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Glitzern von tausend Lichtern; Plaudern und Murmeln zahlloser Stimmen, Schritte, Gelächter; Zischen und Rollen vorbeisausender Züge, die Spieler nach Nizza oder Mentone zurückbringen; fiebriges Wimmern der Violinen der vier Fiedler von weiß-dunklem Teint vor dem Café; und dahinter, darüber und rund umher der dunkle Himmel, die dunklen Berge und das dunkle Meer wie eine große dunkle Blume, an deren Herz sich ein juwelenschimmernder Käfer klammert. Das war Monte Carlo in jener Mainacht des Jahres 1887.
Mark Lennan aber, der an einem kleinen Marmortischchen saß, befand sich in zu großer Verzückung und Entrücktheit des Geistes und der Sinne, um den Glanz, das Gewirre und all die Schönheit zu bemerken. Er saß so still, daß seine Nachbarn mit der instinktiven Abneigung des Menschen gegen alles, was nicht zur eignen Stimmung paßt, nach einem einzigen prüfenden Blick sich abwandten, als käme ihnen sein Benehmen lächerlich, ja fast beleidigend vor.
Er war in der Tat ganz in die Erinnerung der gerade verstrichenen Minuten verloren. Denn endlich war es soweit, nach all diesen Wochen der Gärung, nach all dieser sonderbaren Zeit der Unruhe.
Fast unmerklich war es über ihn gekommen, seit jener zufälligen Vorstellung vor etwa einem Jahre, bald nachdem er sich nach seinem sechsjährigen Aufenthalt in Rom und Paris in London niedergelassen hatte. Erst bloße Freundschaft, weil sie so nett von seinen Werken sprach; dann respektvolle Bewunderung, weil sie so schön war; dann Mitleid, weil sie so unglücklich in ihrer Ehe war. Wenn sie glücklich gewesen wäre, hätte er sich sofort zurückgezogen. Doch das Bewußtsein, daß sie unglücklich gewesen war, schon lang ehe er sie gekannt, beruhigte sein Gewissen. Und schließlich hatte sie an einem Nachmittag gesagt: »Ach, wenn Sie doch auch hinkämen!« Wunderbar, unmerklich hatten diese paar entschlüpften Worte in ihm gearbeitet, als besäßen sie ein eigen Leben – wie ein seltsamer Vogel, der in den Garten seines Herzens geflogen war und sich dort eingenistet hatte mit seinem neuen Lied und seinem Flattern, seinen neuen Flügen, seinem wie fragenden, immer deutlicheren Ruf. Diese Worte und ein paar Tage später ein Augenblick in ihrem Londoner Salon, als er ihr sagte, daß er kommen würde, und sie ihn nicht ansah – er fühlte: nicht ansehn konnte. Seltsam, daß nicht ein folgenschweres Wort, nicht eine folgenschwere Tat, ja, nicht einmal eine unterlassene Tat die ganze Zukunft geändert hatte!
Und so war sie mit ihrem Onkel und ihrer Tante abgereist, und man konnte sicher sein, daß ihr unter deren Schutz nichts Unerwünschtes oder Abenteuerliches zustoßen würde. Folgenden kurzen Brief hatte er von ihr erhalten:
›Hotel Cœur d'Or,
Monte Carlo
Mein lieber Mark!
Wir sind hier angekommen. Es tut so wohl, in der Sonne zu sein. Die Blumen sind wundervoll. Ich warte mit Gorbio und Roquebrune, bis Sie kommen.
Olive Cramier‹
Dieser Brief war die einzige klare Erinnerung an die Zeit zwischen ihrer Abreise und der seinigen. Er erhielt ihn an einem Nachmittag, als er auf einer alten niedrigen Gartenmauer saß, die Frühlingssonne durch blühende Apfelbäume auf ihn herabschien und er ein Gefühl hatte, als wenn alles, was man sich nur wünschen kann, vor ihm läge und er bloß die Hand auszustrecken brauchte, um es zu fassen.
Dann verworrene Unruhe, alles unbestimmt, bis er am Ende einer Reise in Beaulieu mit wildklopfendem Herzen aus dem Zug stieg. Aber warum nur? Er hatte doch unmöglich erwarten können, daß sie von Monte Carlo hierherkommen würde, um ihn zu treffen!
Seit damals war eine Woche vergangen, in der er immer nur getrachtet hatte, mit ihr zusammen zu sein und doch andern gegenüber sich so zu benehmen, als wäre ihm nicht viel daran gelegen; zwei Konzerte, zwei Spaziergänge mit ihr allein, bei denen es ihm vorgekommen war, als hätte er mit allen seinen Worten so gut wie nichts gesagt, als wären ihre Worte nur Schatten von dem gewesen, was er zu hören verlangte; eine Woche der Verwirrung, Tag und Nacht, bis vor wenigen Minuten ihr Taschentuch aus dem Handschuh auf die staubige Straße gefallen war – er hatte es aufgehoben und an die Lippen gedrückt. Nichts konnte den Blick ungeschehen machen, mit dem sie ihn dabei angesehen hatte. Nichts konnte sie jemals wieder gänzlich von ihm trennen. Sie hatte sich darin zu demselben süßen, wirren Bangen bekannt, das auch ihn erfüllte. Sie hatte nichts gesagt, aber er hatte gesehen, wie ihre Lippen sich öffneten, wie ihre Brust sich hob und senkte. Und auch er hatte nichts gesagt. Was sollten ihnen Worte?
Er griff in die Tasche seines Rockes. Da, zwischen den Fingern fühlte er das kleine Stückchen Batist und Spitze, weich und wie lebendig; heimlich zog er es hervor. Sie selbst, mit ihrem Duft, schien sich an seine Wange zu schmiegen, als der mit weißen Sternchen bestickte Saum ihres Tuches sein Gesicht berührte. Verstohlener denn je steckte er es wieder ein und blickte sich zum ersten Male um. Diese Leute! Sie gehörten einer Welt an, die er verlassen hatte. Sie ließen ihn dasselbe fühlen wie ihr Onkel und ihre Tante, als sie eben gute Nacht gesagt hatten und ihr ins Hotel gefolgt waren. Der gute Oberst, die gute Mrs. Ercott! Die Verkörperung der Welt, in der er aufgewachsen war, die Personifizierung des englischen Standpunktes; symbolische Gestalten der Gesundheit, der Vernunft und des geraden Weges, dem er in diesem Augenblick offenbar den Rücken gewandt hatte. Des Obersten Antlitz, rötlich trotz der sonnengebräunten Haut, mit dem grauen Schnurrbart, der jede Pomade verschmähte, sein heiteres, mit hoher Stimme gesprochenes ›Gute Nacht, Lennan!‹ Das anmutige Lächeln seiner Frau, ihre eintönige, weiche, vertrauliche Stimme wie fremd, wie fern sie ihm plötzlich schienen! Und all die Leute hier, die plauderten und tranken – wie sonderbar und wie weit weg! Oder war er es, der den Leuten so sonderbar und fremd schien?
Er erhob sich von seinem Tisch und schritt an den Fiedlern mit dem weiß-dunklen Teint vorbei hinaus auf den Platz.