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Fünftes Kapitel

Am nächsten Tage wurde er aus dem Atelier gerufen, um ein Phänomen anzustaunen: Johnny Dromore in sehr eleganter Kleidung, der mit unnatürlicher Zuvorkommenheit mit Sylvia sprach, wobei er sich alle Mühe gab, nicht zu glotzen. »Mrs. Lennan reiten? Aha, zu beschäftigt, natürlich! Helfen wohl Mark bei seinem – eh – was? Nicht? Lesen wohl 'ne Menge? Nie selbst zum Lesen gekommen – fatal, keine Zeit zum Lesen zu haben!« Und Sylvia hörte zu und lächelte ganz still und sanft.

Wozu war Dromore hergekommen? Das Gebiet auszukundschaften, um herauszufinden, warum Lennan und seine Frau dem Begriff ›nicht rechtmäßig‹ keine Wichtigkeit beimaßen, ob ihr Haus überhaupt respektabel war … Einen ›Wie-heißt-man's-gleich‹ mußte man sich zweimal ansehen, selbst wenn man mit ihm einst das Studierzimmer geteilt hatte! … Es war ihm natürlich hoch anzurechnen, daß er so auf seine Tochter achtgab auf Kosten der Zeit, die er der Erschaffung des vollkommenen Rennpferdes hätte widmen sollen! Am Ende schien er zu dem Schluß zu kommen, daß sie Nell nützlich sein könnten in der bevorstehenden unbequemen Zeit, wo sie in Gesellschaft zu gehen haben würde, schien sogar in den Bann von Sylvias offenbarer Güte zu geraten – denn er gab seine gewohnte Wachsamkeit gegen das Übervorteiltwerden in des Lebens ewiger Wette auf, legte die Rüstung des Spottes ab. Welch eine Erleichterung, zu sehen, daß, sowie er von Sylvia fort war, jene vertraute heidnische Neugier sich in seine Augen zurückstahl, als hofften sie, entgegen der väterlichen Hoffnung, irgendwo etwas – eh – Amüsantes zu entdecken in jenem geheimnisvollen Mekka des Vergnügens, dem Atelier eines ›Wie-heißt-man's-gleich‹! Köstlich zu beobachten, wie Erleichterung und Enttäuschung miteinander um die Herrschaft rangen! Ach, kein einziges Modell, nicht einmal eine Statue ohne Kleider! Nichts als Büsten, Gipsabgüsse von Tieren und was dergleichen Nüchternheiten mehr waren, nicht das Allergeringste, das auf den Wangen eines jungen Mädchens ein Erröten oder in den Augen eines Johnny Dromore ein Leuchten hervorgerufen hätte!

Mit welch neugierigem Schweigen er immer wieder um die Gruppe der Schäferhunde wanderte und sie mit seiner langen, krausgezogenen Nase beschnüffelte! Mit welch sonderbarer Plötzlichkeit er sagte: »Verdammt gut! Möchtest du mir nicht Nell zu Pferde machen?« Mit welch lauernder Ungewißheit er auf die Antwort wartete:

»Ich könnte vielleicht eine Statuette von ihr machen; dann sollst du einen Abguß bekommen.«

Glaubte Dromore am Ende, daß etwas anderes dahintersteckte? Denn ein paar Sekunden lang verharrte er unbeweglich, ehe er murmelte, als schließe er eine Wette ab:

»Abgemacht! Und wenn du mit ihr reiten willst, um es herauszubekommen, kann ich dir immer ein Pferd geben.«

Als er fort war, starrte Lennan in der zunehmenden Dämmerung die unvollendete Gruppe der Schäferhunde an. Wieder dies irritierende Gefühl beim Zusammentreffen mit etwas Fremdem, Feindseligem, Verständnislosem! Warum diese Dromores so in sein Leben eingreifen lassen? Er verschloß das Atelier und ging in den Salon zurück. Sylvia saß dicht am Kamin, starrte ins Feuer und rutschte dann zu ihm hin, um sich gegen seine Knie zu lehnen. Das Licht einer Kerze auf ihrem Schreibtisch beleuchtete ihr Haar, Wange und Kinn, die die Jahre so wenig geändert hatten. Ein hübsches Bild mit dieser einen flackernden Kerzenflamme, die allmählich, unfehlbar, das bleiche Wachs abbrannte, der Kerzenflamme, dem lebendigsten aller leblosen Dinge, die am meisten einem Geist gleicht, so sanft und ungewiß, daß man sie kaum für Feuer halten sollte. Ein Windstoß blies sie hin und her; er stand auf, um das Fenster zu schließen, und wie er zurückkam, sagte Sylvia:

»Mr. Dromore gefällt mir. Ich glaub, er ist netter, als er aussieht.«

»Er hat mich gebeten, eine Statuette seiner Tochter zu Pferde zu machen.«

»Wirst du's tun?«

»Ich weiß noch nicht.«

»Wenn sie wirklich so hübsch ist, solltest du's tun.«

»Hübsch ist kaum das rechte Wort, aber sie ist ungewöhnlich.«

Sie wandte sich um, sah zu ihm auf, und instinktiv fühlte er, daß eine schwer zu beantwortende Frage kommen würde.

»Mark!«

»Ja?«

»Ich hab dich schon oft fragen wollen – fühlst du dich eigentlich in der letzten Zeit glücklich?«

»Natürlich. Warum nicht?«

Was anderes konnte er sagen? Von seinen Gefühlen in den letzten Monaten zu sprechen, von jenen Gefühlen, die jedem so lächerlich vorgekommen wären, der sie nicht selbst empfunden, hätte sie nur entsetzlich beunruhigt.

Und nachdem Sylvia diese Antwort erhalten, wandte sie sich wieder dem Feuer zu und lehnte sich schweigend gegen seine Knie.

Drei Tage später sprangen die Schäferhunde plötzlich aus der Stellung auf, in die er sie mit soviel Mühe gelockt hatte, und liefen nach der Ateliertür. Draußen auf der Straße war Nell Dromore auf einem schlanken kleinen schwarzen Pferd mit einem weißen Mal auf der Stirn, einem weißen Huf und teuflischen, kleinen spitzen Ohren, deren Enden sich fast berührten.

»Pa sagte, ich sollte herreiten, um Ihnen Magpie zu zeigen. Er steht nicht gern still. Sind das Ihre Hunde? Was für Prachtkerle!«

Sie hatte ihr Knie bereits aus dem Sattelhorn gezogen und glitt vom Pferde; die Schäferhunde standen augenblicklich auf den Hinterfüßen und drängten sich gegen ihre Taille. Lennan hielt das schwarze Pferd am Zügel – ein bizarres kleines Wesen, ganz Muskeln und Feuer, mit einer seidenglänzenden Haut, feuchten Augen, ganz geraden Hechsen und einem dünnen gestutzten Schweif, der auf sie herabhing. Das kleine Geschöpf hatte gar nicht jenes alltägliche hübsche Aussehen, das auf den Künstler so ermutigend wirkt.

Er hatte die Reiterin vergessen, bis sie von den Hunden aufsah und sagte: »Gefällt er Ihnen? 's ist wirklich nett von Ihnen, daß Sie uns modellieren wollen.«

Nachdem sie fortgeritten war, wobei sie zurückgeblickt, bis sie um die Ecke bog, versuchte er wieder, die beiden Hunde in die frühere Stellung zu locken. Aber sie wollten nicht mehr sitzen, sondern gingen in einem fort zur Tür, wo sie schnüffelten und lauschten; und über alles kam eine Unruhe, alles schien aus dem Geleise gebracht.

Noch am selben Nachmittag ging er auf Sylvias Vorschlag mit ihr zu Dromores.

Wie sie hineingeführt wurden, hörte er einen Mann mit hoher Stimme in einer Sprache reden, die nicht seine eigene war, dann das Mädchen:

»Nein, nein, Oliver! Dans l'amour il y a toujours un qui aime et l'autre qui se laisse aimer.«

Sie saß in ihres Vaters Stuhl, und gegen das Fenstersims lehnte lässig ein junger Mann, der sich erhob und mäuschenstill dastand, einen fast dreisten Ausdruck in seinem breiten, hübschen Gesicht. Lennan sah ihn mit prüfendem Interesse an – etwa vierundzwanzig mochte er sein, war recht stutzerhaft gekleidet, glattrasiert, hatte dunkles Kraushaar, weit auseinanderstehende haselnußbraune Augen und wie auf der Photographie einen seltsam kühnen Blick. Als er sich zu einem Gruß herabließ, klang seine etwas träge, die Worte ein wenig dehnende Stimme ziemlich hoch und nicht unangenehm.

Sie blieben nur wenige Minuten, und wie sie die schwach erhellten Treppen wieder hinuntergingen, bemerkte Sylvia:

»Wie herzig sie ›Guten Abend‹ sagte – als ob sie das Gesicht zum Kuß hinhielte! Sie ist wirklich entzückend! Das scheint auch der junge Mann zu glauben. Sie passen gut zusammen.«

Etwas plötzlich erwiderte Lennan:

»Hm! Du kannst recht haben.«


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