaters. »Das hat er hergepappelt, so lieb, daß ich ihn gleich fressen hätt können!« Vom Dorf herüber klang das Geläut einer Glocke. »So, schön, jetzt darf ich aber rennen! Adieu, Vater! Am Abend geh ich ihr schon entgegen bis zum Wald hinaus, da brauchst du keine Sorg haben, wenn's ein bißl spät wird.«

Ein Laufschritt klapperte auf dem weißen Kies, und zwischen den Fliederbüschen des Weges erschien ein kräftig gewachsener junger Mann, noch keine Dreißig alt, in grauer Joppe und schwarzer Tuchhose, halb Bauer und halb Städter. Unter der Krempe des grünen, mit einem Gemsbart gezierten Hutes lachte ein sonnverbranntes Gesicht heraus, mit lustigen Blauaugen und blondem Spitzbart. »'n Morgen!« grüßte er und war in einem Saus vorüber. Walter sah ihm nach. »Einer, dem das Glück aus den Augen lacht!« Dann ging er auf das Haus zu. Ein hübscher Kiesplatz mit Fliederbüschen, Rosenbäumchen und Zwergobst. Auch der Brunnen, der seinen Strahl in einen Steintrog plätscherte, war mit Ranken übersponnen. Und an den Säulen der Veranda blühte der Pfeifenstrauch und die Kapuzinerwinde.

Hier mußten Menschen wohnen, die Freude daran hatten, ihr kleines Leben schön zu machen. So dachte Walter. Zu diesem Gedanken wollte das Bild des alten Herrn nicht passen, der sich auf eine merkwürdige Weise in der Veranda bewegte. Ein Gichtbrüchiger! Die Hände verzerrt, die Beine von den Hüften hinunter ganz gelähmt. Und doch bewegte er sich ohne Stock und machte im Schatten der Veranda seinen Spaziergang. Freilich einen langsamen! Abwechselnd stieß er die linke, dann die rechte Schulter nach vorne, so energisch, daß mit der ganzen Körperseite auch das gelähmte Bein um einen Schritt weitergerissen wurde. Solcher Schritte brauchte er ein Dutzend, um sich einen Meter weit von der Stelle zu schrauben.

Wie der Sohn, so trug auch der alte Herr die ländliche Joppe, aber mit goldenem Eichenlaub auf dem grünen Kragen. Man hätte auch ohne dieses Emblem den Forstmann in ihm erkannt. Welch ein kraftvoller Kopf, mit dem weißen Gestrüpp über der Stirne! Ein grauer Bart hing lang auf die Brust herunter. Und aus den weißen Haaren blickte ein ernstes Gesicht heraus, gealtert in Schmerzen. Beim Anblick dieses Kranken hatte Walter ein Gefühl der Enttäuschung, ein Gefühl, als sollte er flink wieder umkehren. Der alte Herr hatte ihn schon gesehen, stand aufrecht und verbarg die unschönen Hände hinter dem Rücken. »Was wünschen Sie?« Seine Stimme war noch gesund. Die hörte man!

Walter lehnte den Bergstock gegen ein Rosenbäumchen und kam zur Veranda. Die beiden Zimmer – ob das hier wäre?

»Jawohl!« Der alte Herr rief gegen die Haustür: »Walperl!« Dann sah er prüfend den Fremden an. »Forstmeister Ehrenreich.«

Walter wollte seinen Namen nennen: »Doktor –«

»Juris?« unterbrach ihn der alte Herr, in dessen Augen was aufblitzte wie Freude.

»Nein.«

Der Forstmeister schien enttäuscht und fragte nicht weiter.

»Doktor der Philosophie«, sagte Walter.

Langsam zog der alte Herr die weißen Brauen in die Höhe.

»Ach, du lieber Himmel!«

In der Haustür erschien das junge flinke Mädel, das die bleichende Leinwand begossen hatte.

»Walperl! Zeig dem Herrn die zwei Zimmer droben!«

»Kommen S', ja!« sagte die Magd und ging voran ins Haus.

Als Walter eintrat, flogen im Flur zwei Schwalben mit Gepisper aus ihrem Nest und schossen ins Freie. Wie das anheimelte! Der Flur so gemütlich wie eine Stube, die weißen Wände mit Scheibenbildern bedeckt, um die sich ein großblättriger Efeu rankte. Die blank gescheuerte Diele war mit einem rot gefärbten Leinwandläufer belegt, der sich auch über die Treppe hinaufzog. Und droben zwei helle, behagliche Zimmer, das eine mit dem Blick über den Brunnenplatz und den Scheidhof, das andere mit der Aussicht nach dem Hohen Schein.

»Hier bleib ich!« sagte Walter. Zu dem bescheidenen Preis, den ihm das Mädel nannte, nickte er nur. Und als er zwischen den beiden Stuben auf der Schwelle stand und die vier Betten zählte, meinte er lachend: »Platz, um sich auszuschlafen, ist reichlich vorhanden.«

»Und gut sind s', unsere Betten!« beteuerte Walperl. »Schauen S' her!« Sie fuhr an einem Bett mit der Faust unter die wollene Decke, ließ die Matratze schaukeln und lachte dazu, als empfände sie bei dieser Probe die Wohligkeit des linden Lagers in allen Gliedern.

Mit Wohlgefallen betrachtete Walter das kleine, lustige Ding. Wie hübsch das Mädel war! Trotz der Sommersprossen, die sich mit einer Brillenlinie über die kecke Stumpfnase schwangen. In dem rosig betupften Gesicht glänzten die flinken Augen gleich schwarzen Kirschen, und das rotbraune Haar legte sich mit schimmerndem Gezaus um den schmucken Kopf. Dazu eine Gestalt, wie gedrechselt, knallrund von Frische und Gesundheit. Nur die Hände waren bedenklich auf der Fasson geraten; aber diesen rauhen Händen war es anzusehen, daß das kleine, lustige Mädel eine tüchtige Schafferin war.

»Sie heißen Walperl?«

»Ja.«

Walter lächelte. »Von einem Mädchen, das Walperl heißt, hab ich heute schon was gehört.«

»So?« Man merkte, daß sie gerne was gefragt hätte. »Walperl heißt oft eine!« Während sie auf dem Bett, an dem sie die Matratzenprobe gemacht hatte, die weiße Decke glatt strich, erklärte sie: »Wenn's sein muß, können S' zu die vier Betten auch noch a Kinderbettstattl haben.«

Drollig erschrocken sah Walter das Mädel am »Nein, nein, was denken Sie denn?«

»No, ich hab halt gmeint –« Sie musterte ihn prüfend. »Freilich, für fünf Betten schauen S' a bißl z'mager aus. Aber Familli haben S', gelt? Dös merkt man gleich. Wann S' auch diemal a bisserl lachen, d' Sorg schaut Ihnen doch aus die Augen aussi.« Walperl wurde ernst. »Ja, ja! Dös hat man davon, wenn man gar z'jung einitappt.« Das Mädel hatte alle Lustigkeit verloren.

Diese Lebensweisheit wirkte erheiternd auf Walter. »Ich? Ein Kinderbettchen? Von den vier Betten dürfen Sie noch drei hinausstellen.«

»Waaas? A Lediger is der Herr?« Bedenklich schüttelte Walperl den Kopf. »Da wird's an Haken haben mit unsere zwei Stüberln! A lediges Mannsbild im Haus? Na, na! Da beißt der Herr Forstmeister hoffentlich nimmer drauf an.« Sie lauschte, als hätte sie was Verdächtiges gehört. »Mar' und Josef!« Der Schreckensruf galt einem deutlich vernehmbaren Zischen, das man von drunten heraufhörte. Das Mädel rannte, und von der Veranda klang die Stimme des Forstmeisters: »Walperl! He! Auf dem Herd ist der Teufel los!«

Als Walter hinunterkam und dem Forstmeister erzählen wollte, wie gut ihm die beiden Zimmer gefallen hätten. erwiderte der alte Herr mit etwas merkwürdiger Hast: »Bescheid kann ich Ihnen nicht geben. Da hat meine Tochter mitzureden, die nicht daheim ist. Vielleicht fragen Sie morgen früh wieder an.« Walter wollte noch etwas sagen. Der Forstmeister machte erregt eine abwehrende Bewegung. »Schon gut! Kommen Sie nur morgen wieder!« Befremdet empfahl sich Walter, und da merkte er, daß die Erregung des Forstmeisters der Ankunft eines bäuerlich gekleideten Mannes galt, der über den Kiesplatz zur Veranda kam. Erstaunt betrachtete Walter diesen Bauern. Einen solchen Menschen hatte er im Leben noch nicht gesehen: gewachsen wie ein Hüne, mit Augen, in denen alle Schönheit des Lebens prangte, der gekräuselte Vollbart von tiefer Schwärze, ein Kopf wie aus Stahl geschnitten. Man hätte dem Mann nur einen blauen Mantel um die Schultern hängen dürfen, und das herrlichste Bild eines Apostels wäre leibhaftig in der Sonne gestanden. Und wie freundlich dieser Riese den Fremden grüßte, dem das Staunen aus den Augen redete! Während Walter davonging, konnte er noch hören, was die beiden sprachen:

»Sonnweber!« stammelte der alte Herr.

»Ja, Herr Forstmeister!« Auch eine Stimme hatte der schöne Mensch, die sich mit dem ersten Klang ins Herz schmeichelte. »Heut bring ich was!«

»Gleich hab ich es Ihnen angemerkt.«

»Der Moosjäger is da! Gestern haben s' ihn auslassen.«

»Der Moosjäger?« Ein Klang der Enttäuschung war in dieser Frage. »Der ist doch damals beim Militär gewesen.«

»Aber Urlaub hat er ghabt, grad um dieselbig Zeit rum. Wie ich dem Kerl heut begegnet bin, is mir's gleich durch 'n Kopf gfahren –«

Walter hatte den Weg erreicht, der zum Tor hinunterführte, und hinter den Fliederbüschen verklangen die beiden Stimmen. Ans der Straße fühlte er plötzlich eine Müdigkeit, die ihm bleischwer in den Gliedern lag. Freilich, er hatte einen neunstündigen Weg hinter sich. Die erste Bergpartie seines Lebens war es doch auch! Aber die Schönheit dieses Morgens und alles Neue hatte ihn die beginnende Müdigkeit nicht fühlen lassen. Nun stellte sie sich mit doppelter Schwere ein, in der heißen Mittagssonne und nach der halben Enttäuschung, die er aus dem Scheidhof mit sich fortgetragen.

Als er das Wirtshaus gefunden hatte, wollte ihm das Essen nicht munden. Und der Schoppen Rotwein, den er im Durst hinunterstürzte, berauschte ihn fast. Dazu wirbelte ihm der Kopf von dem wüsten Lärm, der auf der Bauernstube durch die dünne Bretterwand ins Extrastübchen zu ihm hereintönte. Da draußen saß ein Dutzend vergnügter Leute um einen kränklich aussehenden, randalierenden Burschen. Der hatte schwarzes Haar, schon etwas angegraut, ein bleiches Gesicht und einen rötlichen Bart. Immer hörte man aus dem lustigen Radau der andern die scharf klingende Stimme, mit der er seine galligen Späße zum besten gab oder bei der Kellnerin bald Wein und Bier, bald Würste und Zigarren bestellte, um die Tafelrunde zu regalieren. Es war ein Spektakel, der Walters Ohren klingen machte. Um sein Zimmer aufzusuchen, ging er durch die Bauernstube hinaus und war schon bei der Tür, als er hinter sich die kreischende Stimme jenes Menschen hörte: »Den schauts an! Is auch so einer von die stadtischen Großköpf, die uns auf'm Gnack umanandreiten! Und a Gstell hat er wie der Laubfrosch auf der Wetterstiegen!«

Walter, dem das Blut ins Gesicht schoß, wandte sich um.

»Ja, ja! Bist schon gmeint, du!« schrie der Bursch unter dem Gelächter der anderen.

Kurz entschlossen ging Walter auf den Tisch zu. Da wurde es still in der Stube. »Was hab ich Ihnen getan? Warum beleidigen Sie mich?«

Der ernste Klang dieser Frage schien auf den Halbbetrunkenen gewirkt zu haben. Wie Schamröte glitt es ihm über das bleiche, abgezehrte Gesicht. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Meinst vielleicht, du bist wer? Weil dich der Schneider in der Stadt drin zu eim Menschen gmacht hat? Tu's abi vom Adamsleib, die stadtische Maskeradi, und stell dich nacket her gegen meiner! Kunnt sein, daß ich nacher noch allweil der besser bin.«

Scheltend mischte sich der Wirt in die Sache, und die Kellnerin, die sich als geübte Wirtshausdiplomatin erwies, faßte Walter am Arm und zog ihn zur Stube hinaus: »Geh, lassen S' ihn schreien, den rauschigen Loder!«

»Wer ist dieser Mensch?«

»Aus'm Zuchthaus einer! Fünf Jahr hat er sitzen müssen, weil er drei Häuser anzunden hat. Gestern is er heimkommen. Jetzt hockt er und sauft und zahlt für die andern. Der steht nimmer auf, eh net sein bißl Zuchthaussparnis beim Teufel is. So machen sie's alle, wenn s' heimkommen. Keiner lernt was da drin. 's Zuchthaus druckt. Da geht's allweil tiefer. Wird mit'm Moosjäger auch net anders sein.«

»Moosjäger?« Walter erinnerte sich, diesen Namen im Scheidhof gehört zu haben.

»Ja! Und Verdruß wird er der Gmeind noch gnug machen.« Mit diesem Ausblick in die Zukunft war die Sache für die Kellnerin erledigt. Auch Walter machte sich keine Gedanken mehr über den Moosjäger. Er war zu müde. Als er in seinem Zimmer den Rucksack niederlegte, tat das dicke Buch, das von den Welträtseln handelte, auf den Dielen einen festen Plumps. Nun befolgte Walter den Rat des Rotbärtigen und zog die städtische »Maskeradi« von seinem »Adamsleib«. Statt sich zum Vergleich seines Menschenwerts neben den Moosjäger zu stellen, steckte er den Kopf in kaltes Wasser und legte sich ins Bett. Nur umzudrehen brauchte er sich, dann schlief er schon. Das war ein bleierner Schlaf, den der Lärm nicht störte, der aus der Wirtsstube verworren herauftönte. Erst gegen Abend, nachdem es noch einen wüsten Krakeel gegeben hatte, wurde es still im Haus, und da erwachte der müde Schläfer. Als er die Augen aufschlug, sah er die Stube von roter Helle erfüllt. Erschrocken sprang er aus dem Bett. Im ersten Gedanken seiner schlaftrunkenen Sinne meinte er, das Haus stünde in Brand. Es war der Glanz des schönen Abends, der so flammte!

In Eile kleidete Walter sich an, nahm den Lodenmantel über die Schulter und suchte das Freie. Das Gehen wurde ihm sauer, alle Glieder waren ihm wie zerschlagen. Doch als er hinaustrat in den wundersamen Abend, fühlte er sich nach der ersten Minute frischer und wohler. Die linde Kühle strich ihm über die Wangen wie eine sanfte Hand. Und wie köstlich diese Luft sich atmete!

Mitten über der Dorfstraße, ganz tief schon, fast die Erde berührend, stand die Sonne wie ein rot glühender Feuerstoß, der die Ferne des Tales sperrte. Alles in der Straße, die Kinder bei ihren lärmenden Spielen, die Mädchen bei den Brunnen, die Häuser und jeder Baum, alles erschien im grellen Glanz dieses roten Lichtes wie ein wunderliches Doppelleben, halb aus Glut und halb aus schwarzem Schatten gebildet.

Walter schlug einen Weg ein, der seitwärts aus dem Dorfe über Wiesen hinausführte gegen den Waldsaum. Hier ließ er sich nieder. Welch ein zaubervolles Bild: dieser brennende Himmel, der sich von der Sonne weg hinüberwölbte in das tiefe Blau der östlichen Ferne! Tag und Nacht, die sich mieden und dennoch suchten! Zwischen ihnen die Kette der Berge, von der sinkenden Sonne bestrahlt wie eherne Gebilde nach dem Guß, an allen Zacken noch glühend. Und vor dem Blau des Ostens, scharf gezeichnet: der einsame Riese, der Hohe Schein, als ein Wahrzeichen für alle Ewigkeit in dieses Tal der Menschen gesetzt! Die anderen Berge gluteten im Feuer des Abends und trugen in den Tiefen ihrer steinernen Brüste schon die Ahnung der Nacht – der Hohe Schein, mit seiner ragenden Höhe ganz nach der Sonne gewendet, hatte noch immer das reine Licht des Tages. Nur um den Fuß seiner Wälder lag, wie ein Rosenfeld, die abendliche Glut. Die Mauern seiner hohen Felsen und die Almgehänge unter den samtgrünen Latschenfeldern waren so klar beleuchtet, als hätte ein Wunder sie aus weiter Ferne in greifbare Nähe gerückt. Jeden Felsblock konnte man hell auf dem Weidegrund unterscheiden, die weißen Rinder sah man als silberne Punkte, die sich bewegten, die Sennhütte schimmerte wie ein Würfel aus lichtem Erz, und gleich einer feinen Goldlinie erschien jener rauh gesteinte Karrenweg, der von der Hütte zum Waldsaum führte.

Walters Augen blieben an der Stelle haften, wo diese goldschimmernde Linie im Grün des Waldes verschwand. Er lächelte, sah nichts anderes mehr und merkte nicht, wie aller Glanz des Tages hinüberdämmerte in das Grau des Abends. Auch hatte er kein Ohr für das Lied der Grillen, die am Wiesenrain zu singen begannen. Erst waren's nur wenige, die sich hören ließen. Immer neue Stimmen fingen zu lispeln an, erregt, wie in Sorge vor der kommenden Nacht. Dann war's in der weiten Runde wie ein ruheloser Chor unzählbarer Flüsterstimmen, von denen jede die gleiche Frage hundertmal zu wispern schien: »Was ist das? Was ist das? Was ist das?« Im Dorf begann die Glocke den Abendgruß zu läuten, auf den dunklen Wiesen zog sich ein blasser Nebelhauch über die Gräser, die Wälder wurden schwarz, und wie graue Mauern ragten die Berge in den fahlgelben Himmel. Der Hohe Schein aber brannte noch in rotem Glanz. Wie eine schöne, ruhige Flamme stieg die Pyramide seiner Felsen in das tiefe Blau der östlichen Lüfte.

In Walter war eine Trunkenheit des Schauens. »Jetzt versteh ich den Namen dieses Berges: Der Hohe Schein! Am Morgen ein Verkünder des Lichtes, steht er in sinkender Nacht wie ein flammender Weiser, der uns noch immer an die Sonne denken heißt, auch wenn sie verschwunden ist. Das Volk ist ein Dichter. Auch wenn es Berge tauft!«

Den Mantel über die Schulter nehmend, stand er auf und folgte einem Pfade, der am Waldsaum hinzog. Zerstreute Lichter, wie Glühwürmchen, hingen im Dunkel: die erleuchteten Fenster des Dorfes, von dem keine Stimme mehr herübertönte. Da hörte Walter einen stöhnenden Laut. Neben dem Weg, im Gras der Wiese, sah er einen Menschen liegen. Erschrocken beugte er sich nieder, rüttelte ihn am Arm und fragte, was denn wäre mit ihm? Er bekam keine Antwort. »Ein Betrunkener!« Die laue Juninacht konnte ihm nicht schaden. Aber im feuchten Gras der Wiese wollte ihn Walter nicht liegenlassen. Mit beiden Armen faßte er zu, hob den Regungslosen auf den trockenen Waldsaum und deckte ihm den Lodenmantel über den Körper. »So, du liebliches Ebenbild Gottes! Jetzt schlaf dich aus!« Er mußte lachen. Dieser merkwürdige Zusammenklang des Abends mit dem Morgen war ihm aufgefallen. Dort oben im Frühlicht und hier unten in der Nacht, jedesmal ein schlafendes Menschenkind am Rain des Weges. Und dieser Gegensatz des Lebens! Hier unten das menschenähnliche Tier im widerlichen Dunst des Rausches, dort oben die träumende Schönheit in Sonne und Blumen.

Dieser Gedanke, der ihn heiter befallen hatte, machte ihn ernst. »Jedes dieser beiden Bilder eine Wahrheit des Lebens! Alles ein Widerspruch! Muß das so sein? Weil das Leben ohne Gegensatz nicht bestehen könnte? Gibt es keinen Stern, auf dem es ewig tagt? Die Sonne? Sie brennt. Drum muß sie ohne Leben sein. Der Mond ist kalter Stein geworden, und alles Leben auf ihm ist längst erloschen. Leben kann nur entstehen und sich erhalten auf der Scheide zwischen Glut und Frieren. Drum ist es aus beiden gebildet, muß aus Feuer und Frost bestehen, aus Glück und Elend, aus Liebe und Haß, aus Schönheit und Ekel, aus Glaube und Zweifel, aus Seele und Bauch! Aber wenn ich das erkenne, bin ich dann nicht verpflichtet, mich lächelnd mit allem Gegensatz des Lebens abzufinden? Alles begreifen? Muß das nicht heißen: auch alles lieben? Alles! Dieses schöne, kluge Wort des Kindes!«

Bei den ersten Häusern des Dorfes blieb er stehen und suchte mit den Augen den Hohen Schein. Der hatte noch einen Schimmer von Helle, während alle anderen Berge finster in den Himmel ragten, an dem die Sterne klein zu flimmern begannen. »Wer die Kraft hätte, klar das Rechte für seinen irdischen Weg zu erkennen, und das Erkannte als hellen Weiser in sein Leben zu stellen, so fest und unverrückbar, wie der leuchtende Berg da im Dunkel des Tales steht!« Walter blieb an einen Zaun gelehnt, bis es völlig Nacht wurde und der Himmel übersät war mit blitzenden Lichtern. Dann suchte er den Heimweg und die Ruhe.

Ein bleierner Schlaf, der ohne Traum war. Als Walter erwachte, lag helle Sonne auf den Dielen, und eben schlug die Kirchenuhr die neunte Stunde. Verwundert guckte er in den glänzenden Tag. Dann warf er die Decke von sich und schlüpfte nach einer kalten Dusche in die Kleider. Seinen Körper durchrieselte ein Gefühl des Wohlbehagens, wie er es im Leben noch nie empfunden hatte. Drunten in der Wirtsstube, beim Frühstück, erfaßte ihn ein komisches Entsetzen vor dem Appetit, der sich über Nacht in ihm ausgebildet hatte. Dann fiel ihm sein Mantel ein, und er sagte zur Kellnerin: wenn einer zuspräche und nicht wüßte, wie er zu einem Mantel gekommen – das wäre sein Mantel. Das Mädel wurde neugierig. Als sie von dem Betrunkenen hörte, meinte sie: »Dös muß der Moosjäger sein! Z'erst hat er allweil zahlt für die anderen, bis 's letzte Markl beim Teufel war. Nacher haben s' zum streiten mit ihm angfangt und haben ihn aussigfuiert! Ihren Mantel, mein ich, haben S' gsehen!«

Walter lachte. Er empfand es wie eine Genugtuung für den erlittenen Schimpf, daß es nun gerade der Moosjäger sein mußte, dem er den bescheidenen Samariterdienst erwiesen hatte.

Es zog ihn zum Scheidhof. Wie wohl ihm war, und wie flink er ausschritt! Alles gefiel ihm. Jeden Bauern grüßte er, und jedem Kind, an dem er vorüberkam, legte er die Hand auf den Zauskopf. Die Mühe, am Zaun des Scheidhofes das große Tor zu öffnen, konnte er sich diesmal sparen, weil gerade ein Fuhrwerk herauskam. Das waren wieder jene schönen, starken Pferde. Und der Knecht, der sie führte, war der junge Bursch, der die Baumblöcke gehoben hatte. Freundlich grüßte Walter und dachte: »Wenn ich die beiden Stuben bekomme, hab ich gesunde Nachbarschaft! Solch ein Prachtmensch ist dem kranken Hausherrn zum Trotz eine gute Empfehlung für die Luft, die über dem Scheidhof weht.« Es fiel ihm auch wieder ein, daß er gestern im Wald da draußen vom Walperl hatte reden hören, und nun meinte er sich den Zusammenhang erklären zu können. Über diese Rechnung wollte er die Probe machen; drum fragte er: »Ist das Walperl daheim?«

In aller Ruhe sagte der Knecht: »Da wird der Herr schon selber schauen müssen.« Die Zügel straffer anziehend, schwang er mit scharfem Knall die Peitsche. Schnaubend stiegen die Pferde auf, und das gab ein lautes Geklingel von allen Messingplatten des reichen Geschirrs.

»Das psychologische Material dieser Antwort ist ein mageres!« dachte Walter. Und trat in das Gehöft. Kleine Bläulinge gaukelten über dem sonnigen Kiesweg, und um die blühenden Fliederbüsche summten die Bienen. Als Walter sich dem Platz vor der Veranda näherte, sah er bei den Rosenstauden ein junges Mädchen stehen, in einem hellen Waschkleid, mit einem Strohhut über dem Blondhaar. Auf den ersten Blick erkannte er sie. Es war die Schläferin vom Hohen Schein. Kein Bauernmädchen, sondern die Tochter des Forstmeisters? Als sie vor ihm stand, mit ihrer schlanken und feinen Gestalt, den Goldschatten der Hutkrempe über den Augen, mit dieser ruhig schönen Bewegung beim Schneiden der Rosen, war es ihm unbegreiflich, daß er sie da droben gedankenlos für eine schlafende Hirtin genommen hatte. Er wurde ein wenig verlegen, als er grüßte. Unbehilflich, nach Art junger Männer, die an den Verkehr mit Frauen nicht gewöhnt sind, fragte er, ob er sich erlauben dürfe, beim Herrn Forstmeister eine Antwort zu holen, die ihm für heute zugesagt wäre.

»Papa ruht ein bißchen«, sagte Mathild. Ganz der gleiche Ton war's, in dem sie droben mit der Grillenmahm geplaudert hatte. »Aber darf ich bitten?« Sie ging zur Veranda, legte die Rosen auf den Tisch und band den Strohhut ab.

Walter ließ sich nieder und nahm den Hut aufs Knie. »Ich war gestern hier –«

»Papa hat mir davon gesprochen. Aber ich bedaure –«

»Ach!« Er merkte gleich, was sie sagen wollte. »Fräulein! Ich bitte! Geben Sie mir die beiden Zimmer! Ich würde mich hier so wohl fühlen.«

»Wenn Sie in Langental bleiben wollen, es gibt hier viele hübsche Wohnungen.«

»Etwas anderes wird mir nicht mehr gefallen. Gestern hab ich einen jungen Burschen ein Liedchen singen hören. Da hieß es: man soll nur immer das Beste wollen. Da droben«, er blickte zur Decke der Veranda hinaus, »das wäre das Beste für mich gewesen.«

Mathild lächelte. »Haben Sie denn schon andere Wohnungen gesehen?«

»Das ist nicht nötig. Das Beste hat immer ein Zeichen an sich, an dem es gleich erkannt wird, auch ohne Vergleich.« Eine Weile sah er vor sich nieder. Dann hob er den ernsten Blick zu ihr. »Wirklich? Nein?«

Ihre Augen glitten über das stille, von Duft umsponnene Bild der Berge, als hätte ein Gedanke in ihr gesagt: »Er hat empfunden, wie schön es hier ist!« Dann sagte sie ein rasches Nein.

Walter erhob sich und wollte gehen. Da sah er auf dem Tisch ein Glas mit braunen Blüten stehen. Waren das nicht seine Blumen? Er deutete auf die Kohlröschen. »Wenn ich gewußt hätte, daß Sie mit Ihren zwei Stübchen so neidisch sind, dann war ich gestern auch ein bißchen sparsamer gewesen. Mit den Blumen da!«

Ein Hauch von Röte war in Mathilds Wangen gestiegen. Sie erhob sich. Dann lachte sie. »Herr Walter Horhammer mit dem dicken Buch? Der sind Sie gewesen?«

»Ja!«

»Die Lies hat mir von Ihnen erzählt.«

»Die Sennerin mit den Lebensgrillen?«

»Ja, die Sennerin vom Scheidhof drüben. Der dürfen Sie so bald nicht wieder begegnen! Die ist bös auf das dicke Buch. Den ganzen Tag hat sie gestern geschwatzt von Ihnen.« Sie guckte auf seine Füße hinunter und lachte wieder.

»Die muß Ihnen was Nettes von mir gesagt haben? Aber Sie lachen so herzlich, daß ich nichts dagegen habe, wenn es auf meine Kosten geschieht.«

Da reichte sie ihm die Hand. »Nehmen Sie mir das nicht übel! Die Erinnerung an Sie hat im Grillenhäuschen der Lies so drollige Purzelbäume gemacht –«

»Erzählen Sie, Fräulein! Und lassen Sie mich mitlachen!«

»Nein! Aber danken will ich Ihnen für die Blumen! Zuerst hab ich gemeint, die Lies hätte mich so geweckt. Aber da hörte ich, daß jemand durch den Wald hinunterstieg –«

Sie wollte ihm ihre Hand entziehen, doch er hielt sie fest. »Ihr friedlicher Schlaf und alles rings um Sie her, das war so schön!« sagte er. »Als ich die Blumen in Ihren Schoß fallen ließ, hatte ich ein Gefühl wie ein Andächtiger, der eine Opfergabe niederlegt. Ich bin noch nie in den Bergen gewesen, habe sie jetzt zum erstenmal gesehen und kann Ihnen gar nicht sagen, wie mich das überfallen hat. Ganz verwandelt hat es mich. Mir ist das Leben immer grau gewesen. Meine Kindheit war traurig, meine Jugend hart. Das Schwerste hab ich von mir abgeschüttelt. Und als ich frei war, hab ich gearbeitet wie ein Narr. Vier Jahre bin ich kaum aus meiner Stube gekommen. Nur am Abend manchmal – im Winter, wenn die Laternen brannten, im Sommer, wenn der Staub auf den Bäumen lag. Schließlich hat das meiner Gesundheit an den Hals gegriffen.«

»Um Gottes willen!« Mathild schien nicht zu wissen, daß ihre Hand noch immer in der seinen lag. So erschrocken stand sie vor diesem grauen Lebensbild. »Wie kann man denn nur so leben! Das hätte man Ihnen doch nicht erlauben dürfen! Ihr Vater, Ihre Mutter –«

»Die sind tot. Den Vater hab ich kaum gekannt, die Mutter ist mir entfremdet worden.« Eine harte Furche grub sich in seine Stirn. »Vor ein paar Wochen hab ich zum erstenmal erfahren, wie wohl es tut, sich in der Sorge eines andern Menschen zu wissen. Da fand ich einen Freund, der es gut mit mir meinte. Der junge Arzt, den meine Wirtin hatte rufen lassen, hat mich herausgerissen aus dem Staub meines Lebens. Vor drei Tagen hat er meinen Koffer gepackt und hat mich im Wagen zur Bahn gebracht, wie man einen Irrsinnigen mit Gewalt dorthin führt, wo er geheilt werden soll.«

»Ein Doktor, der Verstand hat!« Lächelnd sah sie zu ihm auf und befreite ihre Hand. »Dem dürfen Sie dankbar sein!«

»Das bin ich! Er würde sich freuen, wenn er wüßte, was diese paar Tage aus mir gemacht haben. Ein Mensch mit einem Leben wie das meine – und plötzlich dieses Schöne! Luft und Sonne! Die Erkenntnis, daß die Welt erschaffen ist, um geschaut und erlebt zu werden! Der Weg von da droben ins Tal herunter war für mich wie ein Weg ins Leben. Da mußte mir doch der Wunsch kommen, hier bleiben zu dürfen. Ruhe finden! Aufatmen! Ein Mensch sein! So schön hab ich mir das gedacht. Und da schicken Sie mich wieder fort!« Das Lächeln gelang ihm nicht recht. »Fräulein! Vorhin haben Sie mich gewarnt vor der Lies. Da müssen Sie jetzt von mir auch eine Warnung hören! Geben Sie acht, daß Sie meinem Doktor nicht begegnen!«

Mathild schien verlegen. Fiel es ihr schwer, das Nein zu wiederholen? Das merkte er. Und fragte mit herzlichem Klang: »Wirklich? Muß ich wieder gehen?«

»Es wird wohl so sein müssen! Papa vermietet nicht gern an einen einzelnen Herrn. Und wenn ich auch glaube, daß Sie uns keine Verdrießlichkeiten im Haus verursachen würden – aber wir sind darauf angewiesen, die Wohnung gut und für den ganzen Sommer zu vermieten.«

»Aber ich bitte«, fiel er hastig ein, »je länger ich bleiben darf, desto lieber ist mir's doch. Ich bleibe gern den ganzen Sommer, bis in den Winter hinein. Und was den Preis betrifft, so rechnen Sie doch, als ob ich Familie hätte, eine Frau, zehn Kinder und drei Dienstboten.«

»Nein!« sagte sie ruhig. »Von Ihnen fordern, was wir von drei oder vier Personen verlangen dürften, das geht nicht. Und Papa darf in den Einnahmen, auf die er rechnen muß, nicht verkürzt werden.«

»Fräulein!« Er nahm die Uhr aus der Westentasche. »Das ist eine Weckeruhr, ganz verläßlich! Ich miete die beiden Stuben mit allem, was drin ist. Und damit Sie keine Gewissensbisse haben, muß mich meine Uhr jede Nacht dreimal wecken, und ich lege mich bis zum Morgen der Reihe nach in alle vier Betten.«

Sie schüttelte den Kopf.

Da sah er mit bekümmertem Blick in ihre Augen. »Wenn Sie so hart gegen mich sind, da ist die Lies dran schuld, die vom Hohen Schein da droben!«

Erst schien sie ein wenig betroffen durch dieses Wort; dann blickte sie lächelnd gegen den Hohen Schein hinauf: »Die Lies? Ach nein! Abergläubisch bin ich nicht. Stößt man mit einem Fuß an einen Stein, so fällt er eben. Das hat keinen anderen Sinn, als daß der Stein schwer ist und die Tiefe tief.«

Er zog die Brauen zusammen, als müßte er aus ihren Worten einen Sinn herausgrübeln, der sich nicht finden ließ. »Da haben Sie gewiß was Kluges gesagt. Ich versteh es nur nicht. Vermutlich hat Ihnen die Lies in ihrem Zorn über das leere Buch eine so böse Schilderung von mir gemacht, daß Sie mißtrauisch wurden.«

»Ich? Mißtrauisch? Nein!« Sie sah ihn mit ihren ruhigen, hellen Augen an. »Deswegen könnten Sie ganz gut bei uns wohnen. Ich habe Ihnen den wirklichen Grund ganz offen gesagt. Und da läßt sich nichts ändern.«

»Sie sagen das so bestimmt – da hab ich nicht mehr den Mut –« Er stockte. »Aber daß ich da wieder fort muß, von diesem schönen Fleck Erde! Das fällt mir schwer.« Er wollte ihr die Hand reichen.

Aus der Stube klang die Stimme ihres Vaters: »He, Geiß! Komm herein zu mir!«

»Ja, Papa! Verzeihen Sie einen Augenblick!« Sie eilte ins Haus, flink und leicht wie ein Reh.

Walter sah, daß aus der Stube ein Fenster auf die Veranda führte. Dieses Fenster stand offen, und der alte Herr mußte gehört haben, was die beiden gesprochen. Man hörte auch deutlich seine Stimme aus der Stube herausklingen: »Du, Geiß, das ist doch der, von dem du mir gestern erzählt hast?«

»Der mit dem dicken Buch, ja!« Ein heiteres Lachen, dann ein Flüstern. Walter wollte nicht horchen und trat auf der Veranda in die Sonne hinaus. Der kranke Mann in der Stube hatte ein so kräftiges Organ, daß die paar Schritte Entfernung keine Mauer dagegen bauten. Walter hörte ihn sagen: »Na, meinetwegen! Der malt doch nicht. Und die Philosophen sind keine gefährlichen Leut. Man braucht ihnen nur nicht zu glauben, was sie aus ihrem Gehirn herausbuttern. Und mit dem seiner Philosophie muß es nicht weit her sein! Wenigstens redet er ganz vernünftig. Das ist ein Mensch, aus dem noch ein menschliches Wort herauskommt. Mit dem schwatzen zu können, da freu ich mich drauf.«

Nach einer Weile kam Mathild aus dem Hause, lächelnd. »Papa hat sich anders besonnen.«

»Ich weiß schon!« unterbrach er sie in seiner Freude. »Ihr Vater hat eine Stimme – ich mußte hören, ob ich wollte oder nicht. Also? Darf ich bleiben?«

»Unter einer Bedingung.«

»Einverstanden!«

Sie lachte. »Die ist nicht hart, da können Sie auch voreilig sein. Papa will, daß Sie von dem Preis, den Ihnen gestern unser Mädchen sagte, nur die Hälfte bezahlen.«

»Nein! Nein!« stammelte Walter erschrocken.

»Sie wollen doch bis zum Winter bleiben. Die anderen Stadtleute, die wir im Hause hatten, sind immer schon Ende August wieder fortgegangen, obwohl September und Oktober die schönsten Monate bei uns sind.«

»Da bleib ich natürlich!«

»So bleiben Sie die doppelte Zeit, und alles gleicht sich wieder aus. Sie sind nicht übervorteilt, und Papa hat keinen Nachteil.«

Er streckte die Hand. »Abgemacht.«

»Abgemacht.« Sie legte die Hand in die seine. Und schien etwas sagen zu wollen.

»Fräulein? Wenn Sie noch eine Bedingung haben?«

»Nein!« Ihre Stimme wurde leis. »Nur eine Bitte. Papa ist krank, seit Jahren schon. Er hat so sehr das Verlangen nach Mitteilung, den Wunsch, sich ein bißchen auszusprechen. Möchten Sie da manchmal ein Stündchen mit ihm plaudern, wenn es Ihre Zeit erlaubt?«

»Die Zeit werde ich immer haben! Immer, Fräulein!«

»Ich danke Ihnen.«

Wie er sie ansah! Das hatte er in seinem grauen Leben noch nie erfahren: daß stumme Augen Sprache haben können, die so schön ist und so leicht verständlich. »Wann darf ich kommen? Noch heute?«

»Nein. Die Zimmer waren im Winter nicht bewohnt. Sie sollen sich wohlfühlen.«

»Ich danke Ihnen, Fräulein! Also morgen?«

»Am Nachmittag, ja. So lange brauchen wir, um alles in Ordnung zu bringen.«

»Darf ich Ihren Herrn Vater noch begrüßen?«

»Papa liegt.«

»Morgen also!« Weil sie so ernst geworden, wollte er sie heiter stimmen: »Und das versprech' ich Ihnen, daß ich Ihrem Herrn Vater alle philosophischen Gespräche ersparen werde.«

»Mit Papa können Sie über alles sprechen. Er wird Sie immer verstehen.«

»Davon bin ich überzeugt. Ich habe das auch ganz anders gemeint. Vor der Philosophie scheint Ihr Vater, wie ich schon zu merken bekam, noch einen viel geringeren Respekt zu haben, als ihn die Lies auf dem Hohen Schein vor den dicken Büchern hat.«

Da fand sie ihr heiteres Lachen wieder. »Ja, da ist was Wahres dran. Papa hält viel vom Leben! Wer es seziert, meint er, muß es vorher totgeschlagen haben. Und wer eine Stunde vergrübelt, hat eine lebendige Stunde verloren, die ihm eine Freude hätte sein können.«

»Dann ist Ihr Vater der bessere Philosoph als ich! Ein so schweres Leiden tragen und dabei noch immer gut vom Leben denken? Ich möchte von Ihrem Vater erfahren, wie man das macht.«

»Da brauchen Sie ihn nur kennenzulernen. Papa hat eine Hand, aus der man empfängt. Aber jetzt muß ich ins Haus, wenn Sie morgen Ihre zwei Stuben in Ordnung finden wollen.« Sie reichte ihm die Hand, wie es unter guten Kameraden geschieht. »Auf Wiedersehen!«

Er wiederholte das Wort nicht. Sondern sagte: »Ich danke Ihnen!« Und blieb in der Sonne stehen, bis Mathild im Haus verschwunden war. Dann sah er mit frohem Blick umher, als wäre der Gedanke in ihm: »Das alles gehört jetzt ein wenig auch mir!« Langsam ging er gegen das Tor hinunter. Dabei tauchte die Frage in ihm auf: wie das entstanden wäre, dieses Ruhige und Wohle, das ihn jetzt erfüllte? Seit er zu denken begonnen, hatte er um das Gleichgewicht seiner Seele gerungen. Jahre und Jahre hatte er über seinen Büchern gesessen und den Sack seines Wissens angepfropft, wie ein Geiziger seine Sparstrümpfe füllt. Und mit aller Mühe hatte er sich nie noch die fröhliche Seelenruhe erkämpft, die ihn jetzt erfüllte. Warum? Weil er ein paar freundliche Stuben zur Miete bekam? Fast komisch erschien ihm dieser Gegensatz zwischen Ursache und Wirkung. »Ist das so im Leben, daß immer die simpelste Ursache das tiefste Wunder wirkt?« Aus solchen Gedanken wurde Walter durch den Gruß einer lachenden Stimme geweckt. Das Walperl, einen Henkelkorb am Arme, kam aus dem Dorf, mit kreuzfidelem Gesicht. Augenscheinlich war es der Anblick Walters, der im Walperl diese Lustigkeit erweckte. »Schön guten Morgen!« sagte sie, wobei es spöttisch um ihre Augen zwinkerte. »Haben S' a kleins Spaziergangerl gmacht?«

»Im Scheidhof bin ich gewesen.«

»Gelt, dös is schad, daß Ihnen der Forstmeister die zwei Stüberln net geben kann?«

»Aber ich hab sie doch!«

Das Mädel erschrak. »Was?«

»Morgen zieh ich ein.«

»Jesusmaria!« stotterte Walperl und rannte ohne Gruß davon.

Verwundert guckte Walter dem Mädel nach. »Was hat sie denn?« Während er gegen das Dorf wanderte, blieb er stehen und sah zum Waldsaum hinüber. Da drüben hing was Graues zwischen den Bäumen. Ob das nicht sein Mantel war? Walter ging über die Wiesen hinüber. Richtig, es war sein Mantel, der da zum Trocknen in der Sonne hing, triefend vor Nässe. Daneben lag der Moosjäger im Gras, mit dem Gesicht auf den Armen. Als Walter sich näherte, hob der Bursche den Kopf. Ein bleiches Gesicht, übernächtig, in den verwüsteten Zügen alle Spuren eines nagenden Grams. Walter fühlte Erbarmen mit diesem zerbrochenen Leben. »Guten Morgen!« sagte er freundlich. »Schon ausgeschlafen?«

»Lassen S' mich in Ruh, Sie!« brummte der Moosjäger, ohne sich aufzurichten. »Geht's Ihnen was an ob ich Schlaf hab oder net?«

»Gestern in der Nacht, wie Sie so schön still waren, haben Sie mir besser gefallen, trotz Ihres Rausches.«

Mit hastigem Ruck setzte sich der Moosjäger auf. »Der Mantel da? Is dös der Jhrig?«

»Ja.«

Die Augen des Moosjägers wurden groß. Dann brummte er: »Hätten S' Ihnen net strapazieren brauchen! Im Juni derfriert keiner.«

Bei diesem merkwürdigen Dank fand Walter sein Lachen wieder. »Warum ist denn der Mantel so naß?«

»Soll er net naß werden, wann er gwaschen wird?«

»Gewaschen? Warum denn?«

»Weil ich mir denkt hab, es könnt ihm net taugen, dem unbekannten Samariter, wann er heut sein' Mantel wieder kriegt und merkt, daß er nach'm Zuchthaus schmeckt. So an Gruch vertragen die anständigen Nasen net.« Ein tiefer Atemzug hob die Brust des Burschen. Die Arme um die Knie schlingend, sah er zum Mantel auf, an dessen Saum die hängenden Wassertropfen in der Sonne farbig schimmerten. »Dem tut 's Wasser nix. Der Mantel is gut. Der beste Loden!«

»Wenn Ihnen der Mantel gefällt, können Sie ihn behalten!«

Die Augen des Moosjägers funkelten vor Zorn. »Magst ihn nimmer haben?« schrie er. »Graust dir, weil ich drunter glegen bin?«

»Ich hab es anders gemeint. Aber wenn Sie nicht verstehen wollen, auch gut! Dann bringen Sie den Mantel, wenn er trocken ist, ins Wirtshaus hinüber.« Walter ging davon. Er war schon weit in der Wiese, als er hinter sich den Moosjäger rufen hörte: »Vergeltsgott, Herr! Den Mantel bring ich.«

Walter schien sich einen Augenblick zu besinnen, ob er nicht umkehren sollte. Er ging. Im Wirtshaus sagte er zur Kellnerin: »Wenn der Moosjäger meinen Mantel bringt, geben Sie ihm zu essen und zu trinken. Machen sie es so, als käme das von Ihnen oder vom Wirt. Dann sagen Sie ihm, er soll mir den Mantel hinaufbringen in meine Stube.«

»Herr, lassen S' Ihnen mit dem net ein!« warnte die Kellnerin. »Da haben S' kein' Dank davon! Oder an schiechen!«

»Tun Sie nur, was ich sage!« Er ging in sein Zimmer hinauf und nahm aus dem Rucksack eine kleine Schreibmappe, um seinem Freund, dem Doktor, von den beiden lieben Stuben zu erzählen, die er im Scheidhof gefunden. Seine Feder war so schwatzlustig, daß sich eine Seite um die andere füllte. Es wurde drei Uhr, bis Walter sich an die Mittagszeit erinnerte. Als er die Treppe hinunterstieg, brachte ihm die Kellnerin den Mantel. Der Moosjäger hätte kein Wort geredet, keinen Trunk und keinen Bissen genommen. »Mit'm Kopf hat er an Beutler gmacht und is wieder aussi zur Tür.«

Nach dem Mittagessen ließ Walter ein Wägelchen anspannen und fuhr nach Mitterwalchen, wo er vor dem Aufstieg zum Hohen Schein seinen Koffer zurückgelassen hatte. Als er am Fichtenzaun des Scheidhofes entlang fuhr, guckte er über die grünen Wipfel hinaus, solang er das Dach der Villa noch sehen konnte.

Wie groß der Bogen war, den die Straße um den Scheidhof herum zu machen hatte! Dann kam der sonnige Wald, in dem der Spiegel jenes Teiches blitzte. Nun das offene Feld, und vor Walters Augen lag der Hohe Schein, gleißend im Licht der reinen Sonne. Jetzt wieder Wald. Und wieder stand da der Wagen mit den reichgeschirrten Pferden, und dabei der Knecht, der die Stämme lupfte. Lachend grüßte Walter. Der Gegengruß fiel nicht freundlich aus. »Wie heißt der Bursch da?« fragte Walter den alten Kutscher.

»Fazifanzerl.«

»Um Gottes willen! Ist denn das ein Name?«

»No freilich! Dös heißt soviel wie Bonifazius Venantius. Der Fazifanzerl is a ledigs Kind.«

»Was hat denn das mit seinem Namen zu schaffen?«

»Wie der Fazifanzerl auf d' Welt kommen is, haben wir in Langental an Kaplan ghabt, der's mit die sittlichen Zuständ a bißl scharf gnommen hat. Und daß man die ledigen Kinder gleich kennt, hat er's allweil auf söllene Namen tauft: Marzellinus, Karpasius, Athanaserl, Eleutheria, Speriförgerl. Ja, söllene laufen gnug umanand bei uns.«

»Empörend! Da sollen sie christliche Liebe predigen und hängen einem schuldlosen Kind die Schande an den Namen!«

Der alte Kutscher meinte gutmütig: »Ah na! Kind is Kind. Da macht man bei uns kein' Unterschied.« Er lachte. »Der jetzige Pfarr hat's abgschafft, die alte Mod. Der tauft auf Hansl und Seppl und Nandl und Franzl! D' Namen, sagt er, müssen kurz sein, daß man kein' langen Schnaufer net braucht dazu. Und wahr is! Alls, was an Wert hat im Leben, dös schreibt sich kurz: Tag, Nacht, Weib, Mann, Geld, Fleisch, Brot, Haus, Bett, Gott! Hab ich net recht? Da schauen S' andere Wörter dagegen an! Zum Exempli: Grundsteueraufschlagsquittung, Staatsschuldentilgungsbeitrag. Da wirst gleich gar nimmer fertig damit! Ja, ja! Unser Herr Pfarr! Der is für die kurzen Wörtln, die eim Zeit lassen zum Leben.« Der Alte schwenkte die Peitsche um den Kopf des Schimmels. »Wissen S', unser Herr Pfarr is von die Guten einer! Den haben s' aus Straf zu uns auffi versetzt. Wir sind froh, daß wir ihn haben. Ja! Meiner Tochter ihr Büberl hat er auf Maxl tauft. Is auch a ledigs Kind. Brummt hab ich freilich, wie 's Madl so dagsessen is. Aber was willst denn machen? Kind is Kind. Schaut eins wie 's ander aus. Kommt bloß drauf an, wie sie sich auswachsen. Hab ich net recht? Und wann sich meiner Zenz ihr Maxerl amal als Mannsbild so anlaßt wie der Fazifanzerl, nachher bin ich schon zfrieden. Der Fazifanzerl is a Mannsbild, auf dös man sich verlassen kann, wie 's Lebendige aufs Sterben. Kein Wirtshaus, kei' Weibsbildergaudi! Arbeiten, daß er an Berg umreißt! Wann der Scheidhofer den Fazifanzerl net hätt! Mar' und Josef! Natürlich, so an Anwesen, und der Bauer krank seit Jahr und Tag, die Kinder alle ausgstorben, kein Verwandts nimmer da. So groß der Scheidhof is, der tät zammbröseln wie an altbachener Gugelhupf. Aber der Fazifanzerl und die Grillenmahm –«

»Die Sennerin auf dem Hohen Schein?«

»Ja! Die zwei Leut halten dös mächtige Anwesen in Stand, daß alles glitznet! Da is kein Bauer im Tal. der dem Scheidhofer den Fazifanzerl net auskaufen tät mit eim Sack voll Geld. Aber der Bub is wie der Steinblock auf der Alm. Der sagt: da bin ich, da bleib ich. Und die Bauerntöchter! Die sind hinter ihm her wie die Katzen hinterm Gockel, wenn ihm d' Federn glanzen in der Sonn. Da, schauen S'!« Der Alte deutete mit der Peitsche nach einem stattlichen Gehöft, vor dessen Haustür eine junge Person im Schatten des Daches stand. Walter erkannte sie gleich. Es war jenes hübsche Mädel mit dem feinen Schuhzeug. »Beim Schrottenbacher heißt man's da! Und 's Madl heißt Vev. Da brauchet der Fazifanzerl mit'm Finger bloß a Hakerl machen. Aber mögen tut er net.«

Walter lachte. »Dann wird der Bonifazius Venantius wohl seinen guten Grund haben.«

»Kann schon sein, ja.«

»Ob sein Grund nicht Walperl heißt?«

»Ah na! So a Narr wird er ja doch net sein, daß er sich eine aufgabelt, die nix hat als ihre Rosmucken. Wo er sich 's Beste aussuchen kann! Aber weil er gar so zuwarterisch is, denk ich mir allweil: am End paßt er drauf, daß ihn der Scheidhofer amal ins Testament setzt.« Der Alte kicherte. »Da wird er mit'm Herrn Kaplan ins Raufen kommen. Der möcht mit'm Scheidhofer seiner Erbschaft unser alte Kirch umbauen. Aber beim Scheidhofer hat's auslassen mit der Frömmigkeit. No ja, unser Herrgott muß sein' eignen Willen haben und muß alles machen können, wie er meint, daß 's am besten is für d' Weltregierung. Aber a bißl sollt er schon dran denken, daß der Mensch an wehleidigen Buckel hat. Beim Scheidhofer is 's Maßl überglaufen. Vier Kinder hat er ghabt, beim letzten is ihm 's Weib am Fieber gstorben, sein jüngster Sohn hat beim Fensterln den Hals brochen, zwei Buben sind im Feldzug gfallen, 's Madl hat beim Erdbeersuchen an Viperstich kriegt, und der Alte is krank, ich weiß net wie lang. Was hat er jetzt von seim Sach? Mein' Taglohn hab ich, sonst nix, und möcht net tauschen mit'm Scheidhofer. Freilich, viel Verdruß hat mir mein Zenzerl gmacht. Aber ich hab doch mein Madl! Auf's Haben kommt's an! – Hüh, Schimmele, schlaf mir net ein! – Schauen S', ich hab mir oft schon denkt: 's Leben is wie a Hasenstall. Haben s' ihr Gras und kann sich die ganz scheckete Familli in der Kälten zammhuscheln, daß s' schön warm haben, so müssen s' zfrieden sein. Hab ich net recht? A warms Fleckl am Herzen und a bißl was Lebendiges, dös sich dranhin schmuggelt – 's ander is alles für nix! Schauen S' den Scheidhofer an! Hüh, Schimmele!«

Walter drehte sich im Wägelchen um. Da draußen im Glanz der Sonne lag der Scheidhof wie ein kleines Königreich. Und doch ein Reich der Schmerzen! Weib und Kinder verlieren und einsam bleiben, ein siecher Greis! Dieses Bild warf einen trüben Schatten über die warme Freude, die Walter an seinen zwei »lieben Stuben« gefunden. Während er zurückblickte, kam es aus den goldig umflimmerten Baumkronen des Scheidhofes herausgeschritten und holte ihn ein und wanderte neben dem rüttelnden Wagen her: die grau verhüllte Gestalt eines Riesen. »Schmerz! Der Allgegenwärtige in allem Leben, das bist du! Wo Leben atmet, geht dein Schritt. Wer kann sich schützen vor dir? Wer stumpf und wunschlos wird? Und zitternd unterkriecht im Hasenstall?« Dieser Gedanke zeigte ihm ein Bild, das grauenvoll und komisch war. Eine dunkle, endlos scheinende Höhle mit einer unzählbaren Menge weißer, gesprenkelter und schwarzer Kaninchen, dicht aneinandergehuschelt. Sooft sie ein Geräusch vernahmen, fuhren sie erschrocken zusammen und spitzten die Ohren. Und immer wieder griff eine mächtige Faust von oben herein, wie die Hand des Schlächters, und hob so ein zappelndes Ding aus dem Stall, irgend wohin, eines ums andere, Tausende. Dennoch wurde die gepferchte Menge der kleinen Hasen immer größer.

Da sagte der alte Kutscher: »Morgen gibt's wieder an nobeln Tag! Schauen S' auffi!« Er deutete mit der Peitsche nach dem Hohen Schein.

Die Felspyramide des Berges brannte in der Nachmittagssonne wie eine goldene Flamme, und der grobsteinige Weg, der da droben von der Sennhütte zum Waldsaum führte, war so schimmerig anzusehen, als wäre das Almfeld umschlungen von einer Perlenschnur.


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