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Thérèse glitt, in dunkles Grau gekleidet, durch die blühenden Goldregenbüsche. Die Sandbeerensträucher bedeckten mit ihren silberweißen Sternen die steil abfallende Terrasse, und über die Berglehne schoß der Lorbeer seine duftenden Flammenpfeile. Das weite Talrund von Florenz stand in voller Blüte.
In dem Balsamduft des Gartens wandelte Vivian, ganz in Weiß.
»Jetzt sehen Sie, Darling, daß Florenz wirklich die Stadt der Blumen ist und nicht mit Unrecht die rote Lilie im Wappen trägt. Heute ist ein Festtag, Darling.«
»Ach wirklich? – Ein Festtag?«
»Aber, Darling, wissen Sie denn nicht, daß heute der erste Mai ist – Primavera? Ist es Ihnen heute früh nicht vorgekommen, als ob Sie in einem Feengarten erwachten? O Darling, wollen Sie das Blumenfest nicht feiern? Fühlen Sie sich nicht glücklich? Sie lieben doch die Blumen so sehr. Ja, ich weiß, daß Sie das tun, my love, Sie haben so viel Sinn dafür. Sie haben mir einmal gesagt, daß die Blumen Freude und Schmerz empfinden, daß sie ebenso leiden können wie wir.«
»Ach, ich habe gesagt, daß sie leiden wie wir?«
»O ja, das haben Sie. Und heute ist das Blumenfest. Wir müssen es ebenso wie unsere Vorfahren feiern, nach dem geheiligten Brauch der alten Meister.«
Thérèse hörte zu, ohne zu verstehen, und zerknitterte unter ihrem Handschuh den Brief, den sie eben erhalten hatte – einen Brief mit italienischer Marke, der nur diese zwei Zeilen enthielt: »Ich bin heute abend im Hotel Grande Bretagne, Lungarno Acciaoli, abgestiegen und erwarte Dich morgen früh. Nr. 18.«
»Oh, Darling, Sie wissen nicht, daß es in Florenz Sitte ist, jedes Jahr am ersten Mai den Frühling zu feiern? Aber dann haben Sie ja auch nicht ganz verstanden, was Botticelli mit jenem Bilde sagen will, das er zur Feier des Blumenfestes gemalt hat, mit seinem lieblichen und träumerisch fröhlichen ›Frühling‹. Früher lebte an diesem Tage die ganze Stadt in Festesfreude. Über den Corso waren Blumenbogen gespannt, darunter gingen in langem Zuge die jungen Mädchen in festlichen Gewändern und mit Weißdornkränzen im Haar; sie schritten im Reigen über das junge Gras unter den Lorbeerbäumen. Und wir wollen es ebenso machen. Wir wollen im Garten tanzen.«
»Ach, im Garten tanzen?«
»Ja, Darling, und ich werde Sie toskanische Pas aus dem fünfzehnten Jahrhundert lehren, die Morisson, der Senior der Londoner Bibliothekare, in einem alten Manuskript aufgefunden hat. Kommen Sie möglichst bald zurück, Darling, dann setzen wir Blumenkränze auf und tanzen.«
»Ja, Liebster, wir wollen tanzen.«
Damit stieß sie die Gittertür auf und eilte den kleinen Weg hinab, der wie das Bett eines Wildbachs ausgewaschen war und an dem Rosenbüsche die Steine überblühten. Sie warf sich in den ersten Wagen, den sie fand. Der Kutscher hatte Kornblumen am Hut und am Peitschenstiel.
»Lungarno Acciaoli. Hotel Grande Bretagne.«
Sie wußte, wo das war – Lungarno Acciaoli. Sie war des Abends dort gegangen, und sie sah wieder, wie der goldene Abendschein auf der bewegten Oberfläche des Wassers in zitternden Reflexen zerbrach. Und dann war sie dort gewesen, als es schon ganz dunkel war und nur das dumpfe Murmeln des Flusses durch die Stille klang. Ach und die Worte und die Blicke, die sie so tief erregt hatten – der erste Kuß ihres Freundes, der erste Schritt auf dem Wege ihrer Liebe, den sie niemals wieder zurückgehen konnte! O ja, sie kannte den Lungarno Acciaoli und das Flußufer jenseits des Ponto Vecchio! . . . Hotel Grande Bretagne – sie kannte es auch: eine breite Steinfassade, die auf den Quai hinausging. Es war noch ein Glück, daß er dort wohnte, da er nun einmal gekommen war. Ebensogut hätte er im Hotel de la Ville an der Piazza Manin, wo Dechartre wohnte, absteigen können. Es war wenigstens noch gut, daß sie nicht auf demselben Korridor, Tür an Tür wohnten. – Lungarno Acciaoli! – Und jener Tote, den damals die Vermummten in wilder Eile an ihnen vorbeigetragen hatten, der schlummerte jetzt wohl ruhig irgendwo auf einem kleinen blühenden Friedhof . . .
Nummer 18. – Es war ein kahles Hotelzimmer, mit einem Ofen, wie man sie in Italien zu sehen pflegt. Auf dem Tisch lag peinlich sorgfältig ausgebreitet eine Garnitur Bürsten, daneben das Kursbuch, sonst waren weder Bücher noch Zeitungen zu sehen.
Er war da. Sie sah an seinem eingefallenen, fieberhaft erregten Gesicht, daß er sehr gelitten hatte, und es machte einen peinlichen und traurigen Eindruck auf sie. Er wartete auf ein Wort oder auf eine Bewegung von ihr, aber sie stand ihm fremd gegenüber und rührte sich nicht. Dann bot er ihr einen Stuhl an. Sie schob ihn weg und blieb stehen.
»Thérèse, es ist irgend etwas zwischen uns, was ich nicht weiß. Sag es mir.«
Sie schwieg einen Augenblick und antwortete dann langsam und schmerzlich: »Mein Freund, warum bist du damals fortgereist, als ich noch in Paris war?«
Ihr trauriger Ton erweckte den Glauben in ihm, daß sie ihm zärtliche Vorwürfe machen wollte. Sein Gesicht belebte sich, und er erwiderte lebhaft: »Ach, wenn ich das vorhergesehen hätte! Ja, diese Jagdpartie – du weißt recht gut, wie wenig mir daran lag. Aber dein Brief vom siebenundzwanzigsten«, er besaß das Talent, sich an Daten zu erinnern, »hat mich in eine furchtbare Unruhe versetzt. Damals ist irgend etwas geschehen. Sag mir die Wahrheit.«
»Nun, ich habe geglaubt, daß du mich nicht mehr liebtest.«
»Aber jetzt, da du das Gegenteil weißt?«
»Jetzt –«
Sie blieb mit herabhängenden Armen und gefalteten Händen stehen. Dann sagte sie mit erkünstelter Ruhe: »Mein Gott, Robert, wir beide haben uns angehört, ohne zu wissen, was wir taten. Das weiß man ja niemals. Du bist jung, eigentlich jünger als ich, da wir ungefähr im selben Alter stehen. Und du hast doch gewiß Pläne für die Zukunft.«
Er blickte ihr gerade ins Gesicht, und sie fuhr etwas unsicher fort: »Deine Verwandten, deine Mutter, deine Tanten und dein Onkel, der General, haben Pläne für dich gemacht. Das ist natürlich. Und ich hätte dir im Wege sein können. Es ist besser, wenn ich aus deinem Leben verschwinde. Wir werden einander in gutem Andenken behalten.«
Sie reichte ihm die behandschuhte Rechte hin. Aber er schlug die Arme übereinander.
»Du willst also nichts mehr von mir wissen. Du glaubst, du hast mich so glücklich gemacht, wie noch kein Mann gewesen ist, um mich jetzt einfach beiseite zu schieben, und damit gut. Wirklich, du scheinst zu denken, daß du mit mir fertig bist. Was hast du mir eben gesagt? Ein Verhältnis – jawohl, so etwas kann man lösen. Man findet sich zusammen, und man läßt sich wieder laufen. Aber du – nein, du bist keine Frau, die man wieder losläßt.«
»Ja, du hast vielleicht mehr in mir zu sehen geglaubt, als das gewöhnlich der Fall ist. Ich bin dir mehr gewesen als ein bloßer Zeitvertreib. Aber wenn ich nun nicht die Frau bin, für die du mich gehalten hast – wenn ich dich hintergangen habe – wenn ich leichtfertig bin du weißt ja, daß man so von mir gesprochen hat –, kurz, wenn ich dir gegenüber nicht so gehandelt habe, wie ich hätte handeln sollen – –«
Sie hielt inne, dann fuhr sie in ernstem reinem Ton, der zu ihren Worten im Widerspruch stand, fort: »Wenn ich, während ich dir angehörte, Anfechtungen gehabt, an andere gedacht habe, wenn ich dir sage, daß ich überhaupt keines tieferen Gefühls fähig bin – –«
»Du lügst«, unterbrach er sie.
»Ja, ich lüge. Und ich habe schlecht gelogen. Ich wollte unsere gemeinsame Vergangenheit besudeln, und das war unrecht von mir. Du weißt, wie es zwischen uns gewesen ist. Aber – –«
»Aber?«
»Ach, nichts weiter, als was ich dir immer gesagt habe. Ich fühle mich meiner selbst nicht sicher. Man sagt ja, daß es Frauen gibt, die für sich bürgen können. Ich habe dir schon gesagt, daß ich nicht zu denen gehöre und daß ich nicht für mich einstehen kann.«
Er warf den Kopf hin und her wie ein gereiztes Tier, das noch zögert, ehe es sich auf seinen Gegner stürzt.
»Was willst du damit sagen. Ich verstehe dich nicht. Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Drücke dich deutlicher aus – hörst du – deutlich. Es liegt irgend etwas zwischen uns. Ich weiß nicht, was es ist. Aber ich will wissen, was ist es.«
»Ich habe es dir ja gesagt, Robert, daß ich keine Frau bin, die ihrer selbst sicher ist, und daß du nicht auf mich rechnen durftest. Nein, das hättest du nicht tun sollen. Ich habe dir nichts versprochen. Und selbst wenn ich es versprochen hätte – was haben denn Worte für einen Wert?«
»Du liebst mich nicht mehr. Ach, deine Liebe ist zu Ende, ich sehe es. Aber um so schlimmer für dich, denn ich, ich liebe dich! Du brauchtest dich mir nicht hinzugeben. Aber denke nicht, daß du dich wieder zurücknehmen kannst. Ich liebe dich, und ich will dich behalten. Hast du wirklich geglaubt, dich dieser Liebe so ruhig wieder entziehen zu können? Hör mal gut zu. Du hast dein möglichstes dazu getan, daß ich dich lieben mußte, daß ich an dir hänge und daß ich nicht mehr ohne dich leben kann. Wir haben unsagbare Wonnen miteinander genossen. Und du hast deinen Anteil daran nicht zurückgewiesen. Oh, ich habe dich nicht mit Gewalt an mich gerissen. Du hast es selbst gewollt. Es sind noch keine sechs Wochen her, daß du selbst dir nichts Besseres wünschtest. Du warst mein alles, und ich war alles für dich. Es gab Augenblicke, wo wir nicht mehr wußten, ob du ich oder ich du wäre. Und nun verlangst du mit einem Male von mir, daß ich nichts mehr von alledem wissen soll, daß ich dich nicht mehr kenne. Ich soll nur noch eine Fremde in dir sehen, eine Dame, die man hier und da in Gesellschaften trifft. Deine Dreistigkeit ist wirklich großartig! Sieh mal an – ich habe wohl nur geträumt? Deine Küsse, dein Atem, den ich auf meinem Halse gefühlt habe, der Aufschrei deiner Lust – das ist also alles nicht wahr gewesen? Habe ich es etwa erfunden? O nein, soviel ist gewiß, du hast mich geliebt. Ich fühle sie noch, deine Liebe von einst. Nun, ich habe mich nicht verändert, ich bin noch derselbe, der ich war. Und du hast mir nichts vorzuwerfen. Ich habe dich nicht mit anderen Frauen betrogen. Nicht etwa, als ob ich mir das zum Verdienst anrechnen wollte. Ich wäre gar nicht dazu imstande gewesen. Wer dich besessen hat, den wird selbst das schönste Weib nicht mehr reizen. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, dich zu betrügen. Und ich habe mich dir gegenüber immer als Gentleman benommen. Warum solltest du mich denn nicht mehr lieben können? Aber so sprich doch ein Wort, antworte mir doch, sage mir, daß du mich noch immer liebst! Sage es, weil es die Wahrheit ist. Komm zurück, Thérèse, und du wirst fühlen, daß du mich noch ebenso liebst wie früher, in unserem kleinen Liebesnest in der Rue Spontini, wo wir so glücklich gewesen sind. Komm.« In glühendem Verlangen breitete er die Arme nach ihr aus und stürzte auf sie zu. Aber sie stieß ihn mit eisigem Abscheu zurück und blickte ihn voller Schrecken an.
Jetzt hatte er begriffen. Er blieb stehen und sagte: »Du hast einen Liebhaber.«
Langsam senkte sie den Kopf und erhob ihn dann wieder, stumm und ernst.
Und nun schlug er sie ins Gesicht, auf die Brust, die Schulter. Aber im nächsten Augenblick wich er beschämt zurück. Er schlug die Augen nieder und sagte kein Wort. Dann führte er seine Finger an die Lippen und biß sich auf die Nägel, und nun bemerkte er, daß er sich die Hand an einer Nadel ihres Kleides blutig gerissen hatte. Er warf sich in einen Lehnstuhl, zog das Taschentuch hervor, um das Blut abzutrocknen, und blieb dann gleichgültig sitzen, als ob er an nichts mehr dächte.
Sie lehnte leichenblaß an der Tür, mit hoch erhobenem Kopf blickte sie ins Leere. Dann band sie ihren zerrissenen Schleier los und rückte den Hut mit mechanischer Sorgfalt wieder zurecht. Er hörte, wie ihr zerknittertes Kleid leise raschelte, und bei diesem Geräusch, das ihn vor kurzem noch beseligt hatte, zitterte er, blickte sie an, und der Zorn kam wieder über ihn.
»Wer ist es? Ich will es wissen!«
Sie rührte sich nicht. Auf ihrem weißen Gesicht brannte ein rotes Mal, wo seine Faust sie getroffen hatte. Dann erwiderte sie mit ruhiger Festigkeit: »Was ich dir sagen konnte, habe ich dir gesagt. Frage mich nicht weiter, es würde doch nichts nützen.«
Er sah sie an, und ein Ausdruck von Grausamkeit, den sie noch nie an ihm gesehen hatte, lag auf seinem Gesicht: »Oh, du brauchst mir seinen Namen nicht zu sagen. Ich werde ihn auch so zu erfahren wissen.«
Sie schwieg. Sie war traurig um seinetwillen und unruhig, wenn sie an den andern dachte. Aber bei all ihrer Angst und Besorgnis fühlte sie dennoch weder Reue noch bitteren Schmerz, denn ihre Seele war weit fort.
Er schien zu ahnen, was in ihr vorging, und es reizte seinen Zorn, daß sie so ruhig und milde war und dabei schöner als zu jener Zeit, da sie ihm angehörte. Und all diese Schönheit sollte jetzt einem andern gehören! Bei diesem Gedanken erwachte der Wunsch in ihm, sie zu töten, und er schrie ihr zu: »Geh fort! . . . Geh!«
Und dann wie erschöpft durch diesen Ausbruch des Hasses, der seinem innersten Wesen widersprach, verbarg er das Gesicht in beide Hände und fing an zu schluchzen.
Sein Schmerz rührte sie und weckte in ihr die Hoffnung, ihn zu beruhigen und dem Abschied etwas von seiner Bitterkeit zu nehmen. Sie gab sich der Täuschung hin, ihn vielleicht darüber trösten zu können, daß er sie verloren hatte. Freundschaftlich und vertrauensvoll setzte sie sich neben ihn. »Ja, Robert, ich habe es verdient, daß du mir Vorwürfe machst, aber vielleicht verdiene ich eher noch dein Mitleid. Du magst mich verachten, wenn du willst und wenn man überhaupt ein unglückliches Geschöpf verachten darf, das vom Leben hin und her geworfen wird. Kurz, du magst über mich urteilen, wie du willst. Aber bewahre mir in deinem Zorn ein klein wenig Freundschaft. Laß es eine schmerzliche und doch süße Erinnerung sein, wie ein Herbsttag mit Sonne und scharfem Wind. Das habe ich verdient. Denke nicht zu hart über die heitere, oberflächliche Gefährtin, die ein Stück Wegs mit dir gegangen ist. Nimm Abschied von mir wie von einer Scheidenden, die dir traurig Lebewohl sagt, um Gott weiß wohin zu fahren. Das Abschiednehmen ist immer so traurig. Eben noch warst du zornig auf mich. Oh, ich mache dir keinen Vorwurf darüber, aber es tut mir weh. Behalte wenigstens etwas Sympathie für mich. Wer weiß, was die Zukunft noch bringt, so dunkel und unsicher wie sie jetzt vor mir liegt. Aber ich möchte mir sagen dürfen, daß ich gut, aufrichtig und offen mit dir gewesen bin und daß du das nicht vergessen hast. Mit der Zeit wirst du verstehen und verzeihen. Und heute schon denke mit etwas Mitleid an mich.«
Er hörte nicht, was sie sagte, aber die Liebkosung ihrer Stimme, dieser hell und klar fließenden Laute beruhigte ihn. Dann sagte er plötzlich: »Du liebst ihn nicht. Aber mich liebst du – und dann –«
Zögernd versuchte sie abzulenken. »Mein Gott, für eine Frau, wenigstens für mich, ist es nicht leicht zu sagen, ob sie liebt oder nicht. Ich weiß nicht, wie es bei andern ist. Aber das Leben geht hart mit uns um, man wird geschoben, gestoßen, hin und her geworfen.«
Er blickte sie jetzt vollkommen ruhig an. Ihm war eine Idee gekommen – ein plötzlicher Entschluß. Es war ja ganz einfach. Er wollte ihr verzeihen und alles vergessen, wenn sie nur sofort zu ihm zurückkehrte. »Thérèse, du liebst ihn nicht. Es war ein Irrtum – ein Augenblick, wo du deiner selbst nicht mächtig warst. Es war etwas Sinnloses, Furchtbares, was du aus Schwäche, aus Unbesonnenheit, vielleicht auch aus Zorn über mich getan hast. Schwöre mir, daß du ihn niemals wiedersehen willst.« Dabei faßte er sie am Arm. »Schwöre es mir.«
Sie schwieg mit finsterem Gesicht und biß die Zähne aufeinander. Er preßte ihr Handgelenk immer fester, und jetzt rief sie: »Du tust mir weh.«
Aber er hielt an seinem Plan fest. Er zog sie an den Tisch heran, wo neben den Bürsten und dem Tintenfaß einige Briefbogen lagen, deren große blaue Vignetten die Fassade des Hotels mit unzähligen Fenstern darstellten.
»Schreibe, was ich dir diktieren werde. Ich will den Brief dann besorgen.«
Als sie nicht wollte, zwang er sie in die Knie nieder. Aber sie sagte mit stolzer Ruhe: »Ich kann nicht, nein, ich kann nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil – – willst du es wirklich wissen? –, weil ich ihn liebe.«
Jetzt ließ er plötzlich ihren Arm fallen. Hätte er seinen Revolver dagehabt, so hätte er sie vielleicht getötet. Aber gleich darauf verwandelte sich sein Zorn in tiefen Schmerz, und jetzt hätte er in seiner Verzweiflung am liebsten selbst sterben mögen.
»Ist es wahr, was du da sagst? Ist es denn möglich? Ist es wirklich wahr?«
»Weiß ich es denn selber? Kann ich es sagen? Verstehe ich mich denn selbst noch? Habe ich überhaupt noch einen Gedanken, ein Gefühl, eine Ahnung von irgend etwas? Habe ich – –«.
Mit einiger Anstrengung fügte sie hinzu: »Fühle ich denn in diesem Augenblick etwas anderes als meinen Schmerz und deine Verzweiflung?«
»Du liebst ihn – du liebst ihn! Was hat er denn an sich, wie ist er denn, daß du ihn liebst?«
Er war ganz bestürzt vor Überraschung, in einem Abgrund fassungslosen Staunens. Aber das, was sie gesagt hatte, trennte sie voneinander. Er wagte nicht mehr, sie brutal zu behandeln, sie zu fassen und zu schlagen wie ein Ding, das böse und widerspenstig war, aber ihm gehörte. Und immer wieder sagte er: »Du liebst ihn! Was hat er denn zu dir gesagt, was hat er getan, daß du ihn liebst? Ich kenne dich ja, ich habe es dir nicht immer gesagt, wenn deine Ideen mich schockierten. Ich möchte wetten, daß es nicht einmal ein Mann aus deinen Kreisen ist, und du glaubst wirklich, daß er dich liebt? Nun, und ich sage dir, daß du dich irrst. Nein, er liebt dich nicht, er fühlt sich geschmeichelt, weiter nichts. Bei der ersten Gelegenheit wird er dich laufen lassen. Wenn er dich hinreichend kompromittiert hat, jagt er dich zum Teufel. Und dann wirst du dich in Liebschaften einlassen. Im nächsten Jahr wird es heißen: ›Sie hat jeden Augenblick einen andern Liebhaber.‹ Und das ist mir unangenehm um deines Vaters willen, weil er mein Freund ist. Und er wird alles erfahren, du darfst dir keine Hoffnung machen, ihn hinters Licht zu führen.«
Sie fühlte sich durch seine Worte gedemütigt, aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, was sie gelitten haben würde, wenn er sich edelmütig gezeigt hätte.
Und er in seiner Beschränktheit fühlte aufrichtige Verachtung für sie, und dieses Gefühl gewährte ihm eine Art Erleichterung. Er weidete sich daran.
»Nun, wie ist die Sache vor sich gegangen? Mir kannst du es doch ruhig erzählen.«
Aber sie zuckte so mitleidig verächtlich die Achseln, daß er nicht den Mut hatte, in diesem Ton fortzufahren. Und jetzt wurde er wieder feindselig: »Bildest du dir ein, daß ich dir helfen werde, den Schein zu wahren, daß ich weiter in deinem Hause verkehren und deinen Mann besuchen werde – soll ich etwa dabeistehen und euch das Licht halten?«
»Ich denke, du wirst handeln wie ein Gentleman. Ich verlange nichts weiter von dir. Ich möchte an dich denken können wie an einen guten Freund, und ich glaubte, du würdest nachsichtig und gut gegen mich sein. Aber ich sehe jetzt, daß es unmöglich ist, daß man sich nie im Guten trennen kann. Später wirst du vielleicht einmal besser über mich urteilen. Leb wohl.«
Er blickte sie an. Auf seinem Gesicht zeigte sich jetzt mehr Schmerz als Zorn. So hatte sie ihn noch nie gesehen, mit diesem harten Ausdruck in den tiefumränderten Augen und den eingefallenen Schläfen unter dem spärlichen Haar. Die eine Stunde schien ihn gealtert zu haben.
»Ich will dir lieber gleich sagen, was ich tun werde. Ich werde es nicht über mich gewinnen, dich wiederzusehen. Du bist keine Frau, der man in der Gesellschaft wieder begegnen kann, wenn man sie einmal besessen und dann wieder verloren hat. Ich habe dir das schon einmal gesagt. Du bist nicht wie die andern, du trägst irgendein Gift in dir, das du mir eingegeben hast und das ich in mir fühle, in meinen Adern, überall. Wenn ich dich doch nie gekannt hätte!«
Sie sah ihn gütig an: »Lebe wohl und denke, daß ich keinen solchen Schmerz wert bin.«
Aber dann, als er sah, wie sie die Hand auf den Türgriff legte, als er an dieser Gebärde fühlte, daß sie für ihn verloren war und daß sie niemals zurückkehren würde – stieß er einen Schrei aus und stürzte auf sie zu. Er hatte in diesem Augenblick alles vergessen. Es war nur ein dumpfes Gefühl in ihm zurückgeblieben, daß ihm ein schweres Unglück widerfahren war, ein Schmerz, der nie wieder heilen würde. Und aus dieser Erstarrung stieg plötzlich ein Wunsch in ihm auf. Er wollte sie noch einmal besitzen, ehe sie auf Nimmerwiedersehen von ihm ging. Und nun zog er sie an sich, er begehrte nach ihr mit der ganzen Kraft seines animalischen Wollens. Aber sie setzte ihm ihren klaren, freien und wachen Willen entgegen. Als sie sich von ihm losgemacht hatte, waren ihre Kleider zerknittert und zerrissen; aber sie hatte nicht einmal Furcht gehabt.
Er sah ein, daß alles vergeblich war. Und es kam ihm wieder zum Bewußtsein, daß sie nicht mehr sein war, weil sie einem andern gehörte. Der Schmerz kehrte zurück, und er stieß sie aus der Tür, indem er sie mit Schmähworten überhäufte. Einen Augenblick blieb sie draußen noch stehen. Ihr Stolz gebot ihr, noch auf ein Wort oder einen Blick zu warten, der ihrer einstigen Liebe würdig gewesen wäre. Aber er schrie noch einmal »Geh!« und schlug die Tür heftig zu.
In der Via Alfieri ging sie über den Hof, wo bleiches Gras wuchs, und stand wieder vor dem Gartenhaus. Still und friedlich lag es da mit seinen Ziegen und Nymphen im Giebelfeld, als bewahrte es die Erinnerung an Verliebte aus der Zeit der Großherzogin Elisabeth. Nun fühlte sie sich der quälenden und brutalen Welt entronnen und in Zeiten zurückversetzt, in denen sie das Schmerzliche des Lebens noch nicht kannte.
Am Fuß der Treppe, deren Stufen mit Rosen bestreut waren, stand Dechartre und wartete auf sie. Sie warf sich selbstvergessen an seine Brust, und er hob sie empor, als ob sie die kostbare Hülle dessen sei, vor dem er bleich und zitternd gestanden hatte. Mit halbgeschlossenen Augen gab sie sich dem demütigen und doch so stolzen Gefühl hin, eine schöne Beute zu sein. Sie war so müde und traurig, die abstoßende Erinnerung an die Ereignisse des heutigen Tages, der Gedanke an den Schimpf, der ihr widerfahren war, dabei das Gefühl ihrer wiedergewonnenen Freiheit, die Sehnsucht, alles zu vergessen, in die sich noch ein kleiner Rest von Furcht mischte – alles trug dazu bei, ihre Liebe zu steigern.
So ruhte sie auf dem Bett, beide Arme um seinen Hals geschlungen.
Als sie wieder zu sich kamen, waren sie ausgelassen wie zwei Kinder. Sie lachten, redeten Nichtigkeiten, spielten und aßen von den Limonen, den Orangen und Melonen, die neben ihnen auf den bemalten Tellern lagen. Sie hatte nur das zarte rosa Hemd anbehalten, das von der Schulter herabgeglitten war und den einen Busen sehen ließ, während der andere rosig hindurchschimmerte. Und sie schwelgte in dem Gefühl, ihm ihren Körper geschenkt zu haben. Zwischen den halbgeöffneten Lippen schimmerten ihre Zähne in feuchtem Glanz hervor.
Sie fragte ihn jetzt in etwas koketter Angst, ob die Wirklichkeit nicht hinter dem Bilde zurückgeblieben sei, das seine Phantasie ihm von ihr vorgespiegelt habe.
In dem milden Tageslicht, das gedämpft durch die Vorhänge hereindrang, blickte er sie mit jugendlicher Freude an. Und dann küßte er sie und sagte ihr tausend schöne Worte. Voller Glück blickten sie einander in die Augen, und unter Liebkosungen und heiterem Hinundherstreiten vergaßen sie sich und die Welt. Dann wurden sie plötzlich wieder ernst, ihre Augen umflorten sich, die Lippen preßten sich fester aufeinander, und mit jener heiligen Wut, welche die Liebe dem Haß ähnlich macht, umschlangen sie sich von neuem und versanken in den Abgrund der Liebe.
Als sie ihre feuchtglänzenden Augen wieder aufschlug, lächelte sie wie eine Genesende. Ihr Haupt ruhte auf dem Kissen, und die Haare flossen aufgelöst herab.
Jacques fragte, woher sie das kleine rote Mal an der Schläfe habe. Sie antwortete, daß sie es nicht mehr wisse und daß es nichts von Bedeutung sei. Und es war auch eigentlich keine Lüge – sie hatte es wirklich vergessen.
Dann erinnerten sie sich gegenseitig an die kurze schöne Geschichte ihrer Liebe, an ihr ganzes Leben, das am Tage ihrer ersten Begegnung begonnen hatte.
»Weißt du noch auf der Terrasse – am Morgen nach deiner Ankunft? Du sagtest unklare, zusammenhanglose Worte zu mir, aber ich habe gefühlt, daß du mich liebtest.«
»Ich hatte Angst, dir albern zu erscheinen.«
»Ja, du warst es auch etwas. Und gerade das war mein Triumph. Es fing an, mich ungeduldig zu machen, daß meine Nähe dich so wenig beunruhigte. Ich habe dich geliebt, ehe du noch an Liebe dachtest. Oh, und ich brauche mich dessen nicht zu schämen.«
Er goß ihr einen Schluck Asti spumante zwischen die Lippen. Aber sie wollte von dem Trasimener trinken, der auf dem Tischchen stand – zum Andenken an den See, den sie auf ihrer ersten Reise nach Italien gesehen hatte. Es war an einem Abend gewesen, und die opalschimmernde Schale des Sees im scharfgezackten Rund der Berge hatte ihr einen so trostlosen und doch so schönen Eindruck hinterlassen. Das war jetzt sechs Jahre her.
Aber er war unzufrieden, daß sie ohne ihn etwas Schönes entdeckt hatte.
»Warum bist du nicht früher gekommen?« sagte sie. »Erst mit dir zusammen habe ich wirklich sehen gelernt.«
Er schloß ihr die Lippen mit einem langen Kuß. Als sie wieder zur Besinnung kam, fühlte sie sich so glückselig müde, wie zerschlagen vor Wonne. Und sie rief ihm zu: »Ja, ich liebe dich! Ich habe immer nur dich geliebt!«